Akteur

Jan Kaplický
* 1937 Prag 2009 Prag

Die Zukunft schon heute

Ein Gespräch mit Jan Kaplicky von Future Systems

Das Londoner Architekturbüro Future Systems verunsichert mit seinen unkonventionellen Vorschlägen die englische Architekturszene schon seit Jahren. Doch erst mit dem Bau des Media Centre auf dem Lord's Cricket Ground in London erreichte es Kultstatus. Johann Reidemeister unterhielt sich mit dem Gründer von Future Systems, Jan Kaplicky, über Farben, runde Formen und die Macht der Medien in der Baukunst.

5. Januar 2001
London im Spätherbst: Die tief stehende Sonne scheint einem tristen Hinterhof ins graue Gesicht. Der Blick geht vorbei an verwitterten Backsteinschuppen und fällt dann auf eine pinkfarbene Stahltür mit gerundetem Handgriff. Hinter dieser Tür ohne Klingelknopf, Namensschild und Klinke arbeitet der Architekt Jan Kaplicky, der Gründer des Kultbüros Future Systems. International bekannt wurde es durch das im vergangenen Jahr fertig gestellte ufoartige Media Centre auf dem Lord's Cricket Ground in London. Der Glanz der lackierten Oberfläche und die schwellende Form liessen die Kritiker jubeln und trugen dem Büro den Stirling-Preis ein, Englands bedeutendste Architekturauszeichnung. Kaplicky, tschechischer Emigrant, Retrostar und leicht ergrauter Prediger der Architektur von morgen, führt mit 63 Jahren zusammen mit Amanda Levete ein architektonisches Laboratorium, eine Produktionsstätte für visionäre Ideen. Die lichtdurchflutete Halle hinter der pinkfarbenen Tür ist voll strahlender Jungarchitekten - allesamt ohne Schuhe. Dann schwebt Kaplicky von ganz hinten lautlos heran über den ebenfalls pink leuchtenden Teppich - in Socken.

Herr Kaplicky, sind Sie gegen Schuhe?

Nein. Aber wir haben hier einen schönen Teppich . . . es ist ein bisschen wie in Japan.

Japan steht für Strenge. Aber Sie machen bunt schimmernde, an die Pop-Art erinnernde Häuser.

Architektur gibt sich meist sehr ernst. Architekten denken nicht in Farbe. Sie denken schwarzweiss. Nachträglich malen sie ein wenig Farbe darüber. Dabei ist die Geschichte der Architektur voller Farben. Le Corbusier etwa benutzte Farben ganz selbstverständlich. Andere mühen sich ziemlich ab. Sie tragen schwarz. Doch die Menschen lieben farbige Orte. Farbe ist überall. Nur die Architekten, die sind irgendwie schwarzweiss.


Farbige Architektur

Ihre Häuser sind bunt, aber auch rund.

Befreiung ist das, die Befreiung aus der Kiste. Besonders innen. Es gibt eine Reihe von Kulturen, bei denen das Runde kein Problem ist. Selbst die alten Griechen hatten runde Theater. Irgendwann hat das alles aufgehört. Doch die Menschen sind keine Kisten. Die sind organisch geformt.

Was hätte Eero Saarinen gemacht, wenn er Ihre Aluminium-Monocoque-Technik, mit der sich Bauten frei modellieren lassen, gekannt hätte?

Saarinen hat mit dem TWA-Building in New York eines meiner Lieblingsgebäude gemacht. Er hat den Bau verkörperlicht. Zelte, Iglus und ähnliche Bauformen spielen in vielen Kulturen eine zentrale Rolle. Die Box ist beinahe eine europäische Erfindung. Die freie Form hat nicht in erster Linie mit Materialien zu tun, sondern mit dem Willen, frei zu denken. Wenn man die Box einmal aufgebrochen hat, dann ist es, als redete man eine andere Sprache. Plötzlich ist alles anders.

Wie kamen Sie auf die Monocoque-Technik?

Mit der Monocoque-Technik werden Boote gebaut. Sie wird auch in der Flugzeugindustrie eingesetzt. Das ist nicht neu. Mir dient sie nur dazu, das zu erreichen, was sonst sehr schwierig herstellbar wäre. Das Media Centre sollte nicht eine weitere Box werden. Nichts ist quadratisch beim Cricket; sogar der Platz ist rund. Die Auftraggeber waren überrascht, als ich ihnen das erzählte.

Wie sehen Sie die junge britische Architektur, den minimalistischen Trend bei Caruso St John?

Man kann minimalistisch sein. Aber wie wächst man? Wie wird man mehr und mehr minimalistisch? Das wäre meine Frage. Caruso St John sind nicht minimalistisch. Da gibt es andere, die sind weit minimalistischer. Aber es gibt ein Problem: Viele glauben, was im kleinen Massstab funktioniert, das funktioniere auch im grossen Massstab. Das schaffen vielleicht Leute wie Frank Gehry. Die wissen, wie man das macht. Von meiner Erfahrung mit dem Media Centre kann ich sagen, dass ich vom ersten Moment an eine Vision hatte. Die hat sich von der ersten Zeichnung an auch nicht mehr geändert. Sie war auf einem kleinen Stück Papier. Andere wissen nicht, was sie zeichnen sollen. Dazu kommen noch die Reibereien mit den Auftraggebern. Eine Zeichnung auf Papier ist noch lange kein Haus!

Ist der Minimalismus also am Ende?

Ach wissen Sie, das ist deren Problem. Ich möchte nichts mit dem Schicksal der Minimalisten zu tun haben. Es gibt interessantere, sehr viel talentiertere Leute als die, die immer nur minimal bauen. Das sind nur Leute, die nicht richtig hinschauen. Man muss Respekt haben vor dem, was Leute tun. Doch das kann der Minimalismus nicht. Hier in London haben Herzog & de Meuron mit der Tate Modern ein enormes Gebäude gemacht. Aber es zeigt, dass der Minimalismus nicht mit den grossen Problemen fertig werden kann. Man sieht bei der Umnutzung alter Bauten aber auch, wie schwierig es ist, heute noch Phantasie einzubringen. Man kann ein Kunstmuseum in einem alten Gebäude einrichten, und es funktioniert. Aber warum nicht gleich ein neues Haus bauen? Warum verschwendet man so viel Geld, ohne etwas Ernsthaftes zur Präsentation von Kunst aufzubauen? Wenn man einen historischen Bau als Museum herrichtet, ist das eine Sache; das Kraftwerk hat jedoch nie funktioniert. Es stand nicht einmal unter Denkmalschutz. Aber das ist Politik. Deren Entscheidungen zur Architektur sind meistens falsch.

Wie wichtig ist ökologisches Bauen heute?

Es passiert heute so wenig auf dem Gebiet des ökologischen Bauens! Vor zehn Jahren hat sich weit mehr getan. Wir haben damals Prototypen wie das «grüne Haus» entwickelt. Jetzt gibt es keine Initiativen mehr, nicht von der Regierung, nicht von den Städten. Natürlich würde das «grüne Haus» etwas mehr kosten. Aber der Unterhalt ist dafür billiger. Allerdings kümmert sich kaum jemand um die Verschwendung von Energie, ausser wenn eine Krise kommt. Hier wäre die Politik gefordert. In Ländern wie Deutschland oder der Schweiz ist man weiter als bei uns. Schauen Sie sich an, wie wenig hier die Leute an Elektromobilen interessiert sind. Sie sind ihnen zu kompliziert.

Sie haben 1979 in London zusammen mit dem britischen Architekten David Nixon die Architekturgemeinschaft Future Systems gegründet.

Das ist sehr lange her!

Was soll ein junger Architekt machen, wenn er noch ganz am Anfang seiner Karriere steht?

Ich denke, er muss an der Karriere arbeiten. Viele tun das nicht. Im Grunde muss jede Zeichnung eine Bedeutung haben. Das kostet viel Zeit. Manchmal dauert es viel zu lang. Nicht der kommerzielle Erfolg zählt. Man kann einfach anfangen, Beton in den Boden zu gießen. Toll! Man kann das machen. Doch ich bin daran nicht interessiert. Ich habe den Eindruck, dass manche Architekten davon besessen sind, möglichst gross und viel zu bauen. Aber Charles Eames hat ein Haus gebaut und damit die Welt verändert! In seinem ganzen Leben hat er nur sehr wenig gebaut. Ich will mich nicht mit ihm vergleichen. Aber heute sind wir besessen von Quantität. Wir sprechen nie von Qualität - jedenfalls sehr selten. Grösser, grösser steht im Zentrum.

Woher kommt das?

Ich weiss es nicht. Die Presse, die Medien sind mächtig. Sehr viel mächtiger als noch vor ein paar Jahren. Ich denke vor allem an die architektonische Fachpresse. Ich weiss nicht, wie es in der Schweiz ist, aber hier kann sie sehr starken Einfluss ausüben. Sie ist sehr populistisch.


Umgang mit dem Erfolg

Die Presse hat aber auch in höchsten Tönen über Sie geschrieben. Future Systems wird als Kultbüro gefeiert, Sie bekommen Preise. Wie gehen Sie mit Ihren jüngsten Erfolgen um?

Wir sind nicht so erfolgreich, wie die Leute immer denken. Wir sind überhaupt nicht erfolgreich - auf eine bestimmte Weise. Wir haben viele Feinde, wir stossen auf viel Widerstand.

Welche architektonischen Aufgaben haben Sie als die drängendsten der Zukunft identifiziert?

Die Menschen mit einem besseren, einem schönen Umfeld auszustatten. Schönheit ist ein vergessenes Ideal. Reich muss sie sein, nicht minimal. Eine minimale Schönheit ist eben nur minimal. Ein bestimmter Reichtum ist notwendig, aber die Schönheit ist das Schlüsselwort bei der ganzen Sache.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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