Akteur

Jan Kaplický
* 1937 Prag 2009 Prag

Ökologische Architektur ohne grüne Dogmen

Der Aussenseiter Jan Kaplicky in Prag

Jan Kaplicky von «Future Systems» ist wohl der bekannteste tschechische Architekt. Als leidenschaftlicher Forscher in Sachen Baumethoden fühlt er sich der organischen Form verpflichtet. Der Aussenseiter konnte im letzten Jahrzehnt mehrere Bauten realisieren. Seine Heimat Böhmen blieb ihm bisher allerdings verschlossen. Nun widmet ihm Prag eine grosse Ausstellung.

8. Februar 1999 - Stephan Templ
Der in London tätige tschechische Architekt Jan Kaplicky zeigt in Prag sein Œuvre im Museum Moderner Kunst, dem einstigen Messepalast, der zur Zeit seiner Entstehung als einer der ersten Grossbauten des Funktionalismus gleichermassen irritierte und provozierte - selbst Le Corbusier. Das Grosse blieb Kaplicky zwar lange verwehrt, und trotzdem passt der Ort: hier waren in den zwanziger und dreissiger Jahren die neuesten Erfindungen der hochindustrialisierten Tschechoslowakei zu bewundern, von schweren Maschinen bis zu feinsten optischen Geräten. Als es klar war, dass diese Welt 1968 für immer verschwand, da verliess auch der technikbegeisterte Kaplicky Prag. Während seine daheimgebliebenen Kollegen statt zu planen Fenster der Plattenbauten putzten, arbeitete Kaplicky bei Foster und Rogers in London. Im Jahre 1979 gründete er dann zusammen mit David Nixon das Büro «Future Systems». Die nächsten zehn Jahre widmet es sich der Erforschung neuer Bau- und Denkmethoden, Flugzeug- und Autobau werden genau studiert. Die Wende kommt im Jahre 1989. Da stösst die Architektin Amanda Levete zur Gruppe. Man erhält den zweiten Preis für den Wettbewerbsentwurf der Pariser Bibliothèque nationale; und im Londoner Vorort Islington entsteht zwischen Patrizierbauten ein Glashaus als Villa, welche die wesentlichen Axiome von Future Systems klar formuliert: fern der kontinentalen Holzeuphorie wird hier ökologisch durchdachte Architektur in Stahl, Aluminium und Glas ausgeführt, möglichst nach dem Prinzip der Präfabrikation. Die Methode erwies sich auch bei weiteren Projekten als erfolgreich. So bei der muschelförmigen VIP-Lounge des Marylebone Cricket Club - gefertigt in einer Bootswerft - und bei einer Fussgängerbrücke in den Londoner Docklands.

Kaplicky schreckt nicht zurück, sich ganz wörtlich auf die Fauna zu beziehen. Wie ein Insekt setzt sich die Brücke auf die Wasseroberfläche. Im «ökologischen Erlebnispark» Earth Center im englischen Dearne-Tal ruht ein Schmetterling in einer postindustriellen Mondlandschaft aus stillgelegten Stahlkochereien, Schutthalden und Kohlegruben. Die Flügel des Tieres sind mit bunten Schuppen übersät, Solarpanele, welche die sich darunter ausdehnende 10 000 m² grosse Ausstellungsfläche mit Energie versorgen. Nicht nur hier sprengt Kaplicky mit Material- und Massstabwahl grüne Dogmen: Im Auftrag der Europäischen Union entwickelt er für Berlin und London Niedrigenergiebauten. Das englische Modell zeigt einen dreiundzwanziggeschossigen eiförmigen Körper, dessen Mitte von einer riesigen Windturbine durchbrochen ist. Die Grammatik dieser zwischen High-Tech und Lyrik oszillierenden Sprache glaubt der Emigrant immer in seinem Gepäck gehabt zu haben. Im Katalogheft zeigt er, was ihn einst beeinflusste: der stromlinienförmige Tatra 603 von 1937, Jaromír Krejcars Pariser Messepavillon aus demselben Jahr, Giovanni Santinis Wallfahrtskapelle in Zd'ár nad Sázavou, der Wenzelssaal auf der Prager Burg und immer wieder Ladislav Zák, der Prager Architekt, der bereits in den dreissiger Jahren Ökologie und Bauen zum Thema erhob.

Wundert es da noch, dass Kaplicky gerade hier in Böhmen bauen möchte? Bis dato liess sich nichts realisieren. Ein Wettbewerbsentwurf zur Neugestaltung der Prager Burgfasanerie wurde von der Jury als undurchführbar abgelehnt. Kaplicky legte durch den einmalig gelegenen Landstrich einen gläsernen vergoldeten Pfad, in Gedanken an Plecník und in der Hoffnung auf die Wiedergeburt einer innovativen Glasindustrie in Böhmen. Nicht viel anders erging es dem politisch brisanten Entwurf eines Memorials für die Opfer des Kommunismus: eine Stahltreppe mit 42 Stufen (die Anzahl Jahre kommunistischer Herrschaft symbolisierend) verbindet die Moldau mit jenem Ort, wo in den Jahren 1955-1963 das weltweit grösste Stalinmonument stand. Die Treppe mag hier in Prag viel mehr als lediglich eine Verbindung zwischen dem Fluss und dem geschichtsträchtigen Hügel sein: denn viele Tschechen liessen ihr Leben an der Todesstiege im Mauthausner Steinbruch. So wäre es ein Memorial der beiden Diktaturen, auch wenn in den gläsernen schwarzen Treppenwangen nur die Opfer der roten geschrieben wären. - Der 61jährige Kaplicky lebt seit nunmehr drei Jahrzehnten in England. Hier hat er ungeachtet aller Moden an seinem Weg festgehalten, hat beinahe ein böhmisches Dissidentendasein geführt. Prag, so meint er, wird er auch weiterhin von der Ferne betrachten. Er kann dort nichts mehr finden, wovon er geträumt hat.

[Die Ausstellung «Future Systems» ist bis zum 28. Februar im Veletrzní palác (Museum Moderner Kunst) zu sehen. Der Katalog, als Sondernummer des Architekturmagazins «zlatý rez» erschienen, kostet Fr. 12.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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