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Geschichtspark „Ehemaliges Zellen­gefängnis Moabit“ in Berlin
Bauwelt
30. März 2007 - Anne Kockelkorn
„Von morgens fünf bis nachts um halb eins. Die Stadt­bahn fuhr alle drei Minuten. Jedesmal rief eine Frauenstimme durch den Lautsprecher auf den Bahnsteig; Lehrter Straße. Lehrter Straße. Das wehte rüber bis nach uns. Von morgens halb fünf bis nachts um halb eins. Achthundertmal: Lehrter Straße. Lehr-ter Straße.“ Zweieinhalb Jahre blieben Wolfgang Borchardt noch nach dem Kriegsende; Zeit genug, um auch seine Erinnerungen an die Inhaftierung im Zellengefängnis Moabit in eine Kurzgeschichte zu fassen, bevor er mit 26 Jahren an den Folgen seiner Kriegs-leiden starb. Seitdem sind 60 Jahre vergangen, und sowohl das Zellengefängnis als auch der Lehrter Stadt­bahnhof sind abgerissen; geblieben ist die Ziegelmauer, die dem flüchtigen Blick kaum erzählt, ob sich einst dahinter eine Fabrik, eine Schule, ein Fried­hof oder ein Gefängnis befand. Seit 1992 steht das Gelände unter Denkmalschutz, 14 Jahre später, Ende 2006, wurde der Geschichtspark eröffnet. Die Berliner Landschaftsarchitekten Glaser und Dagenbach wurden dafür gerade mit dem Landschaftsarchitek-turpreis des BDLA 2007 ausgezeichnet.

Die Einzelhaft ist eine Errungenschaft der Neuzeit, die nicht mehr die schmerzhafte Strafe zur Schau stellen, sondern auf Willen und Denken des Häftlings Einfluss nehmen wollte. Im Panoptikum tritt die Seele des Häftlings auf die Bühne der Justiz; die beobachtende Macht ist allgegenwärtig, aber uneinsehbar. Das Zellengefängnis Moabit wurde 1842–49 von Carl Ferdinand Busse als Kopie des Londoner Gefängnisses Pentonville erbaut; als Disziplinarmaschine der Isolationshaft war sein Erfolg insofern einschlagend, als die Selbstmordrate und die Zahl der psychisch kranken Häftlinge so drastisch anstiegen, dass ein Nebengebäude an der Ostmauer 1886 zum Irrenhaus umgebaut werden musste. Bis 1910 galten Isolation und Schweigegebot selbst für den Hofspaziergang, was man bis heute der Redensart „im Dreieck springen“ nachhören kann. Die drei kreisrunden Spa­zierhöfe waren durch mannshohe Mauern in jeweils 20 Dreiecke unterteilt; für jeden Häftling zwei zulaufende Mauern, darüber ein kleines Stück Himmel.

Müßiggang und Gedenken liegen nicht so weit auseinander, wie man im ersten Moment glauben mag; und die Kombination aus Park und Panoptikum besitzt mit der achteckigen Menagerie von Le Vau im Schlosspark von Versailles ein prominentes Vorbild der Architekturgeschichte, lange bevor die strahlen­förmigen Gefängnisse des 18. Jahrhunderts errich-tet wurden. In der Mitte der Salon Ludwigs XIV., zu den Rändern sieben ummauerte Tiergehege, die kon­zen­trisch auf den Salon zulaufen; zur achten Seite der Eingang. Panoptikum als auch Menagerie lassen den Betrachter Naturforschung betreiben; die Two-in-One-Realisierung von Gedenkstätte und Bürgerpark drei Jahrhunderte später in Berlin ist dennoch eine schwierige Gratwanderung zwischen Gedächtnis und Gedenkstättenkitsch, Erholung und Geschwätz.

Udo Dagenbach und Silvia Glaßer haben diese Aufgabe gemeistert. Ihr größtes Verdienst war aber vielleicht, vom ersten Gutachten 1989 bis zur Eröffnung des Parks 17 Jahre später nicht müde zu werden, das Projekt den Beamten der Stadtverwaltung zu zeigen und auf die Bedeutung des Ortes hinzuweisen. Andererseits ist es auch dem Berliner Geldmangel zu verdanken, dass das Gelände der Stadt erhalten blieb; wären jederzeit die nötigen Mittel vorhanden gewesen, stünde jetzt auf dem Parkgelände eine Schule, verliefe darunter der Tiergartentunnel und daneben die Westtangente der Stadtautobahn. Nichts davon wurde realisiert, und zum Glück der Mittellosigkeit gesellte sich das Geschick der Planer.

Die Landschaftsarchitekten ließen die Gefängnismauer denkmalgerecht restaurieren und teilten das Parkgelände in zwei Hälften. Auf der einen Seite planten sie eine romantische Landschaft als Remi-niszenz an die zugewucherte Lagerstätte des Westber­liner Tiefbauamtes von 1960 bis 1990; auf der an-deren Hälfte legten sie die Gedenkstätte als strengen Jardin à la française an. Hier die partizipative Spielplatzgestaltung, das wilde Robinienwäldchen und
in den Boden gepflasterte Reste der Moltkebrücke; dort die reduzierten skulpturalen Zitate der Gefängnisform. Die Außenwände der vier Zellenflügel zeichneten die Architekten mit niedrigen Betonmauern nach und legten zwei der Zellenflügel als schräg ansteigende Rasenflächen an; das Verwaltungsgebäude im Westen symbolisierten sie durch kastenförmig geschnittene Blutbuchen. Auch die drei Spazierhöfe sind zitiert: im Norden als Trittsteine auf den Grundrisslinien der Spazierhofsgehege, in jedem Tortenstück ein Säulenwacholder; im Osten als Walnussbaum, umgeben von einem kreisrunden Betonmäuerchen; im Süden als kopfhohes Betonmauerdreieck. Zusammen mit der nachgebauten Zelle von Gefängnisflügel A, dem leeren Würfel in der Mitte der Anlage und den drei Eingangsskulpturen sind dies die wenigen gebauten Eingriffe in der Handschrift der Architekten. Hauptakteur des Parks bleibt die Ziegelmauer, die sich zwischen Park und Stadtlandschaft wie eine Leinwand aufrollt: dahinter reihen sich Fernsehturm, Charité und Hauptbahnhof, davor laufen Jogger im Kreis und schieben Mütter ihre Kinderwagen über die Kieswege. Leinwand und Reflexionsfläche: Im Nordostbereich der Mauer ist eine Zeile aus den Moabiter Sonnetten von Albrecht Haushofer als Auslassung eines umlaufenden weißen Farbstreifens eingeschrieben. Ab Juli 1944 waren die Widerstandskämpfer des 20. Juli und des Kreisauer Kreises in Moa­bit inhaftiert; wer im Frühjahr 1945 noch lebte, wurde in der Nacht des 23. April auf die andere Seite der Gleistrasse geführt und dort erschossen. So auch Haushofer. Bis zuletzt hielt er seinen Gedichtband fest in der Hand. Seine Gedanken haben nun auf der Gefängnismauer einen Platz gefunden, und der zeit­ge­nös­sische Parkbesucher muss nicht wissen, wer ihr Urheber ist, um die Leere des Parks inmitten des Berliner Verkehrstrubels genießen zu können.

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