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»Nutzlos, monströs, merkantil, irrwitzig«, so lauteten die Kritiken am Eiffelturm nach seiner Fertigstellung 1889. Doch Gustave Eiffel (1832–1923) reagierte ganz gelassen: »Das Grundprinzip architektonischer Schönheit ist, dass die wesentlichen Linien einer Konstruktion durch optimale Eignung für den jeweiligen Zweck bestimmt sind.« Eine Aussage von zeitlosem Bestand. Heutzutage ist Ingenieurbaukunst nicht mehr derart schriller Kritik ausgesetzt; eher stehen Tragwerksplaner im Schatten der Architekten. Daher legen wir in dieser Ausgabe den Fokus ganz bewusst auf die Ingenieurleistung, ohne dabei zu ignorieren, dass die Bauwerke natürlich aus einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit Architekten, Bauherren und Baufirmen hervorgegangen sind. Als Vorgeschmack auf die ausgewählten und kritisch betrachteten Schwerpunkt-Projekte sowie die ergänzenden Beiträge in den Rubriken »Energie« und »Technik aktuell« zeigt die Abbildung auf dieser Doppelseite die Max-Gleißner-Brücke in Tirschenreuth von Schüßler-Plan mit ANNABAU. Durch die Konzeption als Spannbandbrücke tritt die tragende Struktur so gut wie nicht in Erscheinung und fordert lediglich ein Minimum an Unterkonstruktion. Durch seinen leichten Schwung und die vertikale Anordnung der Hölzer als Geländer ist der Fußgängersteg ein gelungenes Beispiel für eine Konstruktion von bestechender Ästhetik, die dabei wirtschaftlich sinnvoll, rationell herstellbar und dauerhaft ist. | Ulrike Kunkel

Artikel

19. Mai 2014 Ulrich Höhns
deutsche bauzeitung

Sonnenfalle

Tropenhaus im botanischen Garten der Universität Aarhus (DK)

1969 entstand das erste Pflanzenschauhaus für die Universität Aarhus, entworfen von C.F. Møller Architekten. Dem schneckenförmigen, dabei scharfkantigen Glashaus haben die Architekten jetzt einen organisch in die Höhe gewölbten Neubau zur Seite gestellt, dessen bogenförmiges Stahltragwerk von ETFE-Folienkissen überspannt wird.

Wie ein überdimensionales Schneckengehäuse mit einem lang ausgestreckten, schmalen Arm entfaltet sich das alte Gewächshaus des Botanischen Gartens in Aarhus am Westrand der Innenstadt fast am Scheitel einer welligen Garten- und Parklandschaft. Die Rundform des weißen Zentralbaus mit offener Stahlkonstruktion sowie bestechend einfachen, hölzernen Halterungen für die Gläser erinnert an ein Zirkuszelt, ein sich aus ihm heraus drehender und in die Landschaft mäandernder Fortsatz unter Pultdächern hingegen an klassische Gewächshäuser.

Für die Neustrukturierung des Altbaus zum Informations- und Ausstellungszentrum mit Café sowie die Erweiterung um ein neues Gewächshaus für Tropenpflanzen wurde ein Wettbewerb durchgeführt, den C.F. Møller Architekten 2009 gewannen. Ihr Ursprungsentwurf sah einen auf der Kuppe des Geländes frei stehenden, durch einen Glasgang angeschlossenen Neubau mit netzartigem, in der Mitte hoch aufgewölbtem Tragwerk als Einheit von Stützen und Trägern vor. Wie Zeltstangen sollten die Enden heruntergeführt, die Dachmembran wie darunter eingehängt erscheinen und der Bau dadurch nahezu offen wirken. Ganz so kam es nicht, denn der Wunsch nach geringstmöglicher Bodenhaftung eines transparenten Baus musste mit den klimatischen Erfordernissen eines geschlossenen Tropenhauses in Einklang gebracht werden.

So entstand ein hoher ringförmiger, nach außen abgeschrägter Betonsockel. Dieser bastionsartige Unterbau gibt dem folienüberspannten Tragwerk zwar Halt und verbirgt zudem die Reihen interner Versorgungsleitungen, er trennt es aber auch von der fließenden Parklandschaft und verhindert direkte Ein- und Ausblicke. Ungeachtet der diaphanen, immer etwas milchigen, unter Sonnenlicht reflektierenden und von außen und innen undurchsichtigen Folienhaut, entstand so eine auf sich bezogene Innenwelt, allerdings mit starker Signalwirkung nach außen.

Die Tropenpflanzen zogen vom Alt- in den Neubau, ein schwieriges Unterfangen. In den Altbau wurde ein klimatisch entkoppelter runder, eingeschossiger Baukörper für Büros, Werkstätten und einen Veranstaltungsraum im Zentrum eingestellt. Der Raumeindruck des »Zelts« wird kaum beeinträchtigt und bleibt von den Umgängen, einer breiten, als Auditorium nutzbaren Holztreppe und vom freien »Oberdeck« des neuen Baukörpers aus erlebbar. Handwerklich geformte, zierliche Holzdrücker oder ein fein proportioniertes Metallstabgeländer stehen im krassen Kontrast zum schrillen Grün der Fenster und Türen des ansonsten weißen Rundlings.

Der Raumbedarf der Pflanzen und die wachsende Anzahl von Besuchern und besonders von Schulklassen mit Informationsbedarf machten die Umstrukturierung notwendig. Der Zentralraum des Altbaus ist weiterhin das Entree des Hauses. Die ihm seitlich angelagerten schmalen Gewächshäuser, in denen sich mehrere nach unterschiedlichen Klimazonen hintereinander aufgereihte Abteilungen befinden, blieben erhalten, und von der letzten führt nun ein verglaster Gang hinüber zum neuen Tropenhaus. Beim Durchqueren dieser Passage wird deutlich, wie der menschliche Körper auf unterschiedliche Temperaturen und Luftfeuchtigkeiten in Räumen reagiert. Hier, zwischen der mediterranen und der tropischen Zone, wird es erst einmal wieder kühl und trocken, bis man in die ungewohnte feuchtwarme Tropenluft eintaucht. Gestalterisch ist dieser Übergang äußerst karg, im Detail fast roh gestaltet worden, mit sichtbaren Anschlusskonflikten sowohl an die orthogonale Alt- als auch an die amorphe Neubauseite. An den Gangenden steht jeweils eine Stütze mitten im Weg und will umrundet werden, weil entweder das alte Tragsystem unterbrochen und hier abgefangen werden musste oder das neue, komplexere nicht verändert werden konnte, um ein passendes Feld für den Ein- und Ausgang zu finden.

Das von den Architekten entwickelte Tragsystem besteht aus zweimal zehn 300 mm dicken und bis zu 41 m weit spannenden Rundrohren, die sich sowohl um eine Längsachse als auch um eine Querachse unterschiedlich stark auffächern, sodass ein bogenförmiges, nicht lineares Netzwerk unterschiedlich großer, viereckiger Felder entsteht. Die Aufwölbung des bis zu 18 m hohen Raums ist so gewählt, dass nach Norden hin der steilste Abfall des Dachs entsteht und der Wärmeeintrag in das Haus im Winterhalbjahr verbessert, im Sommerhalbjahr hingegen reduziert wird. Auf einer Grundfläche von gut 1 200 m² wurde das größtmögliche Raumvolumen mit der geringsten Oberfläche geschaffen, sodass sich den teilweise baumhohen Pflanzen die besten Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Eine mit ihren schweren Rundhölzern archaisch anmutende Holzkonstruktion eines Aussichtsturms in der Mitte des Raums bietet mit ihrer Plattform kurz unterhalb des Scheitelpunkts des Dachs den Besuchern die Möglichkeit, von oben in den »Regenwald« hinein zu sehen.

Das Rohrtragwerk ist die Schnittstelle zwischen der Arbeit der Architekten und der Ingenieure für Tragwerk und Leichtbau formTL, die die darüberliegende Schicht für das Dach und seine Unterkonstruktion entwickelten. Verwendet wurden zweiachsig gekrümmte und tordierte Aluminiumprofile auf einem nachjustierbaren Untersystem zum Toleranzausgleich mit an den Knotenpunkten jeweils planen Rahmen, in die 90 zwei- und 34 dreilagige Folienkissen aus Ethylen-Tetrafluorethylen (ETFE) mit Materialdicken von 150µ bzw. 250µ luftdicht eingespannt sind. Für den Verschattungsbereich in der südlichen Kuppelhemisphäre wurden dreilagige, partiell bedruckte Kissen verwendet, deren mittlere Folie durch pneumatischen Differenzdruck einzelner Luftkammern gegen die äußere oder innere Lage verfahren werden können. Wenn sich die äußere und die innere Folie dabei aneinander legen, wird der Verschattungsgrad erhöht. Verschiebt sich die mittlere gegen die unbedruckte innere Lage, verringert sich die Verschattungswirkung deutlich. Die Überwölbung der Kissen sorgt für das charakteristische Blasenbild der Außenhaut des Gebäudes, strukturiert durch die proportional sehr schlank profilierten Aluminiumrahmen. Ähnliche Bilder sind auch von anderen, wesentlich größeren und individuell jeweils anders gegliederten ETFE-Bauten bekannt, darunter das Schwimmstadion »Water Cube« in Peking von PTW Architects und Arup Engineers oder die Münchner Fußballarena von Herzog & de Meuron. Die Folie, bereits in den 40er Jahren von DuPont entwickelt, wird erst seit gut 15 Jahren und in jüngster Zeit zunehmend für die Umhüllung von Großbauten verwendet. Sie ist UV-beständig und lässt das ultraviolette Licht passieren, sie altert sehr langsam – es werden ihr Haltbarkeiten von mehreren Jahrzehnten bescheinigt –, sie brennt nicht, sondern schmilzt nicht tropfend oberhalb von 260 Grad Celsius, sie hält großen Wind- und Schneelasten stand, und sie ist extrem leicht, was allerdings auch zur Folge hat, dass sie wie ein Zelt keinerlei Schallschutz bietet. Zur Lüftung oder notfalls Entrauchung der Kuppel können zwei dreieckige Kissenfenster im Zenit des Dachs elektrisch geöffnet werden. Die Andichtung an den festen Teil des Baus übernimmt eine PVC-Membran, die Verteilung der redundanten Stützluft für die Kissen leisten zwei getrennte Rohrleitungssysteme. Die enorm elastische Folie erlaubt es, bei Schneefall den Druck so weit zu erhöhen, dass die Kissen ihre Last abwerfen oder sie gar nicht erst sammeln.

Thermisch von der Alukonstruktion getrennte Kondensatrinnen leiten das meiste Wasser, aber nicht alles ab, was Spuren hinterlässt; bei einer permanent in hoher Luftfeuchtigkeit stehenden Konstruktion ist das unvermeidbar. Deshalb wurden Anschlussdetails nicht geschönt oder versteckt, sondern blieben wie geschraubt sichtbar, luftumspült, zugänglich, aber eben auch schon nach kurzer Zeit angelaufen, grün oder braun verfärbt. Dies ist irreversibel und wird sich im Laufe der Jahre noch verstärken, und vermutlich muss der weiße Sockel außen permanent gestrichen werden. Auch das Tragwerk der kräftig dimensionierten Rohre zeigt bereits jetzt Spuren der Anwitterung, aber weil es so robust und in der Gesamtwirkung als ein alles überwölbendes und bergendes Netzwerk letztlich doch in den Hintergrund tritt, verträgt es das auch.

Das neue Tropenhaus nimmt mit heutigen technischen und gestalterischen Mitteln die Grundidee seines Vorgängers auf, indem es die reine Konstruktion über einem weiten, lichten Raum zeigt, mit allen sichtbaren Nachteilen für das ästhetisch empfindsame Auge zwar, aber auch dem Charme, der einer solchen auch für Laien nachvollziehbaren Lösung innewohnt. Der strukturelle Zusammenhalt beider Baukörper führt das Ensemble bruchlos in die Gegenwart und steigert seine Funktionalität. In der Fernwirkung vermittelt dieses »Doppel-Haus«, von dem aus man nicht nur die Stadt mit dem Turm des Jacobsen- Rathauses oder das ARoS Kunstmuseum mit dem farbenfrohen Skywalk auf dem Dach sehen, sondern man von der Stadt aus auch hierhin zu ihrer neuen »Krone« hinaufblicken kann, nichts Anmaßendes, sondern etwas Selbstverständliches – mithin etwas sehr Dänisches.

19. Mai 2014 Wilfried Dechau
deutsche bauzeitung

Grazil übers Wasser

Fussgängerbrücke Erba-Steg in Bamberg

Für die Landesgartenschau Bamberg 2012 wurde eine ganze Familie konstruktiv ähnlich konzipierter, ungewöhnlich schlanker Brücken gebaut. Der jüngst mit dem Brückenbaupreis ausgezeichnete Erba-Steg wird hier pars pro toto vorgestellt. Er hat bei 48 m Spannweite in Feldmitte eine Bauteildicke von lediglich 37 cm.

2002 bekam die Stadt Bamberg den Zuschlag für die Landesgartenschau 2012 – und damit die Chance, das seit Längerem brachliegende Gelände der Erlanger Bamberger Baumwollspinnerei und -weberei (Erba) zu revitalisieren. 2007 wurde ein Ideen- und Realisierungswettbewerb ausgeschrieben. Gewonnen hat ihn das Landschaftsarchitekturbüro Brugger. Nach deren Plänen durchschlängelt der »Fischpass« das Gelände – ein natürlich anmutender, de facto aber künstlich angelegter, der Rinne eines Regnitz-Altarms folgender Bach. Sechs von Johann Grad entworfene Brücken queren den Wasserlauf. Den eindrucksvollsten Auftritt hat der Erba-Steg. Nahe der Mündung in die Regnitz schwingt er sich mit einer Spannweite von 48 m über den Fischpass.

Mir ist nur eine Fußgängerbrücke bekannt, die im Scheitel ähnlich aufregend dünn ist: die Pont d'en Gómez in Girona, sie wurde 1916 (!) nach Plänen des Architekten Luis Holms in Stahlbeton errichtet. Sie ist allerdings so schmal, dass tatsächlich nur Fußgänger passieren können. Der Erba-Steg und die anderen Bamberger Gartenschaubrücken sind hingegen so bemessen, dass sie im Notfall auch von Einsatzfahrzeugen befahren werden können.

Der Landesgartenschau-Rummel (26. April bis 7. Oktober 2012) ist längst rum. Was blieb, ist ein erfolgreich zur Parklandschaft umgestaltetes Industriebrachland. Dass eine Gartenschau dafür instrumentalisiert wird, ist nichts Ungewöhnliches; dass dafür die Landschaft neu modelliert wird und einige anmutige Brücken gebaut werden, ebenfalls nicht (siehe LGA Pforzheim 1992, IGA Rostock 2003). Man könnte es abhaken, wären da nicht die drei Fußgänger- und drei Fahrbrücken, die – konstruktiv miteinander verwandt – als ganze Brückenfamilie entstanden sind. Allen voran der Erba-Steg, der – leicht modifiziert – bereits an anderer Stelle in Bamberg Brückenbaugeschichte schrieb.

Nämlich als Brückenprovisorium, das ab März 2009 benötigt wurde, um während der Bauzeit der Kettenbrücke wenigstens den Fußgängern die Überquerung des Main-Donau-Kanals zu ermöglichen. Normalerweise sieht so etwas so grobschlächtig aus, wie es das Wort Behelfsbrücke nahelegt. In diesem Falle nicht. Denn dem Architekten Matthias Dietz ist es gelungen, die Stadtväter davon zu überzeugen, den Behelf gleich mit Blick auf eine mögliche Zweitnutzung zu bauen. So kamen die Bamberger erstens zu einem ungewohnt eleganten Notbehelf und zweitens zu einer verblüffend schlanken Fußgängerbrücke zur Erschließung des ehemaligen Industrie-Areals. Als die Kettenbrücke (ebenfalls vom Ingenieur Johann Grad) fertig und für den Verkehr freigegeben war, musste die Hilfsbrücke nur noch in zwei Teile zerlegt, zum Erba-Gelände transportiert und dort von Autokränen aus wieder aufgebaut werden.

Dem Schiffsbau entlehnt

Die kleinen, feinen Brücken mögen auf den ersten Blick selbstverständlich und bescheiden wirken, und doch haben sie im Brückenbau neue Maßstäbe für Eleganz, Leichtigkeit und Grazilität gesetzt. Dabei wurde keineswegs mit High Tech Materialien gearbeitet – weder mit GFK noch mit Karbonfaserwerkstoffen, sondern, ganz ohne Tricks, mit ganz normalem Stahl. Das Prinzip seiner Konstruktion ist – wie alles Geniale – letztlich ganz einfach. Nummer eins: Man nehme zwei Auflager und spanne das Tragwerk fest ein. Dass sich die Schlankheit dadurch signifikant beeinflussen lässt, weiß man noch aus der Statikvorlesung (q·l2/8 versus q·l2/24). Nummer zwei: Man füge das Tragwerk – wie beim Schiffbau – aus Schotten, Spanten und Planken zusammen und verschweiße den Korpus.

Das Prinzip, eine Konstruktion durch Einspannen zu verschlanken, hat auch Calatrava bei seiner anfangs so hoch gelobten Brücke in Venedig zu nutzen gewusst. Leider am falschen Ort. Denn als Nummer drei muss der Vollständigkeit halber angefügt werden: Der Baugrund sollte mitspielen. Und da darf man im Falle Venedigs so seine Zweifel haben.

Die Bamberger Gartenschaubrücken sind einander vom Typus her sehr ähnlich, sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich ihrer Dimensionen, der Tragfähigkeit und einiger Details der Ausführung. Daher der Begriff: Brückenfamilie. Der von Johann Grad entwickelte Prototyp so eines integralen Systems mit beidseitiger Volleinspannung quert als Fußgängerbrücke die Altmühl in Eichstätt. Der Altmühlsteg geht auf einen 2007 gewonnenen Wettbewerb zurück und war beim Brückenpreis 2010 unter den Nominierten.

Die Volleinspannung wird durch schräg gestellte Stabverpresspfähle gewährleistet, die auf Zug und Druck beansprucht werden. Die statisch wirksame Höhe des im Schnitt dreieckigen Brückentragwerks kann durch die Einspannung in Feldmitte extrem gering gehalten werden. Entsprechend dem Zuwachs der Biegemomente nimmt die Brückendicke zum Auflager hin kontinuierlich zu. Für die Fußgängerbrücken wurden Stahlelemente mit einer Blechdicke von 12 mm luftdicht zu einem torsionsfreien Tragwerk verschweißt. Die äußerlich ebenso aussehenden Fahrbrücken unterscheiden sich durch eine verborgen bleibende statische Besonderheit von den Fußgängerbrücken: Sie wurden als Stahlverbundbrücken ausgeführt. Die in diesem Fall 20 mm dicken, seitlichen Flanken des Tragwerks werden mit aufgeschweißten Kopfbolzen zur Verbundwirkung herangezogen. Das V-förmige Stahlelement wird im Werk hergestellt. Es dient zugleich als Schalung für den Aufbeton. Kombiniert mit beidseitiger Volleinspannung ermöglicht der Flächenverbund sogar für eine 60-t-Belastung, das heißt, für die höchste Brückenklasse, eine extrem schlanke Ausführung. Die 16 m überspannende Straßenbrücke hat in Feldmitte z. B. eine Bauteildicke (Stahlblech plus Beton) von 25 cm, das heißt, sie ist mit l/64 ungewöhnlich schlank. Für Bauwerke dieser Art waren früher Zulassungen im Einzelfall erforderlich, aber inzwischen ist die Bauweise in den DIN-Fachberichten geregelt und zugelassen.

So lassen sich auch Straßenbrücken mit deutlich größerer Spannweite realisieren. Ein Musterbeispiel konnte Johann Grad in Vohburg realisieren. Leider kann er die Erfolgsgeschichte seiner innovativen Bauweise nicht mehr persönlich weiter vorantreiben. Er ist am 18.6.2013 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.

19. Mai 2014 Claas Gefroi
deutsche bauzeitung

Brücke mit Lücke

Baakenhafenbrücke in Hamburg

Die Baakenhafenbrücke ist mit 168 m Gesamtlänge keine Rekordbrücke, durch ihren beweglichen Mittelteil, der bei Bedarf für die Durchfahrt größerer Schiffe mit dem Tidenhub herausgehoben werden kann, weist sie aber mindestens eine (versteckte) Besonderheit auf. Bleibt der eine oder andere Aspekt auch diskussionswürdig, so ist dem Team aus Tragwerksplanern und brückenerfahrenen Architekten doch eine wertvolle Bereicherung der Hamburger Brückenlandschaft gelungen.

Die Lage der Hamburger HafenCity an der Norderelbe im früheren Freihafen macht den besonderen Reiz des neuen Stadtteils aus – ist aber auch eine große Herausforderung für die Planung der Infrastruktur. Geprägt ist das Gebiet von vier alten Hafenbecken, an deren Kaikanten einst die Stückgutfrachter festmachten, um Waren aufzunehmen oder zu löschen. Die Abfolge von Wasser- und Landflächen macht den amphibischen und maritimen Charakter dieses Raums aus, führt aber auch zu langen Wegen insbesondere auf die Kaiflächen. Ganz besonders gilt dies für den 1887 gebauten 130 m breiten und 1,5 km langen Baakenhafen. Wollte man aus Richtung Innenstadt auf die südliche Landzunge dieses Hafens gelangen, musste man dafür bislang bis zu den Elbbrücken vordringen, um das Gewässer zu umfahren.

In den nächsten Jahren nun wird die HafenCity hier mit mehreren Wohngebieten weiter ostwärts wachsen, weshalb eine Verkürzung der Wege durch eine neue Brücke unumgänglich wurde, die das Baakenhöft mit den nördlich gelegenen HafenCity-Quartieren und der neuen U-Bahn-Haltestelle an der Universität verbindet. Eine Brücke allerdings bedeutet einen empfindlichen Eingriff in die Stadttopografie, die hier von einem offenen Hafenbecken geprägt ist, das weite Blicke in Ost-West-Richtung zulässt. Eine weitere Anforderung war, dass im Bedarfsfalle auch größere Schiffe die Brücke passieren können. Folgerichtig wäre an dieser Stelle eine möglichst filigran gehaltene bewegliche Brücke zu bauen gewesen, doch der Bauherr, die städtische HafenCity GmbH, entschied sich anders: Klapp- oder Hubbrücken hielt man für zu auffällig und Drehbrücken für zu teuer und wartungsintensiv.

Die im Wettbewerb siegreichen Wilkinson Eyre Architects entwickelten zusammen mit den Berliner Ingenieuren von Buro Happold deshalb gleichsam eine eierlegende Wollmilchsau, um die funktionalen und ästhetischen Anforderungen unter einen Hut zu bekommen. Ihre 170 m lange und 21 m breite Baakenhafenbrücke ist eine Kragträgerbrücke, in der das mittlere Element jedoch für Durchfahrten großer Schiffe auszuheben ist. Die Art und Weise, wie hierfür die Kraft der Gezeiten genutzt wird, ist weltweit einzigartig: Bei Ebbe wird ein Ponton mit aufgebautem Trägerrost unter das 30 m lange Aushubelement geschleppt und dort gesichert; dann werden Pressen an den Lagern des Brückenelements eingebaut und die Fahrbahnübergänge sowie die Ver- und Entsorgungsleitungen getrennt. Die Pressen heben das Brückenelement, bis sich die Lager lösen. Mit einlaufender Flut werden Ponton und Brückenteil schließlich emporgehoben und per Schlepper zur Seite gefahren. Zum Wiedereinsetzen des Brückenteils wird in umgekehrter Reihenfolge verfahren. Das Ganze ist aufwendig und zeitintensiv; allein der Aushubvorgang dauert acht Stunden und kann nur an verkehrsarmen Wochenenden erfolgen. Da jedoch rechnerisch nicht mehr als 0,2 Öffnungen pro Jahr vorgesehen sind, erschien der Stadt dieser Nachteil vertretbar. Allzu viele Schiffspassagen dürfen es auch nicht werden, denn die momentane Ruhe täuscht: Im Quartier am Baakenhafen werden einmal 1800 Menschen wohnen und 2500 Menschen arbeiten. Zudem bildet die Straße über den Kai eine wichtige Ausweichroute für den Verkehr zwischen der Innenstadt und den Stadtteilen südlich der Elbbrücken, wenn – wie zurzeit – die nördlich verlaufende Versmannstraße gesperrt ist.

Mächtiges Verkehrsbauwerk durchaus leicht und elegant

So entstand im Ergebnis eine auf hohe Verkehrsbelastung ausgelegte, 2300 t schwere Straßenbrücke, die eine entsprechende Präsenz besitzt. Architekten und Tragwerksplaner taten jedoch einiges, um den gewaltigen Bau optisch zu verkleinern und zu dynamisieren: So wurden die Stützenpaare V-förmig ausgeführt und erhielten facettierte Oberflächen, um sie zusätzlich schlanker wirken zu lassen. Der Überbau erscheint in der Seitenansicht recht schmal und schwungvoll, weil die außen verlaufenden Fußwege von sich verjüngenden Kragarmen getragen werden und zudem sacht auf- und absteigen. Zusätzlich variieren, dem Kräfteverlauf in sanften Kurven folgend, die Hauptlängsträger in der Höhe zwischen 2 und 4 m. Oberhalb der (zur Gewichtsreduzierung als orthotrope Platte ausgeführten) Fahrbahnplatte werden sie geschickt als sich verbreiternde Trennwände zwischen Fahrspuren und Fußwegen genutzt. In ihrem Schutz weiten sich die auf- und absteigenden Fußwege nach außen zu »Belvedere« genannten, mit Sitzbänken versehenen Aussichtsbereichen auf. Ob sie angesichts der Hamburger Witterung und des hier stetig wehenden Winds tatsächlich zu Orten des Verweilens werden, dürfte der kommende Sommer zeigen.

Ob gewollt oder ungewollt manifestiert sich in der Separierung der Brückenoberfläche durch Raumteiler aber auch die recht anachronistisch erscheinende Verkehrsplanung der HafenCity mit ihrer strikten Trennung von Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern. Für letztere ist sie an dieser Stelle eine unangenehme Erfahrung: Als Radler fühlt man sich, weil die Radwege als nur durch eine Linie abgetrennte Streifen entlang der Autofahrbahnen geführt werden, zwischen Autos und Stahlwand eingeklemmt und unsicher. Nicht eben zuversichtlich stimmt außerdem die Möglichkeit, bei steigendem Verkehrsaufkommen durch Wegfall des Mittelstreifens und Verschmälerung der Rad- streifen die Zahl der Autospuren von zwei auf drei zu erweitern.

Nachhaltigkeit sei die entscheidende Leitlinie für die Planung der Brücke gewesen, verkünden die Planer. Nicht nur die Anpassungsfähigkeit an einen steigenden Autoverkehr zeigt, dass damit weniger ökologische Aspekte als die Verlängerung der Lebensdauer und die Reduktion der Wartungskosten gemeint sind: So wird die Entwässerung oberhalb der Hauptträger entlang geführt, um diese nicht durchdringen zu müssen. Deren Stahlhohlträger sind luftdicht geschweißt, um Korrosion zu vermeiden. Die Winkel von Trägern und Flanschen sind so gewählt, dass sich keine Vögel auf ihnen zum Nisten niederlassen. Löcher und Schlitze auf der Unterseite des Überbaus dienen der Aufhängung von Baugerüsten.

Die Baakenhafenbrücke ist effizient und wirtschaftlich – einfach und eingängig erscheint sie nicht. Entsprechend der Straßenführung und der Ausrichtung des nebenan entstehenden Lohseparks quert die Brücke den Baakenhafen in einem ungewöhnlichen Winkel von 60 Grad, was zu einer schiefwinkligen Geometrie aller Komponenten des Überbaus führt. So wird die Komplexität der vom Auf und Ab, den Schwüngen und Brechungen der verschiedenen Bauteile geprägten Brücke noch weiter gesteigert – sie erscheint vielschichtig und spannungsreich – aber auch ein wenig unausgewogen und unübersichtlich. Auch der monolithische Aufbau, also die direkte Verbindung des Überbaus mit den Stahlstützen ohne (wartungsintensive) Fugen und Lager trägt nicht zu einem intuitiven Erfassen des Kräfteverlaufs bei – verstehen wird ein Laie diese Konstruktion nicht; er muss ihr vertrauen. Damit passt die Baakenhafenbrücke gut in unsere Zeit, in der wir hochkomplexe und -effiziente Technologien nur mehr nutzen, sie aber nicht mehr durchschauen und uns wirklich aneignen können. Ihre Hüllen besitzen Kraftlinien und Schwünge, die Emotionen erzeugen, doch die Kühle und Undurchdringlichkeit bleibt bestehen. Was zumindest den Hamburger jedoch am meisten betrübt: Die massive Brücke mit ihren beiden riesigen Beton-Strompfeilern schränkt die Weite des Blicks ein und unterbricht die wichtige optische Verbindung zwischen Hafenbecken und Elbe. Dass der Baakenhafen kein Binnengewässer, sondern einer der ältesten und wichtigsten Umschlageplätze dieses tideoffenen Hafens war, ist so nur noch zu erahnen.

19. Mai 2014 Christian Schönwetter
deutsche bauzeitung

Federleichter Hochsicherheitstrakt

Anlage für afrikanische Menschenaffen in der Wilhelma in Stuttgart

Die Gorillas und die Bonobos der Stuttgarter Wilhelma haben ihr neues Zuhause bezogen: ein Bauwerk, das sich unauffällig in die Landschaft einfügt, und ein Freigehege, das von einem filigranen Edelstahlseilnetz überspannt wird. Weil Bonobos deutlich mehr Kraft haben als ein Mensch, ist die Anlage als Hochsicherheitstrakt ausgebildet – doch Ingenieurskunst sorgt dafür, dass man dies dem Bauwerk nicht ansieht. Im Gegenteil.

Ein Besuch der Wilhelma gleicht einem Spaziergang durch die jüngere Baugeschichte. Seit der Botanische Garten nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Tierpark erweitert wurde, hat beinahe jedes Jahrzehnt anspruchsvolle architektonische Spuren hinterlassen. Die 60er Jahre etwa zeigen sich mit gut proportionierten funktionalen Pavillons für Raubtiere und Flusspferde, in den 70ern kamen skulpturale Betonbauten für Klammeraffen hinzu, in den 90ern erstellten Cheret & Bozic einen Schaubauernhof mit Elementen des modernen Holzbaus und im Jahr 2000 überwölbten Auer & Weber ihr Amazonienhaus mit einer zeittypischen Halbtonne aus Stahl und Glas. Kurz: Die Wilhelma ist nicht nur Botanischer Garten und Tierpark, sondern auch Architekturzoo. Der jüngste Neuzugang, das Haus für afrikanische Menschenaffen, versucht allerdings, sich den Blicken der Zuschauer zu entziehen. Seine Architekten Hascher & Jehle haben alles dafür getan, das Bauwerk möglichst unauffällig im üppig durchgrünten Zoogelände zu verstecken. Denn die Wilhelma und der angrenzende Rosensteinpark mit seinen teils 150 Jahre alten Bäumen stehen als Kulturdenkmal unter Schutz. Das neue Affenhaus tritt daher nicht als normales Gebäude in Erscheinung, sondern gliedert sich in Form eines erdbedeckten und bewachsenen Hügels in die Topografie ein. Auch das Außengehege für die kletterfreudigen Bonobos scheint eine Tarnkappe zu tragen. Eindrücklich führt es vor Augen, wie sich knapp 10 000 m³ umbauter Raum dezent in eine Landschaft integrieren lassen.

Neue Leichtbauvariante

Als räumliche Begrenzung des Freigeheges hatten die Architekten eine leichte, transparent wirkende Edelstahlseilnetz-Überspannung vorgesehen. An deren Planer, das Büro officium, richteten sie den Wunsch, die Konstruktion möglichst in Form sanfter Hügel auszubilden, die mit dem umgebenden Parkgelände korrespondieren. Nun sind Netztragwerke mit ihrer Zugbeanspruchung sicher nicht das erste, was einem einfällt, wenn es darum geht, eine Hügelform zu erzeugen. Druckbeanspruchte Gitterschalen lägen da näher, bieten aber bei Weitem nicht die gleiche visuelle Durchlässigkeit. Netze wiederum ermöglichen zwar die gewünschte Transparenz, werden jedoch von Pylonen aufgespannt, sodass sich immer spitze Hochpunkte ergeben, die eher an steile Felsen als an sanfte Hügel denken lassen. Daher entwarf das officium-Team eine Sonderkonstruktion. Die Pylone verzweigen sich an ihrem Kopfende jeweils wie ein Baum, werden dort von einem sphärisch gekrümmten Ring abgeschlossen und bilden flachere, weicher geformte Hochpunkte. Auf diese Weise ließ sich das zugbeanspruchte Netz an die gewünschte Hügelform annähern. An ihrem oberen Ende werden die Pylone ausschließlich vom Netz gehalten. Dass sich hier keinerlei Seile befinden, trägt zum außerordentlich luftigen Erscheinungsbild des Geheges bei.

Selten wurden Baumstützen so sinnfällig verwendet wie hier. Ihre vegetabile Gestalt erfüllt nicht nur statische Zwecke, sondern passt sich auch harmonisch in den alten Baumbestand des Parks ein. Außerdem lassen sich die Tragelemente tatsächlich wie Bäume nutzen: Die Bonobos können hinaufkraxeln, oben in den Verzweigungen wie in den Wipfeln des Urwalds sitzen und das Geschehen am Boden beobachten. Eigens angebrachte Kletterhilfen erleichtern ihnen den Aufstieg.

Auch das Edelstahlseilnetz lässt sich beklettern und ermöglicht den Tieren eine dreidimensionale Nutzung ihres gesamten Geheges. Ihnen steht jetzt 19-mal mehr Raum zur Verfügung als im alten Affenhaus aus dem Jahr 1973. Dass die gesamte Konstruktion wie eine zarte Voliere für Singvögel wirkt, täuscht darüber hinweg, dass es sich in Wirklichkeit um einen Hochsicherheitstrakt handelt. Denn obwohl Bonobos nur ungefähr halb so groß wie Menschen sind, haben sie siebenmal mehr Kraft. Das Netz setzt sich deshalb aus 3 mm dicken Edelstahlseilen zusammen, die über Pressklemmen kraftschlüssig zu rautenförmigen Maschen verbunden sind. Ihre Stabilität erhält die Netzfläche durch eine zweiachsige gegensinnige Krümmung. Die bis zu 13 m hohen Pylone innerhalb des Geheges stemmen das Netz nach oben, Randseile und niedrigere Abspannmasten außerhalb des Geheges ziehen es gleichzeitig nach unten, wodurch die Netzfläche Erhebungen und Täler ausbildet und an jeder Stelle die nötige Krümmung aufweist. Die Pylone stehen dabei leicht gekippt. Ihre Neigungswinkel wurden so bestimmt, dass die Lasten aus dem Netz entlang der Stützenachse nach unten ins Auflager fließen – dadurch werden die Pylone vorwiegend auf Druck und kaum auf Biegung beansprucht und konnten daher besonders schlank ausfallen. Das gesamte Tragwerk bildet eine flexible Konstruktion. Wenn an einer Stelle erhöhte Lasten auftreten, bewegt es sich leicht, kehrt nach der Belastung aber wieder in seinen Ursprungszustand zurück. Die Auflager der Stützen machen dies bildhaft deutlich: Während die Pylone auf Kugelgelenken ruhen, die eine Bewegung in alle Richtungen erlauben, lagern die äußeren Abspannmasten auf Bolzengelenken und sind in nur einer Ebene beweglich.

Weil die 3 500 m² große Netzfläche lediglich den oberen Raumabschluss bildet, sorgen Wandnetze für die seitliche Begrenzung des Geheges. Sie sind dezent über ein Anschlussseil mit dem Dachnetz verbunden. Damit sie nicht in der Sonne glitzern und unangenehm reflektieren, tragen alle Netze eine schwarze Beschichtung aus einem elastischen Speziallack, der auch bei Verformungen und Krümmungen nicht abplatzt. Dadurch nimmt sich der ohnehin schon filigrane Raumabschluss optisch noch weiter zurück. Je nach Blickwinkel und Lichtverhältnissen scheint er sich nahezu ganz aufzulösen und die Grenze zwischen Innen und Außen beginnt zu verschwimmen. Die Möglichkeiten des Leichtbaus, eine vermeintlich entmaterialisierte Architektur zu erzeugen, sind hier voll ausgeschöpft – nicht aus gestalterischem Selbstzweck, sondern aus zwei gut nachvollziehbaren Gründen: Der Eingriff in die denkmalgeschützte Landschaft wird optisch minimiert, v. a. aber können sich die Bonobos beinahe wie in freier Natur fühlen.

Einzige Einschränkung sind die sogenannten »Nahbegegnungszonen«. Sie wurden eingerichtet, weil eine Heckenbepflanzung außerhalb der Wandnetze für den nötigen Sicherheitsabstand zwischen Besuchern und Bonobos sorgt und gleichzeitig Bereiche schafft, in denen sich die Tiere den Blicken der Zuschauer entziehen können. An fünf Stellen werden Wandnetze und Hecken daher gezielt von torähnlichen Betonkonstruktionen unterbrochen, die eine Panoramascheibe aus 4 cm dickem Panzerglas umschließen. Hier können sich Mensch und Tier gegenseitig aus nächster Nähe betrachten. Diese Zonen lassen das filigrane Erscheinungsbild der restlichen Gehegehülle vermissen, sind aber nötig, damit Besucher künftig noch eine Chance haben, die Affen zu beobachten, wenn die Wandnetze hinter dichtem Grün verschwinden werden.

Alle zufrieden?

Ein paar Querelen gab es um die Baukosten. Zusammen schlugen Innen- und Außengehege mit 4 960 Euro pro m² Nutzfläche zu Buche – ein stolzes Budget, von dem Architekten etwa im öffentlichen Wohnungsbau nur träumen können. Allerdings muss man bedenken, dass es für die Planung von Affenhäusern kaum Erfahrungswerte gibt. Solche Anlagen werden nicht alle Tage errichtet, hilfreiche Standardraumprogramme, Neufert-Empfehlungen oder BKI-Daten existieren nicht. Das Bauwerk in der Wilhelma ist in vielerlei Hinsicht ein Prototyp, in den die neuesten Erkenntnisse der Primaten-Forschung eingeflossen sind und der nur in engem Austausch mit den Tierpflegern entwickelt werden konnte. Klettergeräte aus Holz, künstliche Lianen aus Feuerwehrschläuchen, ein Affenkino mit Naturfilmen – alles wurde als Spezialanfertigung hergestellt und dient dazu, den intelligenten, neugierigen Tieren trotz der Beschränkungen eines Zoogeheges ein möglichst abwechslungsreiches, artgerechtes Leben zu ermöglichen.

Und wie lautet das Urteil der Nutzer? Hat sich der Aufwand gelohnt? Leider kann man die Affen nicht befragen. Es gibt aber häufig einen Hinweis darauf, ob Zoobewohner sich in einer neuen Anlage wohlfühlen: vermehrte Fortpflanzung. Im kommenden Jahr dürften wir also genauer wissen, was die Bonobos von ihrer neuen Unterkunft halten.

19. Mai 2014 Manuel Pestalozzi
deutsche bauzeitung

Vielschichtig überwölbt

Elefantenpark und Elefantenhaus im Zoo in Zürich (CH)

Der Ehrgeiz eines zeitgemäßen Tierparks besteht darin, jeder Art und Gattung ein Habitat zur Verfügung zu stellen, das der Wildnis nahekommt – eine gewaltige Herausforderung für die Fachplaner aus Architektur, Ingenieurwesen und Landschaftsplanung. Im Fall des Elefantenparks im Züricher Zoo schufen sie in enger Zusammenarbeit ein außergewöhnliches, in jeder Hinsicht stimmiges Bauwerk.

Als sich der Zoo Zürich an die Planung der neuen Behausung seiner asiatischen Elefanten machte, waren die Ziele klar: Insgesamt zehn Rüsseltiere sollten möglichst selbständig und weitgehend ohne menschliche Interferenz »haushalten«, sich auf einem geräumigen Gelände, das ihrem Wesen entspricht, fortbewegen können und zu einem gedeihlichen, fruchtbaren Zusammenleben finden – aus gebührendem Abstand betrachtet vom Homo sapiens. »Kaeng Krachan« ist das Motto und der Name, der dem neuen Elefantenpark zugedacht wurde. So heißt ein Landkreis der Provinz Phetchaburi im südwestlichen Teil von Zentral-Thailand. Der Lebensraum der Elefanten im Zoo soll diesen natürlichen Bedingungen weitgehend entsprechen.

Der neue Elefantenpark gehört zur Erweiterung des Zoogeländes, die nach einem Masterplan vorangetrieben wird. Die Möglichkeit der räumlichen Ausdehnung ist der Randlage des 1929 eröffneten Zürcher Zoos zu verdanken. Erbaut auf einem Bergrücken, hoch über Stadt und Seebecken, dem Siedlungsgebiet etwas entrückt, ist das Areal auf drei Seiten von Wald umgeben. Der Masterplan ordnet jedem Zoobereich ein spezifisches Klima zu. Der Elefantenpark, der den asiatischen Monsunwald repräsentiert, befindet sich an der Nordgrenze des Geländes. Die unbebaute Lichtung fällt hier nach Osten ab, weg vom Stadtzentrum. Unmittelbar hinter dem helvetischen Kaeng Krachan beginnt der einheimische Zürichbergwald.

Vom Astwerk zur Schale

Für die Gestaltung des Elefantenparks schrieb das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich im Auftrag der Zoo Zürich AG im Jahr 2008 einen anonymen Wettbewerb mit anschließendem Studienauftrag aus. Als Innenräume waren ein großer Bereich für Kühe (auch bullentauglich), zwei Einzelanlagen für Bullen, eine Quarantänestation und je ein Managementbereich für Kühe und Bullen zu planen. Im großen Bereich wünschten sich die Auslober ein Wasserbecken, das den Besuchern die Gelegenheit gibt, die Elefanten beim Baden zu beobachten. Im Freiraum, der vom Innenbereich ebenso zugänglich ist wie die Savannenlandschaft im Süden, war hangseitig ein Flussbett zu planen.

Gewonnen wurde der Wettbewerb von einem Planungsteam mit Markus Schietsch Architekten, dem Bauingenieurbüro Walt + Galmarini und Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur und Städtebau. Das Projekt platziert den Elefantenpark in eine Lichtung am Fuße des »afrikanischen Gebirges«. Das gerodete Waldstück wird durch neue Aufforstungen kompensiert, wodurch eine kleine Lichtung entsteht. An die Lichtung grenzt der Innenbereich, eine ausgedehnte Halle, über der sich eine spektakuläre Schalenkonstruktion wölbt.

Die Schale sowie die Fassade der Halle simulieren in sorgfältig dosierter Abstraktion die Natur. Das Dach mit seinen Öffnungen wird zu einem abstrahierten Ast- und Blattwerk, das wie die Baumkronen des Regenwalds das Licht selektiv gebündelt auf den Boden und die hier gedeihende Fauna und Flora fallen lässt. In dieser Halle, sie folgt mit ihren Felsnischen, Gehölzgruppen und dem Wasserbassin dem gewachsenen Terrain, bewegen sich die Menschen am Rand entlang, von wo sich immer wieder neue Einblicke in den Lebensraum der Zürcher Elefanten im großen Innengehege ergeben. Der Managementbereich, wo der Kontakt der Tiere mit ihren Wärtern stattfindet, die Quarantänestation und die »Herrenzimmer« für die Bullen befinden sich im nördlichen Bereich, am topografisch höchsten Punkt der Halle, über den Technikräumen, der einzigen Unterkellerung der Anlage.

Formfindung

Der spektakulärste Teil dieses Baus ist zweifellos die Dachschale, die sich frei über rund 6 000 m² ausdehnt und Spannweiten von bis zu 85 m überbrückt. Die Holzkonstruktion dürfte in ihrer Art einmalig sein. Dabei handelt es sich nicht um den »Wurf« eines Künstlers, an dem sich die ausführenden Unternehmen die Zähne ausbeißen mussten, sondern um ein Gemeinschaftswerk von Architekten und Ingenieuren, dessen endgültige Ausformung, Detaillierung und praktische Umsetzung vom Planungsteam in kontinuierlichen Schritten erarbeitet wurde. Architekten und Ingenieure sprechen von einer außerordentlich engen und fruchtbaren Zusammenarbeit. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte bei diesem Prozess auch das Büro Kaulquappe aus Zürich, eine von Architekten und Informatikern betriebene Firma, die sich u. a. auf digitale Planung spezialisiert hat. Sie begann bereits in der Ausschreibungsphase mit der parametrischen Aufbereitung der Konstruktion.

Nachdem die Schale nun in ihrer ganzen Pracht sichtbar ist, fällt auf, wie stark sie den Visualisierungen des Wettbewerbsprojekts von 2009 entspricht. Die Beteiligten wussten, worauf sie sich einließen. Im Gespräch verrät Wolfram Kübler, Dipl. Bauing., Partner bei Walt + Galmarini und Projektleiter des Elefantenparks, dass in der frühen Entwurfsphase auch Überlegungen angestellt wurden, ob man nicht Stützen als Stämme in das Innengehege integrieren könnte. Schnell stellte sich aber heraus, dass die Lasten im Fassadenbereich abgetragen werden sollten und auf diesem Weg eine einfache und relativ kostengünstige Konstruktion möglich war. Dass die Schale aus Holz bestehen würde, stand nicht zur Debatte, das relativ geringe Gewicht (u. a. wegen des in Teilen schwierigen Baugrunds erforderlich) und das Bedürfnis nach einer großen »Naturnähe« legten die Wahl des organischen Materials nahe.

Im Grundriss wirkt die Halle wie ein Kieselstein oder ein Fünfeck mit unregelmäßig abgeschliffenen Ecken. Das berühmte Diktum »form follows function« steht dem Konzept aber näher als das romantische Bedürfnis »organisch« zu bauen. Die Gestalt der Schale und der Verlauf ihres Rands ergibt sich aus den Bedingungen der räumlichen Anordnung im und um das Gebäude: In der Fassade der Halle befinden sich Torbögen, die hoch genug sein müssen, um Elefanten und Fahrzeuge passieren zu lassen, auch der Zugang für die Besucher wird mit einem Bogen signalisiert. Das Dach kann somit keine Kuppel sein, die ihre Lasten gleichwertig nach allen Seiten abträgt. Es bildet aufgrund der vom Programm diktierten Bedingungen eine Freiformschale, die auf unterschiedliche Bedürfnisse eingehen muss. Trotz der um sich greifenden Digitalisierung im Entwurf, bedienten sich die Planer bei der Formfindung auch verschiedener Handskizzen. Und die Methode des berühmten Schalenbauers Heinz Isler, der die statisch optimale Form mit hängenden Tüchern erkundete, kam ebenfalls zum Einsatz – allerdings nur in einer Computersimulation.

Ring und Kanal

Der unter den geschilderten Umständen äußerst komplexe, uneinheitliche Übergang zwischen Dach und Wand wird in statischer Hinsicht durch einen vorgespannten, rund 270 m langen Stahlbetonringbalken hergestellt. Er folgt diskret dem Schalenrand, formt die erforderlichen Bögen und leitet die Lasten in fünf lokale Dachfundationen ab. Vier dieser Fundationen befinden sich an der Peripherie des parkartigen Innenbereichs, der durch die umlaufend verglaste Fassade mit dem Außenraum optisch verbunden ist. Die Lastabtragung erfolgt hier über Gruppen von Pfeilern und Stützen, in statischer Hinsicht handelt es sich um vorgespannte Wandscheiben. Zusammen mit den leicht zurückgesetzten Fassadenstreben mit ihren nach außen vorkragenden Köpfen werden sie als künstlicher Waldsaum wahrgenommen.

Die Schubkräfte der Schale werden im Erdreich abgetragen. Auch hier fanden die Ingenieure eine praktische, für die Formgebung relevante Lösung, indem sie verschiedene Aufgaben miteinander kombinierten. Unter der Fassade verläuft rund um das Gebäude ein Medienkanal aus Stahlbeton. Bei den lokalen Dachfundationen wurden auf der Außenseite des Kanals Regenwasserzisternen angefügt und als Dachwiderlager ausgebildet. Pfählungen fixieren diese unsichtbaren »Strebepfeiler« im heterogenen und schwierigen Baugrund, Felsanker übertragen die Schubkräfte. Die Lastabtragung erfolgt insgesamt sehr diskret, die Statik tritt in den Hintergrund. Dies ist dem Konzept der simulierten Natürlichkeit zuträglich.

Holz isotrop

Während die Schale die Natur imitiert, verhält sich der organische Baustoff Holz in der Schalenkonstruktion ähnlich wie Beton, also eher unnatürlich. Den Ingenieuren war bewusst, dass sich Holz als gerichtetes Baumaterial nicht besonders für ein echtes Schalentragwerk eignet. Diesem Umstand trugen sie Rechnung, indem sie großformatige, ebene Plattenstreifen (bis zu 3,4 x 12 m) planten. Sie erhielten auf dem Bauplatz ihre Krümmung und wurden dreilagig, jeweils unter 60° verschwenkt übereinander wie ein riesiges Puzzle angeordnet. Die Faserrichtung der einzelnen Schichten orientiert sich je nach der Position des entsprechenden Plattenstreifens nach den Dachauflagern. Dieses Verfahren ermöglichte für jede Lage präzise Zuschnittspläne, nach denen sich die ausführenden Firmen richten konnten. Der Zusammenhalt der Holzlagen ist durch Nägel gesichert, pro Quadratmeter Schalenfläche wurden 100 Stück dieser »Armierungselemente« eingeschlagen.

Rund 65 % des Dachs sind geschlossen. Zwischen den Holzschichtplatten, die mit einer wasserabführenden Folie belegt und durch eine Begehungsebene aus aufgeständerten Kerto-Furnierschichtplatten geschützt sind, befinden sich die 271 Öffnungen. Ihre einmaligen Formen ergeben sich aus einem Geflecht von Linien, die zwischen den Auflagern kreuz und quer über die Schale verlaufen. Acht von ihnen lassen sich im Sommer oder im Brandfall als RWA-Klappen öffnen. Jede Öffnung wird durch ein individuell druckreguliertes Luftkissen aus UV-durchlässiger ETFE Folie eingedeckt. Die Technik für den Betrieb dieser Dachflächenfenster ist diskret in der raumhaltigen Schale versteckt, sodass das Geflecht und das diffus einfallende Tageslicht das ganze Jahr hindurch ungestörte Träume von Kaeng Krachan zulassen.