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Bauwelt 3.07
Der neue Bunker
Bauwelt 3.07
zur Zeitschrift: Bauwelt

Totes Gleis

In schrumpfenden Regionen stellt sich die Frage, welche Infrastruktur und wie viel davon auf Dauer erhalten werden kann. Im Land Brandenburg sind mit dem Winterfahrplan periphere Bahnstrecken stillgelegt worden. Das Beispiel Prignitz zeigt, dass über die Grenzen eines Bundeslandes hinaus Perspektiven entwickelt werden könnten, für die ein Bahnanschluss unverzichtbar ist. Die nächste Sparrunde kommt bestimmt, nicht nur im Land Brandenburg.

12. Januar 2007 - Ulrich Brinkmann
„Donnerstag fahre ich nach Putlitz.'
„Wohin?'
„Nach Putlitz.'
„Wo ist das denn?'
„Bei Pritzwalk.'
„Und wo liegt Pritzwalk?'
„In der Prignitz.'

Eine Reise in den nordwestlichen Zipfel Brandenburgs stellte Menschen, die sich mit der Aussprache von Zischlauten schwer tun, bislang in erster Linie vor phonetische Probleme. Seit Sonntag, 10. Dezember, ist auch die Reise selbst mühselig: Mit der Umstellung auf den Winterfahrplan endete nach 110 Jahren der Zugverkehr auf der Strecke von Pritzwalk nach Putlitz, ebenso wie der zwischen den Städten Neuruppin und Neustadt (Dosse), zwischen Neuruppin und Herzberg und zwischen Joachimsthal und Templin; auf anderen Strecken im Land fahren die Züge seltener oder nur noch im Ausflugsbetrieb, so etwa ins beliebte Rheinsberg mit seinem Schloss. 10 Millionen Euro spart das Land dadurch im nächsten Jahr, 1,13 Millionen Zugkilometer werden weniger gefahren. Und das Beste daran: Nur 222o Fahrgäste sind davon betroffen, hat das Brandenburger Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung (MIR) gezählt. Also eigentlich gar keine. Ursprünglich sollte ein viel umfangreicherer Teil des Schienennetzes in den entlegenen Regionen Brandenburgs stillgelegt werden, darunter in der Prignitz auch der Abschnitt Pritzwalk- Meyenburg. Zwar scheiterte dieses Ansinnen am Widerstand von lokalen Initiativen und Politikern, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Prignitzer Eisenbahngesellschaft (PEG), aber da ein immer schlechteres Angebot selten nur zu größerer Nachfrage führt, ist die Diskussion um die Stilllegung auch dieser Strecke in der nächsten Sparrunde zu erwarten - trotz „Billy', dem legendären Regal, das Ikea seit 1971 in Meyenburg produziert. Nun soll der Schülerverkehr auf die Bahn verlagert werden, und die Betriebe im Pritzwalker Gewerbegebiet sind gehalten, ihren Schichtbeginn dem Zugverkehr anzupassen. In Zukunft müssen täglich 500 Fahrgäste die Verbindung nutzen, damit diese auf lange Sicht der Stilllegung entgeht. Der Rückzug ist der vom Bund beschlossenen Kürzung der „Regionalisierungsmittel' zu verdanken, mit denen die Länder seit der Bahnreform im Jahr 1994 ihren Regionalverkehr bei der Bahn bestellen. Dem Land Brandenburg werden bis zum Jahr 2010 insgesamt 142 Millionen Euro gekürzt - diese gilt es einzusparen. Die Konsequenz, die die rot-schwarze Landesregierung daraus gezogen hat, ist ein Beleg dafür, dass sie die Ankündigung, künftig nur noch die stabileren, in Hauptstadtnähe zum Teil sogar wachsenden „Zentralen Orte' des Landes fördern zu wollen, ernst meint. Anders als beispielsweise Berlin war Potsdam nicht bereit, die gekürzten Gelder mit Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung auszugleichen oder vielleicht gar den Straßenausbau um diese Summe zu reduzieren. Als Kenntnisnahme von Realität mag eine solche Setzung begrüßt werden. Kann sie, im Hinblick auf den Bahnverkehr, aber auch als Vision von etwas Zukünftigem gelten? Von einer Regierung dürfen Bürger mehr erwarten als bloßes Reagieren. Die Prignitzer Eisenbahngesellschaft hatte für ihre Stammstrecke nach Putlitz bereits Ausbaupläne geschmiedet, die der Verbindung höhere Fahrgastzahlen bescheren sollten: durch Zwischenstopp an einer Pritzwalker Schule und durch besseren Anschluss an den dortigen Stadtbusverkehr. Doch die Entscheidung darüber wurde vom Land so lange verzögert, die Planung immer weiter abgespeckt, bis die Stilllegung beschlossen war. Das Agieren der Landesregierung beweist, dass die Verantwortung für die schrumpfenden Landstriche künftig von den benachbarten Metropolen mitgetragen werden muss - allein schon aus Eigeninteresse. Die ablehnende Haltung der Brandenburger gegenüber einer Fusion mit Berlin hat bislang eine befruchtende Debatte darüber verhindert, welche Rolle eine Region wie die Prignitz künftig spielen könnte. Das ändert aber nichts daran, dass diese Diskussion zum beiderseitigen Nutzen nicht nur auf Brandenburger Niveau geführt werden darf. Andererseits: Auch in Berlin beschäftigen sich die Experten für Shrinking Cities fatalerweise lieber mit den exotischen und letztlich bequemeren Großstädten in der Ferne, als sich darauf einzulassen, Verantwortung für die Provinz vor der eigenen Haustür zu übernehmen.

Leeres Land, Aussteigen bitte!

Die Prignitz liegt ziemlich exakt auf halbem Weg zwischen Hamburg und Berlin. Die große leere Landschaft, über die sich weit der Himmel spannt, ist ein denkbar starker Kontrast zu all dem, was das Leben in den beiden größten Städten Deutschlands ausmacht. Gerade einmal 50 Einwohner teilen sich einen Quadratkilometer Prignitz, das ist selbst für Brandenburger Verhältnisse wenig (86 Einwohner/km2), vom Bundesdurchschnitt (220 Einwohner/km2) oder vom Berliner Wert (3800/km2) ganz zu schweigen. Jedem Besucher dürfte schnell klar sein: Das nötige Passagieraufkommen für einen Zugbetrieb zu generieren, wird der Region allein zunehmend schwer fallen. Zwischen Putlitz und Pritzwalk zählte die PEG in den letzten Jahren rund 150 Reisende an Wochentagen, am Wochenende und in den Ferien waren es weniger als die Hälfte. Das touristische Potential der Prignitz ist also noch nicht ausgeschöpft. Denn für Großstädter hat die Gegend Reiz. In Putlitz leben rund 3000 Menschen. Das im Jahr 946 erstmals erwähnte Städtchen an der Stepenitz - einer der wenigen Flüsse im Land, die noch ihrem natürlichen Lauf folgen - wird überragt von der Ruine der Burg der Edlen Herren Gänse; die von zweigeschossigen Fachwerkhäusern gesäumten Straßen im Zentrum der Stadt aber tragen die Namen von Karl Marx, Ernst Thälmann und Rudolf Breitscheid. Die Geschäfte halten Mittagsschlaf; Mode und Schuhe melden: „Alles muss raus!' Der Fremde wird mit dem Herrn Pfarrer verwechselt. Hierher kommt man nicht, um Geschäften nachzugehen oder um „etwas erleben' zu wollen - wer nach Putlitz reist, sucht vor allem Ruhe. Damit die Region die Perspektive entwickeln kann, rund sechs Millionen Großstädtern Angebote als dauerhafter Rückzugs- und temporärer Erholungsraum zu unterbreiten, ist ein bequemer und leistungsfähiger Anschluss an den öffentlichen Verkehr aber unabdingbar - zumal die Konkurrenz an der Ostseeküste von Hamburg wie Berlin aus gut zu erreichen ist. Zwar liegt die Prignitz direkt an der A24 (Putlitz hat sogar die Ehre, alleiniger Namenspatron der Anschlussstelle 17 zu sein), aber der Verlust des Bahnanschlusses wiegt dennoch schwer. Denn in einer Großstadt ist man auch ohne privaten PKW mobil, und deshalb verfügen längst nicht alle potentiellen Besucher über die Möglichkeit, die Autobahn zu benutzen. Doch selbst wer ein Auto hat, reist in die Prignitz vielleicht lieber mit der Bahn, denn die überwiegend flache, allenfalls sanft hügelige Landschaft eignet sich vortrefflich, um mit dem Fahrrad erkundet zu werden, und das lässt sich im Zug mühelos unterbringen. Abgesehen davon, dass Touristen vor Linienbussen generell zurückschrecken, ist in den Bussen, die jetzt zwischen Pritzwalk und Putlitz verkehren, für Fahrräder kein Platz: Die „Busse' sind Linientaxis mit Platz für maximal vier Fahrgäste ohne allzu viel Gepäck. Mit der Umstellung von Schienen- auf Busverkehr sinken die Fahrgastzahlen durchschnittlich um 70 Prozent, wie die Erfahrungen nach anderen Streckenstilllegungen zeigen, doch zur Umstellung auf Taxibetrieb liegen selbst dem BUND keine Zahlen vor. Das MIR verspricht auf seiner Homepage: „Mit unseren Investitionen und unserer Politik wollen wir die Städte noch attraktiver und lebenswerter gestalten sowie leistungsfähige Verkehrsverbindungen schaffen. Damit verbessern wir für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes ganz konkret und sichtbar die Lebensverhältnisse, schaffen gute Rahmenbedingungen für Investitionen und tragen so zur Zukunftsfähigkeit Brandenburgs in einem größer gewordenen Europa bei.'

Im Supermarkt-Stehcafé:
„Bei Uwe ist alles ausgebucht.'
„Bei wem?'
„Na, bei Uwe, der vor Jahren die Post gekauft hat, der hat doch umgebaut, sind jetzt Fremdenzimmer drin.'
„Weiß ich doch, und da ist ausgebucht?'
„Bis Februar nächsten Jahres! Bauarbeiter!'
„Die Ferienwohnungen unten am Fluss, die sind auch immer belegt.'
„Können sie mein Haus auch zum Ferienhaus umbauen, wenn ich erst mal weg bin.'
„Du willst auch weg?'
„Auswandern, nächstes Jahr, auf jeden Fall. Norwegen oder Teneriffa, da könnte ich hin. Hausmeister.'

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Für den Beitrag verantwortlich: Bauwelt

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