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Einfach den Bach hinunter
Spectrum

Wenn einer ins neue Wiener Dianabad geht, dann kann er was erzählen: von Plastikpalmen, einer Buschhütte als Kassa, ja sogar von betonierten Felsen (mit Höhle!) – nur nicht davon, dass er schwimmen war. Über saubere Subventionsflüsse und preise, die sich gewaschen haben.

11. November 2000 - Judith Eiblmayr
Dies hätte eine nette Feuilletongeschichte werden können. Die Neueröffnung des Dianabades, des vierten Projekts in fast zwei Jahrhunderten Badtradition unter demselben Namen und am selben Platz, gab Anlass, sich mit der Bau- und Kulturgeschichte desselben zu befassen. Man hätte die drei Vorgängerbauten beschreiben und die Entwicklung vom Wannenbad Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Erlebnisbad Anfang des 21. Jahrhunderts im jeweiligen kulturhistorischen Kontext analysieren können. Oder man hätte dem hohen Niveau der Wiener Bäderkultur, das vor allem im „Roten Wien“ der Zwischenkriegszeit installiert wurde, huldigen und erfreut berichten können, dass nach mehrjähriger Abstinenz das zweite Hallenschwimmbad innerhalb des Gürtels seine Pforten wieder geöffnet hat.

Aber leider: Nach dem ersten Besuch im neuen Bad kommt einem jegliche Nettigkeit abhanden, und Schöngeistigkeit empfindet man ob der desillusionierenden Realität als verzichtbaren Zeitvertreib. Das Erlebnisbad macht nämlich seinem Namen anders als gedacht alle Ehre: Nach einem kurzen Rundgang durch die mit Bambusgeländern, Solnhofner Plattenbruch, tropischen Pflanzen aus Kunststoff und mit Wasserflächen dekorierte Halle wird man von dem Aha-Erlebnis überwältigt, dass man als Badegast offensichtlich für völlig degeneriert gehalten wird und um viel Geld für blöd verkauft werden soll. Ein Hallenbad, in dem man nicht mehr schwimmen kann – das entzieht sich der Vorstellungskraft einer der sportlichen Betätigung nicht abgeneigten Person.

Der Erlebnischarakter dieses Badbesuchs offenbart sich allerdings bereits beim Betreten des Gebäudes. Beschildert ist zur Zeit noch nichts, aber man erinnert sich, wo der Eingang ins alte Bad war, und schreitet über eine leicht überdimensioniert wirkende Freitreppe empor. Oben angekommen landet man in einem winzigen Foyer, in dem eine als Buschhütte getarnte Kassa ein unbeschreibliches Tropenflair, verbreitet. Vis-à-vis der Kassa ist ein Teil jenes Glasmosaiks appliziert, das noch aus dem Badkomplex von 1917 stammt und im räumlichen und stilistischen Kontext völlig deplatziert wirkt.

Eine Tafel mit Angebot oder Preisübersicht findet sich einstweilen nicht, aber ein paar kopierte Zettel tun´s ja schließlich auch. Ein Blick darauf genügt, um zu erkennen: Man ist in einem Privatbad, denn die Preise haben sich – wie man so schön sagt – gewaschen. Minimaltarif am Wochenende für Kinder zwischen sechs und 14 Jahren: 100 Schilling. Ab 14 ist man nach Auffassung des gewinnorientierten Betreibers als erwachsen einzustufen und muss 170 Schilling ablegen, um dem Badeerlebnis zu frönen. Wer glaubt mit einer Familienkarte davon zu kommen, hat leider auch Pech gehabt, denn die Familie definiert sich hier als „1 Erwachsener + 2 Kinder“.

Wer dieses Familienmodell bornierterweise hinterfragt, erhält prompt und gratis eine ideologische Belehrung seitens des Kassenpersonals: Ein Elterteil hat nämlich das Geld zu verdienen, während der andere mit den Kindern im Bad ist. Das leuchtet ein bei diesen Preisen. Kurz und gut: „Freizeit. Pur“ (Foldertext) kostet eine fünfköpfige Familie zirka 500 Schlling.

Mit und in den progressiverweise gemischten, aber doch beengten Garderoberäumlichkeiten – eine Umkleidekabine auf 40 Kästchen – möchte ich mich nicht länger aufhalten, denn schließlich ist man im Bad, um zu schwimmen. Man betritt die Halle, erkundet das überbaute Terrain (um nicht zu sagen Terrarium – das ist nämlich die erste Assoziation) und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus: Mittig im Raum liegt das Wellenbecken, das adriastrandmäßig flach ausläuft und bei Wellenbetrieb (jede Stunde) mit gezählten 50 Menschen als voll zu bezeichnen ist. Links daneben baut sich eine betonierte Felsformation (mit Höhle!) auf, von deren Spitze die mit riesigen Reifen zu befahrende Wasserrutsche ihren Start nimmt und quer durch den Raum schwungvoll Platz greift. Deren Auslauf ist in Form eines gewundenen, zirka 60 Zentimeter tiefen Kanals angelegt und dient in seiner gesamten Länge als eine Art Reifenparkplatz für jene Zeit, in der die Rutsche nicht in Betrieb ist. Das ist übrigens die Hälfte der Zeit der Fall. Sobald es nämlich mit turbinenähnlichem Gedröhne losgeht, formt sich die liegende Reifenschlange zu einer stehenden mit Menschenbegleitung um und verstellt jetzt nicht mehr die Wasserstraße, sondern den Hauptdurchgangsweg.

Neben drei ganz flachen Kleinkinderbecken mit Dino-Rutsche, Piratenschiff und ähnlich anregendem Inventar gilt es noch, vorbei an der Buschhütte, in der der Bademeister thront, einen letzten Bereich zu erkunden, der von einem mäanderförmigen, ebenfalls seichten Wasserband, zeitweise mit Strömung, teilweise mit Sprudel gebildet wird. Dazwischen herrliche Textil- und Plastikpalmen, deren „Beete“ aus mit Epoxiharz verklebtem Schotter (logisch, die Stein würden sonst im Wasser landen) bestehen.

Auch der Bodenbelag ist eine Erwähnung wert: Bruchrauhe Solnhofner Kalksteinplatten sind in dieser Funktion denkbar ungeeignet, da sie in permanenter Nässe, wie das in einem Schwimmbad Normalzustand ist, Algen ansetzen und rutschig werden. Naturstein nimmt immer das Wasser an und erhält ein feuchtes Milieu, das auch eine Brutstätte von Pilzen aller Art ist. Aber die gebrochenen Steine, ein Abfallprodukt der Plattengewinnung, sind billig zu haben und erzielen außerdem den gerne gesehenen Hundertwasser-Effekt.

Zurück zu den Badeoptionen. Wer schnöde einfach einfaches Schwimmbecken gesucht hat, muss erkennen: Es gibt keines. Dies erklärt auch den überdurchschnittlichen Bauchumfang des durchschnittlichen Badegastes; Wassersport ist nicht unbedingt die Devise. Ganz entspannt lassen sich diese sympathisch unergeizigen Typen bespülen, sodaß sie wenigstens bis zur Brust benetzt sind, oder waten flamingoartig im seichten Wasser mit eher verlorenem Gesichtsausdruck herum.

Wer die „bestmögliche Ausstattung am letzten Standard“ (Folder) bereits genossen, aber leider keine der 20 Liegen am „Strand“ ergattert hat, muß auf die Galerie ausweichen um sich am besten gleich der „Gastrokultur auf hohem Niveau statt Fastfood“ zu widmen. Bleibt zu hoffen, dass sich das Qualitätsniveau der speisen doch als um einiges höher als jenes des Foldertextes erweist, da sonst gastroenterologische Spätfolgen nicht auszuschließen werden.
Apropos verpöntes Fastfood: das erste, was sich einem beim Betreten der Halle in den Weg stellt, ist ein Automat für Schokoriegel.

Aber wir wollen mit dem privaten Betreiber dieses Bades und seiner Werbemaschinerie im Format 10 mal 21 Zentimeter nicht zu streng sein. Es ist dies ein niederländisches Konsortium, das sich immerhin geopfert hat, von der Gemeinde Wien 200 Millionen Schilling anzunehmen – für das Himmelfahrtskommando eines Badbaus und –betriebs. Die mit der Gestaltung der „attraktiven Freizeiteinrichtung“, wo man „die Sonnenseite des Lebens erleben“ kann, beauftragte Firma hat ihren Sitz interessanterweise in Monte Carlo, sicherlich aus dem einzigen Grund um die Wasserrutschenparks entlang der Cote d´Azur genau zu studieren...
Der zweite Teil der Geschichte ist weniger lustig, denn je länger man über die Sache nachdenkt und die unsäglichen Details dieser Anlage analysiert, umso eher kommt man zu dem Schluss, dass hinter einer so offensichtlichen Fehlplanung nur Kalkül stecken kann. Eine geringe Wassertiefe soll Kinderfreundlichkeit vorgeben, aber jeder der Kinder hat, weiß, dass diese lieber schwimmen, tauchen und ins Wasser springen wollen. Auch für die Allerkleinsten sind die Becken ungeeignet, da die Begleitpersonen diese Becken nur unter beträchtlichen Mühen beaufsichtigen können. Rund um die Becken ist zuwenig Platz zum Sitzen, und im 30 Zentimeter seichten Wasser knieend oder liegend mit Kindern zu planschen ist auch nicht wirklich entspannend.

Eine geringe Wassertiefe hat allerdings den großen Vorteil, dass weniger Wasser erwärmt und verbraucht werden muss, dass die darunter liegende Tiefgarage in ihrer Höhe nicht beeinträchtigt wird und keine teuer vermietbaren Stellplätze verloren gehen. Wer die eigentliche Zielgruppe für das „tropische Schwimmparadies“ ist, wird nach Betrachtung des Saunabereichs klar. Dieser ist zwar gleichfalls klein, aber geschmackvoller gestaltet als die Schwimmhalle. Gediegen saunieren nach einem anstrengenden Arbeitstag, kurz ins Wellenbad und dann ein wohlverdientes Essen – wer möchte so ein Service nicht direkt beim Arbeitsplatz genießen?

Die Raiffeisen Landesbank als Investor und die „Konstruktiva“ als Bauträger haben ja nicht nur das bad, sondern darüber ein 17geschoßiges Bürohochhaus gebaut, in dem unter anderem das Raiffeisen-Rechenzentrum untergebracht ist; allein in diesem Gebäude sind 600 Menschen beschäftigt, im benachbarten Landesbankgebäude weitere Hunderte, und im gerade in Umbau befindlichen IBM-Haus nebenan werden es ähnlich viele sein. Dieserart kommt eine kaufkräftige Klientel zusammen, für die ein so nahes Angebot an konsumierbarer Wellness zweifellos attraktiv ist. (Das Problem von lärmenden Kindern im Bad wird sich durch die hohen Eintrittspreise ohnehin von selbst erledigen.)
Dagegen wäre auch nichts einzuwenden, wenn in die niedrigen Gewässer des privaten Betreiber nicht 200 Millionen Schilling Steuergeld geflossen wären, die für die Allgemeinheit einfach den Bach hinuntergegangen sind. Zwar besteht seitens der Gemeinde Wien die verpflichtende Auflage, das Bad 20 Jahre zu halten, in welcher Form steht jedoch nirgends. Und falls das Bad vorzeitig in Konkurs gehen sollte – der Saunabereich könnte praktischerweise direkt von Raiffeisen übernommen werden -, wird eine neuer Betreiber wohl kaum gezwungen werden können, dieses offensichtliche Defizitgeschäft weiterzuführen.

Dann ist das ungeliebte Bad auf teuren Innenstadtboden endgültig zu, kann durch die entsprechende konstruktive und ausstattungsmäßige Vorarbeit leicht eliminiert werden – die Reifenrutsche ist rasch ausgebaut und anderweitig wieder verwertbar – und zum Beispiel zu einer Mehrzweckhalle oder einer repräsentativen Bankfiliale und vor allem zu einem adäquaten Entrée ins Bürohochhaus umgebaut werden. Plötzlich erfüllt sich die Überdimensionierung der Freitreppe in der Lilienbrunngasse mit Sinn, denn zur Zeit müssen sich die Büroangestellten im „Raiffeisen Diana Haus“ mit einem Eingang im Minimalformat begnügen, der der täglichen Frequenz spottet.

Am neuen Dianabad ist beispielhaft abzulesen, mit welch zynischer Leichtfertigkeit heutzutage die Durchschnittsbevölkerung vom Steuergeldfluss weggehalten wird. Ein Bad, das für Familien, alte Menschen und Jugendliche unbezahlbar und unbrauchbar ist und in dem das Pflichtfach Schulschwimmen seriöserweise nicht abgehalten werden dürfte, weil man dort das Schwimmen nicht erlernen kann, lässt sich nicht soziale Einrichtung nennen, und es ist besonders erschreckend, dass es die Wiener Sozialdemokraten waren, die solch ein Objekt auch noch hoch subventioniert haben. Die Bauaufgabe „öffentliches Bad“ war und ist eine sozialpolitische, der sich eine verantwortungsvolle Kommune zu stellen hat, auch wenn es hohe Betriebskosten und ein eventuelles Defizit bedeutet.

Was kommt als nächstes: die Einzäunung der Donauinsel und ihre Umgestaltung zum Sissyland? Verkauf und Rodung des Grünen Praters, weil das Wiener Stadtgartenamt defizitär arbeitet, bei gleichzeitiger Installierung einer gebührenpflichtigen Lauf-, Rad- und Skatingstrecke, um die spinnerten Sportler ein bisserl zu schröpfen? Den Auswüchsen der gewinnmaximierenden, passivitätsorientierten Freizeiteinrichtungen sind in der Phantasie einer um sich greifenden Unkultur wahrlich kein Grenzen gesetzt. Im Fachjargon der sogenannten Betreiber heißt das dann laut Folder: „Erfolg. Spaß.“ Frage: Wobei?

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