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PCM - Phase Change Material

1. Dezember 2004 - Sabine Kraft
Mit Phase Change Materialien lassen sich keine spektakulären optischen Effekte erzielen, genaugenommen überhaupt keine optischen oder ästhetischen Effekte. Phase Change Materialien sind wie unsichtbare kleine Helfer, die man nur anhand ihres Wirkens bemerkt – das aber ist beträchtlich.
Sie verleihen anderen Materialien, in die sie integriert werden, ein physikalisches Verhalten, als ob sie über eine große thermische Masse verfügten.
Das stellt gewissermaßen die Gesetze der Bauphysik, die sich so humorlos in den Betrieb eines Gebäudes einmischen, auf den Kopf.

Das große Defizit des Leichtbaus liegt bekanntlich in der fehlenden Speichermasse, die temperaturausgleichend wirken könnte. Leichtbauten reagieren unmittelbar auf Änderungen des Außenklimas. Vor allem der Aufheizeffekt läßt sich nur schwer in den Griff bekommen, während Wärmeverluste durch eine gute Dämmung vermieden werden können. Der (bau)technische Erfindergeist des letzten Jahrzehnts konzentrierte sich darauf, mit diesem Problem auf „natürliche“ Weise, d.h. weitgehend ohne künstliche Klimatisierung, fertig zu werden. Das Problem läßt sich vereinfachend so charakterisieren, daß Wärme immer dort ist, wo man sie nicht haben will, und immer dann fehlt, wenn man sie brauchen könnte. Trotz ständig verbesserter Baustoffe und Baustoffkombinationen wie Spezialgläser mit funktionalen Beschichtungen plus integriertem Sonnenschutz, trotz Fassadensystemen mit ausgeklügelten aerodynamischen Vorrichtungen à la Doppelfassade und trotz einer „intelligenten“ Steuerung von immer mehr Gebäudekomponenten, die von ähnlich nervöser Reagibilität ist wie das Gebäude selbst, erreichen Leichtbauten - wenn man ehrlich ist -, nur selten den thermischen Komfort, über den ein Ge-bäude verfügt, das lediglich seine Masse ins Feld führt. Der Versuch, Leichtbauten mit Hilfe natürlicher physikalischer Prozesse zu betreiben, hat zu Gebäuden geführt, die hochkomplexe, äußerst anfällige Maschinen sind. Die biologische Parallele ist nach wie vor eher Wunschdenken oder ästhetische Antizipation. PCMs sind sicher nicht die Problemlösung per se. Aber wenn eine 2 cm starke Schicht dieselbe thermische Speicherfähigkeit wie ein 24 cm starkes Ziegelmauerwerk aufweist, kann man schon von einer Neudefinition der Ausgangslage sprechen.

Latente Wärme
Die PCM-Technologie wurde bereits in den 60er Jahren bei der NASA entwickelt; sie basiert auf der ebenso einfachen wie genialen Überlegung, die in einem Material während des Phasenübergangs zwischen dem festen und flüssigen Aggregatzustand gespeicherte latente Energie für ein Wärmemanagement der Umgebung zu nutzen. Jedes Material speichert beim Erhitzen Energie, die sich in einer direkten Temperaturerhöhung niederschlägt. Man spricht von fühlbarer oder „sensibler“ Wärme. Dagegen bleibt beim Übergang von der festen zur flüssigen Phase, d.h. mit dem Erreichen des Schmelzpunkts des Materials, die Temperatur trotz weiterer Energiezufuhr solange konstant, wie beide Aggregatzustände gleichzeitig vorhanden sind. Erst wenn der Übergang abgeschlossen ist, steigt die Temperatur weiter an. Die während des Phasenübergangs gespeicherte Energie wird daher als versteckte oder „latente“ Wärme bezeichnet. Anschaulich wird dieser Vorgang z.B. bei einem Drink mit Eiswürfeln: Das Eis entzieht der umgebenden Flüssigkeit die Wärme, der Drink bleibt kalt, bis das Eis vollständig geschmolzen ist.
Das Maß für die am Schmelzpunkt gespeicherte Energiemenge ist die Schmelzenthalpie. Diese latente Energie geht nicht verloren, sondern steht bei der Umkehrung des Prozesses, dem Phasenübergang von flüssig zu fest, als Wärme wieder zur Verfügung. PCMs werden auch als Latentspeichermaterialien bezeichnet. Im Bereich geringer Temperaturänderungen ist die Speicherung latenter Wärme der Speicherung sensibler Wärme weit überlegen, da sehr viel größere Wärmemengen aufgenommen werden können. Als Anhaltspunkt kann man von einer 5 bis 10fach höheren Speicherdichte ausgehen bzw. von 1/10 bis 1/5 erforderlichen Materialvolumens, um dieselbe Leistung zu erzielen. Die Energiemenge, die in einem Phasenübergang steckt, läßt sich am Beispiel von Wasser gut verdeutlichen: Um 1 Kilo Eis bei 0°C zu schmelzen, braucht man dieselbe Energie wie für die Erhitzung von 1 Kilo Wasser von 0° auf 80°C, nämlich 333 kJ.

Ausgangsstoffe
Bekanntlich ändern nahezu alle Stoffe in einem je spezifischen Temperaturbereich ihren Aggregatzustand. Worin liegt die Eignung eines Materials als PCM? Ausschlaggebend für die praktische Verwendung ist, daß die Schmelz- bzw. Erstarrungstemperatur „eingestellt“ werden kann entsprechend dem gewünschten Einsatzzweck. So würde sich z.B. ein Material, dessen Phasenübergang erst bei 80°C beginnt, nicht dafür eignen, die Wärmespitzen in Bürogebäuden abzubauen, wohl aber, um in Transportboxen Speisen warm halten. Diese Voraussetzungen erfüllen derzeit im wesentlichen Paraffine und Salzhydrate. Man unterscheidet zwischen Wasser und wäßrigen Salzlösungen, die überwiegend für Kältespeicherung eingesetzt werden, und Paraffinen, Salzhydraten und eutektischen1 Mischungen von Salzhydraten für die Wärmespeicherung. Die Verwendung von Gashydraten und Salzen wird noch erforscht. Neben dieser Temperatureinstellung sind noch andere Materialkonstanten wie eine hohe Schmelzenthalpie, gute Wärmeleitfähigkeit, geringe Volumendifferenz beim Phasenübergang, kongruentes Schmelzverhalten und Zyklenstabilität im Hinblick auf langfristige Nutzung von Bedeutung. Dazu kommen Faktoren wie geringe Korrosivität und toxische Unbedenklichkeit. PCMs können prinzipiell in drei unterschiedlichen Formen eingesetzt werden:

* makroverkapselt: Unbehandelte PCMs kommen nur dann zum Einsatz, wenn die Verflüssigung während des Phasenübergangs keine Probleme bereitet, also in geschlossenen Systemen, Containern, doppelwandigen Behältern, als hermetisch verschlossene Speicherbausteine in diversen Größen etc.
* gebunden: Hier sind die PCMs in Trägermaterialien mit Saug- oder Matrixstrukturen eingelagert. Aufgrund der Kapillarwirkung (und irgendwelcher Additive) bleibt das PCM auch bei Verflüssigung im Material gebunden. Man kann sich das so ähnlich wie die Funktionsweise von Katzenstreu vorstellen. Gebundene PCMs gibt es in Pulver- und Granulatform oder weiterverarbeitet als Plattenmaterial.
* mikroverkapselt: Die PCMs sind von einer Hülle aus Acrylat, Melamin oder anderen Kunststoffen umgeben. Die Mikrokapseln können als Pulver oder Dispersion in fast jedes andere Material, das abbindet oder erhärtet, eingerührt werden, so wie Zucker in einen Kuchenteig.

PCMs bilden zusammen mit ihrem Trägermaterial eine neue Klasse von Kompositen. Man könnte sie als Klimakomposite bezeichnen.


Praktische Anwendungen
Funktionelle Textilien wurden im Rahmen des US-Raumfahrtprogramms bereits vor Jahrzehnten entwickelt. Auch die GIs, die im 2. Golfkrieg auf Bagdad vormarschierten, waren mit einer PCM dotierten Weste ausgestattet. Ein Kleidungsstück, das bei Hitze, egal ob infolge körperlicher Anstrengung oder der Außentemperatur, kühlt und das, wenn die Temperatur sinkt, die gespeicherte Wärme wieder abgibt, ist unmittelbar einleuchtend. So sind Jacken, Handschuhe, Einlegesohlen für heißgelaufene Füße oder auch Bettwäsche und Kleidung für Wintersport im Handel. Die PCMs sind dabei häufig in Einlagestoffen integriert, können aber auf jeder Art von Textil untergebracht werden, also auch Heimtextilien wie Vorhänge oder technischen Textilien.
Transport temperaturempfindlicher Güter: Ob Speisen warm (80°C) oder Medikamente, Blutplasma und Organe kühl (5°C) gehalten werden sollen, für beides sind PCMs hervorragend geeignet. Mit speziellen Transportboxen können sogar -20°C bei einer Außentemperatur von 30°C über vier Tage konstant gehalten werden.
Motorvorwärmung: Der Kaltstart von Motoren bedeutet erhöhten Energieverbrauch und Materialverschleiß. Ein Latentwärmespeicher im Kühlwasserkreislauf lädt sich, während der Motor läuft, mit Abwärme auf, die beim nächsten Start an das Kühlwasser abgegeben wird. So wird der Motor binnen kurzem auf die optimale Betriebstemperatur gebracht.
Schutz elektronischer Bauteile: PCMs fangen ohne Temperaturfühler oder Lüftungsmotoren Wärmespitzen ab, die elektronische Bauteile schnell altern lassen. Über die Kühlrippen kann die Wärme wieder abgegeben werden. Der Vorteil liegt in einer viel kleiner dimensionierten Kühlung, die ohne zusätzlichen Stromverbrauch zuverlässig funktioniert.

PCMs in Gebäuden
PCMs in Gebäuden Wie bei fast allen neuen Produkten hinkt in der praktischen Umsetzung das Bauen den anderen technischen Bereichen oder dem Design hinterher. Aus diesem Grund wurden vom BMWi zwei Forschungs-Verbundprojekte zwischen Rohstoff- und Baustoffherstellern gefördert, um die Produktentwicklung in der Baubranche zu beschleunigen. Die Projekte wurden im Herbst 2003 abgeschlossen.2 Damit ist vielleicht ein erster Anfang für den Einsatz von PCMs in Gebäuden gemacht, die Möglichkeiten sind aber keineswegs ausgelotet, wie einige Pilotprojekte zeigen. Zentral sind hier folgende Überlegungen:

* Umgekehrt zur Funktion von Wärmedämmung, die im Winter Wärmeverluste aus dem Gebäude minimiert, wirken PCMs im Sommer, indem sie den Wärmeüberschuß im Gebäude wegspeichern. Man kann mit PCMs keine Heizkosten sparen, aber in Bürogebäuden Kühllasten reduzieren. Eine Ausnahme bildet die Zwischenspeicherung und zeitverzögerte Abgabe solarer Energiegewinne oder die Nutzung von Abwärme.
* So wie Wärmedämmungen außen sollten PCMs innen angebracht werden, außerdem muß genügend freie, nicht verstellte Fläche vorhanden sein, damit der konvektive Wärmeaustausch stattfinden kann. Forschungen darüber, inwieweit PCMs auch im Außenputz eine sinnvolle Aufgabe übernehmen können, indem sie eine Veralgung verhindern, sind noch nicht abgeschlossen.
* PCMs können gleichermaßen für passive wie aktive Systeme genutzt werden. Bei passiven Systemen geben sie nach dem Absinken der Außentemperatur, also in der Regel abends oder nachts, die gespeicherte Wärme wieder ab. In Hitzeperioden, wenn die Nachtabkühlung nicht ausreichend funktioniert, könnte das für Bürogebäude mit den am Arbeitsplatz einzuhaltenden 26°C nicht ausreichen. Demgegenüber führen aktive Systeme die gespeicherte Wärme unmittelbar über ein anderes Medium, z.B. Wasser, ab.

Temperaturregulierender Putz: Die in den Gips-Maschinenputz eingelagerten mikroverkapselten Paraffine sind auf einen Temperaturbereich von 20 - 24°C eingestellt. Eine 3 cm starke Putzschicht hat dasselbe thermische Verhalten wie eine 28,8 cm starke Leichtziegelwand. Der Putz wirkt nur solange temperaturregulierend, wie der Speicher nicht voll beladen ist. Er muß über Nachtlüftung entladen werden. Da Paraffin brennbar ist, wurde der Putz in die Brandschutzklasse B2 eingeordnet, er kann aber mit einer feuerhemmenden Beschichtung auch den Anforderungen der Baustoffklasse B1 genügen. Unter dem Markennamen „maxit clima“ im Handel erhältlich.
Temperaturregulierende Gipsbauplatte: Im Rahmen des von der Transsolar Energietechnik entwickelten Energie- und Klimakonzepts für das Haus der Gegenwart in München (Architekten: Allmann, Sattler & Wappner) sind für den Innenausbau 15 mm starke Gipsbauplatten mit einem Anteil von ca. 30 % mikroverkapseltem Paraffin vorgesehen, Schalttemperatur 23°C. Sie sind beidseitig mit einem Glasfaservlies ummantelt und erreichen die Brandschutzklasse B2. Inwieweit diese eigens entwickelten Platten später im Handel zu beziehen sind, ist derzeit völlig offen.
Aktive Kühldecke: Für den Neubau einer Ausstellungs- und Vortragshalle der Ludwigshafener Wohnungsbaugesellschaft (LUWOGE) wurde von der Transsolar Energietechnik ein neues Kühldeckenelement mit integriertem Wärmespeicher entwickelt. Es kann wie eine konventionelle Kühldecke abgehängt werden. Das Element besteht aus einer 5 cm starken, rundum geschlossenen Metallkassette mit eingelegter Kapillarrohrmatte, die mit einer Mischung aus Gips und 40 % mikroverkapseltem Paraffin befüllt ist, Einstelltemperatur 22°C, Brandschutzklasse B1. Die Kapillarrohrmatten können, wenn das Temperaturgefälle zwischen Tag und Nacht zur Entladung des Speichers nicht ausreicht, von Wasser durchströmt werden.
Passive Kühldecke: Über einer abgehängten Decke werden Aluminiumverbundbeutel plaziert, die mit Salzhydraten ge-füllt sind, Temperaturbereich 22 - 25°C. Die Deckenpaneele sollten wegen der besseren Wärmeleitung aus Metall sein. Das System kann auch nachträglich eingebaut und beliebig nachgerüstet werden. Die Aluminiumbeutel sind unter dem Markennamen "Delta®-Cool 24" erhältlich.
Solare Fußbodenheizung: Die Rohrschlangen einer herkömmlich verlegten Fußbodenheizung werden mit einer Schüttung aus Tongranulat umgeben, in dessen Saug- und Matrixstruktur Paraffin eingebunden ist. Das PCM kann bis zu 0,6 kWh pro qm Fußbodenfläche aufnehmen und fungiert als Zwischenspeicher für die Energiegewinne aus Solarkollektoren. Bereits bei geringen Unterschieden der Oberflächentemperatur wird diese Wärme freigesetzt, der Heizkessel muß wesentlich seltener anspringen. Die Heizkostenersparnis von ca. 35 % ergibt sich aus den Synergien des gesamten Systems.
In ähnlicher Weise kann auch eine mit Salzhydraten ge-füllte Noppenbahn genutzt werden, die im Rahmen von "Delta®-Cool 24" angeboten wird. Da die PCMs in den Noppen makroverkapselt sind, eignet sich diese Bahnenware auch für die ausgleichende Wärmeversorgung von Frühbeeten.
Solares Fassadenelement: Bei dem Nullenergiehaus des Architekten Dietrich Schwarz in Ebnat-Kappel (Schweiz) wurde erstmalig eine neuartige Solarwand experimentell getestet. Sie besteht aus einer Mehrfachverglasung, in deren innenliegendem Scheibenraum Kunststoffbehälter, gefüllt mit reinem Paraffin, eingelagert sind. Eine Prismenscheibe im äußeren Scheibenzwischenraum reflektiert das Sonnenlicht und verhindert eine Überhitzung des Latentwärmespeichers. Dieses System wurde für die Alterswohnanlage in Domat/Ems weiterentwickelt und ist ab Frühjahr 2005 unter der Bezeichnung „Power Glass“ auf dem Markt. Das PCM, jetzt aus Brandschutzgründen ein Salzhydrat, wird in ca. 5 cm starke, an den Enden verschweißte beliebig lange Hohlprofile aus transluzentem Kunststoff eingelagert, die zu Platten in der gewünschten Höhe zusammengesteckt werden können. Wesentlich bei der Entwicklung dieses Systems war die Flexibilität sowohl in der Breite wie in der Länge. Dasselbe gilt für die Prismenscheibe, die auch aus einzelnen Kunststoffprofilen zusammengesteckt wird. Auf diese Weise können geschoßhohe Fassadenelemente in unterschiedlicher Größe vorfabriziert werden. Das PCM in dem Fassadenelement ist auf 28°C eingestellt, da es primär die Funktion eines reagiblen und effizienten Speichermediums für solare Energieeinträge übernimmt.

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Ansprechpartner:in für diese Seite: Anh-Linh Ngoberlin[at]archplus.net

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