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Turn Terror into Sport
dérive

Eine Intervention des theatercombinats

„massensteppchoreografie samstag 15.9. / wir laden Euch herzlich ein zu / turn terror into sport / 100 wiener bürgerinnen und bürger intervenieren mit einer massenchoreografie / auf dem maria-theresien-platz am 15. september um 18h30 in wien / zwischen dem heldenplatz, dem ort politischer versammlungen, und dem museumsquartier als ort massenhaften kulturellen konsums, entsteht eine massive rhythmische intervention in die stadt. / eine koproduktion von tanzquartier wien und theatercombinat.“

23. Oktober 2007 - Rudolf Kohoutek
Auf dem Platz rund um das Wiener Maria-Theresien-Denkmal befanden sich zur angegebenen Zeit um einiges mehr an Menschen als gewöhnlich. Weitere Indizien für eine bevorstehende Aufführung gab es jedoch keine. Doch: Jugendliche in bedruckten T-Shirts verteilten ein Programm. Kein eindeutiger Ort innerhalb dieses Raums, ein erst allmählich wahrnehmbarer Beginn: zwischen der Menge der ZuschauerInnen aufgestellte AkteurInnen, Klappern der eisenbeschlagenen Schuhe der StepperInnen. Die ZuschauerInnen konnten keinerlei Ahnung haben, wo und wohin sich die Aktion im Raum entwickeln würde. Erhöhte Spannung, wenn AkteurInnen ganz nah kamen, oder knapp einen Weg durch die Menge suchten, zu einer anderen Zusammenballung, rund um das Denkmal herum.

Die Trennung zwischen AkteurInnen und Publikum war auch insofern aufgehoben, als sich jedeR zum Mitmachen hatte anmelden können und dafür einen Gratiskurs in Stepptanz bekam. AkteurInnen wie Publikum in derselben street-ware, anfangs nicht zu unterscheiden. Die SprecherInnen meist unsichtbar, in der Menge oder gerade auf der anderen Seite des Denkmals. Kein eindeutiger Stil der Step-Performance: Härter, sanfter, nicht eindeutig decodierbare Gesten, zwischen Musical, Volksaufstand, Militärparade oder Gymnastikübung.

Minimalismus der Texte, Zurückhaltung der äußeren Aktion: So kommt es zu einem Pendeln zwischen Konzentration und Zerstreuung, Aufbau und permanenter De­kon­struktion von Aura, Destruktion der Nicht-Erwartungen. Ein flirrender Zustand, zwischen seine Freunde von Ferne grüßen, von der Gewalt der Shakespeare-antiken Worte aufgeschreckt sein, dann wieder Suche, wo das Zentrum der Aktion sich räumlich fortsetzen würde. Scannen und Decodieren der heterogenen Informationen, der Körper und der Bedeutungen. Dazwischen kleine Ratlosigkeit, Verlorenheit in der Menge, zart anklopfende Langeweile, Zurückgeworfen-Sein auf sich selbst.

Eine Sequenz von laufend notwendigen Orts-Entscheidungen der einzelnen ZuschauerIn: bleibe ich hier stehen, versuche ich zu folgen, nehme ich die vermutete Richtung der Bewegung vorweg und gehe voraus … und muss mich dabei – wie auch die AkteurInnen – durch die „Massen“ drängen? Oder stell ich mich auf das Podest des Denkmals, um „mehr sehen“ zu können? turn terror into sport als Vorweg-Auskopplung von Coriolan; turn terror into sport – jene unglaubliche Wendung im Original des Coriolan (1607!), einer Tragödie von Shakespeare, die im 4. Jahrhundert vor Christus im Übergang von der Patrizier- zur Plebejerherrschaft spielt. Beginn der römischen Republik. Die ZuschauerInnen als Mitgestalter eines Raum-Körpers. ZuschauerInnen beobachten ZuschauerInnen und damit sich selbst, und welche Position jedeR einzelne auf diesem Platz und zu den wechselnden Zentren der Aktion einnimmt: Verharren, wieder den StepperInnen nachgehen, zusammen­zucken, wenn der Text skandiert wird.


Ein Bürger: Seid Ihr alle entschlossen, lieber zu sterben als weiter zu hungern?
Alle: Entschlossen, entschlossen.
Ein Bürger: Ihr wisst, dass Gaius Martius der Hauptfeind des Volkes ist?
Alle: Das wissen wir, das wissen wir!
Ein Bürger: Töten wir ihn, dann erhalten wir Korn zu unserem eigenen Preis. Ist das ein Urteil?
Alle: Hören wir auf, kein Reden mehr darüber; lasst es uns tun. Los, Los!
(…)
Sicinius: Was ist die Stadt wenn nicht das Volk?
Alle: Richtig. Das Volk ist die Stadt.
Wenige betreiben so radikal die „Bespielung“ öffentlicher Räume, wie Claudia Bosses theatercombinat. Schlachthof (massakermykene; 1999/2000), Donaucity (palais donaustadt, 2005), U-Bahn-Stollen unter der Mariahilferstraße (die perser; 2006) und nunmehr bevorstehend im Betriebsbahnhof Breitensee: Coriolan (Oktober 2007).

Im Zentrum des theatercombinats stehen unter anderem: rhythmische Sprach- und Körperarbeit, strukturierte Improvisation, Musikalisierung der Sprache, und über allem seit 2004 das Thema „Raumforschung“. Und für die meisten Produktionen gilt: In die architektonischen Strukturen wird nicht eingegriffen, sondern über den Widerstand mit ihnen gearbeitet. Es gibt weder Zuschauerraum noch Bühne. Der Raum ist Gesamterfahrungsraum für Zuschauer und Spieler. Die Proben sind öffentlich. Für jede Veröffentlichung werden neue Versuchsanordnungen erstellt, so Bosse.


„he stopp‘d the fliers and by his rare example made the coward turn terror into sport: ein satz aus shakespeares tragödie Coriolan, in der fortwährend interessen, ordnungen, regeln, rhetoriken, glieder, staats- und körperbilder aneinanderschlagen. stadt – straße – forum – capitol – lager – schlachtfeld. patrizier, plebejer, volksvertreter, senatoren; soldaten, offiziere, helden.“ (Aus dem Programm)


Coriolan ist der zweite Teil der Serie Tragödienproduzenten von theatercombinat und hat am 17. Oktober 2007 um 20 Uhr Premiere in thepalace, Betriebsbahnhof Breitensee, U3 Hütteldorferstraße. Es folgen Aufführungen am 20., 24., 27., 31. Oktober und am 3., 7. und 14. November. Tragödienproduzenten ist ein Projekt unter der Leitung von Claudia Bosse in Zusammenarbeit mit Gerald Singer, Christine Standfest, Doris Uhlich, Lena Wicke und Gästen.

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Für den Beitrag verantwortlich: dérive

Ansprechpartner:in für diese Seite: Christoph Laimermail[at]derive.at

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