Akteur

Wolf D. Prix
Coop Himmelb(l)au - Wien (A)

Die Stadt als Gehirn

Die Zukunftsvisionen des Wiener Architekten Wolf Prix

Im Jahr 1968 gründeten Wolf Prix und Helmut Swiczinsky in Wien das Büro Coop Himmelb(l)au. Ihre Projekte sorgten 1988 auf der legendären Dekonstruktivismus-Schau des New Yorker Museum of Modern Art für Aufsehen. Im Herbst 2007 vollendeten sie die BMW-Welt in München. Mit Wolf Prix sprach Carsten Krohn in Wien und auf der Architekturbiennale in Venedig über Zukunftsvisionen und Globalisierung.

18. November 2008 - Carsten Krohn
Gibt es eine Vision der Stadt der Zukunft?

Wolf Prix: Wir arbeiten jetzt an einem Forschungsauftrag, der das Wachstum unseres Gehirns und das Wachstum einer Stadt vergleicht. Es ist interessant, zu sehen, wie unser Kopf funktioniert, welche Strukturen bei unseren Entscheidungen beteiligt sind und wie diese Strukturen aufgebaut sind. Und wenn man dies mit unserer Stadtentwicklung vergleicht, sind wir noch nicht einmal am Stammhirn angelangt. Wir werden diesen Forschungsauftrag mit Wolf Singer vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung machen, der schon in seinem Buch Ansatzpunkte zur Stadtplanung festgehalten hat. Das hat mich auf die Idee gebracht, das Wachstum von São Paulo zum Beispiel mit der Struktur in unserem Kopf zu vergleichen. Das Gehirn ist weder hierarchisch noch total vernetzt, sondern ändert von Entscheidung zu Entscheidung die Systeme. Dies ist ein Hinweis, wie sich die Architektur in der nächsten Zukunft entwickeln sollte. Ich denke, dass uns die Übertragung dieser Entscheidungsprozesse in unserem Gehirn auf die Stadt zu Stadtplanungen auf ganz anderen Ebenen führen wird. Diese sind natürlich politisch, werden der Architektur jedoch einen viel grösseren Freiraum geben.

Strategien für die Zukunft

Das Wiener Museum für Moderne Kunst zeigt derzeit in der Ausstellung «Mind Expanders» unter anderem Architekturutopien von 1968, darunter auch Ihre frühen Visionen einer sich permanent verändernden Stadt. Wie stehen Sie rückblickend zu diesem frühen Werk?

Eine dieser Ideen haben wir für die diesjährige Architekturbiennale in Venedig realisiert. Was wir damals erdacht haben, nämlich das Feedback-System, das heute interaktiv genannt wird, können wir heute bauen. Es demonstriert, dass der Mensch die Architektur auch über den Körper verändern und steuern kann, zum Beispiel über den Herzschlag. Der Rückschluss lautet: Was damals geträumt wurde, ist heute fast schon Realität. Die versuchte Musealisierung von dynamischen Ideen allerdings kann nur schiefgehen. Der Drang zum Musealisieren ist eher ein gesellschaftliches Phänomen, um die Unruhe, die damals durch diese Projekte gestiftet wurde, zu befrieden. Und dagegen bin ich. Ich glaube, dass diese Ideen, die damals entwickelt wurden, wichtige Ausgangspunkte für eine ganze Generation waren und es noch immer sind.

Die Wiener Ausstellung macht eine enge Beziehung zwischen den bildenden Künstlern und den Architekten sichtbar, und dies speziell in Wien.

Das bedeutet ja nichts anderes, als dass Architektur auch Kunst ist, und das finde ich ein ganz wichtiges Statement. Das ist beispielsweise in Deutschland nicht so bekannt. Dort sieht man die Architektur als dienendes Element und den Architekten als Erfüllungsgehilfen. Je besser er die Wüsche erfüllt, desto besser wird er beschrieben. Ich denke aber, dass die Architekten eher die Strategen für die Zukunftsbewältigung sein müssen und daher auch gegen die Wünsche des Auftraggebers – in durchaus friedlicher Form und Diskussionsbereitschaft – agieren müssen. Dazu sind wir ausgebildet, dazu sammeln wir die Erfahrung, denn wenn wir nicht in die Zukunft denken würden, wären unsere Bauwerke ja schon im Moment ihrer Errichtung obsolet.

Angesichts eines enormen gegenwärtigen Bauvolumens mit der gerade fertiggestellten BMW-Welt in München scheint sich Ihr Büro Coop Himmelb(l)au verändert zu haben. Wer hätte vor 15 Jahren geglaubt, dass Sie heute derart viel bauen?

Wir haben das immer gewusst! Es gehört mit zum Beruf der Architekten, dass man auch an der Durchsetzung der Ideen arbeiten muss, weil man sonst ja nur Schriftsteller oder Zeichner wäre.

In der österreichischen Architekturszene machen viele junge Büros durch innovative Bauten Furore. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Ich halte von meinen jungen Kollegen sehr viel. Ihr innovatives Bauen hängt mit der Ausbildung zusammen. Sosehr sie auch an manchen Stellen zu kritisieren ist, unterscheidet sie sich von der Ausbildung andernorts. Die Kreativität kommt aber auch von der Haltung. Wir können Architektur mit einer Metaebene versehen und uns als Vorausdenker und Strategen für die Zukunft begreifen. Dazu gehört auch die Form. In Wien ist die Ausbildung zur Form ein fast schon historisches Erbe. Ich führe das gern auf die Barockkultur in Wien und Österreich zurück. Diese unterscheidet sich vom evangelisch nüchternen Denken. Man kann sagen, dass die Österreicher unheimlich formtalentierte Raumsequenzerfinder sind: Hollein, Abraham, Domenig. Dass man das hier in Österreich intellektuell nicht wahrnimmt, ist einfach ein Mangel an Information.
Vereinheitlichung der Sprache

Was halten Sie von den aktuellen Globalisierungstendenzen in der Architektur?

Jetzt hat man gerade entdeckt, dass es ein Stonehenge in Magdeburg gibt. Das heisst, vor dreitausend Jahren gab es ähnliche Architekturen in England und in Deutschland. Nehmen Sie den Barock oder die Gotik. Die Gotik war damals international. Ich finde das gut. Durch das Werkzeug des Computers gibt es nun eine Vereinheitlichung der formalen Sprache, aber das war bei den Bauhütten ähnlich. Wenn man in die Tiefe geht und den Background des einzelnen Architekten untersucht, seine gesamte Kultur und die Gesellschaft, aus der er kommt, dann gibt es sehr dezidierte Unterschiede.

Also, ich denke an meine jüdischen Architektenfreunde, die eher kabbalistisch denken: Daniel Libeskind, Peter Eisenman und auch Frank Gehry. Die könnten über Kiesler in Wien Fuss fassen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Rietveld als ein calvinistisch geprägter Denker hier in Wien sein Werk entwickelt hätte. Genauso wie ich mir nicht vorstellen kann, dass in Amsterdam oder Rotterdam Kiesler sein Raum-Zeit-Theater entworfen hätte oder sein endloses Haus. So kann man das bis zu Zaha Hadid verfolgen, deren Entwürfe mich an arabische Kalligrafie erinnern.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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