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Profil

Studium der Kunstgeschichte in Wien und Innsbruck
1996 – 2003 freie Mitarbeiterin bei der Tageszeitung Der Standard
1998 – 2001 Chefredakteurin des Fachmagazins architektur
2003 – 2006 Geschäftsführerin von ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
seit 2006 freie Mitarbeiterin Spectrum/Die Presse
seit 2012 freie Mitarbeiterin bei architektur.aktuell
2015 – 2016 Chefredakteurin von KONstruktiv
seit 2019 Vorsitzende von ORTE Architektur Netzwerk Niederösterreich
arbeitet als freie Architekturpublizistin in Wien

Lehrtätigkeit

2003 – 2012 Abteilung für Wohnbau und Entwerfen am Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien

Mitgliedschaften

Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs
ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich

Publikationen

Ordnung und Öffnung, in: Das österreichische Parlamentsgebäude - Facetten einer Erneuerung, Hrsg. Republik Österreich/Parlamentsdirektion, Park Books, Zürich 2023
ORTE – Architektur in Niederösterreich 2010-2020, Park Books, Zürich 2021 (mit Eva Guttmann und Gabriele Kaiser)
querkraft - livin' architektur/architektur leben, Birkhäuser Basel, 2019 (hrsg. mit Gabriele Lenz)
Architektur von Dietrich|Untertrifaller, Birkhäuser Basel, 2017 (hrsg. mit Gabriele Lenz)
Generationen Wohnen. Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion | Alter(n)sgerechtes Planen und Bauen, Edition Detail, München 2015 (mit Christiane Feuerstein)
Walter Zschokke.Texte, Park Books, Zürich 2013 (hrsg. mit Gabriele Lenz und Claudia Mazanek)
ORTE – Architektur in Niederösterreich 2002-2010, Springer, Wien 2010 (mit Eva Guttmann und Gabriele Kaiser)
Wohnen, pflegen, leben – Neue Wiener Wohn- und Pflegehäuser, Bohmann Verlag, Wien 2009

Artikel

7. Juni 2014 Spectrum

Vor dem Parlament sind alle gleich

„Orte der Macht“: Mit feiner Ironie präsentiert Christian Kühn anlässlich der 14. Architekturbiennale in Venedig die Parlamente dieser Welt. Der von ihm verantwortete Österreich-Pavillon zeigte sich wahrscheinlich noch nie unver-krampfter und schöner als heuer.

„Fundamentals“ gab Rem Koolhaas als Motto der diesjährigen Architekturbiennale aus. Also schlicht um die Grundlagen der Architektur möge es dieses Mal gehen. Die Schau im zentralen Pavillon in den Giardini, „Elements of Architecture“, ist das Ergebnis eines zweijährigen Forschungsprojekts von Koolhaas' Entwurfsklasse an der Harvard University und befasst sich mit jenen elementaren Bestandteilen, aus denen sich Architektur konstituiert. Und so erfahren wir auch von der bisher öffentlich wenig beachteten Scalologie, der Wissenschaft von den Eigenheiten und Wirkungen von Treppen, begründet vom deutschen Denkmalpfleger Friedrich Mielke. Keine Starparaden? Keine eitlen Nationalitätenshows?

Tatsächlich kaum. Erstmals in der Geschichte der venezianischen Architekturbiennale wurde den Ländern nicht nur ein schwammiger Slogan, sondern ein recht konkretes Thema vorgegeben. „Absorbing Modernity 1914–2014“ lautet es, und mehr oder weniger hielten sich alle Länderkuratoren daran und reflektierten auf ihre Weise fesselnde oder kontroverse Aspekte der Moderne in den jeweiligen Ländern. Manche scheiterten am Thema, bekamen es ausstellungsmacherisch nicht ganz in den Griff, verfielen einer zu altmodischen Didaktik und hätten vielleicht besser einfach nur ein Buch gemacht. Das einheitliche Thema bringt aber – und das ist sein eigentliches großes Verdienst – zahlreiche Querverweise mit sich, die durchaus erhellend wirken, wenn man ihre Spuren aufnimmt. Immerhin sind ja die meisten der Pavillons selbst innerhalb dieser zur Debatte stehenden Epoche entstanden und Ausdruck des jeweiligen nationalen Selbstverständnisses und kulturpolitischen Willens.

An der Architektur des 1938 von Ernst Haiger umgebauten deutschen Pavillons rieben sich wiederholt die kuratorischen Konzepte. Die diesjährigen Kuratoren, Alex Lehner und Savvas Ciriacidis, kreuzten den in der Architektenschaft ungeliebten Nazi-Bau mit einer Ikone der deutschen Nachkriegsmodernde, dem 1964 von Sep Ruf in Bonn erbauten Kanzlerbungalow, den sie eins zu eins nachbauen und in den Pavillon einschreiben ließen. Die Collage visualisiert die Bedeutung von Architektur als Ausdrucksträger der jeweiligen staatlichen Selbstverständlichkeiten. Keine ideologischen Differenzen evoziert der vor der Tür wartende schwarze Mercedes, ihm könnten die Herren beider Häuser entsteigen.

Noch weitreichender wird im Österreich-Pavillon unter der Federführung von Christian Kühn das Thema des architektonischen Stils als Transporteur staatlichen Selbstverständnisses abgehandelt. Und prompt zeigt sich, dass es Bauaufgaben gibt, für die Koolhaas' These, dass die Moderne international alles absorbiert habe, nicht zutrifft. „Plenum. Orte der Macht“ lautet der Ausstellungstitel. Der bevorstehende Umbau des österreichischen Parlaments und die damit einhergehenden Debatten über die heute adäquate Form eines Parlamentsgebäudes hat Kühn dazu veranlasst, sämtliche Parlamente dieser Welt im Pavillon vergleichend zur Schau zu stellen. Als weiße Modelle im Maßstab 1:500 sind sie nun in den beiden Gebäudeflügeln in alphabetischer Reihenfolge in regelmäßigem Raster über die Wände verteilt. Um 90 Grad gekippt werden sie ihrer Monumentalität beraubt und erhalten sie maskenhaften Charakter. Diese Anordnung könnte man als kuratorische Despektierlichkeit gegenüber den Hohen Häusern der Welt auslegen, tatsächlich aber werden mit feiner Ironie erstaunliche Fakten ins Bewusstsein geholt, wird eine ambivalente Haltung gegenüber Nationalismen jedweder Art zum Ausdruck gebracht.

Die vergleichende Recherche befördert Bemerkenswertes zutage: Die meisten Parlamente der Welt stammen aus der Zeit nach 1950, und nicht die Moderne, sondern der Historismus ist der bevorzugt eingesetzte Stil, egal auf welchem Kontinent sich der Bau befindet und gleichermaßen in vorbildlich regierten Demokratien wie den verschiedenen Spielarten antidemokratischer Regierungsformen. Eigenständige architektonische Schöpfungen auf der Höhe der Zeit wie Oscar Niemeyers brasilianisches Parlament sind die Ausnahme. „Copy and paste“ scheint auch so wichtigen nationalen Angelegenheiten eine bewährte Methode zu sein, die dazu führt, dass sich das Jubelsystem von Nordkorea 1984 mit einem ähnlichen Bau identifizieren kann wie die mustergültige finnische Demokratie.

Aufschlussreich ist die gelassene Präsentation der Modelle in Kombination mit dem in der Art eines Farbfächers aufgemachten Pocketkatalog. Erstaunliche Fakten tun sich auf, wie zum Beispiel dass die Größe eines Parlaments weder mit der Größe des jeweiligen Landes noch mit der Qualität seines Parlamentarismus korrelieren muss. Auffallend häufig werden Parlamente übrigens von ausländischen Architekten gebaut. Dem österreichischen Parlament des Dänen Theophil Hansen ist in gleicher Aufmachung wie dem noch zu bauenden Parlament von Albanien sowie dem Konferenzzentrum in Dalian von Coop Himmelb(l)au eine detailreiche, kuppelförmig von der Decke abgehängte Installation gewidmet.

Der Hof des Pavillons steht im Zeichen von weniger machtstrotzenden, aber zusehends mächtiger werdenden Manifestationen modernen Demokratieverständnisses. Auf die „Arbres de la liberté“ der französischen Revolution anspielend, haben Auböck & Kárász einen Hain aus exotischen Bäumen und Stauden gepflanzt, der Vielfalt und Internationalität symbolisiert. In Richtung der 200 Parlamente schickt die von Kollektiv/Rauschen aus Twittermeldungen generierte Soundinstallation anschwellende Töne menschlichen Protests in fünf Sprachen, während von der anderen Seite Redesequenzen autoritärer Staatschefs in den Hof dröhnen.

Christian Kühn als Kommissär des Pavillons und Kurator Harald Trapp widerlegen die Mär von der wiederholt kolportierten schwierigen Bespielbarkeit des Hoffmann/Kramreiter-Baus. Sie lassen die Böden frei, um den Raumfluss nicht zu behindern, lassen die Mittelachse zur Wirkung kommen und nutzen die anstehende Sanierung, um vorläufig die begrenzende Mauer und das nierenförmige Wasserbecken zugunsten der Bepflanzung zu entfernen. Der 1934, also zur Zeit der autoritären austrofaschistischen Regierung fertig gestellte und 20 Jahre später ebenfalls von Hoffmann modernisierte Pavillon präsentierte sich wahrscheinlich nie unverkrampfter und schöner als heuer

26. April 2014 Spectrum

Golden Nugget, weicher Kern

In der Außenansicht verschlossen, innen höchst variantenreich: Nach etlichen Jahren gelang es PPAG, ein Europan-Projekt von ehedem zur Reife zu führen. Nachrichten aus der Simmeringer Fickeystraße.

Die Wohnbauten des von Anna Popelka und Georg Poduschka gegründeten Architektenteams PPAG zeichnen sich stets durch äußerst eigenständige Raumkonfigurationen aus. Dies war schon so bei einer ihrer ersten größeren Arbeiten in einem Hinterhof an der Praterstraße, wo sie durch das geschickte Verzahnen der Wohnungen Räume unterschiedlichster Charakteristikzuwege brachten. Beim Wohnriegel am Rudolf-Bednar-Park mit den signifikanten pinkfarbenen Balkonbrüstungen oder dem Wohnhof Orasteig in Floridsdorf – beide 2009 fertiggestellt – sind ihnen Raumzuschnitte gelungen, die üblicherweise in der Rationalität des geförderten Wohnungsbaus schwer durchzusetzen sind.

Mittlerweile ist auch jener Wohnbau von den Mietern bezogen, mit dem sie 2001 beimEuropan-Wettbewerb, einer internationalen Konkurrenz für Architekten unter 40, am Standort in der Fickeystraße in Wien-Simmering den Sieg davontrugen. Die Realisierung zog sich hin, obwohl damals von Beginnan alles auf Schiene zu sein schien. Bereits im Vorfeld kooperierte Europan Österreich mit der Bauträgerfirma Mischek, die das Grundstück zur Verfügung stellte, den Wettbewerb finanzierte und schließlich die Absichtserklärung gab, das ungewöhnliche und anspruchsvolle Projekt zu realisieren. PPAG bebauten als einzige Teilnehmer die gesamte Grundstücksfläche mit dem maximal möglichen Bauvolumen und schnitzten dieses unter Berücksichtigung der Belichtung der Nachbargebäude, der Aussicht und bestimmter Freiraumkonditionen zu. Das daraus entstandene kristalline Gebilde nannten sie im Wettbewerb „golden nugget“, das sich aus einer äußeren Schicht aus Wohnungen und innen liegender Mischnutzung zusammensetzte. PPAG kritisieren mit dieser Art der Formfindung die Blockrandbebauung als gängige Praxis innerstädtischer Bebauungsplanung als überholt: „Eine grundrissgrafische Auffassung von Stadtraum und damit die Vorwegnahme von späteren Planungsprämissen kann den vielfältigen Qualitätsanforderungen an Immobilien nicht gerecht werden“, formulierten sie.

Zwar wurde damals in der Jury die Frage nach der Relevanz von Megastrukturen gestellt und auch angemerkt, dass „dem Projekt ein Autismus inhärent“ sei. Man betonte aber auch, dass kein anderes Projekt im Wettbewerb sich tiefgründiger mit dem Wohnen auseinandersetze als dieses, dem man Entwicklungsfähigkeit und mögliche Veränderbarkeit im Realisierungsprozess attestierte.

Diese von der Jury angesprochenen Stärken wurden dann tatsächlich einer ziemlichen Belastungsprobe unterzogen. Gemeinsam mit der Bauträgerin wurde das Projekt vertieft, um als Grundlage für die Erstellung eines Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes zu dienen. In der Folge erwies sich allerdings bald der vorgesehene Nutzungsmix, der auch große Geschäftsflächen enthielt, als unrealistisch. Die Investoren sahen ob des hohen Konfliktpotenzials zwischen Wohnungs- und Gewerbemietern ganz und gar keinen Goldklumpen, sondern ein Risiko undwollten es wegen zu geringer erwartbarer Renditen nicht finanzieren.

Im Grundstücksbeirat wiederum blitzte das Projekt wiederholt, unter anderem wegen zu vieler nach Norden orientierter Wohnungen, ab. Zudem änderte sich nach einem Verkauf der Bauträgerfirma die Bauherrschaft. Dass so manche Überlegung aus dem Wettbewerb auf dem Weg zu Realisierung verlorenging, ist daher kein Wunder, dass das Projekt in seiner formalen Grundkonzeption jedoch sehr wohl realisiert werden konnte, spricht hingegen nicht nur für die Robustheit des Konzepts, sondern auch für jene von Popelka und Poduschka.

Anstatt eines bunten Nutzungsmixes wurde es nun ein monofunktionaler „Wohnhügel“, bei dem die rund 230 Wohnungen als „Kruste“ um die innen liegenden Erschließungszonen angeordnet sind. Als einzige Nichtwohnnutzung gibt es einen sechsgruppigen Kindergarten im Erdgeschoß, der sich über einen dreigeschoßigen Luftraum mit den Wohngeschoßen verschränkt und zusätzliches Tageslicht aus dem Atrium bezieht.

Durch die standortspezifisch modellierte Außenform entstanden abwechslungsreiche Raumsequenzen. Direkt an die Atrien angegliedert sind alle Gemeinschaftsflächen wie Wintergarten, Indoor-Spielplätze, Waschküchen oder Kinderwagenabstellräume. Mannigfaltige Durchblicke von Geschoß zu Geschoß tun sich im internen Netz aus Gassen und Plätzen auf. Ebenso reich ist die Varianz der Wohnungen, die im geförderten Wohnungsbau ihresgleichen sucht. Pragmatiker, denen an möglichst neutral angelegten Wohnungen gelegen ist, mögen sich daran stoßen. Entgegenhalten kann man, dass diese besonderen Wohnungen, darunter auch Maisonetten mit überhohen Räumen und Galerien, die etwa als Kinderspielfläche dienen können, ein sehr spezifisches Angebot bereitstellen, das aus dem Einheitsbrei ausbricht.

Temporäres Wohnen ist in meist drei Wohnungen pro Geschoß in möblierten „Heimwohnungen“ möglich, weiters werden Einheiten auf zwei Ebenen und mit zwei Eingängen angeboten, in denen sich die Wohn- und Arbeitsstätte koppeln lassen. Für Außenbeziehungen sorgen einerseits die Loggien, die jeder Wohnung über die gesamte Wohnungsbreite als private Freiflächen zugeordnet sind, aber auch die zum internen Wegesystem hin orientierten Küchenfenster, die – wenn von den Bewohnern nicht verbarrikadiert, sondern klugerweise mit Jalousien versehen – für Belichtung sorgen und auch Aus- wie Einblick gewähren können.

Im Grunde passt die neuerdings gern verwendete Metapher vom Dorf im Haussehr gut auf die Anlage, deren aufgeweiteten Gangbereiche sich als soziale Treffpunkte anbieten und über deren Gemeinschaftsraumnutzung die Bewohnerschaft höchst engagiert via Internetplattform entscheidet. Nach außen hin sind die räumlichen und gemeinschaftlichen Potenziale nicht sichtbar, auch das Geschehen auf den privaten Loggien, wird gut abgeschottet. Da wird der Wohnhügel zum für Außenstehende neungeschoßigen Wehrdorf, was in dieser Lage zwischen der Straßenbahnremise Simmering und der von Josef Frank und Oskar Wlach geplanten Großwohnanlage des Rosa-Jochmann-Hofs aus den 1930ern auch eine durchaus angemessene städtebauliche Reaktion ist. Freundlich kommuniziert wird lieber nach innen

29. März 2014 Spectrum

Besessen, treibend, kämpfend

In den 1960er-Jahren begann er, die Welt der Architektur nach Österreich und österreichische Architektur in die Welt zu tragen. Diesen Sonntag wird Hans Hollein 80 Jahre alt.

Diese Beiträge sind spärlichst! Die österreichische Architektur ist in die Fußnoten verdrängt. Während die Tätigkeit der österreichischen Architekten vor 1938 in durchwegs allen einschlägigen Publikationen als äußerst bemerkenswert empfunden wird, (?) findet man offensichtlich, dass später wenig Erwähnenswertes geschah.“ Diese Feststellung traf Hans Hollein, damals knapp über 30, im Jahr 1965, und er selbst trug schließlich wesentlich dazu bei, dass sich dies änderte, Österreich im Diskurs der Architektur-Avantgarde wieder eine Rolle zu spielen begann und zugleich internationale Tendenzen hierzulande publik wurden. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle anlässlich seines 80. Geburtstages seine bis heute nachwirkende Rolle als Impulsgeber gewürdigt werden.

In der Zeit des pragmatischen Funktionalismus der Nachkriegszeit formierte sich eine Architektur-Avantgarde, die gegen eben diesen aufbegehrte. 1962 hielt Hans Hollein in der Galerie St. Stephan seinen grundlegenden Vortrag „Zurück zur Architektur“, in dem er zur Besinnung auf die elementaren Qualitäten der Architektur aufrief. 1964, in seinem ersten Jahr als selbstständiger Architekt, stieß er zur Zentralvereinigung der Architekten, die sich damals in einer Phase des Umbruchs und der Öffnung befand. Wie sich Architekt Franz Kiener, langjähriger Kassier der ZV erinnert, war Hans Hollein, den er als „absoluten Perfektionisten“ beschreibt, die treibende Kraft. Dank seiner frühen Kontakte in die USA, wo er am IIT in Chicago und an der University of California in Berkeley studierte, brachte er neue, einflussreiche Gedanken nach Wien. Die Zentralvereinigung hätte ohne Hollein wahrscheinlich einen etwas anderen Weg gemacht, meint Kiener heute. Die seit 1946 bestehende Vereinszeitschrift „Der Bau“ wurde von einem jungen Team bestehend aus Sokratis Dimitriou, Günther Feuerstein, Hans Hollein, Gustav Peichl und Walter Pichler völlig umgekrempelt und gehörte ab März 1965 sechs Jahre lang unter dem Titel „Bau“ zu den wesentlichsten Architekturmedien des Landes. Die erste Nummer war nach fünf Tagen vergriffen. Zu dieser Zeit entstand das Kerzengeschäft Retti auf dem Kohlmarkt, dessen Zweck „keine simple, mechanische Funktion, sondern Anlass zur Interpretation eines Vorgangs und zur Selbstdarstellung eines Architekten“, also „der erste Hollein“ sei, so Friedrich Achleitner damals.

1968 stand schließlich eine Ausgabe ganz im Zeichen von Holleins Manifest „Alles ist Architektur“. Architekten müssten aufhören, nur in Bauwerken zu denken, postulierte Hollein. Auf das Titelbild collagierte er ein den Stephansdom weit überragendes, riesiges Stück Emmentaler hinter ein Panoramafoto von Wien. „Lassen Sie Ihre Phantasie arbeiten und Ihren Assoziationen freien Lauf“ empfahl das Editorial, und es folgte eine Bildstrecke mit Abbildungen von Entwürfen von Hollein oder Haus-Rucker-Co, Werken von Künstlern wie Christo, Claes Oldenburg oder Marcel Duchamp sowie mit Modefotos, Zeitungsbildern und Computerzeichnungen, mit denen Hans Hollein das Ende der herkömmlichen Definition von Architektur ausrief. Der „Bau“ widmete sich aber auch – entgegen dem Geist der Zeit – historischen Vorbildern wie Rudolf M. Schindler, Friedrich Kiesler oder Adolf Loos.

1971, als die Proponenten zusehends nicht mehr in der Lage waren, die ehrenamtliche Redaktionsarbeit zu leisten, wurde der „Bau“ eingestellt. Hollein blieb weiter im Vorstand der ZV. Nachdem er bereits Ausstellungen im MOMA in New York und in der Chicagoer Richard Feigen Gallery, deren New Yorker Filiale er gestaltet hatte, gehabt hatte, wurde er 1972 mit der Rauminstallation „Werk und Verhalten, Leben und Tod“ Österreichs Vertreter bei der 36. Kunstbiennale in Venedig. Ab 1978 war er Kommissär des Österreich-Pavillons auf der Architekturbiennale, zu deren Direktor er 1996 bestellt wurde. Nach dem Tod Eugen Wörles im Jahr 1996 ging die Präsidentschaft der ZV auf Hollein über, eine Position, die er bis 2007 innehatte. Zu dieser Zeit war er längst das, was man einen „internationalen Stararchitekten“ nennt. Seit den 1960er-Jahren auch in der Lehre tätig, zunächst als Gastprofessor an verschiedenen amerikanischen Universitäten, später in Düsseldorf und schließlich als Meisterklassen-Leiter an der Universität für angewandte Kunst, erhielt er 1985 als bislang einziger Österreicher für sein umfangreiches und vielseitiges Œuvre den Pritzker-Preis. „Seine Grundeinstellung hat mir immer imponiert“, so Architekt Martin Kohlbauer. „An Hollein war nichts Nebuloses, es ging ihm stets um etwas, und einmal Begonnenes hat er mit Sorgfalt zu Ende geführt.“

Als einer, der keine Tages- und Nachtzeit gekannt habe, sei er als Einziger der berühmten Wiener Architekten immer bei vielen Veranstaltungen präsent und stets bestens informiert gewesen. Wie Kohlbauer bekam auch Marta Schreieck 1980 als Studentin die Gelegenheit, in den Vereinsräumlichkeiten in der Salvatorgasse ihre Arbeiten auszustellen. Seit sechs Jahren ist sie Holleins Nachfolgerin als Präsidentin. Als Studentin von Roland Rainer an der Akademie der bildenden Künste wurde sie von einer völlig konträren Schule geprägt. Hollein hat sie als ZV-Präsidenten schätzen gelernt. Sein Beitrag zur Internationalisierung sei nicht hoch genug zu würdigen: „Ich war immer beeindruckt von seiner Besessenheit, Intensität und Genauigkeit, wobei er durchaus Widerspruch vertragen hat.“

Zum fünften Geburtstag des „Bau“ bemerkte Hans Hollein über die Usance, Jubiläen zu begehen: „Daß irgendetwas vor 100 Jahren geschehen ist, bedeutet nicht unbedingt eine Stimulation . . . Deshalb hat es Bau nicht immer für nötig befunden, Jubiläen zu feiern“. Sein Achtziger wird dennoch zu Recht mehrmals Anlass zu Feierlichkeiten sein. Kommenden Donnerstag zollt ihm das Architekturzentrum Wien mit einem Festvortrag von Peter Weibel Tribut. Ab April richtet das Museum Abteiberg in Mönchengladbach seinem Entwerfer eine Ausstellung aus, im Juni folgt eine große Schau im Wiener MAK. Zur Einstimmung sei die Lektüre des „Bau“ und weiterer Schriften Hans Holleins besonders empfohlen.

Herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag!

1. März 2014 Spectrum

Retter der Donau City?

Vor wenigen Tagen feierlich eröffnet, ist der von Dominique Perrault entworfene DC Tower der unumstrittene Star in der Wiener Donau City. Noch ein böses Hochhaus mehr – oder tut es der Gegend sogar gut?

Die Wiener Donau City, gedacht als neues urbanes Zentrum am nördlichen Donauufer, hat es nach nunmehr fünfzehn Jahren ihrer Existenz noch immer nicht geschafft, tatsächlich als solches wahrgenommen zu werden. „Wien ans Wasser“ lautete die Devise. Allein, vom Wasser ist nicht viel zu spüren, wenn man zwischen den beziehungslos nebeneinander aufragenden monofunktionalen Hochhäusern – entweder reine Büro- oder reine Wohntürme – durchspaziert („flanieren“ wäre ein zu feiner Ausdruck und mit mehr Genuss verbunden). Ein Anspruch an urbanistische Qualität wurde nie eingelöst, es fehlt ein erkennbares Gesamtkonzept, es mangelt an Aufenthaltsqualität in den Zwischenräumen, nicht nur wegen der häufig auftretenden starken Windströme zwischen den Türmen, sondern auch wegen der Lieblosigkeit, mit der der öffentliche Raum gestaltet – oder besser: nicht gestaltet wurde. Bezeichnend auch, dass es weder ein einzelnes Gebäude noch die ganze Skyline geschafft hätte, besondere ikonische Wirksamkeit zu erzielen.

Mit dem diese Woche offiziell eröffneten DC Tower hat die Donau City nun endlich ein Symbol. Der vom französischen Architekten Dominique Perrault geplante Turm ist mit 250 Metern das höchste Gebäude Österreichs. Trotz Fertigstellung ist er gewissermaßen noch ein Fragment. Vorgesehen ist ein 44 Geschoße niedrigerer Zwillingsturm, der laut Thomas Jakoubek, Vorstand des Bauträgers WED, abhängig von der Verwertungslage, voraussichtlich aber in zwei Jahren in Angriff genommen werden soll. Das projektierte Gegenüber ist denn auch ein Mitgrund für die Form des Turms mit der mehrfach geknickten, plastischen Ostfassade. Das Duo soll am Ende durch die gegenüberliegenden reliefierten Oberflächen wirken wieein in zwei Teile gebrochener Monolith, so Perrault.

Der „Faltenwurf“ soll aber auch auf die Wellen der vorbeifließenden Donau anspielen. Durch die Ausbildung einer plastischen und drei glatten Fassaden und mit 59 Metern Länge an den Breitseiten und nicht ganz halb so viel an den Schmalseiten ändert sich die Anmutung des Turmes, die je nach Blickpunkt von einer geradezu fragil wirkenden Schlankheit bis zu muskulöser Stämmigkeit variiert. Und die Nichtfarbigkeit der Fassade changiert je nach Tageszeit und Witterung von schimmerndem silbergrau zu finsterem Schwarz. Es lässt sich streiten, ob es aus städtebaulichen oder anderen Gründen eines so hohen Turms an der Stelle bedurft hätte.

Formal gibt es nichts zu beanstanden. Aus der Nähe erschließt sich die fein überlegte Fassadenstruktur, und erst dann bemerkt man auch, dass der schwarze Monolith an den drei planen Fassadenflächen von bronzefarbenen, linear nach oben strebenden Streifen durchzogen sind. Die mit Schlitzen durchbrochenen Alubleche sind dem Bau nicht nur eine dezente Zierde, sondern vor allem von praktischen Nutzen. Sie dienen als Absturzsicherung vor den dahinter liegenden, manuell zu öffnenden Lüftungsflügeln. An der geknickten Fassade waren solche öffenbaren Flügel nicht möglich. Direkte Frischluftzufuhr kommt hier durch eine in die Fensterprofile integrierte Lüftung, die ebenso einfach und nutzerfreundlich wie ein normaler Drehflügel zu aktivieren ist.

Innen führt Perrault – seit jeher ein Meister im Umgang mit puren Materialien – vor, dass harte, unbunte Stein- und Metalloberflächen durchaus imstande sind, eine angenehme Atmosphäre zu verbreiten. An Boden und Wänden findet sich ein österreichischer Granit, der je nach Oberflächenbehandlung – geflämmt auf dem Boden, sandgestrahlt an Wänden, poliert in den Restaurantbereichen – von unterschiedlicher Textur und Farbigkeit ist. Alles sehr klar und sehr schön erdacht und sauber umgesetzt. Dass der ambitionierte Entwurf des französischen Architektenstars sich nun so präsentiert, ist auch der Verdienst seines hiesigen Partnerbüros Hoffmann-Janz, das laut Franz Janz von der Einreich- über die Ausführungs- und Detailplanung etwa 70 Prozent der gesamten Architektenplanungsleistung erbracht hat. Aber wie sieht es mit dem Beitrag des Turms zum Quartier aus? Vermag er noch etwas zu retten?

Grundsätzlich hat man von Beginn an schon eines besser gemacht als bei den übrigen Türmen und eine gemischte Nutzung gefordert. Noch sind nicht alle Flächen vermietet und ausgebaut und harren noch – so wie die im 53. und 54. Stock liegenden zweigeschoßigen Lofts, die sowohl als Arbeits- als wie auch Wohnräume tauglich wären – des Endausbaus für wohlbestallte Nutzer. 18 Etagen beansprucht das bereits in Betrieb gegangene Hotel der spanischen Kette Meliá. Die Dachterrasse, durch die hochgezogene Fassade windgeschützt, wird zum Teil von der Bar darunter beansprucht, soll aber auch ohne Konsumzwang öffentlich zugänglich sein. Der Ausblick ist naturgemäß grandios, wenn man den Blick in die Weite schweifen lässt.

Senkt man ihn nach unten, offenbart sich hingegen selbst aus einer Distanz von einem Viertelkilometer das urbanistische Elend, in das dieses Juwel an Hochhaus hineingesetzt wurde. Dominique Perraults Kommentaren ist anzumerken, dass es ihm ein Anliegen und eine Herausforderung war, sein Möglichstes zur Verbesserung des Umfelds beizutragen. „Step by step“, meint er, wird sich nun die Qualität der trockenen und harten Umgebung verbessern. Der DC Tower ist das erste Hochhaus in der Donau City – wenn nicht überhaupt das erste in Wien –, bei dem man sich um die Gestaltung des unmittelbaren Umfelds bemüht hat.

Auf der Fußgängerebene äußert sich dies in mit Bambus bepflanzten Rabatten, die umrandet von Sitzbänken den Vorplatz strukturieren, und in den großen schwarzen Metallschirmen, die an Nord-, Ost- und Westseite dicht gesetzt nicht nur die Aufgabe haben, Schatten zu spenden und den Wind zu brechen, sondern dem Freiraum auch einemenschenfreundliche Dimension geben und die „Eruption des Turms abschwächen“, wie Perrault es ausdrückt. Eine Terrasse Richtung Donau und eine Abfolge an Treppenanlagen, die vor dem niedrigeren, bronzefarbenen Annexbau im Westen eine Verbindung auf die Straßenebene herstellen, tragen dazu bei, dass das Gebäude nicht ungespitzt in der Erde – oder besser gesagt: in der Betonplatte – verschwindet, sondern einen Dialog mit der Umgebung aufnimmt.

Des Autofahrers Orientierung erleichtern die Hotelvorfahrt und Garagenzufahrt unter freiem Himmel. Das schwarz-weiße Streifenmuster in der Garagenzufahrt wirkt apart, ist aber keine künstlerische Intervention von Daniel Buren, sondern schlichtweg eine gestreifte Färbelung. Wiewohl: bei einer Investitionssumme von 300 Millionen Euro hätte man schon mehr Kunst erwarten dürfen. Immerhin ist das Foyer mit einer Videoinstallation der amerikanischen Experimentalfilmerin Kasumi ausgestattet. „Schritt für Schritt“, sagt Perrault. Gerettet hat er die Donau City nicht, er hat ihr aber immerhin erstmals einen attraktiven Ort geschenkt.

1. Februar 2014 Spectrum

Mehr als nur Schule

Wenn Lehrer gerne länger als nötig in der Schule bleiben. Gabu Heindl verschaffte dem BG Zehnergasse in Wiener Neustadt nicht nur die geforderten zusätzlichen Räume, sondern auch neue Nutzungsmöglichkeiten.

In einer Schule, die auch einen Zweig als Sportrealgymnasium führt, mag es nicht verwunderlich sein, trotz der bekannt sparsamen Budgets im Schulbau einen bestens ausgestatteten Fitnessraum vorzufinden. Die Geräte wurden von einer Firma gesponsert. Gut, das zeugt von Eigeninitiative und Geschick der Verantwortlichen. Blasses Erstaunen allerdings dann, als Direktor Werner Schwarz erläutert, wie, wann und von wem der „Fitness & Health Club“ genutzt wird. Er dient nämlich nicht nur dem Sportunterricht an der Schule, sondern er kann außerhalb der Kernunterrichtszeiten einmal die Woche sogar bis 22 Uhr von allen Schülern, Lehrern, Eltern und Absolventen, die gegen einen höchst moderaten Mitgliedsbeitrag Klubmitglieder werden können, genutzt werden.

Noch die Klagen angesichts der Mehrstunden, die dem Lehrpersonal das neue Dienstrecht beschert, im Ohr, ein kaum für möglich zu haltendes Angebot. Die Lehrergewerkschafter können beruhigt sein, die Trainings betreuen nicht die Kollegen, sondern Schülerinnen und Schüler, die im Zuge des Unterrichts eine Zusatzausbildung als Fitnessinstruktor erwerben können und somit an der Schule ihre ersten Jobs ausüben können.

Was das alles in einem Architekturbericht verloren hat? Allerhand. Der Fitnessklub ist nur eine Facette im Spektrum der Zugewinne, die das BG Zehnergasse in Wiener Neustadt seit der Erweiterung nach Plänen der Wiener Architektin Gabu Heindl verzeichnen kann. Er zeigt aber sehr gut auf, dass ein Raumprogramm nicht alles ist und dass die Architektenaufgabe mehr sein kann, als es möglichst ansehnlich zu erfüllen.

Containerklassen und Wanderklassen gehörten jahrelang zum Schultag. Akuter Platzmangel, nicht das Bedürfnis nach einer großzügigeren Ausstattung, war daher Anlass für die Bundesimmobiliengesellschaft, einen geladenen Wettbewerb für die Erweiterung der Schule um acht weitere Klassenräume und eine Normturnhalle auszuloben. Der Bestand stammt aus dem 1960er-Jahren, ist ein Spätwerk von Theiß & Jaksch und wurde 2002 von deren Nachfolgebüro Schwalm-Theiss & Gressenbauer saniert. „Unter Schonung des Bestandes“ soll die Erweiterung erfolgen, hieß es in der Ausschreibung.

Siegerin Gabu Heindl hat dies befolgt, indem sie den offenen Kreuzgrundriss der Schule weiterführt und es vermeidet, formal in Konkurrenz zu treten. Keineswegs geschont hat sie sich allerdings selbst in der Ambition, ein möglichst modernes, für neue pädagogische Konzepte taugliches Raumgefüge anzubieten. In einem zweigeschoßigen und damit gegenüber dem Bestand niedrigeren Baukörper ordnete sie die geforderten Klassenräume an. Leicht aus der rechtwinkeligen Ordnung des Bestandes gedreht, bildet der neue Trakt mit den bestehenden Flügeln einen zur Umgebung wie zur Sonne geöffneten Hof und bricht zudem die Linearität der langen Gänge. Terrassen auf allen Ebenen und Holzflächen, die in der Art von Tanzböden in die Gartenfläche eingelassen sind, machen ihn zum vielfältig nutzbaren Lern- und Aufführungsort im Freien.

Er ist einer von fünf Schulhöfen, auf denen sich die über 900 Schülerinnen und Schüler gut für die diversen Aktivitäten verteilen lassen. Ein weiterer neuer Hof entstand zwischen altem und neuem Turnsaaltrakt. Hier wurde der Sportbelag der Freianlage weitergezogen und das Ganze mit einer Pergola überdacht. Auf dem Boden werden in Zukunft wetterfeste Koordinationsgeräte wie zum Beispiel Wippen ein von allen nutzbares Zusatzangebot bereitstehen. Etwas höher gelegen sollen Slacklines den Unterricht um Balancierübungen ergänzen, und ganz oben sind die schuleigenen Kletterer gefragt, die für den Projektunterricht die Pergola dank vorbereiteter Ösen zum Hochseilgarten verwandeln.

Das alles war im Anforderungsprofil nicht vorgesehen. Möglich wurde es sowohl dank eines effizient und wirtschaftlich umgesetzten Raumprogramms als auch in Folge eines intensiven Dialoges, den die Architektin auf eigene Initiative in Form von Workshops mit hundert Lehrern und den Schülerinnen und Schülern führte, um die Bedürfnisse auszuloten und das Wettbewerbskonzept dahin gehend zu schärfen.

Wenn von wirtschaftlicher Umsetzung die Rede ist, heißt das nicht, dass das Innere nicht mehr bietet als entlang schmaler Gänge aufgefädelte Normklassenzimmer. Diese Art von Effizienz, wie sie in den meisten Schulen nach wie vor vorhanden ist, weist zwar der Bestandsbau auf, bei dem die Klassentrakte von den drei Aulen im Zentrum wegführen.

Gabu Heindl erdachte für den neuen Klassentrakt vielfältigere und vielfältiger nutzbare Raumfolgen. Der Erschließungsbereich ist kein enger Gang mehr, sondern zur Pausenfläche aufgeweitet, in der Sitzbänke, Garderobenschränke und Trinkbrunnen Platz finden. Die neue Bibliothek im Erdgeschoß liegt an zentraler Stelle nächst der Aula, ist gut einsehbar und an die Terrasse angebunden.

Jeweils zwei Klassen können mit dem dazwischenliegenden Modulraum, einem kleineren Arbeits- oder Besprechungsraum, dank mobiler Trennwände zu größeren Raumgefügen verbunden werden. Bis zu 160 Quadratmeter große Räume können somit entstehen, was die Möglichkeiten innerhalb der Schule ohne zusätzlichen Raumverbrauch enorm erhöht. Breite, tiefe Fenster bieten nicht nur Aussicht, sondern sind zugleich gern genutzte Sitznischen.

Auch Verwaltungstrakt mit Konferenzzimmer in einem Bestandsflügel galt es um 100 Quadratmeter zu vergrößern. Indem Wände aufgebrochen und Räume mit dem Gang gekoppelt wurden, ist das Konferenzzimmer nun ein durch Pfeiler gegliederter Großraum. Es ist nichts Neues, dass die Schularchitektur viel zum Klima an einer Schule beiträgt.

Wie sich aber auch am BG Zehnergasse zeigt, sind dazu nicht nur zahlungsfähige Bauherren und ein guter Entwurf notwendig. Es braucht auch ein gemeinsames Wollen und Zusammenwirken von Architekten, Direktion, Lehrern, Schülern bis zum Elternverein. Am BG Zehnergasse scheint dies gut funktioniert zu haben. Jedenfalls bleibennun mehr Lehrer länger an der Schule als zuvor, erzählt Direktor Schwarz. Ein im Sinne der anstehenden Schulreformen wünschenswerter Nebeneffekt – und wohl auch ein Kompliment für die Architektin.

4. Januar 2014 Spectrum

Wider den Kleingeist

Baustelle Parlament: Sanierung und Denkmalpflege? Das muss kein Widerspruch sein. Mögen die Parlamentarier endlich den Mut aufbringen, einem der wichtigsten Baudenkmäler in Österreich eine würdige Zukunft zu bereiten.

Man könnte es als gutes Zeichen werten: In keiner anderen Legislaturperiode sind im österreichischen Parlament so oft die Begriffe „Architektur“ und „Baukultur“ gefallen wie in der im vergangenen Herbst abgelaufenen. Das ergibt zumindest eine Recherche auf der Website des Hohen Hauses, bedeutet aber noch lange nicht, dass tatsächlich Substanzielles zur Materie debattiert wurde. Der nach den Wahlen neu gebildete Nationalrat wird in dieser Hinsicht schon bald mehrfach stärker gefordert sein.

Seit einem Jahr läuft das zweistufige Vergabeverfahren um die Generalplanerleistungen für das österreichische Parlament. Im Sommer soll feststehen, welches der zehn für die zweite Stufe ausgewählten Architekturbüros den Zuschlag erhält. Noch ehe diese Entscheidung bekannt ist, also während die Architekten und Architektinnen noch das umfangreiche Programm ausarbeiten, gilt es im Parlament zu entscheiden, wie umfangreich und gründlich die Baustelle Parlament bearbeitet werden soll. Dazu wurde bekanntlich den Parlamentsklubs im November eine vom mit der Projektsteuerung beauftragten Zivilingenieurbüro Vasko+Partner ausgearbeitete Entscheidungsgrundlage vorgelegt, die den Parlamentariern insgesamtsechs mögliche Varianten über den weiteren Umgang mit dem sowohl baulich als auch funktional sanierungsbedürftigen Parlamentsgebäude vorgibt. Deren Bandbreite reicht von einer Restnutzung des bestehenden Parlamentsgebäudes ohne weitere Maßnahmen, was de facto einer Nicht-Entscheidung und Vertagung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag gleichkäme, bis zur Errichtung eines neuen Gebäudes und Umnutzung des bestehenden Baues von Theophil Hansen aus dem Jahr 1883.

Zwischen diesen beiden Extremvarianten gelangen vier Varianten unter der Überschrift „Sanierung“ zur Abstimmung. Realistischerweise werden sich die Parlamentarier wohl für eine dieser Lösungen entscheiden. Für all jene, denen die rund 80-seitige Entscheidungsgrundlage eine umfangreiche Lektüre ist, wurde auch ein handlicher Folder mit dem Titel „Sanierung Parlament – Quo vadis?“ ausgearbeitet. Beides ist auf der Website des Parlaments abrufbar und enthält auch eine klare Empfehlung für eine „nachhaltige Sanierung“, die über die akut notwendige Herstellung eines den Gesetzen entsprechenden Zustandes des Gebäudes, Schadensbehebungen und absolut notwendige funktionale Verbesserungen hinausgeht. Sie enthält neben der Aktivierung vorhandener Raumreserven wie etwa des beeindruckenden Dachbodens weitere Verbesserungen der räumlichen Bedingungen für alle, die im Parlament arbeiten und es besuchen.

Als finanziell aufwendigste Sanierungsvariante wird auch ein „architektonisches Zeichen“ nach außen angeboten. Diese stößt unter gestaltungswilligen Baukünstlern und bei all jenen, die gern den Vergleich mit der touristisch attraktiven Kuppel von Norman Foster auf dem Berliner Reichstagsgebäude herstellen, auf große Sympathien und klingt nicht völlig absurd. Aber abgesehen davon, dass der Hansen-Bau von ungleich höherer Grandeur und Großzügigkeit ist, als es das Berliner Pendant war, und zudem der Denkmalschutz die Beibehaltung der Konturen verlangt, ist der Hansen-Bau auch nach heutigen Maßstäben repräsentativ und zeichenhaft genug. Ohnehin ist so eine spektakuläre Lösung auch nicht Gegenstand des laufenden Generalplaner-Verfahrens. Hier werden im Grunde die Varianten „Grundsanierung“ und „nachhaltige Sanierung“ abgefragt.

Ersteres wäre wohl eine sehr pragmatische Reparaturlösung, ohne auf besondere Antworten auf zeitgemäße Ansprüche inhaltlicher Natur hinzuarbeiten. Die „nachhaltige Sanierung“ hingegen würde sehr wohl Spielräume für eine umfassende Neustrukturierung und Neudefinition des Parlaments erlauben. Unter einem vorparlamentarischen Regime vor 130 Jahren entstanden, hat sich seine Nutzung ebenso intensiviert, wie sich der Parlamentarismus verändert hat. Die Herausforderung, dies architektonisch auf höchstem Niveau – mit Respekt vor dem Baudenkmal, aber dem Bewusstsein für heutige Ansprüche – umzusetzen, ist eine durchaus beachtliche. Es ist also, wie auch der Vorsitzende der Auswahl- und Bewertungskommission Architekt Ernst Beneder betont, in der Ausschreibung mehr verlangt als eine bloße Reparatur. Politisch offensiv kommuniziert wird dies allerdings kaum. Zu groß scheint die Angst zu sein, der Verschwendungssucht geziehen zu werden.

Dabei wäre dies – nach den viel zu wenig wertgeschätzten Interventionen von Max Fellerer und Eugen Wörle aus den 1950er-Jahren – die längst fällige Chance, das österreichische Parlament zu erneuern und seine Geschichte weiterzuschreiben: was die Baulichkeit und das demokratische Selbstverständnis angeht. Auch das 2005 fertiggestellte Besucher- und Pressezentrum von Geiswinkler & Geiswinkler hat gezeigt, dass Sanieren durchaus denkmalverträglich mit neuen Impulsen Hand in Hand gehen kann.

Leider besteht derzeit die Gefahr, dass vorlauter Kleingeist und als Zeichen des Sparwillens bei der Abstimmung über das weitere Schicksal des Gebäudes das Pendel in eine andere Richtung – nämlich die einer reinen Notlösung – ausschlägt. Dies könnte nicht nur den zehn Architekturbüros, die derzeit ihre Vorschläge bearbeiten, die Motivation nehmen, alle Spielräume auszuschöpfen und sorgfältig durchgearbeitete Beiträge abzuliefern, sondern wäre auch ein Armutszeugnis für unsere Republik. Seit dem abgesagten Umbau des Plenarsaals, der bereits 2008 Gegenstand eines Architekturwettbewerbs war, zugunsten einer größeren Lösung wurde auf allen möglichen Seiten bereits genug Porzellan zerschlagen. Mögen die Parlamentarier endlich den Mut aufbringen, einem der wichtigsten Baudenkmäler in diesem Land eine würdige Zukunft zu bereiten. Der monströse juristische Aufwand, mit dem das Projekt betrieben wird, und die Kontrolle durch Transparency International können im besten Fall für Rechtssicherheit und Korruptionsfreiheit sorgen. Architektonische Qualität ermöglicht oder verhindert in erster Linie das Wollen oder das Desinteresse der Entscheidungsträger.

Seit ein paar Wochen erhalten die Abgeordneten regelmäßig „Urlaubsgrüße aus Österreich“. Die von der Plattform Baukultur verschickten Postkarten zeigen keine Bilder, die den Schmäh von der gern beschworenen Idylle des Umweltmusterlandes Österreich untermauern, sondern solche, die veranschaulichen, in wie vielen Bereichen eine verantwortungsvolle Bau- und Raumordnungspolitik dringend nottäte. Missstände wie die fortschreitende Zersiedelung und Flächenversiegelung verschandeln nicht nur die Landschaft, sondern stellen auch enorme Kostenfaktoren für die Allgemeinheit dar, gegen die der Preis einer ordentlichen Parlamentssanierung eine Petitesse ist. Die Baukultur hat im Plenum des Nationalrates zwar keine große Lobby, vernunftbegabte Menschen an den entscheidenden Positionen sollten aber langsam erkennen, dass es Handlungsbedarf gibt, und daher den schönen Worten zur Baukultur Taten folgen lassen.

9. November 2013 Spectrum

Turm mit Sinn

Die Frage nach der Verträglichkeit von Hochhäusern ist ein stadtplanerischer Dauerbrenner. In Innsbruck führte eine lange Vorgeschichte zu einem ziemlich guten Ende.

Schon lang bevor ab den 1960er-Jahren die Hochhausbauten für das erste olympische Dorf anlässlich der Winterspiele emporwuchsen, entstand mit Lois Welzenbachers Stadtwerke-Gebäude in der Salurnerstraße 1926/27 Innsbrucks erstes Hochhaus. „Generell gibt es für Innsbruck kaum rationelle Gründe für Hochhäuser“, stellte hingegen 2002 das von der Stadt Innsbruck mit einer Hochhausstudie beauftragte Autorenteam, dem unter anderen die Architekten Pietro Caruso, Hermann Czech, Jourdan & Müller, Rainer Pirker, Rainer Köberl und Max Rieder angehörten, fest, um zugleich Potenzial aufzuzeigen, wo und unter welchen Bedingungen hohe Häuser möglich seien. Dabei wurden Zonen für „normale“ Hochhäuser ausgewiesen, aber auch ein spezieller Hochhaustyp namens „Urbanissima“ definiert, der überall widmungsfähig ist, sofern bestimmte Bedingungen der Qualitätssicherung und des sozialen Mehrwerts erfüllt werden. Die Innsbrucker Studie stieß auch im Ausland als mögliches Modell für den Umgang mit Hochhausprojekten auf Interesse. Aber just die Stadt, die sie beauftragt hat, glaubte sie schon wenige Jahre später nicht mehr ernst nehmen zu müssen.

Für das nächst dem Bahnhof gelegene Areal des im Jahr 2006 aufgelassenen Postverteilerzentrums wurde 2008 vom Investor PEMA ein Entwurf eines 60 Meter hohen Turms vorgelegt, mit dem der Innsbrucker Architekt Johann Obermoser direkt beauftragt wurde. Das forsche Vorgehen des Bauwerbers, der versuchte, die gängige Praxis der Stadtplanung, bei Bebauungsplanänderungen von städtebaulich relevantem Ausmaß einen Architekturwettbewerb voranzustellen, zu umgehen, stieß auf heftigen Widerstand. Entgegen aller Bedenken wurde dasProjekt zwar im Bauausschuss genehmigt, nach neuerlichen Protesten aber anlassbezogen ein Fachbeirat einberufen. Dessen Vetogegen das Projekt machte schließlich im Herbst 2009 den Weg frei für einen Wettbewerb, zu dem neben ausgewiesen hochkarätigen heimischen Architekturbüros auch der Franzose Dominique Perrault geladen war, der mit den Rathausgalerien in der Altstadt schon zu Anfang des Jahrtausends zu einem angenehmen Stück Stadt beigetragen hat. Gewonnen haben den Wettbewerb aber Dieter Henke und Marta Schreieck, die als junge Architekten mit dem Neubau der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät beim Hofgarten vor rund 15 Jahren ebenfalls bereits ein gutes Sensorium für Innsbruck unter Beweis gestellt haben.

Ihnen gelang es nun, für den lange unter Negativ-Schlagzeilen besprochenen Standort ein dem Stadtbild zuträgliches Bauwerk zu erdenken, für das die Marketingexperten sinnigerweise den Namen „Headline“ gefunden haben. Es besteht aus einem lang gestreckten Sockelbau zwischen Bahngeleisen und Bruneckerstraße, der sich an den Traufhöhen der gegenüberliegenden Bebauung orientiert und schließlich vor der querenden Museumsstraße mit einem Turm einen vertikalen Akzent erhält. Das Gebäude sitzt knapp am Bahnviadukt. Von der nördlichen Grundstücksgrenze hält es so viel Distanz, dass der Kopfbau, der 49 Meter hoch wurde, die Blickachse aus der Museumsstraße nicht beeinträchtigt. So nimmt das Gebäude den Dialog mit der Umgebung auf: Der Schwung der Stirnfassade geleitet die Fußgänger durch die neu geschaffene Passage unter der Bahn durch und schafft eine attraktivere fußläufige Verbindung zwischen den Stadtquartieren dies- und jenseits der Bahn.

Entlang der Bruneckerstraße verjüngt sich der Sockelbau in einem sachten Knick zur Mitte hin, schwillt gegen Ende noch einmal an, um sich am Ende wieder verschmälert zum Bahnhof zu wenden. Das alles ist der Aufenthaltsqualität im Bahnhofsquartier sehr zuträglich. Bislang hatte man, auf dem Bahnhof angekommen, angesichts der heruntergekommenen Gegend um die Bruneckerstraße nur im Sinn, via einer der Passagen am Südtirolerplatz die Direttissima in die Altstadt zu nehmen. Nun bietet das Headline-Gebäude einen Anlass, die Route über die Museumsstraße zu nehmen, zu der es sich dank der auskragenden Obergeschoße witterungsgeschützt flanieren lässt, während man sich freut, dass es den Architekten gelungen ist, den Werbewildwuchs der im Haus ansässigen Unternehmen einzudämmen. Von der Untersicht der Auskragung abgehängte schmale Zylinder übernehmen die Funktion von Firmenschildern und beleuchten zugleich den Weg.

Während aus der Passantendistanz diese kleinen fußgängerfreundlichen Annehmlichkeiten das Gebäude sympathisch machen, ist es aus der Fernwirkung verblüffend, wie sehr sein Volumen im Weichbild der Stadt aufgeht. Das liegt einerseits natürlich daran, dass es sorgfältig in die Struktur der Stadt hineinmodelliert wurde, aber auch an der Art der Fassadengestaltung. Im Wettbewerb war noch Cortenstahl vorgesehen, um mit einem warmen Rostton die Farbtemperatur der Umgebung aufzunehmen. Vom Stahl ist man im Zuge der Planungsphase abgekommen und entschied sich schließlich für Keramik, bei der sich durch die Art der verwendeten Tone und Glasuren die gewünschte Farbigkeit sehr fein justieren lässt. Die Wahl fiel auf einen orange-braunen Ton, der je nach Witterung und Tageszeit leicht variiert.

Stark charakterbildend ist die Struktur dieser Verkleidung, deren aus drei unterschiedlich dimensionierten Kurven gebildeten Profile eigens von den Architekten entworfen wurden. Am Turm werden die Keramikstreifen nach oben schmäler, ehe eine wiederum breitere Attika als Abschluss deutlich signalisiert, dass hier keinerlei Ambition bestand, in den Himmel wachsen zu wollen. Die Keramikbänder fassen Turm und Flachbau zusammen und erhöhen so auch die hierarchische Stellung des Flachbaus, der von seiner Grundkonzeption her ein Raumangebot offeriert, das leider von den Mietern nur zum Teil genutzt wird. Einzig die Moser Holding bewies hohe Auftraggeberkompetenz. Die Räumlichkeiten des Verlagshauses wurden von den Innsbrucker Architekten Schlögl & Süß gestaltet, die es sehr gut verstanden, die vorgegebene Grundstruktur mit eingeschnittenen Atrien und hohen Erdgeschoßzonen zu nutzen.

Im Hotelturm, der schließlich nach einem Betreiberwechsel doch kein YOO-Hotel von Philipp Starck geworden ist, sondern der Designhotel-Ableger eines lokalen Traditionshotels, macht am meisten die Aussicht her. Eingelullt vom Gebirgs- und Stadtpanorama ist man milde gestimmt und bedauert gleichzeitig, dass sich die neuen Betreiber bei der Konzeption des Hotels nicht der Henke Schreieck Architekten bedienten. Es vielleicht nicht ganz das geworden, was in der Hochhausstudie mit dem Fantasiebegriff „Urbanissima“ benannt wurde – eine „schwammartige Struktur..., deren Hohlräume öffentliches Leben bis in große Höhen geradezu ansaugt“. Dafür bräuchte es entsprechende programmatische Vorgaben der Stadtplanung und einen dazu bereiten Investor. Aber es ist dennoch ein in der Stadt gut geerdetes Gebäude geworden. Wichtig ist, dass die Dachterrasse wie vorgesehen öffentlich und ohne Konsumationszwang zugänglich bleibt.

28. September 2013 Spectrum

Wohnen nach Wahl

Wohnen für jene, denen sich nicht die Frage nach „finanzierbar“ stellt, und eine neue Wohntypologie für das 21. Jahrhundert. Zwei Modelle, die Wohnbedürfnisse ernst nehmen: Vinzi-Dorf und „Wohnbau 5.0“.

Wohnen muss für alle leistbar bleiben. Wahlkampfzeit! Das Thema Wohnbau hatte also ein paar Monate Hochkonjunktur. Ja, es liegt einiges im Argen, und im Wohnbau gibt es etliche Schrauben, an denen zu drehen wäre. Zwei aus völlig unterschiedlicher Motivation entstandene Projekte von Wiener Architekturbüros zeigen auf, dass Wohnen in erster Linie bedeutet, seine – anonyme – Bauherrschaft ernst zu nehmen, aber auch, dass nicht die dicken Regelwerke die Welt besser machen.

Alexander Hagner und Ulrike Schartner vom Büro Gaupenraub bemühen sich seit Jahren darum, auf einem kirchlichen Grundstück in Wien-Hetzendorf ein Wohnprojekt für Menschen zu realisieren, denen sich nicht die Frage nach „leistbar“ stellt, sondern danach, ob sie überhaupt wohnen dürfen. Je nach Quelle divergieren die Zahlen, aber ob es nun 100 oder 700 Menschen sind, die in Wien unter Brücken oder in Abbruchhäusern dahinvegetieren – jeder ist einer zu viel.

Nach dem Vorbild des von Pfarrer Wolfgang Pucher in Graz eingerichteten Vinzi-Dorfes soll ein solches auch in Wien realisiert werden. Hagner hat sich damit auseinandergesetzt, wie eine Unterkunft beschaffen sein muss, damit Menschen, die nicht in der Lage sind, sich in die Bedingungen und Strukturen von Notschlafstellen oder Heimen einzugliedern, sich damit arrangieren können. Sie brauchen einen sicheren Rückzugsort, der ihr Bedürfnis nach Individualität erfüllt, und ein Umfeld, das Hilfe leisten kann, wenn sie notwendig ist. Er akzeptiert diese Bedürfnisse und entwickelte dafür ein taugliches Raumprogramm.

Je kleiner, umso besser, sagt Hagner und scheitert damit schon an den vorgegebenen Raumvolumina. Eine Raumhöhe von 2,20 Meter sei besser als die vorgeschriebenen 2,50 Meter, weil ein kleiner, niedriger Raum ein erster Anreiz sein kann, einen Unterschlupf aus Pappe, Ästen und Plastiksäcken zu verlassen. Jemand, der jahrelang nicht „richtig“ gewohnt hat, ist mit vielem überfordert, was Bauordnung und gesellschaftliche Konventionen vorsehen. Wichtig sei, dass es sich um einzeln stehende Module handelt, die möglichst wenig dazu zwingen, sich mit anderen auseinandersetzen zu müssen.

Nun sieht die Flächenwidmung aber für den Bauplatz eine „geschlossene Bauweise“ vor. Also wurde der Widerspruch zur raumprogrammatischen Notwendigkeit mit einem gemeinsamen Dach mit Oberlichten über den Zwischenräumen, das alle Module überspannt, gelöst. Hagner plädiert auch für sanitäre Anlagen außerhalb der Wohnzellen, damit sie gewartet werden können, ohne dass dazu jemand in die Intimsphäre der Bewohner eindringen muss. Sein Credo: Je mehr so eine Unterkunft auf die Bauordnung zugeschnitten ist, umso weniger entspricht sie dem potenziellen Bewohner. Wiederholt war das Projekt zwar von den Behörden positiv beurteilt worden, weil aber der Bezirk dagegen Einspruch erhob, landete der Fall bei der städtischen Rechtsabteilung, der offenbar nichts anderes übrig blieb, als die Baugesetzgebung zu bemühen, um gegen das (ausschließlich privat finanzierte) Projekt zu entscheiden.

„Nach sechs Jahren zeichnet sich nun ein Licht am Horizont ab“, ist Alexander Hagner froh, denn seit wenigen Tagen sieht es so aus, als würden ein paar Abänderungen im Sinn der Bauordnung ausreichen, damit das Projekt umgesetzt werden kann. Der Kompromiss tut der Baugesetzgebung Genüge, optimal für die Zielgruppe sei er aber nicht. Die praktizierten Lösungen im Wohnbau generell als nicht optimal erachtet das Architektenteam Češka Priesner Partner Architektur (ČPPA). Überwiegend sind es nur drei Modelle, die im Wohnbau der letzten 100 Jahre praktiziert wurden: das Einfamilienhaus, das Reihenhaus und der in städtischen Strukturen etablierte Geschoßwohnbau.

Als vierter Typus fand schließlich Mitte des 20. Jahrhunderts der verdichtete Flachbau seine Befürworter. Alle vier haben Nachteile – ökologisch, ökonomisch oder qualitativ. „Wohnbau 5.0“ übertitelten ČPPA daher eine umfassende Studie, die einen fünften Lösungsansatz propagiert, der die Vorteile der gängigen Typologien vereint und deren Nachteile minimiert. Während die Nachfrage nach kleinen Wohnungen mit Grünbezug parallel mit zunehmenden Singlehaushalten, Alleinerziehern oder kinderlosen Paaren steigt, stießen die Architekten beim Versuch, solche Wohnungen innerhalb eigener Siedlungen umzusetzen, immer wieder an Grenzen.

Als Ziel setzten sie sich daher die Entwicklung einer verdichteten Bauform, die überwiegend zweigeschoßig ist und damit eine relativ hohe Dichte erreichen kann, neue Grundrisslösungen für Kleinwohnungen mit Gartenbezug anbietet, die Nachteile des Reihenhauses – wie zu große Wohneinheiten und einsehbare private Freiräume – vermeidet und dank kompakter Baukörper die Baukosten verringert. Für zentrale Lagen in großstädtischen Agglomerationen ist eine derartige Siedlungsstruktur weniger geeignet. An den Stadträndern und in den ländlichen Gebieten ist es aber eine attraktive Alternative zum flächenfressenden Einfamilienhaus mit all seinen negativen Begleiterscheinungen.

Was nach der sprichwörtlichen eierlegenden Wollmilchsau klingt, ist ČPPA – vorerst auf dem Papier – tatsächlich gelungen. Anhand eines Katalogs von zehn Wohnungstypen und deren Kombinationen zeigen sie auf, dass die angepeilten Eigenschaften erfüllbar sind. Teure Tiefgaragen werden vermieden, stattdessen entstehen auf den Dächern der Parkplätze Wege, Gärten und Spielflächen. Sie entwickelten sogar einen Typus, der individuelles Wohnen in der Gruppe gestattet. Damit könnte der Kommunengedanke im geförderten Wohnbau Auferstehung feiern, realitätsnäher ist aber sein Einsatz im betreuten Wohnen, daher wurde vorsorglich darauf geachtet, dass er den Anforderungen an ein Wohnheim entspricht.

Oft genug stehen Reglements baurechtlicher oder fördertechnischer Natur und deren Auslegung einem wirtschaftlichen und zugleich humanen Wohnbaus entgegen, was auch die Erkenntnis aus dieser Studie ist. Zugleich belegt sie aber ebenso wie das Engagement von Gaupenraub, dass baukünstlerische Kreativität sich nicht in Fassadenbehübschung erschöpfen muss.

10. August 2013 Spectrum

Strengere Regeln, schönere Orte

Kann das durchorganisierte Gestaltungsregime in einer Ferienhaussiedlung zum Vorbild für den Umgang mit den Siedlungskernen werden? Hundstage in Neusiedl am See.

Seit den 1920er-Jahren ist das „Meer der Wiener“ ein Anziehungspunkt für die hitzegeplagten Städter. Nehmen wir also die Hundstage zum Anlass, den Badeausflug mit einer Nachschau in Sachen Architektur zu verbinden. Denn im Gegensatz zu Österreichs westlichstem Bundesland Vorarlberg taucht das an Fläche wenig größere Pendant im Osten eklatant seltener im Architekturfeuilleton auf.

Und während der Vorarlberger Landeshauptmann zu Beginn dieses Jahres via Presseaussendung bekannt gab, dass das Land die Arbeit des Vorarlberger Architektur Instituts mit 155.000 Euro im Jahr unterstütze und den Beitrag der Architektur zu einem attraktiven Lebensraum für die Menschen wie auch deren Rolle als touristisches Zugpferd würdigte, wird der 1993 gegründete Architekturraum Burgenland kurz gehalten. Er erhält vom Land keine Basisförderung. Finanzielle Unterstützung gibt es bloß für einzelne Projekte, wie die Organisation des Architekturpreises des Landes Burgenland, den der Verein seit 2002 biennal abwickelt. Nun ist es gewiss nicht so, dass eine höhere Zuwendung an den trotz knapper Ressourcen recht aktiven Verein automatisch den Zustand der Baukultur verbessern würde. Dieser Zustand ist aber symptomatisch für ein allgemeines politisches Desinteresse an baukulturellen Anliegen, die über Prestigebauten hinausgehen.

Lässt man die Liste der Architekturpreisträger Revue passieren, so findet sich darunter doch manches, was auch in Vorarlberg gute Figur machen würde, schließlich arbeiten auch im Burgenland gute Architekten. Die Masse und auch der Durchschnitt des neu Gebauten bewegen sich aber weit entfernt am unteren Ende der Qualitätsskala. Dabei wären bauliche Kuriositäten wie die spiegelverglaste Großbäckerei mit Kipferlportal am Ortseingang von Neusiedl am See oder die schmucke Burg beim Frauenkirchner Erlebniscampingplatz ganz locker zu verschmerzen, würde sich nicht zusehends unverschämter ein baukulturelles Elend ausbreiten, das an der Schönheit der Ortsbilder saugt wie weiland die Reblaus an den Weinstöcken. Während man sich gegen das Insekt mit resistenten Direktträgern und der Rebveredelung zu wehren wusste, mangelt es noch an Mitteln, die geeignet sind, die Ortsbilder nachhaltig vor weiterer Verschandelung zu schützen und eine qualitätsvolle Entwicklung der Siedlungsstrukturen sicherzustellen.

Das Klischee vom charakteristischen burgenländischen Ortsgefüge mit seinengiebelständigen Streckhöfen existiert eher in der Erinnerung, in der Realität ist es nur noch in wenigen Orten vorzufinden. Es fehlten über Jahrzehnte wohl das notwendige Wissen und vor allem der Wille, diese bäuerlichen Strukturen für heutige Anforderungen zu erhalten und zu adaptieren. In der Broschüre „Pannonisch Wohnen“ der Tourismusinformation findet sich eine Reihe alter Winzer- und Bauernhäuser, die als Ferienunterkünfte adaptiert wurden. Hätte sichkeine touristische Nutzung gefunden, wären sie wohl dem Verfall preisgegeben. Unter „Verlust“ zu verbuchen sind auch die Bauten aus der Anfangszeit des Badetourismus. Um das Flair von damals wiederherzustellen, das uns eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1929 vermittelt, die es gerade bei Ebay zu kaufen gibt, wären heute radikale Rück- und Neubaumaßnahmen vonnöten. Besagte Karte zeigt das Seebad Neusiedl am See, eine Anlage aus Pfahlbauten und Holzstegen, durchaus beeindruckend in der Größe. Seitdem einwandfrei designte Lokalitäten wie die an die Tradition der frühen Seebadarchitekturen anschließende Mole West in Neusiedl dem urbanen Volk wieder einen stilvollen Auftritt ermöglichen, scheint um den Neusiedler See nach den Jahrzehnten der Pusztaromantik ein frischer Wind zu wehen, der sich auch architektonisch – nicht immer zur reinen Freude der Naturschützer – niederschlägt.

So nähert sich derzeit in Neusiedl die Lagunensiedlung „Am Hafen“ der Fertigstellung, wahrscheinlich eine der letzten direkt am See möglichen Wohnbebauungen. Dass die Errichtung trotz des Welterbe-Status der Kulturlandschaft Fertö/Neusiedler See und trotz der strengen Kriterien des Naturschutzes überhaupt möglich ist, liegt daran, dass der Untergrund bereits in den 1970er-Jahren aufgeschüttet wurde. Nun ließen sich das Für und wohl noch mehr das Wider für Immobilienprojekte in den Uferzonen trefflich diskutieren, was die Entwurfskultur angeht, ist hier allerdings Beachtliches gelungen. Geplant von den Architekten der Mole West, Halbritter & Hillebrand, konstituiert sich die Siedlung aus einem dichten Gewebe unterschiedlicher ein- bis zweigeschoßiger Reihenhaustypen mit privaten Freiräumen und direktem Seezugang auf zwei Inseln und einem Streifen entlang der Seestraße.

Ein ambitioniertes Grün- und Freiraumkonzept zeugt von Bedachtnahme auf die Zwischenräume und das Umfeld. Damit die Homogenität des Siedlungsbildes gewahrt bleibt und nicht von den Eigentümern schon von vornherein oder in Hinkunftdurch eigene Gestaltungsaktivitäten verwässert wird, erarbeiteten die Architekten ein strenges Reglement, das Oberflächenmaterialien und Farben definiert und weitere Anbauten verbietet. Wie es scheint, unterwerfen sich die Siedlungsbewohner diesem Gestaltungsregime bereitwillig. Der Status der Eigentümerschaft im hochwertig gestalteten Ganzen trägt schließlich auch zum Distinktionsgewinn des Einzelnen bei. Nun stellt sich aber gleichzeitig die Frage, warum dieser Mechanismus bei den Hauseigentümern auf dem Festland nicht funktioniert beziehungsweise ob gleichermaßen strenge Regeln nicht auch dem Wildwuchs überall anders Einhalt gebieten könnten.

Es gibt zwar einen Welterbe-Gestaltungsbeirat, der Vorhaben prüft, die maßgebliche Auswirkungen „auf die räumliche, funktionelle und strukturelle Entwicklung des Welterbes und seines Erscheinungsbildes haben“, ansonsten herrscht das freie Spiel der Kräfte und Geschmäcker. Einzig Neusiedl leistet sich einen Gestaltungsbeirat. Dort wurden immerhin Spielregeln für das Bauen in der Hauptstraße aufgestellt, denen zufolge die Bauhöhe mit einem Obergeschoß limitiert wurde und Dachgaupen untersagt sind. Rein ästhetisch argumentierte Regulative greifen aber wahrscheinlich zu kurz. Es gibt wohl erst eine Chance, von einem Status des „Anything goes“ zu einem kollektiven Verständnis für das Bauen im Kontext zu gelangen, wenn auch die sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen von Zersiedelung und Verschandelung deutlich kommuniziert werden.

Die burgenländischen Siedlungsstrukturen bergen viel Potenzial für eine zeitgemäße und zugleich ensemblegerechte Weiterentwicklung innerhalb der Siedlungskerne. Dieses zu aktivieren ist ein Gebot der Stunde, wenn man das Ausfransen der Ortsränder stoppen und die Kompetenz für harmonische Gefüge nicht vollends an die Community der betuchten Ferienhausbesitzer abgeben möchte.

20. Juli 2013 Spectrum

Botanik, Bauten, Bücher

Weinviertler Kleinode, internationale Gartenkunst, Vorarlberger Architektur aus neuen Blickwinkeln – und ungebrochen aktuelle Texte von Josef Frank: die Architekturbücher der Saison.

Zu keiner Jahreszeit ist es im Weinviertel schöner als im Sommer, wenn die Luft über den Getreidefeldern flirrt und nach reifem Korn und frisch geschnittenem Stroh duftet. Mit dem neuen Architekturführer aus der vom Verein Kunstbank Ferrum und ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich herausgegebenen Serie „Architekturlandschaft Niederösterreich“ gibt es nun auch einen guten Grund, die Feriensaison zur Entdeckung architektonischer Werte im Viertel unter dem Manhartsberg zu nutzen. Die Autorinnen Theresia Hauenfels, Elke Krasny und Andrea Nussbaum stellen Bauten seit 1919 bis heute vor. Darunter befinden sich lokale Ikonen, wie die einst berüchtigte Leobendorfer Kurven-Bar, ein Tankstellen-Espresso aus dem Jahr 1960 von Johann Staber, das von den Salzburger Architekten Axel Hupfauer und Simon Speigner inklusive originalem Terrazzoboden in die Gegenwart gerettet wurde und ein Anlass ist, sich dem Weinviertel zu nähern. Selbst Kenner der Region assoziieren mit Baukunst im Weinviertel wohl zuallererst die anonyme Architektur der Kellergassen und Kleindenkmäler.

Die Ausbeute an architektonischen Attraktionen hält sich durch die dörflich-kleinstädtische Struktur der einkommensschwachen Gegend tatsächlich in Grenzen. Die Freilichtbühne von the next Enterprise in Grafenegg hat geradezu ein Alleinstellungsmerkmal. Gleich viel Raum widmen die Autorinnen regionstypischen Zweckbauten wie dem mächtigen Getreidespeicher an der Korneuburger Donaulände oder den zahlreichen Kunstinterventionen im öffentlichen Raum. Eine Entdeckungsreise sei jedenfalls dringend empfohlen, auch um dem baukulturellen Bewusstsein in der Region auf die Sprünge zu helfen, dessen Mangel sich zusehends an den zersiedelten Ortsrändern und den wuchernden Gewerbegebieten abzeichnet. Sachkundig und kritisch tragen Essays zur Ressource Landschaft und ihrer Zerstörung (Dominik Scheuch), über die Transformation durch den Erdölabbau (Gerhard A. Stadler), die Bezüge zu den Nachbarregionen (Michael Stavarič, Henrietta Moravčíková) sowie ein Gespräch mit dem Lehmbauexperten Andreas Breuss zum Verständnis der Landschaft und des Bauens im Weinviertels bei.

Wen es über die Botanik des Weinviertels hinauszieht, dem sei als Vademekum das Buch „Der Garten als Wissensraum“ ans Herz gelegt, mit dem die Landschaftsarchitektin Karin Standler zu einer Reise zu den Gärten der botanischen Sammlungen in Europa einlädt. Aus 140 recherchierten Beispielen hat die Autorin auch nach architektonischen und gestalterischen Kriterien ein Best-of von 22 Sammlungsgärten zusammengestellt, darunter einige wohlbekannte wie Kew Gardens in London oder der moderne Jardí Botànic in Barcelona und mehrere viel weniger im touristischen Fokus stehende, wie die botanischen Gärten von Breslau, Zagreb oder Gießen. Allesamt sind sie Orte des Wissens ebenso wie des Experiments, aber auch der Rekreation und Inspiration. Städtebaulich relevant sind sie allein durch ihre Größe, oft waren sie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung integraler Bestandteil urbanistischer Konzepte. Ein übersichtliches Buch, Text und Bilder in angenehmer Balance, das Lust macht, sich in die Materie zu vertiefen.

Karin Standler zeichnet auch für die Herausgabe des Katalogs „Best Private Plots – Die besten Gärten 2012“ verantwortlich, der anlässlich des gleichnamigen, von ihr initiierten und vom Land Niederösterreich ermöglichten international ausgelobten Preises erscheint. Rund 30 herausragende grüne Refugien aus aller Welt werden vorgestellt – vom Minigarten im Fastfood-Karton über Gemeinschaftsgärten bis zu eleganten Privatparks und Land-Art-Projekten. Einleitende Essays der Juroren betrachten unterschiedliche Aspekte von Gartenarchitektur und liefern nicht nur Ideen für den eigenen Garten jeglichen Maßstabs, sondern erinnern daran, dass auf den hiesigen Freiräumen viel Potenzial zu heben wäre.

Im Gegensatz zu Niederösterreich ist in Vorarlberg Architektur längst ein touristisches Zugpferd. Neue Blickwinkel aus soziologisch-ethnografischer Sicht steuert der Architekt und Architektursoziologe Günther Prechter bei. „Architektur als soziale Praxis – Akteure zeitgenössischer Baukulturen: Das Beispiel Vorarlberg“ heißt das jüngst erschienene Buch. Dass der Band außer dem Titelbild ohne Illustrationen auskommt, ist schon das erste Indiz, dass es sich um kein Architekturbuch handelt. Dennoch eröffnet es für alle an den Bedingungen zur Entstehung von Baukultur Interessierten aufschlussreiche Aspekte. Mit 16 Personen – Bauherren, Gemeindevertretern und Architekten – führte Prechter Interviews, die sich in Zitatform im Buch wiederfinden.

Diese „Zeugenaussagen“ vermitteln am besten die Atmosphäre, in der sich das, was gern als „Vorarlberger Architekturwunder“ betitelt wird, zusammenbrauen konnte. Gern würde man sie zur Gänze lesen oder hören, doch ist das Werk überkomplett. Denn während das Inhaltsverzeichnis mit schlicht übertitelten Hauptkapiteln Klarheit und Übersichtlichkeit suggeriert, ist es aufgrund der detaillierten Informationen leider lesetechnisch kaum in den Griff zu bekommen. Die zahlreichen Fußnoten nehmen gelegentlich halbe Seiten und mehr ein. Es ist jedenfalls einen Versuch wert, sich mit dem Buch ins Ländle zu begeben. Vermutlich gelingt es im Bregenzerwald leichter als in der Wiener Innenstadt, sich bei diesem achtbaren Werk den richtigen Lesefluss zu erarbeiten.

Gar nicht mühevoll hingegen ist die Lektüre eines Beitrags zur österreichischen Architekturbuchlandschaft. Tano Bojankin, Christopher Long und „Spectrum“-Autorin Iris Meder fassten alle auffindbaren veröffentlichten Texte von Josef Frank (*1885 Wien; + 1967 Stockholm) in einem zweibändigen Kompendium zusammen und machen das umfangreiche schriftliche Oeuvre des international anerkannten Architekten nun auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Dass das von Peter Duniecki gestaltete Werk auch bibliophile Interessen befriedigt, ist eine geradezu luxuriöse Draufgabe, denn allein die ungebrochene Aktualität von Franks kulturkritischen, oft auch witzigen und bissigen Texten ist wertvolle Stimulans zum klärenden Nachdenken über Architektur.

15. Juni 2013 Spectrum

Platte mit Präsenz

Aufgestockt und frisch eingefärbt, mutiert ein Studentenheim zum trendigen Hotel und ein tristes Eck zu einer pointierten Setzung in der Stadt: Wiens „25hours Hotel“ am Weghuberpark – eine Visite.

Anton Wildgans beschreibt 1928 in „Musik der Kindheit“ den heute als Zweierlinie bekannten Straßenzug von Museumstraße und Auerspergstraße, der zur Entlastung der Ringstraße vom Güterverkehr angelegt war und folglich Lastenstraße genannt wurde, als „Zeile der Lebendigen und Toten“. Er berichtet „vom ewig fließenden Strom des Verkehres“, der schweren Fuhrwerke, von den kaiserlichen Garden, die über die Lastenstraße zum Dienst in der Hofburg antraten, und von Trauerkondukten, die auf dieser „Heerstraße, Landstraße und dennoch Großstadtstraße“ vorbeizogen.

Wenn auch heute das Geschehen dort weniger pompös abläuft – die Mischung von Prunk und Banalität, die Wildgans in seinen Kindheitserinnerungen schildert, ist um den Weghuberpark, wo dem Dichter später ein Denkmal gesetzt wurde, immer noch nachvollziehbar. Auch eine gewisse Unwirtlichkeit ist in diesem Bereich spürbar: Dagegen richten weder die beiden Palais – das Trautson im Süden des Parks und nördlich davon das Auersperg – noch die Grünflächen viel aus, sofern man sich nicht in oder auf ihnen aufhält. Schräg gegenüber vom Weghuberpark mündet der Schmerlingplatz, den Camillo Sitte schon als „unrhythmische Stelle“ kritisiert hat, in die Auerspergstraße. Wenn der erste Bezirk ein Hintaus hat, dann liegt es hier.

Tritt man in die Lerchenfelder Straße ein, sind es nicht die Palais, die einem den Empfang bereiten, sondern Bauten, wie sie nüchterner kaum sein könnten. Rechter Hand wird im Anschluss an das Palais Auersperg das aus den frühen 1980ern stammende Amtshaus der Stadt Wien immer grauer. Vis-à-vis bot bis vor Kurzem das Ende der 1960er erbaute Studentenwohnheim einen kaum attraktiveren Auftakt, was gar nicht an der grundsätzlichen Qualität des von KurtSchlauss geplanten Gebäudes lag, sondern eher daran, dass es nicht ausreichend dominant den Beginn der Zeile besetzte.

In Betrieb ging das Haus 1969 nicht als Studentenwohnheim, sondern als Bürogebäude der Unido, die es bis zur Fertigstellung der UNO-City nutzte. Nach der Übersiedlung der UN-Organisation in die Donaustadt wurden die von Anfang an in jedem Zimmer vorgesehenen Badezimmer nachgerüstet und wurde das Haus seinem ursprünglichen Zweck übergeben, den es bis zum Sommer 2011 behielt. Damals thronte schon etliche Monate eine mittels parkseitig angebautem Liftturm erschlossene Glasbox über dem sechsstöckigen Stahlbetonbau, in der Hotelsuiten und eine Bar die Transformation des Hauses in ein Hotel ankündigten.

Verantwortet wird der Umbau von den Wiener BWM-Architekten, die vom Bauträger Jelitzka und Partner ab 2007 ins Boot geholt wurden, das Studentenheim zu einem Bürohaus umzubauen, ehe die Finanzkrise eine Hotelnutzung als lukrativere Option erscheinen ließ. Ein weiser Entschluss, wie sich im Nachhinein zeigt: Der Laden brummt. Was hat aber nun diese Umgestaltung abseits des wirtschaftlichen Erfolges von Besitzer und Pächter für das Gebäude und sein Umfeld in architektonischer und städtebaulicher Hinsicht gebracht? Aufbauten können den darunterliegenden Bestand ebenso arg beeinträchtigen wie das Stadtbild, wie uns der Wildwuchs an Aufstockungen mittlerweile in allen inneren Stadtbezirken vor Augen führt. Zudem sind gestalterisch gelungene Adaptierungen von Bauten der 1960er und 1970er eine Rarität. Deren strukturelle Qualitäten verschwinden beim Versuch, die Gebäude bauphysikalisch auf heutige Standards zu bringen meist hinter fetten Vollwärmeschutzfassaden. Energetisch mag das Vorteile bringen, ästhetisch sicher nicht.

Die BWM-Architekten waren sich dieser Gefahren bewusst und hatten sich neben diesen Herausforderungen auch noch mit einer sehr speziellen Baustellenlogistik zu arrangieren. Denn während das Studentenheim noch in Vollbetrieb war, galt es, den neuen dreigeschoßigen Aufbau zu errichten. Nach Auszug der Studierenden erfolgte dann die Adaptierung der bestehenden Substanz. Und die zeigte viele Qualitäten sowohl in der Gestaltung der Details als auch in der Raumökonomie. Kurt Schlauss hat das Gebäude durchaus zukunftsfähig konzipiert, meinen die Architekten, und daher war es – bei allen aus heutiger Sicht bauphysikalischen und schalltechnischen Makeln – sehr gut zu einem neuen Leben zu erwecken.

Sein größter Mangel, so Markus Kaplan –Partner der Bürogründer Erich Bernard, Johann Moser und Daniela Walten –, war, dass es städtebaulich zu defensiv war. Die Aufstockung verleiht ihm nun die notwendige Höhe, um mit der Umgebung in Dialog treten zu können. Mit dem gläsernen Aufbau wird das System des Bestandes weitergestrickt. Der Rücksprung wird zur Fuge, und obenauf dockt in neuer Materialsprache, aber ähnlicher Gelassenheit der neue Quader an, dessen oberstes Geschoß – eine Dachbar – wiederum zurückspringt. Die großartige Aussicht wurde medial bereits ausgiebig gewürdigt. Ebenso das sich um das Thema „Zirkus“ drehende Gestaltungskonzept, das die „25hours Hotel Company“ beim Augsburger Interiordesign-Büro Dreimeta beauftragt hat.

Kümmern wir uns lieber um die Gebäudehülle. Denn während innen radikal entkernt wurde, blieb an der Fassade das meiste beim Alten, auch wenn sie gründlich überabeitet wurde. „Von Anfang an war klar, dass der Waschbeton erhalten bleiben muss“, betont Erich Bernard. Also wurde innen gedämmt und außen nur lasiert. Die schwarze Farbschicht, die einheitlich über die Platten und Fugen gelegt wurde, unterstützt die Sichtbarkeit des Gebäudes im Stadtbild bedeutend. Die alten Fenster mussten ersetzt werden, keines der heutigen Produkte konnte mit den fein detaillierten alten Profilen mithalten, denn mag man es gut gedämmt, muss man statt der zarten Optik im besten Fall eine vollschlanke in Kauf nehmen. Eine Sonderanfertigung ließ das Budget nicht zu. Also baute man die neuen schwarzen Fensterrahmen so hinter der Betonfassade ein, dass die Proportion der Fassade gewahrt blieb.

An der Kante zur südlichen Seitenfassade endet das Schwarz, was nicht inkonsequent ist, sondern dazu beiträgt, dass sich das aufgemöbelte Gebäude gut mit dem Komplex des dahinterliegenden Mechitaristenklosters verwebt. Zur Öffentlichkeit hin pointiert in der Gestik, zur hochkarätigen Nachbarschaft hin respektvoll. Was der Bestand nicht so recht einzulösen vermochte, ist nun in seiner Überarbeitung gelungen.

4. Mai 2013 Spectrum

Eintritt in eine andere Welt

Wohnatmosphäre statt Krankenhausgeruch lautet heute die Devise bei den Pflegeheimen. Im Pflegewohnhaus Wien-Liesing ist sie besonders nobel ausgefallen.

Die Bewohner und Bewohnerinnen hätten sich sofort zu Hause gefühlt, erzählen die Pflegefachleute fast überrascht darüber, dass sich ihre betagten Schützlinge so rasch eingelebt haben. Schließlich sagt man älteren Menschen gemeinhin nach, nicht veränderungsfreudig zu sein. Das ist vermutlich sowieso ein Vorurteil, im Falle der Bewohnerschaft des Pflegewohnhauses Liesing aber gar kein so großes Wunder. Das alte Geriatriezentrum, aus dem sie vor wenigen Wochen hierher übersiedelten, bot wahrlich kein besonders behagliches Ambiente.

Der Schlosspark Liesing ist einer der traditionsreichsten Standorte der kommunalen Wiener Altenpflege. Bestehend aus einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert und dem 1878 nebenan errichteten „Versorgungsgebäude“ war – wie auch bei den anderen aus der Monarchie stammenden Pflegeheimen – die Zeit für einen Neubau überreif. Eine wohnliche Atmosphäre, die möglichst die vorhandene Maschinerie der Krankenhausinfrastruktur in den Hintergrund drängt, war auch hier eine Grundanforderung.
Weitere Anforderungen waren die Errichtung von überwiegend Einzelzimmern, Doppelzimmer nur für Paare und für jedes davon eine Loggia, die so barrierefrei ausgebildet sein muss, dass die Schwelle auch mit Pflegebetten leicht zu überwinden ist.

Die Arbeitsgemeinschaft bestehend aus dem Dornbirner Architekten Johannes Kaufmann und den Riepl Riepl Architekten aus Linz, die bereits bei Pflegeheimen in Dornbirn und Frankenmarkt kooperierten, hat den EU-weit ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen. Im Team mit dem vormaligen Mitarbeiter und Projektleiter Daniel Bammer firmieren sie mittlerweile unter Riepl Kaufmann Bammer Architektur auch in Wien.

Ihr Konzept zielt darauf ab, die Qualitäten der Parklage mit jenen der lebendigen Umgebung nächst dem Liesinger Bahnhof zu verknüpfen. Indem sie den Neubau als kompaktes Karree mit großen Innenhöfen entlang der Haeckelstraße anordnen, spielen sie Flächen für eine großzügige Parklandschaft um das Schloss frei und organisieren zugleich das Areal neu, in das nun auch das bestehende Parkbad im Süden des Geländes eingebunden werden kann. Der Pflegeheimtrakt aus dem Jahr 1878 wird abgerissen.

Der Neubau gewährt viele Schnittstellen und Durchdringungen zwischen Park und Pflegewohnhaus. Schon die Vorzone an der Straße ist landschaftsplanerisch gestaltet. Parkseitig blieb das verglaste Erdgeschoß etwa zur Hälfte zum von den 3:0 Landschaftsarchitekten sehr erlesen gestalteten Garten hin frei. Damit wurde unter dem Gebäude hindurch ein gefühltes und tatsächliches Freiraumkontinuum vom Vorplatz über die Höfe mit altem Baumbestand bis in den öffentlichen Park geschaffen.

Im Grundriss mag das Gebäudekonzept nüchtern erscheinen, und man konnte sich vom Plan weg gar nicht so leicht vorstellen, dass innerhalb dieser pragmatischen Geradlinigkeit tatsächlich ein wohnliches Milieu entstehen könnte. Nun, fertiggestellt und bewohnt, erweist es sich nicht zuletzt durch die sorgfältige und handwerklich präzise ausgeführte Materialisierung enorm behaglich und von einer Hochwertigkeit, die Wertschätzung gegenüber jenen, die dort wohnen und arbeiten, ausdrückt.

Die Fassadenverkleidung aus Messingtrapezlochblech erdet das Gebäude farblich in der Parklandschaft und bildet zudem für die benachbarte Bebauung aus der Zeit um 1900 ein wertiges Gegenüber. Das Material setzt sich im Erdgeschoß als Deckenverkleidung fort. In Kombination mit dem Bodenbelag aus schwarz-weißem Terrazzo mit einer Gesteinskörnung aus Carrara-Marmor, der sich in Form der Treppen nach oben fortsetzt, und den mit Ulmenfurnier belegten Wandverkleidungen wurde ein elegantes, einladendes Ambiente geschaffen. In den drei Obergeschoßen des Karrees sind jeweils vier l-förmige Pflegewohnbereiche angesiedelt.

Zwei gläserne Spangen, die den internen Freibereich in drei Höfe unterteilen, sorgen für kurze Wege innerhalb der Geschoße. Zudem ermöglichen sie Rundgänge, die jeweils über zwei Pflegewohnbereiche – so werden die Stationen jetzt genannt – führen. Die Orientierung innerhalb wird durch subtile Maßnahmen unterstützt: Alle Gänge führen zum Tageslicht. Die abgehängten quadratischen Leuchten in den Tagräumen wurden in den Gangbereich erweitert und zeigen so schon von Weitem die Lage der Gemeinschaftsflächen an. In die Gänge wurden die nach Station unterschiedlich farbigen Zimmerböden unter den Türen ein Stück hinausgezogen und dienen nun ebenso als dezente Markierungen wie die im Bereich der Türdrücker mit einem dunklerem Nussholzstreifen versehenen Eichenportale der Zimmer.

Die Doppelzimmer sind paarweise zueinander gespiegelt nach Norden angeordnet und teilen sich jeweils eine Loggia. Die Einzelzimmer sind auf durchlaufende, mit Paravents voneinander abgeschotteten Balkonbändern zum Park oder Hof hin orientiert. Messingverkleidete Schiebepaneele, trotz massiver Optik erstaunlich leicht zu bedienen, gestatten die individuelle Beschattung der Freiräume.

Dass den Menschen der Umzug leichtfiel, liegt gewiss auch an Bele Marx und Gilles Mussard. Die beiden haben über viele Monate lang die alten Leute besucht, mit ihnen gekocht und auf diese Weise viel über die verschiedenen Lebensgeschichten und Sorgen erfahren. Auf etlichen Glasflächen sind die Ergebnisse dieser gegenseitig bereichernden Besuche sichtbar. „Wisst ihr, ich habe Sternenstaub auf mich rieseln lassen.“ Die Buchstaben dieses Zitats eines Bewohners bilden das nach Art eines Kaleidoskops strukturierte Muster, das am Eingang zum Sinnbild für den Eintritt in eine andere Welt wird, während das Buchstabengewirr zur Metapher für das Innenleben der Menschenwird.

Im Vorraum des Andachtsraumes schaffen sie mit einem kaleidoskopartigen Rapport einer Häkelarbeit aus der Ergotherapiegruppe eine ruhige Atmosphäre von heiterer Grundstimmung. Der Andachtsraum selbst liegt als holzverkleidete Schatulle unter dem aufgeständerten Gartentrakt. Innen mit Holzboden und gestockten Sichtbetonwänden ausgestattet, strahlt er eine erdige Ruhe aus. Die Künstlerin Svenja Deininger verlieh ihm mit einem strahlend weißen Faltobjekt, einer Textilarbeit und einem schlanken Holzkörper Akzente, die eine sakrale Ausstrahlung unterstützen.

Ein schöner Ort ist das. Und er könnte auch jenen einmal gefallen, die jetzt gern zu Zumthor baden gehen oder in Hotels von Nouvel logieren.

23. März 2013 Spectrum

Vom AzW zum AmÖ?

Das Architekturzentrum Wien präsentiert Teile seiner Archivbestände in einer Ausstellung: „Das Gold des AzW“ – ein starkes Argument für ein österreichisches Architekturmuseum.

Kennen Sie Rolf Geyling? In Wien plante der aus einer Glasmalerfamilie stammende Wagner-Schüler Remisen und Wartehallen für die Städtischen Verkehrsbetriebe, gründete danach eine Fertigteilfabrik in Bukarest. 1920 floh er aus russischer Kriegsgefangenschaft nach China, wo er zu einem der „wichtigsten Vertreter der europäischen modernen Architektur in der 1.Hälfte des 20. Jahrhunderts“ wurde. Quelle: das online frei verfügbare Architektenlexikon des Architekturzentrum Wien (AzW). Exzellent recherchiert entwickelte es sich seit 2005 zum wichtigsten Nachschlagewerk über die österreichischen Architekten aus der Zeit zwischen 1770 und 1945. Viel darin enthaltenes Detailwissen wird gespeist aus den Nachlässen, die das AzW sammelt, archiviert und aufarbeitet. Zusammen mit Vorlässen noch lebender Architekten, dem Achleitner-Archiv und über die Jahre zusammengetragenen Einzelobjekten bilden sie die Sammlung des AzW. Mangels entsprechender Möglichkeiten in Wien lagern Tausende Pläne, Zeichnungen, Modelle und Dokumente aus über 50 Vor- und Nachlässen in Möllersdorf.

Zum 20-jährigen Bestandsjubiläum der Institution wird ein Teil der Schätze nun erstmals der Öffentlichkeit unter dem Titel „Das Gold des AzW“ in einer Ausstellung präsentiert. Selbst für Zeitgenossen, die über die wissenschaftliche Arbeit des AzW informiert sind, tun sich bislang ungeahnte Weiten eines kulturhistorischen Universums auf. „Etwas vollmundig“ nennt die Architekturplattform baunetz.de den Ausstellungstitel, wohl ohne sich um tieferen Einblick bemüht zu haben. Denn auch wenn man sich im AzW nicht an Glanz und materiellem Wert von Schaustücken aus Edelmetall delektieren kann, macht die Ausstellung erstmals physisch spürbar deutlich, wie hochkarätig die Sammlung und wie umfassend und ambitioniert die wissenschaftliche Arbeit seiner Mitarbeiter ist.

Das Team der BWM-Architekten zeichnet für die Gestaltung der Schau verantwortlich, die ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf die Exponate, sondern auch auf den Vorgang des Sammelns und Archivierens lenkt. Ein Archiv ist mehr als die Summe der Objekte, so der federführende Ausstellungsgestalter Johann Moser, und deshalb war es BWM wichtig, auch die Arbeit, die dahintersteckt, vorzustellen. Monika Platzer, Sammlungsleiterin, und mit Sonja Pisarik, Katrin Stingl und Ute Waditschatka eine der Kuratorinnen der Ausstellung, weiß von abenteuerlichen Rettungsaktionen zu berichten: etwa als man in letzter Minute, als schon die Bagger den Abriss der „Stadt des Kindes“ vorbereiteten, die Fotografin Pez Hejduk losschickte, das Baudenkmal fotografisch zu dokumentieren, und das Team des AzW noch Einrichtungsgegenstände rettete. Oder von Nachlassübernahmen, die mit Schutzkleidung ausgerüstet vonstatten gingen, um sich vor den Schimmelpilzen zu schützen, der sich über Jahrzehnte zwischen Plandokumenten ausgebreitet hatte.

Ein großes Metallregal, das fast die gesamte Länge der Alten Halle des AzW einnimmt, wurde an einer Seite in Form abstrahierter Archivschränke gestaltet, die einen Überblick über die Sammlungsbestände geben. In Auszügen und Laden werden mittels Videos, Fotos und Einzelobjekten einige besonders eindrucksvolle Akquisitionshistorien erzählt. An der Rückseite werden thematisch gegliedert und in Petersburger Hängung Zeichnungen, Pläne und Modelle aus der Sammlung präsentiert. Die Objekte unterschiedlicher Autoren beginnen miteinander zu kommunizieren, liefern Parallelen und Querverweise und eine Übersicht über die Fülle der Sammlung.

Die gelieferten Impressionen und Informationen sollten genügen, um zu verstehen, warum das AzW schleunigst mit mehr Raum und mehr Geld ausgestattet werden muss, um seinem Selbstverständnis als nationalem Architekturmuseum nachzukommen. An keinem anderen Ort wird mit dieser Expertise und in diesem Ausmaß zur Architektur des 20. Jahrhunderts gearbeitet. Architekturvermittlung ist seit etlichen Jahren in aller Munde. Es lässt sich aber nur vermitteln, was man weiß. Neben dem Ausstellungs-, Vortrags, Exkursions- und Diskussionsprogramm hat das AzW in den vergangenen Jahren an die 500 Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in seinen Räumlichkeiten abgehalten. Diese nicht hoch genug zu schätzende Arbeit stand bisher mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit als das, was im Hintergrund geschah und von vielleicht noch eminenterer Bedeutung für das baukulturelle Wissen und Gewissen unseres Landes ist.

Um die Sammlung öffentlich zugänglich zu machen, fordert das AzW seit Jahren neue Räumlichkeiten und mehr Budget. Die Begehrlichkeiten nach dem derzeit von der Akademie der bildenden Künste genutzten Semperdepot sind bekannt – solange die Akademie nicht ausziehen will, aber fern der Erfüllung. AzW-Geschäftsführerin Karin Lux beziffert den Raumbedarf mit rund 9.000 Quadratmetern und das notwendige Programmbudget mit 5,5 bis 6,5 Millionen Euro. Vom derzeitigen, seit 2001 stagnierenden Gesamtbudget von 2,8 Millionen kommen 1,45 Millionen Euro von der Stadt Wien und beschämende 360.000 vom Bund.

An eine Aufarbeitung, Präsentation und Publikation der Nach- und Vorlässe, etwa von Raimund Abraham, Wilhelm Holzbauer, Josef Lackner, Eva und Karl Mang, Anton Schweighofer, Heinz Tesar, Rudolf Wäger, Traude und Wolfgang Windbrechtinger oder dem Architekturpublizisten Walter Zschokke, ist dabei nicht zu denken. Monika Platzer träumt neben mehr Raum und Geld auch von Stipendien, die Wissenschaftlern aus dem Ausland die Arbeit zur österreichischen Architektur überhaupt ermöglichen. Denn erst, wenn ein Werk wissenschaftlich untersucht ist und publiziert wurde, hat es eine Chance auf Wertschätzung. Diese ist für die Architektur nach Otto Wagner hierzulande unterentwickelt. Möge die Gold-Schau mit ihrem Begleitprogramm dazu beitragen, dass diese Schätze irgendwann dauerhaft adäquat präsentiert werden können. Es wäre kein Schaden für Stadt und Republik, wenn das AzW nach 20 Jahren zum AmW oder gar zum AmÖ, einem Architekturmuseum Österreichs, mutierte.

22. Februar 2013 Spectrum

Zubau mit Folgen

Wien-Döbling: Wenn schnelle Lösungen auf den Tisch sollen, wird auf die Qualität oft vergessen. Es geht aber auch anders: Lokalaugenschein in der Ferstel-Volksschule.

Viele der Wiener Volksschulen stammen aus der Gründerzeit. Für ihre Qualität spricht, dass sie mehr als ein Jahrhundert lang Potenzial für Anpassungen geboten haben, auch wenn die Veränderungen selten das gleiche baukulturelle Niveau der Bestandsbauten erreichten. Evident ist, dass die Gebäude sich nicht in dem Ausmaß verändert haben wie die pädagogischen Konzepte. Der Ausbau der Nachmittagsbetreuung, ganztägige Schulkonzepte und neue Unterrichtsformen erfordern zusätzliche Räumlichkeiten, die es in vielen Schulen schlichtweg nicht gibt. Die Volksschule Mannagettagasse im 19. Bezirk wurde inden Jahren 1871/72, als Grinzing noch eine eigenständige Gemeinde war, errichtet. Geplant hat die unweit von seiner Villa in der Himmelstraße gelegene Schule der Ringstraßenarchitekt Heinrich Ferstel im Stil einer der damals ländlichen Umgebung entsprechenden typischen Dorfschule. Man spürt die Bemühungen des Personals, das Haus für die Kinder zu pflegen und hübsch zu gestalten, was aber im Inneren nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass es die Stadt viele Jahre lang versäumt hat, das Baudenkmal als solches zu behandeln.

Rechtzeitig zum heurigen Schuleinschreibungstermin haben für die Ferstel-Schule dank einer Erweiterung durch die Architekten Runser und Prantl wieder bessere Zeiten begonnen. Ehe die Sanierung des Bestands in Angriff genommen wird, fügten sie einen Zubau mit vier Volksschulklassen, einer Vorschul- und einer Freizeitklasse sowie entsprechenden Nebenräumen hinzu. Nach einem 2011 bezogenen Zubau in Holzbauweise von Architekt Michael Schluder in der Prückelmayergasse ist die Grinzinger Schule die zweite in Wien, die sich freuen darf, dass Holz statt Blech zum Einsatz kam. Denn ansonsten ist es Praxis, sich bei schulischer Raumnot mit Containern zu behelfen, denen man den verschleiernden Titel Mobilklassen gegeben hat. Es versteht sich fast von selbst, dass der Holzbau damit konkurrenzfähig sein musste. Nun sind Runser und Prantl als sehr akribisch auf exakt ausgeführte Details achtende Architekten bekannt. Kann das bei einem Schulgebäude, bei dem unterschiedliche Magistrate, die Nutzer und vor allem das Zeit- und Kostenkorsett den Architekten das Leben schwer machen, gut gehen? Ja, es kann und ist ein Segen, dass gerade hier, wo die Umstände zur Rationalität drängten, Planer engagiert wurden, die genug Energie haben, sich für scheinbare Kleinigkeiten einzusetzen und zugleich bedachten, auch Probleme des Altbestandes zu lösen.

Sie stellten den zweistöckigen Neubau in Distanz zum Bestand auf das gleiche Niveau wie jenes des Altbau-Erdgeschoßes und deckten den Weg dazwischen mit einem Flugdach, das im Zuge der Bestandssanierung zu einer gedeckten Brücke aufgerüstet werden kann. So erreichen sie auf beiden Ebenen eine barrierefreie Verknüpfung. Da das alte Gebäude sowohl von der Straßenseite als auch vom Garten bisher nur über Treppen zugänglich war, schufen sie mit einem Garteneingang und einer entsprechenden Wegführung einen stufenfreien Zugang. Sobald die Brücke, die mit möglichst geringfügiger Beeinträchtigung des Altbaus an denselben über bestehende Fensteröffnungen angeschlossen werden soll, errichtet ist, kann die Schule als einheitlicher Gebäudeorganismus genutzt werden. Währendin den gängigen Containerbauten eineRaumhöhe von 2,50 Metern vorgegeben ist, konnten hier dank der Vorgaben des Bestandes drei Meter realisiert werden. Die Stellung des neuen Bauteils nimmt Rücksicht darauf, dass viel Gartenfläche erhalten bleibt. Durch die Überdachung und die Gestaltung des Übergangs zwischen den beiden Freiraumniveaus entlang der neuen Wegführung mit einer flachen kleinen Treppenanlage entstand ein Freiraumangebot, das auch bei schlechter Witterung für Pausen im Freien nutzbar ist.

Die Konstruktion des neuen Schultraktes wurde in vorgefertigten Teilen Brettschichtholz gelöst. Innerhalb von vier Tagen war der Rohbau aus Holz montiert. Die Fassade wurde mit anthrazitfarbenen Faserzementplatten verkleidet, der eine ähnliche Anmutung hat wie alter Dachschiefer und so auch in der Farbsprache eine Verbindung zum Altbestand herstellt. Die Holzwände blieben innen dort, wo weder Schall- noch Brandschutzanforderungen eine zusätzliche Beplankung erforderten, sichtbar. Sie sind weißlasiert, und die durchschimmernde Holzmaserung sorgt für eine feine Atmosphäre. Es gab keinen Spielraum für Extravaganzen.

Dass die Schule dennoch als angenehmer Ort empfunden wird, hat damit zu tun, dass die Architekten nichts dem Zufall überließen und in einigen Detailfragen beharrlich blieben. So durften die Klassentüren nureine Öffnung von 90 mal 200 Zentimetern haben. Um eine spätere Aufweitung nicht von vornherein unmöglich zu machen, sahen die Architekten breitere Löcher in den Wandscheiben vor, in die sie Portalnischen setzten, die nun eben den vorschriftsmäßigen Türflügel enthalten, deren geschlossene Seitenteile aber leicht entfernbar wären und durch breitere Türen oder transparente Teile ersetzt werden können. Dass die Schränke in den Klassenzimmern auf die Höhe dieser Türelemente abgestimmt sind, ist Ehrensache. Ansonsten gab es in Hinblick auf die Möblierung wenig Gestaltungsfreiheit. Was als lächerliche Marginalie erscheinen mag, trägt gerade an einem Gebäude, von dem die Bauherren nicht mehr als die Erfüllung eines in Kosten, Kubatur und Termine gezwängten Bedarfs verlangen, dazu bei, dass die Zwänge nicht an allen Ecken und Enden spürbar sind.

Viel ist von Nachhaltigkeit die Rede; meist ist damit nur die Ökobilanz eines Gebäudes gemeint. Gerade bei Schulen sollte – wie Runser und Prantl es machten – auch auf so etwas wie eine gestalterisch-pädagogische Nachhaltigkeit geachtet werden. Immer wieder berichten Lehrerinnen, die mit ihren Klassen aus alten Räumen in neue (Holz-)bauten übersiedeln, dass die Kinder ausgeglichener seien. Hat irgendjemand bereits untersucht, ob Kinder, die in gut ausgestatteten, gesunden und inspirierenden Räumen ihren Schulalltag verbringen, nachweislich bessere Ergebnisse bei den Leistungsfeststellungstests erbringen?

12. Januar 2013 Spectrum

Wer hat Angst vor der Kunst?

Interventionen gegen die visuelle Verschmutzung der Stadt: Unter der Erde präsentiert sich Wiens öffentlicher Raum urbaner als darüber. Eine Reise durch den Untergrund.

Blumentöpfe von rustikal bisgrellpink, Leuchtplakate, Schanigartenumrandungen, die Hüttendörfer der Saison und dieEventkultur besetzen die Zwischenräume der Stadt längst in einem Ausmaß, das körperlichen Schmerz bereitet. Sie behindern den fußläufigen Verkehrsfluss und machen aus Flaneuren Hindernisläufer. Die visuelle Verschmutzung macht selbst vor den schönsten Ecken der Stadt nicht halt und verschluckt sie wie eine Riesenkrake, die alles frisst, wovon sie nicht gefressen wird.

Sie hätte noch nie zuvor gesehen, wie der Rathausplatz wirklich aussieht, meinte eine Elfjährige irgendwann im Herbst, als uns ein glücklicher Zufall just an dem Tag (zu der Stunde?) zum Rathaus führte, als davor nicht nur nichts stattfand, sondern nicht einmal der Aufbau für die nächste Veranstaltung im Gang war. Wie wäre es, den leeren Platz ins Veranstaltungsprogramm aufzunehmen, damit die Kinder dieser Stadt ihn einmal im Leben gezielt frei von den Verlockungen des Konsums erleben können?

Wie erfreulich gestaltet sich hingegen neuerdings eine Reise durch den Untergrund! Ja, gewiss: Das sogenannte „Station Branding“, mit dem der Plakatier-Platzhirsch Gewista in stark frequentierten Stationen „unterirdische Werbewelten inszeniert“, quält, auch wenn es viele Zeitgenossen für einen Ausdruck von Urbanität halten. Wenigstens sind die Projekte zeitlich begrenzt. Berechtigte Hoffnung auf dauerhafte Werbefreiheit besteht jedoch dort, wo künstlerische Interventionen die unterirdischen Räume besetzen und wo Wien sich weltstädtischer präsentiert, als man es gewohnt ist.

Seit einigen Jahren kooperieren sowohl die Wiener Linien als auch die für Brückenbau und Grundbau zuständige Magistratsabteilung 29 mit der städtischen Förderungsorganisation KÖR (Kunst im öffentlichen Raum GmbH). Seit 2004 ist dort die Kunst für den öffentlichen Raum der Hauptstadt institutionalisiert und damit auch der Wildwuchs an Gefälligkeitsaufträgen für Kunstprojekte in der Stadt etwas eingedämmt. 130 Projekte wurden in diesen Jahren umgesetzt. Zurzeit liegt im Zuge der U-Bahnausbauten und Sanierungen sowie der Errichtung des Hauptbahnhofs ein Schwerpunkt bei der Gestaltung von Passagen.

Wie Ricky Renier, KÖR-Projektkoordinatorin, erzählt, erwiesen sich die Wiener Linien als sehr guter Auftraggeber, der noch nicht vom Virus der Angst vor der Kunst befallen sei. Den Beginn einer neuen Ära der U-Bahnkunst markiert die Karlsplatz-Westpassage, wo die Arbeit „Pi“ des in Kanada lebenden Künstlers Ken Lum die Passanten mit kontinuierlich aktualisierten globalen und lokalen Fakten auf raumhohen Spiegelpaneelen durch den Untergrund begleitet. Ebenfalls am Karlsplatz, im Zwischengeschoß, das zu den U-Bahnlinien U1 und U2 führt, ist seit etwa einem Jahr die alle Wände umfassende Arbeit von Peter Kogler eine erfreuliche Intervention. Das flächendeckend aufgebrachte – aus dem Œuvre des Künstlers vertraute – verzweigte Röhrenmotiv definiert den architektonischen Raum, erweitert ihn und schafft ein völlig neues Erlebnis in einem zuvor wenig attraktiven Transitraum.

Der Südtiroler Platz, zwei Stationen weiter, war bislang auch kein Ort, an dem man gern verweilte. Auf vier auf unterschiedlichen Niveaus befindlichen Flächen in der Passage zum neuen Hauptbahnhof und zum Bahnsteig der Unterflurstraßenbahn hat Franz Graf eine bunte Mischung aus Fotografien, Zeichnungen und Textfragmenten zur Installation „SUED“ collagiert. Ihr Titel erinnert an den nicht nur baulich, sondern auch namentlich nicht mehr existenten alten Südbahnhof und macht irgendwie auch bewusst, dass die U-Bahnstation durchaus die direkte schnelle Anbindung an den Bahnhof ist, selbst wenn die Stationsbezeichnung „Südtiroler Platz“ Ortsunkundige nach wie vor irritiert. Das Verwirrspiel hat in Wien ja auch an anderen relevanten Verkehrsknoten System. Dass die U-Bahnstation Landstraße direkt zum Bahnhof Wien Mitte führt und die Station Philadelphiabrücke den Bahnhof Meidling mit Reisenden speist, haben gelernte Wiener Öffi-Benützer verinnerlicht, Touristen und Gelegenheitsreisende werden aber regelmäßig in schwere Verunsicherungen gestürzt.

Für die Realisierung von Franz Grafs Kunstwerk haben die Österreichischen Bundesbahnen und die Wiener Linien immerhin einträchtig mit KÖR kooperiert. SUED reflektiert die Stimmung des Raums, in dem die Passagiere sich ihre Wege zu den lokalen, regionalen und bald auch internationalen Verkehrsverbindungen bahnen. Die bunte Mischung einzelner Motive, eine Art Auszug aus Grafs Gesamtwerk, entspricht dem Charakter des Ortes mit seinem heterogenen Nutzerspektrum. Sie wird auch im Vorbeigehen wahrgenommen, und doch gibt es genug Plätze, an denen es sich verweilen lässt, um genauer hinzuschauen und einen Versuch der Dechiffrierung zu unternehmen.

Mit der Straßenbahnlinie 18, die am Margaretengürtel in den Untergrund abtaucht und diesen am Wiedner Gürtel wieder verlässt, setzen wir von hier die Reise zu einem der jüngsten Passagenkunstwerke fort. Vorbei an den Großbaustellen um den Hauptbahnhof geht es zur Station Heinrich-Drimmel-Platz, wo eine neue Passage der Unwirtlichkeit des städtischen Umfelds entgegenwirkt. Sie wurde von der MA 29 an der Kreuzung des Gürtels zwischen Ghegastraße und Adolf-Blamauer-Gasse als fußgängerfreundliche Querverbindung von der Straßenbahn zum Stadtentwicklungsgebiet Eurogate auf den Aspanggründen errichtet. Hier bot sich der glückliche Fall, dass das Kunstprojekt parallel zum Bauprojekt entstehen konnte, also bereits vor Baubeginn des Fußgängertunnels das Ergebnis des Kunstwettbewerbs feststand.

Gerold Tagwerker entwickelte in einer schlichten, nichtfarbigen Materialisierung eine Arbeit, die der Aura des schlichten Tiefbauwerks einerseits durchaus entspricht, sie andererseits aber subtil in einen städtischen Erlebnisraum überführt. Felder aus grauen keramischen Platten und ein Raster aus vertikalen und horizontalen Streifen aus Spiegelfliesen bilden ein dezentes Ornament, dasden Durchgangsraum in Länge und Höhe rhythmisiert. Farbreflexe steuern die Spiegelungen der Passanten bei, die zu Hauptdarstellern eines Kopfkinos werden, das sich wie in abgehackten Filmsequenzen in den regelmäßig wiederkehrenden Spiegelstreifen abspielt.

Das Tageslicht an den Tunnelausgängen und das Kunstlichtband, das am Wandabschluss die Installation begleitet, sorgen für ein vielfältig changierendes Lichtspiel. Meist ist der Durchgang wenig frequentiert, die zurückhaltende Gestaltung ist hier also im Gegensatz zu den vorhin erwähnten Verkehrsknotenpunkten durchaus angemessen. Dennoch bietet sie den Durchschreitenden auf raffinierte Weise ein Schauspiel dar, das sie durchaus ignorieren können, das aber ebenso unterhaltsam und bereichernd sein kann, wenn man sich bewusst als Darsteller integriert.

22. Dezember 2012 Spectrum

Neues Milieu für alte Leute

Grinzinger Allee, Wien: Ein Seniorenheim vollzieht den Wandel, die Architektur reagiert darauf – so gut sie kann. Das neue „Haus Döbling“ bietet nicht nur ein Altersheim, sondern auch ein Ärztezentrum, einen Kindergarten und Privatwohnungen für Ältere.

Im Jahr 1960 wurde der gemeinnützige Fonds „Kuratorium Wiener Pensionistenheime“ gegründet, um Wohnheime für ältere Menschen zu errichten. Die Zielgruppe waren damals gesunde Menschen ab 60, denen man im Alter komfortable Wohnungen anbieten wollte. In den 1990er-Jahren ging mit der Umbenennung in „Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser“ samt neuem Logo „Häuser zum Leben“ auch eine Erhöhung der Ausstattungsstandards und ein Ausbau der Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen einer. Nach einem halben Jahrhundert stellt sich nun wieder die Frage nach der Adäquatheit des Angebots für Bedürfnisse der heutigen und künftigen Alten. Der Begriff „Innovatives Wohn- und Pflegehaus“ für eine neue Generation von Seniorenwohnheimen fokussiert nach wie vor auf das Wohnen, impliziert aber auch den Aspekt der Pflege im Titel. Der erste Neubau ist nun fertig und verkörpert tatsächlich eine architektonisch neue Interpretation des Themas, die mit Abstrichen im Detail von Rüdiger Lainer & Partner recht gut durch die Mühlen der Projektentwicklung gerettet werden konnte.

Der Neubau in der Grinzinger Allee entstand anstelle der Betriebsgarage Grinzing, die 2007 nach Inbetriebnahme der Großgarage in der Leopoldau geschlossen wurde, und ersetzt das bisherige „Haus Döbling“ aus dem Jahr 1970 in der Pfarrwiesengasse. Schon von außen kündigt sich der neue Charakter an. Hier erinnert nichts mehr an die Bauten der vorangegangenen Jahrzehnte, deren Ästhetik zwischen Gemeindebau und Provinzspital oszillierte. Das neue „Haus Döbling“ erinnert mit seiner verzweigten Struktur und der zart beige getönten Fassade mit den markanten Fensterumrandungen für eine Beschränkung der direkten Sonneneinstrahlung eher an eine Hotelanlage der besseren Kategorie. Durch die Gliederung der großen Baumasse in miteinander verknüpfte und jeweils unterschiedlich ausgebildete Solitäre fügt sie sich gut in das durchgrünte städtebauliche Umfeld aus Wohnblocks aus der Nachkriegszeit und älteren villenartigen Bebauungsstrukturen. Im Norden grenzt unmittelbar der 1909 in Betrieb genommene Wasserbehälter Hungerberg und damit eine weitläufige, überirdisch unbebaute Fläche an, dahinter die gleichnamige Weinriede.

Das Haus bietet nicht nur Platz für 252 Bewohner, sondern inkludiert weitere Einrichtungen, die eine soziale Durchmischung und Verschränkung mit dem Grätzel herstellen sollen. So wurden in einem Bauteil an der Grinzinger Allee ein Ärztezentrum vorgesehen, ein Kindergarten und 52 private Mietwohnungen im vierten und fünften Stock. Sie sind für ältere Menschen vorgesehen, die noch selbstständig leben können und wollen, hier aber die Möglichkeiten haben, Serviceleistungen in Anspruch zu nehmen. Durch den Nutzungsmix ergeben sich etliche Schnittstellen zum Alltag des Stadtlebens, die in der Erdgeschoßzone aufeinandertreffen. Das Foyer ist als großzügiger, einladender Ort mit Ausblicken in begrünte Patios konzipiert. In Rezeptionsnähe empfangen auch Frisör und Fußpflege sowie eine Cafeteria. Tiefer im Gebäude liegen ein introvertierter Andachtsraum und für das gesellige Leben ein Mehrzwecksaal, der Gasthaus genannt wird. Hier wird gemeinsam gegessen, und hier können größere und auch externe Veranstaltungen stattfinden. Mit Ziegeln aus der abgerissenen Remise wurde ein Kellergewölbe mit Ausgang zum hauseigenen Weingarten im Park eingerichtet. Ebenso gibt es eine Verbindung zum Kindergarten, um die Kleinen und die Alten direkt zusammenzubringen. Die Orientierung ist in so einem großen Haus ein wichtiges Thema. Hier wird sie vor allem durch die signifikant ausgebildete Holztreppe erleichtert. Bequem im Steigungsverhältnis, elegant anmutend in einem rötlichen Holzton, der akzentuierend immer wieder im Haus eingesetzt wurde und großen Anteil an einer warmen Grundstimmung hat, wird sie dem Lift gern vorgezogen.

30 Quadratmeter inklusive Bad und Kochnische stehen allen Bewohnern als persönlicher, individuell möblierbarer Raum zur Verfügung. Vierzehn Einheiten sind um eine gemeinsame Raumsequenz bestehend aus einem gemeinsamen Ess- und Wohnbereich sowie einer Loggia als privatem Freibereich gruppiert. So entstehen überschaubare Cluster, in denen sich eine Wohngemeinschaft aus miteinander vertrauten Menschen aufbauen lässt. Auf Wunsch können zwei Apartments zu Zwei-Zimmer-Einheiten gekoppelt werden.

Es sind längst nicht mehr die fidelen 60- bis 70-Jährigen, die in ein Haus des KWP übersiedeln. Das Eintrittsalter der Bewohnerinnen wird immer höher und damit auch der Grad der notwendigen Betreuung. Daher können in diesem neuen Typ Pensionistenwohnhaus die Bewohner auch dann noch bleiben, wenn sie nicht mehr mobil sind und ganztägige Pflege benötigen. Die große Kunst, sowohl aufseiten der architektonischen Gestaltung als auch des Pflegebetriebs, ist es, auch dann noch einen wohnlichen Charakter aufrechtzuerhalten, wenn in den Apartments statt der individuellen Möbel die Pflegebetten Einzug halten. Die Grundrisse sind so angelegt, dass die Betten im Pflegefall wie in einem Krankenhaus auch um 90 Grad in den Raum gedreht werden können. Die Grundstimmung passt.

Es gibt Wermutstropfen, die man als Phänomen aus dem Hotelbau kennt, bei denen konzerneigene Corporate Identities gute architektonische Grundstrukturen und Material- und Ausstattungskonzepte verwässern. So hatten auch Rüdiger Lainer und sein Partner Oliver Sterl kaum Einfluss auf die Möblierung der Gemeinschaftsbereiche. Besonders im Foyer fällt dies auf, wo das in dunklen Holz- und Lilatönen gehaltene Ambiente der Cafeteria ganz und gar nicht mit dem elegant-heiteren Grundton des übrigen Raumes in Einklang steht. Wie sehr dem Freiraumkonzept von Auböck & Kárász Vereinfachungen zusetzen, lässt sich jetzt in der kalten Jahreszeit noch nicht zweifelsfrei beurteilen. Ihr Entwurf sah vor, die einzelnen Gartenbereiche nach dem Leitbild markanter Kulturlandschaften zu gestalten und abwechslungsreiche Erlebnisräume mit vertrauten Bildern zu schaffen. Wie human ein Milieu wahrgenommen wird, hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie viel Empathie für seine Gestaltung aufgewendet wurde.

3. November 2012 Spectrum

Der schönste kleine Bahnhof

Remise und Bahnhof in einem: Lamprechtshausen erhielt eine nicht nur bequeme, sondern auch bemerkenswert fein gestaltete Bahnstation. Vorbildliches aus Salzburg.

Beim jährlichen „Bahntest“ des Verkehrsclubs Österreich wurde heuer der Wiener Westbahnhofzum „schönsten Bahnhof Österreichs“ gekürt. Der Lokalbahnhof Lamprechtshausen belegte Platz 20. Nun ist einerseits der Vergleich zwischen dem derzeit größten Bahnhof der Bundeshauptstadt und der Lokalbahnstation einer Flachgauer 3600-Einwohner-Gemeinde von Haus aus zum Hinken verurteilt und andererseits die aus architektonisch-städtebaulicher Sicht ganz und gar nicht mehr vorhandene „Schönheit“ des größeren der beiden an dieser Stelle bereits beklagt worden (Christian Kühn, 30.04.2011). Daher gilt heute die Konzentration dem kleineren Bahnhof, um ihn als vorbildliches Beispiel eines Bahnhofsgebäudes in der Provinz zu preisen.

Seit 1896 besteht die Bahnverbindung zwischen der Stadt Salzburg und dem etwa 25 Kilometer nördlich liegenden Lamprechtshausen. Dort ist Endstation. Eine ursprünglich geplante Verlängerung der Trasse nach Braunau wurde nie realisiert, definierte aber die vom Ortszentrum etwas abgelegene Lage des Bahnhofs. Mit der Einführung des Halbstundentaktes in den 1980er-Jahren wurde eine Wagenhalle errichtet, in der die Züge übernachteten. Der Bahnhof entwickelte sich zu einer wichtigen Verkehrsdrehscheibe für den nördlichen Flachgau und das Innviertel, und so war für die Betreiberin, die Salzburger Lokalbahn, die Zeit gekommen, den Bahnhofsumbau in Angriff zu nehmen.

Der Architekt, mit dem man das passende Konzept erarbeiten wollte, Udo Heinrich, hatte bereits das Vertrauen der Bauherrschaft und bekam den Auftrag dafür direkt. Er war Projektleiter im Büro des Kölner Architekten Joachim Schürmann im Zuge der Neuerrichtung der Salzburger Lokalbahnstation und der Gestaltung des Bahnhofsvorplatzes. Seit 2001 betreibt er sein eigenes Architekturbüro in Salzburg. Der neue Bahnhof sollte dem Stellenwert der Haltestelle Lamprechtshausen Rechnung tragen, ein für die Fahrgäste bequemeres und attraktiveres Ambiente bereitstellen und Synergien zwischen den Funktionen Bahnhof und Remise herstellen. Das grundsätzlichste Entwurfskriterium bestand darin, eine Bahnhofshalle zu schaffen, die zugleich die Aufgaben einer Wartehalle, eines Bahnsteiges und einer Remise übernimmt. Diese Entscheidung, alle Funktionen nicht hintereinander, sondern unter einem Dach anzuordnen, brachte eine Verringerung der Gehdistanz vom Ort zum Bahnsteig von 300 Metern Länge mit sich. Es blieb nicht allein bei einer pragmatischen, technisch und logistisch gut funktionierenden Lösung: Mit durchaus einfachen, aber über das Gewohnte hinausgehenden Maßnahmen schuf Udo Heinrich mehr als einen schön designten Bahnhof – ein angenehmes Milieu, das auf die gesamte Umgebung ausstrahlt. Anstelle der alten Halle entstand eine neue, konstruktiv schlichte Halle mit einer Länge von 105 Metern und einer Breite von 14,5 Metern. Die dünne Dachplatte aus vorgespanntem Stahlbeton ruht auf einfachen Rundstützen. Nach Süden ist die Halle verglast und einsehbar. Zusätzlich sorgen verglaste kreisförmige Oberlichten über dem Mittelbahnsteig für eine ausgezeichnete Durchflutung mit Tageslicht. An der nördlichen Längsseite liegt sie auf kiemenartig angeordneten, skulptural genickten Sichtbetonscheiben auf, die das dahinter liegende Gewerbegebiet abschotten, aber nicht ganz ausblenden. Mit einer Matrizenschalung wurde in die raue Oberfläche eine Bambus-Struktur eingearbeitet, die der Halle ein dezentes Ornament verleiht. Je eine dreieckige Deckenöffnung leitet zusätzlich Licht von oben über die begrünten Kiemen.

Ein wohldurchdachtes Kunstlichtkonzept, das den Raum zoniert und Akzente setzt, bewirkt, dass der Raum auch bei Dunkelheit als angenehm empfunden wird und der zur Remise gewordene Bahnhof noch nach Betriebsschluss nach außen leuchtet. Der Hauptzugang liegt an der östlichen Schmalseite, die Halle ist aber auch von Westen zugänglich, womit der Weg zum Bahnsteig von den Parkplätzen und den überdachten Fahrradabstellplätzen kurz gehalten wird. Diese notwendigen Parkflächen sind ebenso Teil des gestalterischen Ganzen wie der Vorplatz und der breite Gehsteigbereich, die mit Baumgruppen und Bodenleuchten akzentuiert wurden.

Im Osten wurde unter das Bahnhofsdach ein eingeschoßiger, an den Enden abgerundeter Baukörper aus rötlich gefärbtem Beton eingeschoben, der die Anlage wie ein Korken abschließt. Neben den Toiletten beherbergt er Räume für Personal und Technik. Bemerkens- und lobenswert ist, dass diegute Detail- und Oberflächenqualität auch im Inneren bis in den letzten Winkel durchgehalten wurde und so die Räumlichkeiten zu einem angenehmen Arbeits- und Aufenthaltsort für die Mitarbeiter werden.

Während anderswo Lokalbahnhöfe verwahrlosen, Nebenbahnen eingestellt werden und unwirtliche Zustände in den Stationen sowie schlechte Verbindungen Pendler von der Schiene auf die Straße zwingen, beschreitet die Salzburger Lokalbahn den umgekehrten Weg und macht den Bahnhof nicht nur zum Anreizgeber für den Umstieg auf die Bahn, sondern auch zum Inkubator der Siedlungsentwicklung in Bahnhofsnähe, was in naher Zukunft im Fokus liegen wird.

In der Fachwelt wurde dem Bahnhof mit einer Anerkennung beim Architekturpreis des Landes Salzburg sowie der Auszeichnung mit einem von sechs Bauherrenpreisen der Zentralvereinigung der Architekten bereits wiederholt Würdigung zuteil. Viel wesentlicher ist aber die Akzeptanz in der Bevölkerung, die seit Inbetriebnahme des Bahnhofs im Mai anhand der gestiegenen Fahrgastzahlen erkennbar ist.

6. Oktober 2012 Spectrum

Geliebt? Ungeliebt? Ikone!

Der ORF will nun doch auf dem Wiener Küniglberg bleiben. Wie er mit seinem gebauten Erbe umgeht, ist noch nicht entschieden. Ein Diskussionsbeitrag zum Denkmalschutz.

Zweimal wurde der ORF mit dem Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architekten ausgezeichnet. Zuerst 1973 für die von Gustav Peichl geplanten Landesstudios Linz, Salzburg, Innsbruck und Dornbirn, die vor einigen Jahren von Peichl selbst saniert wurden. Den drei Erstgenannten kam dabei die charakteristische Außenwandstruktur aus silbrig gestrichenen Betonfertigteilen unter einer weiß verputzten Wärmedämmung abhanden.

Die zweite Bauherrenehrung konnte der ORF 1975 entgegennehmen: Nicht für ein Gebäude, sondern für den Film „Gott schütze uns vor Otto Wagner“ von Jörg A. Eggers, der die Wertvorstellungen der Gesellschaft im Zusammenhang mit der Architektur diskutierte. Damals protestierten Architekten gegen den drohenden Abriss von Wagners Stadtbahn-Pavillon am Karlsplatz. Jener in Hietzing wurde – weil als funktionsuntüchtig angesehen – abgerissen. „Noch ein Jahrzehnt, dann wird die gesamte öffentliche Meinung hinter diesen Bauten stehen, wie sie nach 1945 hinter jenen der Ringstraße stand. Dann wird die Stadtbahn geschätzt werden als das, was sie ist: neben der Ringstraße die bedeutendste städtebauliche Leistung Wiens“, prophezeite der Architekt Hermann Czech in den 1960er-Jahren.

Mittlerweile hat der ORF seinen Ruf als verdienter Bauherr aufs Spiel gesetzt, ausgerechnet im Umgang mit seinem Flaggschiff, dem ORF-Zentrum am Wiener Küniglberg. Für Architekturexperten eine der Paradebauten der Nachkriegsmoderne, für Historiker eine der Signaturbauten der damals jungen Republik. Architekt Roland Rainer (1910–2004) hat den 1968–1976 errichteten Großbau in einer Fertigteilbauweise konzipiert, die ihm geeignet schien, „Wesen und Eigenart des Betriebes in seiner Mischung von kultureller und technischer Atmosphäre“ ablesbar zu machen. Ab den 1980er-Jahren folgten in mehreren Bauetappen ebenfalls von Rainer geplante Erweiterungen. Es entstand über die Jahre ein Konglomerat an unterschiedlichen Baukörpern, die sich zu einer großen Masse, der bekannten „Burg“, formieren. Studios, Büros, Hallen, Werkstätten etc. bilden in sich ein lebendiges Gefüge verschiedenartiger Funktionen. Es ist kein fescher Bau aus einem Guss, mit dem leicht der Geschmack einer Mehrheit zu befriedigen wäre. Bei aller Rationalität und trotz des enormen Volumens fiel das Ergebnis aber nicht pragmatisch plump aus, sondern dank Roland Rainers unbändigen Willens zur Qualität gelang eine plastisch durchgebildete architektonische Form, die ihre Konstruktion nicht verleugnet, sondern unverkleidet darlegt. „Verpackungsarchitektur“ war Rainer zuwider.

Diese drohte dem ORF-Zentrum schon ein Jahr nach Roland Rainers Tod angesichts anstehender Sanierungsmaßnahmen. Seither geisterten Absiedlungsszenarien durch die Medien. Die gute Lage der „Burg“ würde sich ja auch für ein Sanatorium oder Altersheim eignen, lautete eine der Nachnutzungsideen. Vom Aufbruch des ORF in eine neue Zukunft im Media Quarter St. Marx und vom sanierungsbedürftigen Millionengrab Küniglberg ist seither die Rede. Aktueller Stand ist, dass der ORF auf dem „Berg“ bleibt; wie er mit seinem architektonischen Erbe umgehen wird, ist nicht geklärt. Dass überhaupt eine Diskussion über eine adäquate Form der Sanierung öffentlich wurde, ist Jürgen Radatz, Rainers Mitarbeiter bei der letzten Bauetappe am ORF-Zentrum, zu danken. Angesichts einer 2005 erstellten Probefassade mit außen liegendem Vollwärmeschutz äußerte er begründete Bedenken, ob mit dem notwendigen Sachverstand für die Prinzipien von Rainers Architektur agiert würde. Gemeinsam mit Rainers Tochter, Architektin Eva Rubin, erarbeitete er ein Sanierungskonzept, das ohne Styroporverpackung auskommt und den Charakter des Gebäudes bewahrt.

Als im Eigentum einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft befindliches Bauwerk galt für das ORF-Zentrum der Denkmalschutz kraft gesetzlicher Vermutung, der mit der Novelle des Denkmalschutzgesetzes im Jahr 2000 endete, das dem Bundesdenkmalamt (BDA) die Möglichkeit gab, Objekte durch Verordnung unter Schutz zu stellen. Seit Februar 2007 gilt dies auch für den Rainer-Bau auf dem Küniglberg. Um einen endgültigen Bescheid zu erwirken oder die Denkmalwürdigkeit zu widerlegen, bedarf es eines Feststellungsverfahrens. Ein solches wurde 2009 unter Planungsstadtrat Schicker seitens der Stadt Wien beantragt. Bis zum noch nicht absehbaren Abschluss dieses Verfahrens steht der Bau rechtmäßig unter Denkmalschutz. Das BDA sei in die Entscheidung über alle bereits jetzt als notwendig erachteten Sanierungsschritte eingebunden, so Landeskonservator Friedrich Dahm und der zuständige Referent Oliver Schreiber, der ebenfalls betont, dass nur ein funktionierendes Gebäude ein gutes Denkmal sei. Der ORF funktioniere jedenfalls.

Die Diskussion über den Umgang mit Bauten der (Nachkriegs-)Moderne wird seit jeher mit hoher Expertise geführt. Jüngst präsentierte die Österreichische Gesellschaft für Architektur die verdienstvolle Publikation „Bestand der Moderne“, die auf einer gleichnamigen Fachtagung aufbaut. Der Band artikuliert die Spannungsfelder, die im Zusammenhang mit der Frage nach dem adäquaten Umgang mit dem modernen Erbe zutage treten, und stellt Referenzbauten vor. Der Schweizer Architekt und Autor Bruno Reichlin fordert als Voraussetzung für jede Umnutzung, Instandsetzung oder Restaurierung eines Gebäudes die Erstellung einer monografischen Studie. Die Zusammenarbeit von Architekten und Historikern sollte zur gängigen Praxis werden und so schließlich zu einem neuen Kenntnisstand verhelfen. Das ORF-Zentrum wäre ein Paradeprojekt für eine solche interdisziplinäre Analyse gewesen, die sich nicht auf Probleme bauphysikalischer oder statischer Natur beschränkt. Sie hätte die Basis für eine visionäre Weiterentwicklung eines ikonischen wie lebendigen Ensembles ebenso sein können wie eine Übung zur Stärkung der eigenen Identität. Denkmalschutz ist keine Bedrohung, sondern eine Herausforderung. Noch ist es nicht ganz zu spät.

24. August 2012 TEC21

Neue Geriatriezentren in Wien

Seit 2010 baut die Stadt Wien eine Reihe neuer Geriatriezentren.1 Sie sollen die medikalisierte Pflege in einem Umfeld erlauben, in dem die Patienten so wenig Spitalambiente wie möglich vorfinden. Man orientierte sich an Komfortkriterien des Wohnbaus, und wohl deshalb kamen Architekturbüros zum Zug, die sich im Geschosswohnungsbau profiliert haben. Die Gleichzeitigkeit der Entstehung und der Pilotcharakter des Bauprogrammes, für das es auch international kaum Referenzprojekte gab, sorgte für einen regen Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Projektteams. Die drei bereits fertiggestellten Häuser Leopoldstadt, Simmering und Liesing zeigen, wie unterschiedlich die Architekten das enge Korsett an Vorgaben interpretierten.

Das als Stadt im Grünen konzipierte «Versorgungsheim Lainz» am westlichen Stadtrand von Wien galt bei seiner Erbauung zu Beginn des 20. Jahrhunderts als internationales Vorzeigeprojekt (Abb. 1). Im Vergleich zu allen vorher bestehenden Einrichtungen zur Betreuung alter und armer Menschen boten die ansehnlichen Bauten mit gut belüfteten und belichteten Schlafräumen, Etagenbädern, Balkonen und Tagräumen einen bis dahin unüblichen Komfort. Andererseits wurde der abgelegene Standort wohl nicht nur wegen der guten Luft gewählt, sondern auch, um die Klientel aus dem Stadtzentrum fernzuhalten. Der inhaltliche Wandel der institutionellen Altenpflege lässt sich auch an der Namensgebung ablesen: In den 1960er-Jahren wurde das Versorgungsheim zum «Pflegeheim» und in den 1990er-Jahren zum «Geriatriezentrum am Wienerwald» umgebaut.

2015 wird das Wiener Flaggschiff der Altenpflege geschlossen und neu als Wohnquartier genutzt.2 Die rund 1200 Pflegeplätze werden dann in insgesamt neun neuen Häusern – teils an schon bestehenden Standorten – untergebracht sein, die nicht mehr im Westen der Stadt konzentriert sind, sondern dezentral über das Stadtgebiet verteilt werden. So wird den zukünftigen Patienten der Verbleib in der vertrauten Wohnumgebung ermöglicht. Die Klientel besteht aus betagten Menschen, die einen Pflegebedarf von mehr als 160 Stunden pro Monat haben und für die eine Pflege zu Hause oder in einem Seniorenwohnheim aufgrund der medizinischen Indikationen nicht zu bewerkstelligen ist. Die Wiener Pflegeplätze – sowohl jene in den kommunalen wie auch jene in Institutionen von privaten Trägern – werden über eine Clearingstelle nach pflegerischer und medizinischer Notwendigkeit vergeben und entweder aus dem Vermögen der Betroffenen oder über die Sozialhilfe finanziert.

Wohnlichkeit trotz Krankenhausinfrastruktur

Die Grössenordnung der neu errichteten Geriatriezentren, die nur an bestehenden Standorten weiterhin so heissen, an neuen Standorten aber «Pflegewohnhäuser» genannt werden, bewegt sich um je 300 Betten. Das Wiener Wohn- und Pflegeheimgesetz vom März 2005 gibt mit 350 Betten die Grenze nach oben vor, mit 240 Betten wurde eine wirtschaftlich sinnvolle Untergrenze definiert. Im Schnitt bleiben die Menschen zwei bis drei Jahre in den Einrichtungen, manche auch Jahrzehnte, jedenfalls so gut wie alle bis an das Ende ihres Lebens.

Um ihnen eine wohnliche Atmosphäre zu bieten und die Maschinerie des Krankenhauses in den Hintergrund zu drängen, gibt es Vorgaben: In den Pflegewohnbereichen, wie die Stationen nun genannt werden, soll der Aspekt des Wohnens im Vordergrund stehen. Die Zimmer sind überwiegend Einzelzimmer, etwa zu einem Viertel werden Doppelzimmer angeboten. Eine private Loggia für jedes Zimmer ist Pflicht und muss so ausgebildet sein, dass die Schwellen zwischen Zimmer und Freiraum auch mit Pflegebetten leicht überwunden werden können. Neben den Anforderungen an die Wohnlichkeit gelten für alle Häuser einheitliche strukturelle Vorgaben: So sind pro Geschoss mindestens zwei Pflegewohnbereiche unterzubringen, damit Therapieräume von mehreren Stationen nutzbar sind. Die Konstruktion soll eine hohe Flexibilität zum einfachen Umbau auch in der Betriebsphase gewährleisten. So sind zwischen allen Zimmern «Sollbruchstellen» vorzusehen, um den späteren Einbau von Verbindungstüren zu ermöglichen. Die maximal 28 Plätze pro Wohnbereich werden in zwei bis drei Wohngruppen gegliedert, denen gemeinsame Wohnzimmer zugeordnet sind.

Pro Haus sind überdies zwei Demenzstationen (mit insgesamt max. 56 Plätzen) für schwer Demenzkranke vorgesehen. Zudem sind Überschaubarkeit und kommunikations- und kontaktfördernde Strukturen sowie Inszenierungen gefordert (in Form künstlerischer Interventionen oder Aquarien), die zum passiven Beobachten animieren. Da etwa 80 % der Bewohnerinnen und Bewohner als Zusatzdiagnose Demenz aufweisen, muss auf den Bewegungsdrang dementer Menschen Rücksicht genommen werden. Wegführungen sollen als «Demenzschleifen» ausgebildet werden – also als Rundgänge ohne Sackgassen, damit die alten Leute ihre Runden drehen können.

Ein einheitliches visuelles Leitsystem für alle Häuser, für das die Grafikerin Gabriele Lenz und die Architektin Anja Mönkemöller (beide aus Wien) verantwortlich zeichnen, hilft zudem bei der Orientierung. Es variiert in einzelnen Aspekten wie in der pro Haus unterschiedlichen Farbigkeit oder in den Symbolfamilien zur Kennzeichnung der verschiedenen Stationen. Die Gartengestaltung soll abwechslungsreiche Spazierwege und Rückzugsorte anbieten, mit Duftkräutern, Blumen und Gräsern die Sinne stimulieren und ergotherapeutische Arbeitsplätze sowie Strecken für Gehtrainings zur Verfügung stellen. Sie ist verpflichtend an Landschaftsarchitekten zu vergeben. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Häuser sollen – auch wenn sie nicht mehr mobil genug sind, um die Anlage zu verlassen – so viel wie möglich vom Leben rundherum mitbekommen. Daher sollen die Häuser gut in den Stadtquartieren verankert werden und keine Monostrukturen sein. Sie beherbergen weitere Nutzungen wie geriatrische Tageszentren, betreutes Wohnen, Mietwohnungen, Mehrzwecksäle auch für externe Veranstaltungen und allgemein zugängliche Cafeterias.

Pflegewohnhaus Leopoldstadt: Eine Stadt in einem Haus

Das Wohn- und Pflegehaus Leopoldstadt des Wiener Architekten Helmut Wimmer entstand auf dem Areal einer ehemaligen Buseinstellhalle im Stadtentwicklungsgebiet am ehemaligen Nordbahnhof. Die mächtige U-Form folgt den Vorgaben des Masterplans für das Quartier. Neben zwei Demenzstationen im ersten Obergeschoss und zehn Pflegestationen in den fünf Geschossen darüber beherbergt sie im zurückspringenden obersten Geschoss ein Heim für betreutes Wohnen sowie 22 geförderte Mietwohnungen in den Kopfbauteilen. Die Eingangshalle ist als zur Umgebung offene, multifunktionale Zone ausgebildet. Eine schleifenförmige Erweiterung in den Park birgt das Mitarbeiterrestaurant mit fernöstlich anmutendem Innenhof und einem Garten auf dem Dach, der es den Bewohnerinnen und Bewohnern der Demenzbereiche im ersten Stock erlaubt, ohne Begleitperson sicher ins Freie zu kommen.

Der Architekt überführte etliche seiner konzeptuellen Ansätze aus dem Wohnbau in das Pflegewohnhaus – zum Beispiel die Betrachtung der einzelnen Geschossebenen als übereinandergestapelten Baulands, auf dem innerhalb eines schlichten konstruktiven Systems aus Platten und Stützen Zwischenwände und Einbauten weitgehend frei disponiert werden können. Indem Zimmer und Funktionseinheiten zu kleinen «Häusern im Haus» (Abb. 6) zusammengefasst sind, schuf der Architekt eine vertikale Stadtlandschaft, innerhalb der den Bewohnerinnen und Bewohnern ein überschaubares, identifikationsstiftendes Umfeld geboten wird. Nach einem Farbkonzept des Wiener Künstlers Oskar Putz, der auch für die farbige Gestaltung in der Erdgeschosszone verantwortlich zeichnet, sind die einzelnen Hausgruppen unterschiedlich gefärbt und zeichnen sich so auch in der Fassade nach aussen ab. Dazwischen bildete Wimmer Gassen, Plätze und Sichtachsen.

Die Zimmer sind über die gesamte Breite mit Faltschiebetüren zum Loggienband hin zu öffnen, wodurch der Freiraum als Teil des Zimmers erfahren werden kann und der Wahrnehmungsradius der Bewohner über das Zimmer hinausgeht (Abb. 4). Kleine Fenster zu den Gängen hin gestatten die Teilnahme am Stationsleben, umgekehrt aber auch den Einblick von aussen, sofern die Jalousien nicht geschlossen sind. In jedem Fall tragen sie dazu bei, Isolation zu vermeiden. Die Materialisierung des Inneren ist stark von den für Krankenhäuser geltenden Hygienevorschriften und den für die Betreuung stark Pflegebedürftiger notwendigen Einrichtungen geprägt. Mit der hellen Grundfarbigkeit und den pastellfarbigen Fassaden der internen Häuser, den Markisen und dem Holzbelag auf den Loggien strahlt das Haus insgesamt dennoch das heitere Flair eines Erholungsheimes aus.

Pflegewohnhaus Simmering: Unkonventionelle Grundrisse

Ebenfalls in einem städtebaulichen Entwicklungsgebiet auf dem Areal einer ehemaligen Senf- und Essigfabrik liegt das Pflegewohnhaus Simmering des Wiener Architekten Josef Weichenberger. Die Umsetzung unterscheidet sich in Bezug auf Grundriss und Materialisierung dennoch stark von derjenigen in Leopoldstadt. Der Bauplatz grenzt an einen bewaldeten Park, der nach einem Konzept der Wiener Landschaftsarchitekten Auböck & Kárasz sowie den 3:0 Landschaftsarchitekten für die speziellen Anforderungen der betagten Klientel gerüstet wurde. Weichenbergers Entwurf trachtet danach, trotz dem grossen Gebäudevolumen Eintönigkeit zu vermeiden. Für eine optische Verkürzung sorgen die Gliederung in einen Mitteltrakt und zwei Seitenflügel sowie die leichten Knicke nach innen (Abb. 9). Die weiss verputzten Mäander an der Fassade gliedern im Wechselspiel mit der anthrazitfarbigen vorge- hängten Ziegelfassade und den Loggienöffnungen die Grossstruktur (Abb. 7). Die Brüche in der Linearität des Baukörpers kommen vor allem den offenen Raumsequenzen in den Pflegewohnbereichen zugute. Über eine geschosshohe Verglasung und vorgelagerte Terrassen öffnen sich die Tagräume zum Park hin. Die Nebenräume sind pro Station zu kompakten Inseln mit amorphem Grundriss gebündelt (Abb. 11), gliedern den weiten Raum zwischen den Zimmerfolgen und ermöglichen die Bildung von Wegschleifen. Mit einer offenen Küche samt Bar werden diese Binnenbauten auch zu sozialen Mittelpunkten jedes Wohnbereichs.

Bei den Zimmergrundrissen entschied sich der Architekt gegen die übliche Variante, das Badezimmer gangseitig anzubringen, sondern setzte es an die Aussenwand, um eine natürliche Belichtung zu ermöglichen. Auf diese Weise entstehen zwischen den Bädern an den Aussenfassaden Loggienpaare, die die Kommunikation zwischen jeweils zwei Nachbarn gestatten. Einige der Zimmer sind mit grossen Blumenfenstern zu den gemeinsamen Flächen in den Wohnbereichen versehen, bequeme Sitzbänke in den Zimmern machen Besucherinnen auch den längeren Aufenthalt angenehm (Abb. 8). Im Halbatrium, das die drei Gebäudeflügel zum Garten hin umschliessen, liegt als solitäre skulpturale Form der Andachtsraum aus Sichtbeton. Während auf seinem Dach zum Park hin ein beschaulicher Garten ausgebildet wurde, entstand über der Vorfahrt eine von beiden Demenzstationen zugängliche Terrasse, von der aus auch schwer desorientierte Menschen das Leben draussen ungefährdet beobachten können.

Geriatriezentrum Liesing: Sorgfältige Materialisierung

Auch bestehende Standorte sind Teil des Bauprogramms. Im Schlosspark Liesing im Südwesten von Wien ist seit 1876 ein Pflegeheim der Stadt in Betrieb. Bestehend aus einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert und dem 1878 nebenan errichteten Versorgungsgebäude, entsprach es längst nicht mehr den heutigen Erfordernissen. Ein Neubau am Nordrand des Parks ersetzt nun das Versorgungsgebäude, das abgerissen wird. Das denkmalgeschützte Schloss wird instand gesetzt und wird die örtliche Musikschule beherbergen. Damit schufen die Architekten Riepl Kaufmann Bammer (Wien) zugleich eine Neuorganisation des Parkareals, in das nun auch das bestehende Parkbad im Süden des Geländes eingebunden ist. Der Neubau selbst zielt darauf ab, möglichst viele Schnittstellen und Durchdringungen zwischen Park und Gebäude zu ermöglichen.

Die Fassadenverkleidung aus Messingtrapezlochblech erdet das Gebäude farblich in der Parklandschaft und bildet für die benachbarten Amtsgebäude und Villen aus der Zeit um 1900 ein wertiges Gegenüber. Das Material setzt sich im Erdgeschoss als Deckenverkleidung fort. In Kombination mit dem Bodenbelag aus schwarz-weissem Terrazzo mit einer Gesteinskörnung aus Carraramarmor und mit den mit Ulmenfurnier belegten Wandverkleidungen wurde ein elegantes Ambiente geschaffen.

In den drei Obergeschossen des Karrees sind jeweils vier Lw-förmige Pflegewohnbereiche angesiedelt (Abb. 16). Zwei gläserne Spangen, die den internen Freibereich in drei Höfe unterteilen, sorgen für kurze Wege innerhalb der Geschosse. Zudem ermöglichen sie Rundgänge, die jeweils über zwei Pflegewohnbereiche führen. Die Orientierung wird durch subtile, aber wirksame Massnahmen unterstützt: Alle Gänge führen zum Licht hin, die abgehängten quadratischen Leuchten in den Tagräumen wurden in den Gangbereich erweitert und zeigen so schon von weitem die Lage der gemeinschaftlichen Flächen an. In die mit braunem Linoleum belegten Gänge wurden die je nach Station unterschiedlich farbigen Zimmerböden unter den Türen ein Stück hinausgezogen und dienen nun als dezente Markierungen der Zimmer. Die überwiegende Zahl der Zimmer ist nach Süden – zum Park oder Hof hin – orientiert. Messingverkleidete Schiebepaneele, die trotz massiver Optik leicht zu bedienen sind, gestatten die Beschattung der jedem Zimmer zugeordneten Freiräume (Abb. 17). Parkseitig blieb das zum Garten hin verglaste Erdgeschoss etwa zur Hälfte unbebaut, wodurch unter dem Gebäude hindurch ein Freiraumkontinuum vom Vorplatz über die Innenhöfe mit dem altem Baumbestand über die als «hortus conclusus» gestalteten, gedeckten Sitzbereiche unter dem Gebäude in den öffentlichen Park geschaffen wurde.

Im Grundriss erscheint das Gebäude nüchtern, vor Ort erweist es sich durch die sorgfältige und handwerklich präzise ausgeführte Materialisierung jedoch enorm wohnlich und von einer Hochwertigkeit, die Wertschätzung gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern und den übrigen Nutzerinnen und Nutzern ausdrückt.

Ambitioniertes Bauprogramm

Im Zeitraum von 2010 bis 2012 sind insgesamt sechs neue Pflegewohnhäuser fertiggestellt worden. Ab 2015 soll kein einziger der stationären Langzeitpflegeplätze in einem alten Gebäude untergebracht sein. Abgesehen von den unterschiedlichen städtebaulichen Gegebenheiten waren die Qualitätsdefinitionen sowie das Raum- und Funktionsprogramm bei allen Häusern annähernd gleich. Aus den Mitteln der Wohnbauförderung wird für 1800 Euro pro m² ein Basisgebäude hergestellt, weitere 1500 Euro sind für die über das Wohnen hinausgehenden Anforderungen kalkuliert. Umgerechnet auf einen einzelnen Bewohnerplatz schlägt dieser etwa mit den Kosten einer 70 m² grossen Wohnung im geförderten Wohnbau zu Buche. Bemerkenswert ist, dass die Architekten, vor allem was die Ausbildung der inneren Strukturen betrifft – z. B. bei den Zimmergrundrissen und der Anlage der Gemeinschaftsbereiche –, variantenreiche Lösungen entwickelten. Auch die Grundstimmung variiert – von der cleanen Sanatoriumsatmosphäre über eher auf Gemütlichkeit abzielende Gestaltungen bis zu elegantem Hotelambiente. Welches Konzept für die Bewohnerinnen und Bewohner das bessere ist, hängt sicher von individuellen Vorlieben ab. Nach der relativ kurzen Betriebszeit gibt es noch keine evaluierten Erfahrungswerte. Die Nutzerzufriedenheit scheint jedoch hoch zu sein und aus architektonisch-gestalterischer Sicht sind die städtischen Häuser ähnlich dimensionierten Pflegeheimen privater Betreiber um Längen voraus.


Anmerkungen:
[01] Die Stadt Wien stellte 2004 ihr Geriatriekonzept vor, dass sich mit der erhöhten Lebenserwartung der Menschen und damit auch mit einer Zunahme der nötigen Pflegeplätze befasst. Es sieht vor, die Pflegeplätze bis 2015 dezentral über insgesamt 13 Standorte (vier davon als Wohn- und Pflegehäuser) im ganzen Stadtgebiet zu verteilen. Dafür ist ein Gesamtbudget von 400 Mio. Euro vorgesehen. Weitere Informationen: www.wienkav.at/kav/ZeigeText.asp?ID=37307
[02] Das 25 ha grosse Areal des Geriatriezentrums Am Wienerwald soll ab 2015 zu einem Wohnstandort im Grünen umgestaltet werden. Den Ideenwettbewerb gewann Ende Oktober 2009 das Wiener Büro Veit Aschenbrenner

4. August 2012 Spectrum

Mehr als nur versorgt

Architektur kann das Wohlbefinden erhöhen – auch gegen Ende des Lebens, wenn spirituelle und emotionale Bedürfnisse nicht zugunsten der medizinischen hintangestellt werden dürfen. Der neue Palliativ-Pavillon des Wiener Wilhelminenspitals.

Das Schwedische Architekturmuseum in Stockholm zeigt derzeit eine Ausstellung mit dem Titel „Room for Death” und widmet sich damit einem Thema, das in der Gesundheitspolitik längst eines ist, als architektonische Aufgabe hingegen noch wenig wahrgenommen wird. Sie zeigt Ergebnisse eines Forschungsprojekts, bei dem Künstler, Handwerker und Designer Vorschläge für Räume ausarbeiteten, die zu einem fürsorglichen und respektvollen Milieu für Menschen beitragen, deren Lebensende nah ist.

Als Begründerin der Palliativmedizin, die sich als eigenständige Disziplin erst ab den späten 1980er-Jahren etablierte, gilt die englische Krankenschwester und Ärztin Cicely Saunders. Sie setzte sich nach bitteren Erfahrungen mit dem Sterben eines Lungenkranken dafür ein, das Leiden sterbender Menschen nicht nur medizinisch zu lindern, sondern auch auf soziale, emotionale und spirituelle Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Das 1967 von ihr gegründete St. Christopher's Hospiz in London gilt als Ursprung der modernen Hospizbewegung, die sich um eine ganzheitliche Betreuung von Menschen mit unheilbaren Krankheiten annimmt. Auch in Österreich wird seit etlichen Jahren sowohl der Ausbau mobiler Palliativteams als auch jener von eigenen Palliativstationen in Krankenhäusern forciert. In Wien wurden laut Auskunft des Büros der Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely 1.360 Patienten zu Hause betreut. In den städtischen Krankenhäusern und den Ordensspitälern stehen insgesamt 76 Betten bereit, bis 2020 sollen die Kapazitäten auf 92 stationäre Plätze erhöht werden.

Beim Wiener Wilhelminenspital wurde nun ein eigener Palliativ-Pavillon errichtet, dessen architektonisches Konzept sehr umfassend auf das Wohlbefinden der Patienten jedes Alters ausgerichtet ist, aber auch auf jenes der Angehörigen und des nicht minder belasteten Personals. Geplant hat ihn eine Arbeitsgemeinschaft aus den zwei Architketurbüros Raum-Werk-Stadt (Lucia Dorn, Ferenc Horvath, Martin Janecek, Rupert Königswieser) und Share (Hannes Bürger, Silvia Forlati, Thomas Lettner). Für Share war es das erste Krankenhausprojekt, die Raum-Werk-Stadt brachte schon Erfahrungen vom Bau des Dialysezentrums am Wilhelminenspital mit. Für die Gestaltung der Freiräume zeichnet der junge Landschaftsarchitekt Dominik Scheuch (Yewo) verantwortlich. Die junge Truppe setzte sich unter sieben geladenen Büros erfolgreich gegen die durchwegs aus arrivierten Krankenhausplanern bestehende Konkurrenz durch (und widerlegte damit wieder einmal die Einladungspraxis zahlreicher Wettbewerbsauslober, die auf Referenzprojekten im jeweiligen Sektor bestehen). Erfahrene Planer haben vielleicht einen Vorsprung, wenn es darum geht, Abläufe möglichst ökonomisch zu strukturieren. Vertieft man sich ein wenig in Projektbeschreibungen anderer Bauten auf dem gleichen Sektor, ist ganz häufig von optimierten Abläufen und von der Ermöglichung einer guten Versorgung die Rede. Das ist wichtig, aber nicht alles. Im Bewusstsein, dass es mehr braucht als nur eine gediegene Umsetzung ökonomischer und funktioneller Rahmenbedingungen in eine solide Architektur, hat das Team ein Milieu geschaffen, in dem man sich gerne aufhält – auch wenn man hofft, es nie in Anspruch nehmen zu müssen. Der Solitär ist eine der kleineren Einheiten in der ab 1890 in mehreren Bauetappen im damals üblichen Pavillonsystem errichteten Anlage. Ab 1900 wurde das von Franz Berger, einem der angeblich kompetentesten Spitalsarchitekten der Zeit, geplante Kinderspital errichtet, 1910–12 der „Lupuspavillon“ von Otto Wagner, 1935–36 die Spitalskirche Hl. Kamillus von Heinrich Anton Paletz. Es folgten bis in die jüngste Vergangenheit zahlreiche Adaptierungen und Neubauten unterschiedlicher Qualität.

Der Palliativ-Pavillon fügt sich gut ein, hat aber sowohl im Volumen wie in seinem Gehabe nichts mit seinen mächtigeren Nachbarn gemein. Aus ihm spricht ein Zugang, der nicht die Institution Krankenhaus, sondern die Menschen, die sie aufsuchen müssen, im Fokus hat. Er ist schleifenförmig in eine Grünfläche mit alten Föhren eingefügt, mit der er dank der ambitionierten Freiraumgestaltung verbunden wird.

Die Flucht der Stationsnebenräume im Westen und die Patientenzimmer im Osten (zehn Einzel-, zwei Doppelzimmer) umschließen einen inneren Kern, der sowohl als Tag- und Verabschiedungsraum dient als auch als holzbeplankter Innenhof mit integrierten Sitzbänken und kleiner Grüninsel ausgebildet ist. Über die raumhohen Verglasungen zu den angrenzenden Bereichen ist er einerseits stets präsent und liefert andererseits viel Tageslicht ins Innere. Licht ist generell ein wesentliches Thema. Die künstliche Deckenbeleuchtung wird ergänzt durch ein schmales Lichtband, das in einer Deckenfuge parallel zum Handlauf verläuft und zusätzlich Orientierung gibt. Das elegante Stationsbad ist in verschiedene Lichtstimmungen getaucht. Die Badezimmer profitieren durch opak gemusterte Gläser in der Wand zum Zimmer vom Tageslicht. Generell wird bewiesen, dass pflegebedürftige Menschen sich nicht zwangsläufig mit plumpem Design abfinden müssen. Die Ausstattung ist bei aller Zweckmäßigkeit schön, fein abgestimmt und frei von Krankenhausmief. Holzböden sind in Krankenhauszimmern aus Hygienegründen tabu. Hier gibt es einen Zimmerboden aus Bambus, das ist ein Gras. Eine Wand schmückt ein dezentes florales Ornament, das von den Architekten selbst entworfen wurde. Vier der Einzelzimmer lassen sich mittels Schiebewänden zu Doppelzimmern koppeln. Aus allen Zimmern gibt es über die Terrasse direkten Zugang zum barrierefreien Spazierweg durch einen mit Gräsern, Farnen und Duftkräuter-Hochbeeten abwechslungsreich gestalteten Regenerationsgarten.

In den nächsten Jahren soll das Wilhelminenspital neu strukturiert werden. Es gibt bereits einen Masterplan, der die Lage der neuen Zentralklinik und weiterer Neubauten festlegt. Mögen ins Haus stehende Wettbewerbe so barrierefrei sein, dass auch von der Routine der Spitalsplanung unverdorbene Geister Zugang haben!

14. Juli 2012 Spectrum

Heile Welt, verwaist

Bezirk Murau: Wenn nicht nur Stühle leer stehen, sind auch die Architekten gefragt. Die „Regionale 2012“ gibt Impulse für die (Neu-)Planung und Wiederbelebung der Region.

Die „Zukunft“ strahlt in weißen Lettern und in Hollywoodmanier vom Lärchberg hinunter in die obersteirische Bezirkshauptstadt Murau. Es handelt sich um eine Arbeit der Berliner Architektengruppe Raumlabor, die für das gegenwärtig im Bezirk stattfindende biennale Kunstfestival „Regionale“ erarbeitet wurde. Die Stärken und Ressourcen jener Region, die am heftigsten in ganz Österreich vom Bevölkerungsrückgang betroffen ist, sind Gegenstand etlicher Veranstaltungen. Seit 1971 schrumpften die Einwohnerzahlen um 9,2 Prozent, und der Trend soll sich verschärfen: Bis 2050 ist ein weiterer Rückgang von 19,7 Prozent prognostiziert. Die Zahlen veranschaulichen, was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist. Eine gepflegte Landschaft und schmucke Orte vermitteln dem Urlauber eine heile Welt. Vereinzelt avantgardistische Architekturen wie das Gebäude der Murauer Bezirkshauptmannschaft von Wolfgang Tschapeller oder eine spektakulär über der Mur auskragende Café-Bar des jungen Architektenteams Steinbacher-Thierrichter zeugen durchaus von lokalem Selbstbewusstsein und Fortschrittlichkeit. Der Wintertourismus boomt, und eine innovative Holzindustrie demonstriert ihre Fähigkeiten anhand zahlreicher kommunaler wie privater Bauten und wirbt damit unter der Marke „Steirische Holzstraße“. Lokales Potenzial ist also vorhanden. Dennoch wandern mangels ausreichender Arbeitsplätze und Aufstiegschancen die besser ausgebildeten Jungen ab – nach Graz, nach Wien oder anderswohin.

Erst auf den zweiten Blick erfasst man die Folgen ihrer Absenz: In der nach der einstigen Herrin von Murau, der verdienstvollen, reichen und schönen Anna Neumann, benannten Einkaufsstraße steht die Mehrzahl der Geschäfte leer. Vereine und aktuell die Protagonisten der Regionale sorgen dafür, dass die Auslagen nicht ganz verwaist sind. Den öffentlichen Personennahverkehr frequentieren – sofern nicht gerade Regionale-Besucher und Radtouristen Hochsaison haben – im Wesentlichen Schulkinder und Pensionisten. Kino gibt es im ganzen Bezirk keines mehr. Jenes in Scheifling wurde aufgelassen, nachdem im 30 Kilometer entfernten Fohnsdorf ein Multiplex-Kino das Interesse der Landjugend abgezogen hat. Die roten Kinosessel sind derzeit Bestandteil der Installation „Neubesetzung“. Die steirische Architektin Alexandra Stingl hat für jeden Einwohnerverlust der letzten fünf Jahre einen Sessel gesammelt und stellt an verschiedenen Orten im öffentlichen Raum das Ausmaß des Abgangs eindrücklich dar.

Das Projekt ist Teil des vom „Haus der Architektur Graz“ für die Regionale konzipierten Programmschwerpunktes „Faktum ist – Murauer Bestandsaufnahmen“, das dem Phänomen der Abwanderung mit mehreren Formaten auf die Spur zu kommen versucht. Ausstellungen in Graz und Murau präsentieren anhand umfangreichen statistischen Materials die Wahrheit der Statistik. Martina Frühwirth, Tex Rubinowitz und Kurt Zweifel berichten in Bild, Text und Ton von ihren persönlichen 24 Stunden in Murau. So lange bereisten sie die Gemeinden im Bezirk unter ausschließlicher Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel, was sich als veritable Herausforderung erwies.

Das steirische Architekturhaus nimmt sich damit einer Materie an, die bislang in den Architekturinstitutionen wenig thematisiert wurde. Nun, da zeitgenössische Bauten – in unterschiedlicher Dichte längst auch auf dem Land angekommen sind und sie nicht mehr von Fremdenverkehrsvereinen als Touristenschreck qualifiziert werden, scheint ausreichend Luft vorhanden zu sein, sich verstärkt auch Fragen der in Österreich seit Jahrzehnten vernachlässigten Raum- und Regionalplanung anzunehmen. Raumplaner machen seit vielen Jahren auf die Folgen des demografischen Wandels aufmerksam und warnen vor verödeten Innenstädten und Ortskernen, steigendem Individualverkehr, ausgedünnten öffentlichen Verkehrsnetzen sowie der stetig fortschreitenden Zersiedelung und entwerfen Strategien, die entgegenwirken. Da diese aber mit der Mentalität der Konsumgesellschaft selten vereinbar sind, werden sie von einer Politik, die sich eher ihrer Klientel als dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt, nicht mit dem notwendigen Verantwortungsbewusstsein durchgesetzt. Richtig verstandene Regionalplanung ist Gemeinwohlvorsorge, lautete ein Appell im Zuge einer der Diskussionsveranstaltungen im Rahmen von „Faktum ist . . .“. So würden nur 36 Prozent der Mehrkosten, die ein frei stehendes Einfamilienhaus gegenüber einer verdichteten Bebauung verursacht, von den Bauwerbern selbst bezahlt, für den Rest komme die Allgemeinheit auf. Ein Kompetenzwirrwarr bringe mit sich, dass niemand die wahren Kosten der aktuellen Entwicklungen kenne oder benenne. So steigt in Architektenkreisen das Bewusstsein dafür, dass für eine Trendwende ein interdisziplinärer Schulterschluss der planenden Disziplinen Not tut.

Das Kunst- und Diskursprogramm der heurigen Regionale zeigt vortrefflich die mannigfachen Herausforderungen und Potenziale im ländlichen Raum – auch für die Architektur – auf. Ob das Festival Spuren hinterlassen wird? Ulrike Böker, Bürgermeisterin von Ottensheim und davor jahrelang Geschäftsführerin des oberösterreichischen Pendants zur Regionale, dem Festival der Regionen, ist überzeugt, dass die Kunst nachhaltig wirken und ein Katalysator für das Denken und Handeln in den jeweiligen Regionen sein kann. Als konkretes Beispiel führt sie das Linzer „Pixel Hotel“ an, ein dezentrales Hotel, das im Kulturhauptstadtjahr 2009 als Architekturprojekt ungenutzte Orte in der Stadt besetzte und nach wie vor in Betrieb ist, oder das in ihrer eigenen Gemeinde am Donauufer gelandete Parkhotel des Künstlers Andreas Strauss, ein „Gastfreundschaftsgerät“ aus Betonröhren, das, funktionell ausgestattet als Unterkunft, als sichere Gepäckverwahrung und Ladestation für elektronische Geräte dient. Alle darüber hinaus gehenden Hotelleistungen werden von vorhandenen Einrichtungen im öffentlichen Raum abgedeckt.

In Murau geht die Anzahl der privaten Zimmervermieter zurück. Viele konnten wohl den steigenden Ansprüchen der Urlauber nicht mehr entsprechen und sich die notwendigen Investitionen nicht leisten. Andererseits stehen viele Häuser und Wohnungen leer und böten durchaus ein Raumreservoir für neue, ressourcenschonende Beherbergungskonzepte als Alternative zu flächenfressenden Ferienparks. Hier ist nicht nur die Kreativität der Touristiker, Politiker und Förderstellen gefragt. Es tut sich auch ein weites Betätigungsfeld für Architekten auf. Alternative, gestalterisch attraktive Angebote werden wahrscheinlich auch neue Zielgruppen anlocken und vielleicht Auswanderer zur Rückkehr bewegen – nicht nur temporär als Erholungssuchende.

26. Mai 2012 Spectrum

Mehr als Glück und Zufall

Wie lernen Kinder Baukultur? Leider selten durch eine flächendeckende bildungs- und baupolitische Praxis. Wie eine solche Praxis aussehen kann, zeigen zwei Beispiele in Niederösterreich.

Die Auseinandersetzung mit der gestalteten Umwelt ist Bestandteil der österreichischen Schullehrpläne, und selbst der Bildungsrahmenplan für Kindergärten legt Wert auf ästhetische Bildung und eine Lernumgebung, die diese fördert. Dank verpflichtenden Kindergartenjahres und diverser Förderinitiativen haben sich in den vergangenen Jahren hunderte Gelegenheiten geboten, gut gestaltete, stimulierende Räume für diese wichtige Entwicklungsphase bereitzustellen. Nicht überall wurden die Chancen genutzt. Kindergartenbauten sind Kommunalangelegenheiten, ihre Qualität daher stark von der baukulturellen Kompetenz der Auftraggeber abhängig.

Der Kindergarten von Anton Schweighofer in St. Andrä-Wördern stellte 40Jahre lang ein sinnlich anregendes Milieu für Kleinkinder zur Verfügung. Obwohl eine Pionierleistung seiner Art in Niederösterreich, musste er als Kindergarten aufgegeben werden, weil die mit Ziegelmauerwerk ausgefachte ungedämmte Stahlbetonkonstruktion nicht mehr den heutigen bauphysikalischen Anforderungen Genüge tut, und für einen Weiterbetrieb des Kindergartens hätte saniert werden müssen. Jede Dämmung, jeder Umbau hätte das Bauwerk verschlechtert, gar zerstört. Insofern ist es ein Glück, dass die Gemeinde mit einer neuen Nutzung als Seniorentreff und Bibliothek sich für den Erhalt entschieden hat.

Für die Kinder wurde stattdessen ein neuer Kindergarten auf der benachbarten ehemaligen „Stierwiesen“ errichtet. Die Entscheidung, ihn aus vorgefertigten Massivholzelementen zu konstruieren, fällten die Architekten Schermann & Stolfa aufgrund des engen Zeitkorsetts von weniger als einem Jahr. Geschickt integrierten sie den eingeschoßigen Baukörper so in die Wiese, dass möglichst viele der vorhandenen alten Bäume erhalten werden konnten und nun wesentlich zur Raumbildung im Freien beitragen, trotzdem aber viel Spielfläche im Freien erhalten bleibt. Großzügig, hell und übersichtlich ist das Gebäude und dennoch heimelig, wozu das Holz beiträgt, aber auch die geschickte Anordnung der Funktionen und die sachten Verschwenkungen aus dem rechten Winkel. Dadurch werden zum Beispiel die Garderoben zu in den Gruppenraum leitenden Trichtern, während sich die kleinen zweigeschoßig ausgebildeten Rückzugsbereiche daneben in Richtung Großraum leicht weiten oder Knicke in den Außenwänden den tiefen Terrassenbereich gliedern, ohne ihn zu unterteilen. Durch- und Ausblicke sind ebenso wichtig wie viel Tageslicht, das zusätzlich über Scheddächer und Lichtkuppeln den Baukörper durchdringt. Nichts an der Architektur ist verspielt, aber es lässt sich vorzüglich damit spielen. Der verglaste Bewegungsraum kann mit dem Foyer zu einem gemeinsam nutzbaren Bereich gekoppelt werden, ebenso sind die vier Gruppenräume untereinander mit Schiebetüren verbunden. Der Stauraum unter der Galerie lässt sich flugs in ein Kasperltheater verwandeln, und Fenster auf den kleinen Galerien gestatten das Beobachten des Geschehens in der Halle. Es ist eine Umgebung geworden, die sich die Kinder erobern können, und das Erdbeerpflücken im Naschgarten geht unmittelbar neben einem Stück Architekturgeschichte vonstatten.

Solche gestalterischen Qualitäten sind schwer zu artikulieren und in Rechentabellen darzustellen, und es gibt dafür keine amtlichen Zertifikate, wie es für ökologische Parameter längst Usus ist. Mannersdorf am Leithagebirge ist eine der Gemeinden, die stolze Besitzerin eines mit dem klima:aktiv-Zertifikat des Lebensministeriums versehenen Kindergartens ist. Der Kriterienkatalog dieses Labels sei eine gute Hilfestellung in der Planung, so Architekt Leo Dungl, der das Zertifikat auch als gute Unterstützung für die Argumentation verschiedener Materialentscheidungen gegenüber den Bauherren schätzt, der am Ende die Richtigkeit seiner Entscheidungen amtlich bestätigt bekommt. Ein Holzbau wäre an diesem traditionsreichen Standort der heimischen Kalk- und Zementindustrie geradezu ketzerisch gewesen. Leo Dungl (Mitarbeit: Dolphi Danninger) setzte den gar nicht sehr „öko“ aussehenden Öko-Kindergarten als Gefüge von weißen Quadern auf die Hangkuppe. Das Volumen sprengt nicht die Maßstäblichkeit der umgebenden Einfamilienhäuser, wird aber durch das strahlende Weiß zur leicht auszumachenden Landmarke.

Den richtigen Abstand braucht es auch, um die Kugelkalotten an der Stützmauer zu dechiffrieren, die das Gebäude als etwas Besonderes markieren und sich bei richtigem Hinsehen als eine Art Vexierbild erweisen, das lapidar „Kindergarten“ (!) mitteilt. Das Terrain unter dem aufgestelzten Turnsaal wurde zu einem ungewöhnlichem Spielort im Freien, wo der Stützenwald und Kies in unterschiedlichen Körnungen einen gedeckten Freibereich anbieten, der Gstätten- und Baustellencharakter verbindet – Orte, die vielen von uns Erwachsenen wichtige Schauplätze des Abenteuers Kindheit waren, heutigen Kindern aber meist verwehrt sind.

Jeder dieser beiden Kindergärten bietet auf seine Art den Kindern nicht zu dominante Räume, die vielfältig nutzbar sind und zum selbstständigen Erobern anregen. Das ist schon eine gute Basis für eine baukulturelle Bildung. Schade, dass sie nicht selbstverständlich ist. Denn das Glück, in einer wohlgestalteten Einrichtung betreut zu werden, haben nicht alle Kinder, und die in den Lehrplänen verankerte Architekturvermittlung bleibt meist Theorie. Einen Gutteil der diesbezüglichen Aktivitäten erfolgt nicht im öffentlichen Schulwesen, sondern durch die niedrig dotierte und oft ehrenamtliche Arbeit von Architekturvereinen.

Sie sind auch die wichtigsten Träger der kommenden Freitag und Samstag bundesweit stattfindenden Architekturtage, die unter dem Motto „Anders als gewohnt“ kostenlos Gelegenheit geben, Architektur nicht bloß aus der Zeitung, sondern in echt und mit allen Sinnen zu erfahren. Umfangreich ist das Kinder- und Jugendprogramm, das zur Inspiration auch allen Pädagogen ans Herz gelegt sei. In Wien wagt sich die ÖGFAsogar in die Lugner City und wird dort eine jugendliche Klientel erreichen, die sonst wenig in den Genuss solcher Programme kommt.

3. März 2012 Spectrum

Alle für einen

Ein Projekt im europäischen Geist: Leidenschaftliche Lehrer und ambitionierte Architekturstudenten von sechs Universitäten zeigten, wozu sie imstande sind. Die Aufgabe: ein Archiv für den Fotografen Mimmo Jodice in Neapel zu entwerfen. Zu sehen demnächst im Wiener Künstlerhaus.

Mimmo Jodice ist ein weltbekannter italienischer Fotograf. In den Veduti di Napoli hat er die Architektur und Stimmung seiner Heimatstadt Neapel auf unvergleichliche Weise eingefangen. András Pálffy, Professor für Gestaltungslehre und Entwerfen an der Technischen Universität Wien, lernte sein Werk anlässlich einer großen Ausstellung in Rom kennen und erfuhr vom Herzenswunsch des betagten Künstlers, dass sein beachtliches Archiv in seiner Geburtsstadt bleiben möge. In der Zwischenzeit entstand daraus ein europäischen Großprojekt der Architekturlehre: Ein Gebäude für das „Archivio Jodice“ stand auf Pálffys Initiative seit dem Wintersemester 2010 auf dem Entwurfsprogramm von sechs europäischen Universitäten. Unter der Ägide von neun Professoren und zahlreichen Assistenten nahmen 250 Studierende daran teil.

Trotz der durch die Semesterferien bedingten Ruhe ist an der Abteilung für Gestaltungslehre die Produktivität der letzten anderthalb Jahre in Form der Modelle im Maßstab 1:50 oder 1:33 spürbar. Von Mitte Dezember bis Mitte Jänner wurden sie gemeinsam mit den Arbeiten der Studenten aus Berlin, Dublin, Glasgow, Neapel und Weimar im repräsentativen Ambiente des „Gran Salone della Meridiana“ im Archäologischen Nationalmuseum von Neapel präsentiert. Bald erscheint das Buch zum Projekt, und ab 23. März wird die Ausstellung der 65 besten Projekte für zwei Wochen im Wiener Künstlerhaus zu sehen sein. Schon allein diese Ausstellungspräsenz samt Publikation ist eine Wertschätzung, die Studentenarbeiten nicht oft zuteil wird. Sie sind die sichtbare Zusammenfassung eines bemerkenswert intensiven Prozesses, der entgegen aller immer wiederkehrenden Kritik an der Architekturausbildung aufzeigt, was eine engagierte Architekturlehre heute zu leisten imstande sein kann.

Im Zuge einer Exkursion lernten die angehenden Architekten Neapel und die möglichen, von Jodice selbst ausgesuchten Bauplätze kennen und wurden von den beteiligten Professoren in das Thema eingeführt. Adrian Meyer, zuvor Professor an der ETH Zürich und einer, der immer wieder Meisterschaft im zeitgemäßem Umgang mit dem gebranntem Ton bewies, hatte zeitgleich an Palffys Institut eine von der Ziegelindustrie finanzierte Gastprofessur in Wien inne. Frei nach einer Parabel von Louis I. Kahn („What do you want, Brick?“ And Brick says to you: „I like an Arch.“) übertitelte er seinen Entwurfskurs mit „Der Backstein will ein Bogen sein“ und stellte das Baumaterial Ziegel und die Ausführung gewölbter Haupträume als Bedingung seines Kurses. Es galt, den Backstein „als kleinstes gemeinsames Vielfaches für das konstruktive Entwerfen“ zu verstehen und seine spezifischen Eigenschaften auszuloten. Interessanterweise wählte schließlich nicht nur Meyers Entwurfsgruppe, sondern die Mehrheit der Studenten den Ziegel, das tradierte und typische Baumaterial der europäischen Altstädte, und es scheint, als wurde hier eine neue Leidenschaft für einen heute oft vorschnell als unmodernen und antiquierten Baustoff geweckt.

Prominente internationale Professoren- und Architektenkollegen wie Nicola di Battista, Ferruccio Izzo oder Martin Steinmann konnten für die Schlusskritik in Wien gewonnen werden. Heinz Tesar stellte sich von neun Uhr morgens bis ein Uhr nachts unermüdlich den Studierenden zur Verfügung. Die Kapazunder machen dies übrigens unentgeltlich, bloß die Reisekosten werden ihnen ersetzt. Und dann der Höhepunkt wieder in Neapel: Der Ausstellungseröffnung in einem der schönsten Räume der Stadt ging ein Studienprogramm mit Vorträgen von Theoretikern und Kritikern zum Thema „Archive der Gegenwartskunst und die historische Stadt“ voran. Auch der Kunstsammler Egidio Marzona, jetzt „Bauherr“ der aktuellen Semesteraufgabe, nahm teil, ebenso Alberto Campo Baeza und Tony Fretton, zwei weitere Charismatiker aus der Zunft der Architekten, die aus ihrem Erfahrungsschatz zum Thema beitragen konnten.

Den Ergebnissen sieht man die intensive Auseinandersetzung mit der Stadt und ihren viel zitierten Reibungen, mit Jodices Fotografien und den verschiedenen Professoren und Gästen an, auf die sich die Studierenden einlassen durften. An der Art der Darstellung kann man mit ein wenig Übung die Lehrer erkennen, aber keine Spur von Epigonentum. Adolf Krischanitz' Studenten lieferten kompakte, wie minimalistische Skulpturen anmutende Gussmodelle, aus Weimar kommen die zeichnerisch hoch anspruchsvollen Beiträge, bei Pálffy entstandene repräsentative Modelle aus Holz, Adrian Meyer bestand auf Karton und brachte die Architekturschüler dazu, zigtausende Ziegelsteinmodelle aus Pappe zu Kubaturen mit archaisch anmutenden, feinst strukturierten Oberflächen zu fügen. Mit Dienst nach Vorschrift ist das auf beiden Seiten nicht getan. Während der vorlesungsfreien Zeit wurde ebenso gearbeitet wie in vielen Nachtstunden.

Das Programm für Neapel nimmt an Ausmaß und Intensität zwar eine Sonderstellung ein. Den Studierenden die gesamte Spannweite einer Bauaufgabe und die Vielseitigkeit des Architektenberufs näherzubringen, renommierte Kollegen zu entmystifizieren und sie zu Gesprächspartnern der Studierenden zu machen zieht sich aber durch alle Semesterprogramme am Wiener Lehrstuhl für Gestaltungslehre. Ebenso die Arbeit mit Modellen, wie sie in der beeindruckenden Galerie hunderter studentischer Kartonmodelle, die in den Regalen des Instituts fein säuberlich angeordnet zu besichtigen sind, ist dort wesentlicher Teil des Entwerfens. Schon im Grundkurs gilt es Quader von vorgegebener Größe nach bestimmten Kriterien zu zerschneiden, zu verschieben oder zu verschwenken. In einer Grundform stecken tausende Lösungen. Enge Regeln binden nicht das Resultat, so die Erkenntnis. Es geht darum, kein Bild von Architektur zu schaffen, sondern Ideen konsequent in räumliche Tatsachen zu übersetzen.

Für die fortgeschrittenen Semester definieren die Regeln der Entwurfsaufgaben dann konkrete Bauherren und ihre Bedürfnisse, das städtische Umfeld, eine vorhandene Bausubstanz, die Historie eines Ortes und seine mögliche Zukunft. „Man muss das ganze Metier und seine Bestandteile kennen“, sagt Palffy, um Verständnis für das komplexe Zusammenspiel aller konstituierenden Elemente und aller beteiligten Akteure zu schaffen, inklusive der Erkenntnis, dass der Architekt nicht immer in der ersten Reihe stehen muss. Wenige Tage nach der Eröffnung der Ausstellung im Künstlerhaus präsentiert das Institut am 28. März im Wittgensteinhaus sein Buch über die bisherigen Entwurfsprogramme. Vormerken, hingehen und nicht mehr über die Architekturlehre und die Studenten schimpfen!

4. Februar 2012 Spectrum

Betreten geboten

Würdig erinnern und zugleich einen öffentlichen Raum für alle schaffen: Ob dieses Konzept gelingen kann, wird am „Gedenkort Turnertempel“ in Wien zu überprüfen sein.

Vor einem halben Jahr noch war an der Ecke von Turnergasse und Dingelstedtgasse eine mit einem niedrigen Zaun umgrenzte Grün fläche mit ein paar Bäumen und einem Hinweis, die Grünfläche sauber zu halten. Verlegenheitsgrün, ohne Anmut, funktionslos, nicht betretbar und gerade dazu gut, im dichtverbauten Grätzel für ein wenig Freiraum zu sorgen. Es bedurfte schon eines besonderen Forscherdrangs, die schlichte Tafel auf dem angrenzenden Gemeindebau zu entdecken, die auf die ehemalige Existenz einer Synagoge anstelle der Grünfläche und deren Zerstörung in der Reichspogromnacht hinwies. Das abschließende „Niemals vergessen“ wirkte angesichts der Unsichtbarkeit der Inschrift wie eine leere Formel.

Erst als ausgehend vom Interesse an der Geschichte des Gebäudes ihres Arbeitsplatzes in der Herklotzgasse 21 vor ein paar Jahren eine Gruppe von Menschen ein umfangreiches Forschungsprojekt startete, wurde die Geschichte der Juden im 15. Wiener Gemeindebezirk und damit auch der Ort, an dem die Synagoge stand, zum Thema. Unter dem Titel „Das Dreieck meiner Kindheit“ haben Michael Kofler, Judith Pühringer und Georg Traska in einer Ausstellung und einem begleitenden Buch (Mandelbaum Verlag, 2008) sichtbar gemacht, was im kollektiven Gedächtnis der Stadt und des Bezirks verdeckt war. Ihnen ist der Anstoß dazu zu verdanken, dass die städtische „Kunst im öffentlichen Raum GmbH“ fünf Teams aus Künstlerinnen und Landschaftsarchitektinnen zum Wettbewerb für einen Erinnerungsort lud. Das Siegerprojekt des Künstlerduos Iris Andraschek/Hubert Lobnig und der Landschaftsarchitekten Maria Auböck/János Kárász verkörpert einen neuen Typus von Gedenkstätte, dem Verschämt- wie Unverschämtheit banaler, über den Charakter einer Pflichtübung nicht hinauswirkenden Gedenktafeln ebenso fremd sind wie Pathos.

Die „Turnertempel“ war ein wichtiges Identifikationsprojekt der Kultusgemeinde Sechshaus. Sein Architekt Karl König war Schüler und Mitarbeiter von Friedrich von Schmidt, Assistent von Heinrich von Ferstel an der Technischen Hochschule, deren Rektor er später wurde. Die 1872 fertiggestellte Synagoge war sein erstes eigenes Gebäude und wäre heute ein wichtiges Baudenkmal des Historismus. Im Morgengrauen des 10. Novembers 1938 wurde der Tempel von SS-Mitgliedern in Brand gesetzt. Im Mai 1940 ging die Liegenschaft durch „Arisierung“ an einen in der Nachbarschaft wohnhaften Transportunternehmer, der dort eine Garage errichtete. Das Rückstellungsverfahren endete 1950 mit einem Vergleich. Kurz darauf wurde die Garage um eine Tankstelle erweitert. 1973 erwarb die Gemeinde Wien das Grundstück, es folgten siebengeschoßiger Gemeindebau, Abstandsgrün und Gedenktafel. Die notorischen Geschichtsverdreher lassen sich weder durch den Geschichtsunterricht noch von Tafeln und Denkmälern beeindrucken, das ist immer wieder aufs Neue widerlich, aber Realität. Für die Menge derer, die ihnen aus Gedankenlosigkeit auf den Leim geht, ist jeder Versuch der Aufklärung nicht vergebens und eine entsprechende Erinnerungskultur von ungebrochener Notwendigkeit. Nach einer Form, in der dies sinnvoll - und vor allem für ein breites Segment an Rezipienten - geschehen kann, haben Andraschek/Lobnig und Auböck/Kárász mit ihrem Wettbewerbsbeitrag gesucht. Es sollte kein „Mahnmal“ werden, sondern ein Ort der Erinnerung, der auch im Alltag nutzbar ist.

Wesentliches Gestaltungselement sind Balken aus schwarz eingefärbten Betonfertigteilen mit der Struktur einer Holzmaserung, die an den verbrannten und eingestürzten Dachstuhl der Synagoge erinnern und die in ihren Dimensionen etwa jenen der realen Balken entsprechen. Sie liegen entweder bündig im sandfarbenen Stabilizer-Belag - einer gebundenen, sickerfähigen Oberfläche - oder ragen teilweise oder bis zur Gänze darüber heraus. Sie bilden Wegführungen und Plätze aus, sind selbst begehbar und können als Sitzgelegenheit dienen. Sie durchschneiden auch noch die oberste der beiden Stufen aus hellem Beton, die den Platz vom Gehsteigniveau abheben, und verzahnen damit den Platz mit dem Umfeld. Einen barrierefreien Zugang gibt es über eine Rampe entlang der Feuermauer des angrenzenden Hauses in der Dingelstedtgasse. Sechs bestehende Lindenbäume wurden in die Gestaltung integriert. Erst beim Durchwandern der Anlage fallen die wie beiläufig in den Boden eingelassenen Mosaike auf. Mit ihren Darstellungen von Lebensmitteln erinnern sie an Mosaikreste, wie wir sie aus frühchristlicher Zeit oder den Ausgrabungen in Pompeji kennen. Feigen, Oliven, Datteln sind erkennbar, Überreste eines Festmahls vielleicht, aber auch eine Dose eines bekannten Energydrinks, Obst in einem Plastiksackerl oder Kerne in einem Becher. Es sind Früchte aus südlichen Gefilden, die in der Thora erwähnt werden und im jüdischen Jahreskreis eine Rolle spielen, es sind aber auch Lebensmittel, die den heute in der Umgebung wohnhaften Migranten aus ihrer Heimat vertraut sind und auch längst Eingang in den Speiseplan autochthoner Wiener gefunden haben. Die Geschichte der Synagoge und der hier von den Nazis - unter dem Beifall der nichtjüdischen Nachbarn - vollbrachten Gräueltaten wird auf einer Tafel nächst der Rampe erklärt.

Der Platz animiert zum Betreten und Benutzen ebenso, wie er zum Innehalten und Gedenken einlädt. Er ist niederschwellig, weil zitathaft Gegenständliches wie die Mosaike und die Holzbalken neugierig machen und im besten Fall auch bislang Ignorante oder Unwissende dazu veranlassen, sich eingehender mit dem Sinn des Kunstwerks und der Geschichte des Ortes zu befassen. Was den Leuten gefällt, ist oft schwer mit den aktuellen Konventionen der Kunst in Einklang zu bringen. Ein hoher Grad an Abstraktion ist vielen nicht zugänglich, Pathos nicht mehr opportun, die Gefahr in Banalität und Kitsch abzugleiten groß. Dass in der Turnergasse ein Ort des Gedenkens, der das Geschehene mit Nachdruck vor Augen führt, zugleich ein Ort der Identifikation für die Anrainer geworden ist, hat auch damit zu tun, dass sich die vier Autoren offensichtlich mit dieser Problematik befasst haben.

7. Januar 2012 Spectrum

Gut fürs Geschäft

Über Räumlichkeiten, die den Innsbruckern und ihren Besuchern dringende und andere Bedürfnisse erfüllen: zwei Gestaltungen des Architekten Rainer Köberl.

Immer wieder verstand es der Innsbrucker Architekt Rainer Köberl, auch ihrem Zweck nach kommerziell orientierten Bauaufgaben so etwas wie „kulturellen Mehrwert“ zu verleihen. Ob ihm das in letzter Zeit nicht dennoch schön langsam zu wenig Inhalt sei, als Bauaufgaben vor allem Supermärkte, Boutiquen, Lokale und nun auch eine Bank zu gestalten? Klar, ein Museum, eine Kirche oder eine Moschee wären schon auch tolle Bauaufgaben, über die er sich freuen würde. Aber jede Aufgabe, so Köberl, habe einen wahren Inhalt. Den herauszuschälen, zu interpretieren und ihm Form zu geben hatte er im vergangenen Halbjahr anhand von recht weltlichen Bauten dreimal Gelegenheit.

Am Innsbrucker Mitterweg schuf er zwei Bauten für Auftraggeber, die beide mehrfach baukulturelles Verantwortungsbewusstsein bewiesen haben. Für M-Preis, jene Lebensmittelmarktkette, die kontinuierlich architektonisch ordentliche, oft auch herausragende Filialen realisiert, schuf Köberl seinen nun bereits vierten Markt, und in der gleichen Straße, näher am Stadtzentrum, eine Geschäftsstelle der Bank für Tirol und Vorarlberg (BTV). Beide sind Oasen im heterogenen Dickicht der beginnenden Stadtperipherie, wo ein wilder Mix an Gewerbe- und Wohnbauten wenig städtebaulichen Halt gibt und gestalterisch dem Motto „anything goes“ gehuldigt wird. Mit dem sehr luftigen, die Horizontale betonenden Supermarkt, den er mit Durchblicken auf begrünte Dachflächen und anderen Feinheiten veredelte, absorbiert Köberl recht geschickt den rauen Charme der Umgebung.

Mit der Bank hingegen, mit der wir uns hier ausführlicher befassen wollen, schuf er eine Stadtmarke, die aus dem unmittelbaren Rundherum ungeniert hervorsticht, sich davon distanziert und in großräumigerem Kontext gedacht ist.

Die BTV schreibt regelmäßig in den namensgebenden Bundesländern einen Bauherrenpreis aus. Mehrfach hat man sich selbst als verdienter Auftraggeber hervorgetan. Für das Grundstück am Mitterweg, auf dem es in einem Neubau zwei bestehenden Filialen in eine neue Geschäftsstelle überzuführen und zusätzliche vermietbare Geschäftsflächen zu schaffen galt, wurde ein geladener Architekturwettbewerb ausgelobt. Wiewohl es Signale gab, „etwas Kubisches“ im Sinn zu haben, widersetzte sich Köberl den Wünschen der Banker und schuf eine Art Pyramidenstumpf, der markant in die Höhe ragt. Nach einer ersten Wettbewerbsphase kam man zur Erkenntnis, das Grundstück sei zu knapp bemessen, um im Erdgeschoß der Bankfiliale ausreichend Entfaltungsmöglichkeit zu geben, und kürte keinen Sieger. Nachdem der Bauplatz um einen Zwickel erweitert werden konnte, schrieb man den Wettbewerb unter den gleichen vier Teilnehmern erneut aus. Köberl (Mitarbeit: Christopher Perchtold) bewarb sich wie zuvor mit einem extravaganten, völlig „unkubischen“ Entwurf und reüssierte.

Die auffällige Form gibt dem Gebäude Präsenz im Wirrwarr der frequentierten Vorstadtstraße. Köberl stellt sie in Bezug zu anderen markanten Baulichkeiten in der weiteren Umgebung, wie der weithin sichtbaren Allerheiligenkirche von Clemens Holzmeister, Josef Lackners Schule am Fürstenweg oder dem ehemaligen Pulverturm, der in Verlängerung der Achse des Mitterweg beim Flughafen liegt. Die sichtbare Gebäudehülle ist ein durchlässiger Filter, der das eigentliche – verglaste – Gebäude umhüllt.

Sie besteht aus schachbrettmusterartig auf einer Stahlkonstruktion angeordneten Platten aus glasfaserverstärktem Beton, deren Größe variiert, um trotz der geneigten Flächen durchgehend die horizontalen Linien beizubehalten. Der weiße Schleier wirft Licht-Schatten-Muster auf die Umgrenzungsmauer und in die Innenräume. Er schützt vor Einblicken und bewahrt von innen vor dem direkten Blick auf die wenig attraktive Nachbarschaft, lenkt diesen aber auch durch einzelne Fenster in die „schöne“ Umgebung – auf die Berge und in den Himmel.

Geerdet wird die luftige Figur durch eine Betonwand, die sich um das Gebäude windet. Sie begleitet die Zufahrt in die Tiefgarage und umgrenzt zwei Refugien im Freien: ein begrüntes Atrium an der Rückseite und eine mit zwei Fächerahornbüschen ausgestattete Terrasse, die östlich an die Besprechungsräume im Obergeschoß anschließt. Die verbaute Fläche ist knapp, Köberl wusste sie raffiniert zu nutzen und hat das Kunststück zuwege gebracht, dass sich das Gebäude von innen größer anfühlt als von außen, dies auch dank einer schlichten, aber edlen Innenausstattung mit Böden aus grau-weißem Terrazzo und von Köberl maßgeschneidert entworfenem Mobiliar im Schalterbereich. „Hirnförmiges“ Nussholz hat der Architekt hier sinnigerweise eingesetzt, und damit spielt er auch auf das bei Bankgeschäften notwendige Vorausdenken an, wie auch der karierte Schleier als Metapher für das „durchaus nicht nur sichere, sondern auch fragile Bankwesens“ zu deuten wäre.

Einem anderen Geschäft dient Köberl jüngstes Projekt. An die 20 Jahre schon suchte die Stadt nach einem Raum für eine öffentliche Toilette, bislang ein Manko in der prosperierenden Altstadt. Rainer Köberl, der es immer wieder verstand, unauffälligen Orten neue Reize zu verleihen, half bei der Suche und wurde im Parterre des historischen Stadtturms, wo seit den 1970er-Jahren die Stadtturmgalerie angesiedelt war, fündig. Vor etwa zehn Jahren wurde sie erweitert. Köberl ärgerte sich bereits damals darüber, dass man Geld in die Erweiterung steckt, anstatt den Künstlern bessere Räumlichkeiten zu beschaffen. Er schlug vor, die Bedürfnisanstalt hier unterzubringen, und durfte sie auch gestalten: in Gold und Schwarz, sehr großzügig, wobei Köberl die damalige Erweiterung nun recht gelegen kam, stellte sie ihm doch helle Räume zur Verfügung, wie man sie ansonsten für ein WC kaum anzudenken wagt. Eine Bank zum Rasten im Kassenbereich und der dahinter liegende Hof werten das stille Örtchen zu einem Ort der Stille auf, an dem es sich ein paar Schritte abseits des Trubels gut ausruhen lässt. Und die Stadtturmgalerie? Sie bekam neue Räume in der nahen Hofburg.

Publikationen

2021

Architektur in Niederösterreich 2010–2020
Band 4

Der vierte Band der erfolgreichen Reihe Architektur in Nieder­österreich dokumentiert das Baugeschehen in diesem Bundes­land zwischen 2010 und 2020. Hundert mittels Text, Bild- und Planmaterial beschriebene Projekte legen Zeugnis ab von der Vielfalt und der Qualität ausgewählter Beispiele in sieben Ka­tegorien.
Hrsg: ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
Autor: Franziska Leeb, Eva Guttmann, Isabella Marboe, Gabriele Kaiser, Christina Nägele
Verlag: Park Books

2019

querkraft – livin‘ architecture / Architektur leben lustvoll querdenken

Menschen Raum zu geben, Bühnen für das Leben in all seinen Facetten zu schaffen, querzudenken und den Mut zu haben, von eingetretenen Pfaden abzuweichen und nicht alles bierernst zu nehmen – so könnte man die Arbeitsweise von querkraft in kürzester Form zusammenfassen. Zum 20-jährigen Bestehen des Wiener
Hrsg: Franziska Leeb, Gabriele Lenz
Verlag: Birkhäuser Verlag

2013

Walter Zschokke. Texte
Gesammelte Texte des Architekten und bedeutenden Architekturpublizisten und Kurators Walter Zschokke (1948–2009)

Der Aargauer Architekt Walter Zschokke (1948–2009) hat über drei Jahrzehnte das Architekturschaffen und baukulturelle Geschehen in seinen beiden Heimaten, Österreich und Schweiz, beobachtet, kommentiert und analysiert. Der vorliegende Band ist die erste Sammlung seiner pointierten, ungebrochen aktuellen
Hrsg: Franziska Leeb, Gabriele Lenz, Claudia Mazanek, ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich, ZV der Architekt:innen Österreichs
Verlag: Park Books

2011

ORTE. Architektur in Niederösterreich III. 2002 – 2010

Die von Walter Zschokke initiierte und von ORTE herausgegebene Publikationsreihe setzt mit Band 3 die Bestandsaufnahme qualitätsvoller Architektur in Niederösterreich fort. Das Autorinnenteam – Eva Guttmann, Gabriele Kaiser und Franziska Leeb – hat aus einer Fülle an Bauwerken eine exemplarische Auswahl
Hrsg: ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
Autor: Franziska Leeb, Eva Guttmann, Gabriele Kaiser
Verlag: SpringerWienNewYork

2009

Wohnen pflegen leben
Neue Wiener Wohn- und Pflegehäuser

Die Publikation liefert einen umfassenden Diskussionsbeitrag darüber, was zeitgemäße Raum- und Funktionsprogramme von Pflegeeinrichtungen leisten sollen und können und stellt dar, was Geriatrieplanung heute bedeutet und wie sich eine Kommune den Herausforderungen, die eine alternde Gesellschaft mit sich
Autor: Franziska Leeb
Verlag: Verlag Holzhausen GmbH