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Die Materialien, die unsere gebaute Umwelt prägen, scheinen immer beliebiger und austauschbarer zu werden. Ein traditionell in einer Gegend verwendetes Baumaterial – gleich ob Holz, Stein oder Ziegel – und eine daraus resultierende Handwerkskunst, die noch vor 100 Jahren eine regional-typische Bauweise vorgaben, sind nicht länger bindend. Alles scheint mittlerweile beinahe überall machbar zu sein. Die Aufgabe des Planers, das »richtige« Material für seine Gebäude zu wählen, ist daher umso anspruchsvoller, aber auch reizvoller geworden. Die Vielfalt der Materialien und ihre verschiedenen Verarbeitungsmöglichkeiten bieten enormes Potenzial, das es, wie unsere vorgestellten Projekte zeigen, zu entdecken und zu erforschen lohnt. Ob identitätsstiftend, sinnlich, traditionell, ökologisch, futuristisch oder schlicht, Material ist nicht beliebig: Material wirkt. | Martin Höchst

Artikel

2. November 2014 Uta Windhager
deutsche bauzeitung

Spürbare Transzendenz

Grabeskirche St. Bartholomäus in Köln

Den Menschen Gewissheit geben, dass sie über den Tod hinaus nicht vergessen werden: Dieser Wunsch begleitete den Umbau der Kölner Bartholomäuskirche zum Kolumbarium durch Kissler + Effgen. Mit Licht und Schatten haben sie Räume gebildet, ohne Grenzen zu ziehen.

Überall im Land werden Kirchen geschlossen. Im Kölner Stadtbezirk Ehrenfeld etwa finden in der Pfarrei »Zu den Heiligen Rochus, Dreikönigen und Bartholomäus« nur noch in zwei der drei Kirchen weiterhin Sonntagsgottesdienste statt – die dritte dient seit Anfang dieses Jahres als Urnenbegräbnisstätte (Kolumbarium). Dass die Gemeinde 2006 beschloss, ausgerechnet St. Bartholomäus in eine Grabeskirche umzuwandeln, mag man fast als Glücksgriff bezeichnen, denn der 1959 geweihte Saalbau von Hans Schwippert strahlt genau den puristischen Ernst aus, den man sich für einen Ort der Trauer wünscht.

Das Gebäude am Bickendorfer Helmholtzplatz liegt in einem ruhigen städtischen Umfeld, dessen ehemals industrielle Prägung im Stadtbild noch deutlich ablesbar ist. Unter dem Einfluss der brutalistischen Strömungen in den späten 50er Jahren plante Schwippert hier ein Gotteshaus, das dem traditionellen Bild einer Kirche zuwiderlief, dafür aber der Ambivalenz des Orts entsprach. Der mit rotem Backstein ausgefachte Stahlbetonrahmenbau zeigt Material und Konstruktion so offen und rau, dass man den einige Stufen unter Straßenniveau liegenden Quader mit dem abgerückten Campanile auch für eine Sporthalle oder Fabrik halten konnte – in vorkonziliarer Zeit eine mutige Übertragung.

Gewebe statt Gemäuer

St. Bartholomäus ist das erste Kolumbarium im Erzbistum Köln; entsprechend viel Überzeugungsarbeit der Gemeinde war notwendig, bis das Generalvikariat dem Vorhaben zustimmte und die kirchliche Baugenehmigung erteilte. Für die relativ junge Bauaufgabe der Umnutzung einer Kirche als Kolumbarium gibt es keine Standardlösung, wohl aber strenge, von der Diözese erlassene liturgische Auflagen. In diesem Fall war es vorgeschrieben, den Ort der Trauerfeier (Kapelle) vom Ort der Beisetzung (Kolumbarium) räumlich zu trennen. Das Wiesbadener Büro Kissler + Effgen gewann den 2011 unter zwölf eingeladenen Teilnehmern ausgelobten Wettbewerb mit einem Entwurf, der mit der Klarheit des Kirchenraums arbeitet und Räume nicht durch Mauern oder Höhensprünge, sondern allein durch Licht und Schatten voneinander scheidet.

Zunächst wurde der erhöhte Chorbereich dem Niveau des übrigen Kirchenraums angepasst, der Basaltboden entfernt und ein heller Gussasphalt eingebracht. Die Kapelle, markiert nur durch ein abgehängtes Metallnetz, platzierten die Architekten an zentraler Stelle im Mittelschiff, an dessen vier Seiten die Urnenwände zehn nischenartige Kabinette bilden.

Wer St. Bartholomäus heute durch das linke Bronzeportal betritt, muss unter der Empore des Seitenschiffs erst einmal innehalten, um sich an das Schummerlicht zu gewöhnen. Beton und Ziegel, so rau wie draußen an der Fassade, verlieren durch das gedämpfte Licht ihre spröde Kargheit. Auch wirkt der Raum trotz seiner Höhe sehr intim. Es sind die von Giselbert Hoke nach Motiven des Sonnengesangs des Heiligen Franziskus gestalteten Fenster, die 1978 das ursprüngliche Klarglas ersetzten und den Charakter des Innenraums maßgeblich verändert haben: Sie filtern das Tageslicht so stark, dass es möglich ist, Kunstlicht zur Gliederung und Definition des Raums einzusetzen. Schon im Wettbewerb sahen Kissler + Effgen vor, die Kapelle nur mit einem Metallgewebe einzufassen und die räumliche Gliederung durch den gezielten Einsatz von Licht zu verdeutlichen. Allerdings konnten die Architekten bei der Realisierung dieser Idee auf keinerlei eigene oder fremde Erfahrungen zurückgreifen. Nach intensiver Recherche fand sich ein Ringgewebe aus Bronze (Alphamesh), dessen hochglanzpolierte, goldfarbene Oberfläche sich als so reflektionsstark erwies, dass es bei entsprechender Beleuchtung trotz seiner Netzstruktur als eine ausreichende räumliche Begrenzung wahrgenommen wird. Dank seines relativ geringen Eigengewichts von 3,4 kg/m2 konnte das Gewebe in einer Rahmenkonstruktion mit Stahlseilen auf sehr dezente Weise von dem Primärtragwerk der Kirchendecke abgehängt werden. Mit seinen Abmessungen von 7 x 7 x 11 m (HxBxL) wurde der Kapellenbereich den Proportionen des Mittelschiffs angepasst und bleibt nach oben offen. Darin stehen, in drei Reihen angeordnet und auf den Altar ausgerichtet, die von Schwippert entworfenen Kirchenbänke sowie ein Flügel. An drei Seiten öffnet sich die Kapelle mit einem größeren und zwei sehr schmalen Zugängen zur Umgebung. Zur Kennzeichnung und Stabilisierung sind die Öffnungen im Bronzegewebe mit schmalen Profilen eingefasst. Die Kanten der hängenden Konstruktion wurden lediglich mit einem transparenten Nylonfaden vernäht.

Licht und Schatten

Das Zusammenspiel von Licht und Material haben die Architekten gemeinsam mit arens faulhaber lichtplaner (Köln) an Musterstücken vor Ort getestet. Insgesamt wurden fünf verschiedene Licht-Raum-Szenarien entwickelt. An der Rahmenkonstruktion des Netzes wurden innen wie außen lineare LED-Leuchten montiert, die wegen des sehr kleinen Abstrahlwinkels nur das Gewebe über seine gesamte Höhe gleichmäßig in einem warmen Goldton leuchten lassen. Mit zusätzlichen Strahlern kann der Kapelleninnenraum beleuchtet werden. Während eines Trauergottesdiensts wird das Bronzegewebe von innen angestrahlt, sodass der umgebende Urnenbereich im Dunklen liegt und nicht wahrnehmbar ist. Auch auf dem hellen Estrichboden zeichnet sich die gewünschte räumliche Trennung mit Licht und Schatten deutlich lesbar ab. Während der Beisetzung wird die Kapelle dann so von der äußeren Leuchtenreihe angestrahlt, dass sie von außen kaum mehr einsehbar ist. Dafür reflektiert das Netz das Licht gleichmäßig in den Umgang und die Nischen. Ist die Kirche tagsüber für Besucher geöffnet, wird das Licht so geschaltet, dass das Netz in beiden Richtungen transparent erscheint und das golden schimmernde Material dem gesamten Innenraum eine unaufdringliche Wertigkeit verleiht.

Klarheit und Mysterium

Im Unterschied zu den meisten historischen Kolumbarien ist die Urnenwandanlage in St. Bartholomäus aus Metall. Kissler + Effgen trafen diese Materialwahl nicht zuletzt deswegen, um die geforderte Zahl von 700 Einzel- und 900 Doppelkammern so realisieren zu können, dass die einzelnen Kammern nicht über Kopfhöhe, aber auch nicht zu nah am Boden liegen. Der Stahlkorpus wurde mit einem Messingblech vollkommen bündig bekleidet, dessen vor Ort von Hand brünierte Oberfläche einen warmen, erdigen Ton erhalten hat, der sie deutlich von der ungeschliffenen Substanz der Kirche unterscheidet.

Jede Urnenkammer ziert ein mit dem Kreuzsignet des Pfarrverbunds versehener, goldglänzender Messingknauf. Nach dem Einstellen der Urne dürfen die Angehörigen den nicht mehr benötigten Knauf zum Andenken mitnehmen. An dem Bohrloch, das er verdeckte, wird nach der Beisetzung die Messingplatte zur Kennzeichnung des Grabs befestigt. Sie kann den Wünschen der Angehörigen entsprechend gestaltet werden und bietet auf einer schmalen Konsole Platz für eine Kerze und eine schmale Vase. Im Laufe der Jahre werden die Messingplatten ein zufälliges, sich ständig verdichtendes Muster auf die dunklen Flächen der Grabwände zeichnen. Den Kontrast von brüniertem und poliertem Messing setzen die Architekten auch bei der Gestaltung von Ambo, Osterkerze und Urnenpodest ein; einzig der neue Altar, ein glatter Sichtbetonkorpus greift auf Schwipperts Materialkanon zurück.

Bleiben die Figuren des von dem tschechischen Künstler Ludek Tichy geschnitzten Kreuzwegs. Angebracht an den Stirnseiten der Grabwände und an zusätzlich aufgestellten Stelen, bilden die Stationen einen Ring um die Kapelle. Die 15. Station, die Jesu Auferstehung darstellt, liegt dem Kapellenausgang gegenüber – ein wohlplatziertes und bedeutsames Detail, das für die Qualität und die Klarheit des Ganzen steht.

Dass es in dieser Klarheit ein Element wie den zentralen Lichtraum gibt, der nicht eindeutig, nicht immer gleich ist, reflektiert auf wunderbare Weise die Überschreitung der Grenzen von Erfahrung, Bewusstsein und Diesseits.

2. November 2014 Hubertus Adam
deutsche bauzeitung

Aus dem Boden gewachsen

Produktions-und Lagergebäude in Laufen (CH)

Ein maßstabsloses Volumen, gefasst von Wänden aus Stampflehm, erhebt sich am Rand von Laufen südlich von Basel. Der weltgrößte Lehmbau ist das neue Kräuterzentrum der Firma Ricola – und zugleich das siebte Gebäude, das Herzog & de Meuron über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren für das Unternehmen realisiert haben.

Das großformatige Foto des Ricola-Lagerhauses von 1991, das Thomas Ruff von dem vier Jahre zuvor in Laufen errichteten Gebäude von Herzog & de Meuron anfertigte, gilt nicht nur als eine Ikone der Architekturfotografie, es steht auch für den internationalen Durchbruch des Architekturbüros aus Basel. Das, mit einer Struktur aus Eternitplatten bekleidete Lagergebäude ist eines der wichtigsten Frühwerke des Büros. Bildhaft evoziert das Bauwerk das Prinzip des Lagerns, mit alltäglichen, fast banalen Elementen ist die schlichte Box umgeben, und doch überzeugt der Minimalismus durch Präzision der Details.

Zwischen dem Unternehmen Ricola und den Architekten Herzog & de Meuron besteht seit nunmehr gut 35 Jahren eine enge Beziehung, die in der Zeit wurzelt, als Jacques Herzog noch unsicher war, ob er als Künstler oder als Architekt reüssieren würde. Der Basler Galerist Diego Stampa hatte Alfred Richterich, dem Kunstsammler und Sohn des Firmengründers, Ende der 70er Jahre den jungen Herzog für eine Freiluftinstallation auf dem Firmengelände empfohlen. Das Projekt scheiterte zwar, doch 1980 ließ sich Richterich das eigene Wohnhaus von den beiden Architekten umbauen. Auf diesen privaten Bauauftrag folgten über die Jahrzehnte insgesamt sieben realisierte Projekte für die Firma Ricola – das Akronym steht für Richterich & Co. Laufen –, die 1967 aus der von Emil Richterich 1930 in Laufen gegründeten Confiseriefabrik hervorgegangen war. Auf den Umbau des Firmensitzes (1983) folgten der Umbau (1985/86) der als Keimzelle der Firma bedeutsamen Bäckerei im Ortszentrum, das Lagerhaus (1986/87) sowie das diesem benachbarte Reitergebäude (1989-91). Mit der bedruckten Fassade des für die Bedienung des europäischen Markts nötigen Vertriebsgebäudes in Mulhouse (1992/93) sowie den kristallinen Formen des Marketinggebäudes in Laufen (1998/99) konnten Herzog & de Meuron neue Themen setzen, die nicht nur Zäsuren im eigenen Werk bildeten, sondern die jüngste Architekturgeschichte prägten.

Das Gleiche gilt auch für das aktuelle und nunmehr siebte Ricola-Gebäude: das Mitte des Jahres eingeweihte Kräuterzentrum in Laufen gilt als weltgrößtes Bauwerk aus Lehm.

»Chrüterchraft«

Bergkräuter bilden die wichtigsten Ausgangsstoffe für die unterschiedlichen Produkte von Ricola, besonders die 13 Kräuter, die für den legendären, 1940 von Emil Richterich erfundenen Kräuterzucker benötigt werden. 1 400 t frischer Kräuter, für deren biologischen Anbau Vertragslandwirte in den diversen Berggebieten der Schweiz sorgen, werden jährlich in Laufen verarbeitet. Für das Trocknen, Reinigen, Schneiden und Mixen waren bisher Fremdunternehmen verantwortlich, doch im Zuge einer »vertikalen Integration« sollten diese bislang ausgelagerten Arbeitsschritte ebenfalls in die Obhut der Firma gelangen. Das hat nicht nur mit der Optimierung von Logistik und Betriebsabläufen sowie der Wachstumsstrategie des Unternehmens zu tun, sondern auch mit einem veränderten Auftritt von Ricola in der Öffentlichkeit. In einer Zeit, in der ökologische Ausrichtung und regionale Herkunft von Produkten ständig an Bedeutung gewinnen und die Omnipräsenz von künstlichen Aromastoffen in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert wird, setzt Ricola verstärkt auf die natürliche Qualität seiner Ausgangsprodukte und rückt nicht mehr den chemisch-technischen Prozess des Bonbonskochens in den Vordergrund. Folgerichtig wurde auch der überaus erfolgreiche Werbeslogan »Wer hat's erfunden?« zugunsten des für ausländische Ohren ungewöhnlichen Worts »Chrüterchraft« abgelöst, der eine gewisse Eigenartigkeit der Schweizer ebenso zum Ausdruck bringt wie das Potenzial der Bergkräuter.

Vor einigen Jahren entschied sich Ricola, die eigentliche Produktion vom Firmengelände an der Baslerstraße im Norden an die Wahlenstraße im Süden von Laufen zu verlagern. Zuvor hatten sich Pläne von Herzog & de Meuron, die bestehenden Produktionsgebäude mit einer neuen Struktur zu überbauen, als ungeeignet erwiesen. Die 2006 eingeweihte Fabrikationsanlage wurde daraufhin einem Ingenieurbüro übertragen und zeigt sich heute dementsprechend als technoid wirkendes Ensemble.

Getrennt durch eine Hecke, die bis zur Straße hin verlängert wurde, ist auf dem Nachbargrundstück das Kräuterzentrum entstanden, das von einer Magerwiese umgeben und unterirdisch mit dem Produktionsgelände verbunden ist. Gegensätzlicher könnten die beiden Anlagen, welche die zwei Pole des Produktionsprozesses verkörpern, kaum sein: Hier das Primat der architektonischen Form, dort die Dominanz der technischen Installation; hier der Bezug zu Material und Natur, dort die »Ortlosigkeit« des Ingenieurbaus.

Tradition und Trägheit

Zunächst experimentierten die Architekten mit einer partiell offenen hölzernen Struktur, mussten diesen Ansatz jedoch aufgrund von hygienischen Anforderungen aufgeben. Die Alternative war das Bauen mit Lehm, welches das Büro seit Längerem interessiert hatte und auch schon für das Schaulager in Münchenstein bei Basel vorgesehen war, dort aber schließlich verworfen werden musste. Mit dem Lehmbauspezialisten Martin Rauch aus Vorarlberg, der inzwischen als Gastprofessor an der ETH Zürich unterrichtet, fanden die Architekten einen mit dem Material erfahrenen Partner. Ton, Lehm, Mergel und Kies sind Materialien, die in der Umgebung von Laufen mit seiner Tradition der Tonindustrie (»Keramik Laufen«) zur Verfügung stehen. In einer leer stehenden Industriehalle im benachbarten Zwingen produzierte Rauch die insgesamt 666 Blöcke aus Stampflehm, welche die 45 cm dicke Hülle des neuen Kräuterzentrums bilden. Dieses zeigt sich als ein rechtwinkliges Volumen von 111 m Länge, 30 m Breite und 11 m Höhe. Die Lehmschale umfasst dabei das Stahlbetontragwerk der Halle und wird durch das leicht überstehende Dach sowie die Betonplatte am Boden vor eindringender Feuchtigkeit geschützt; Kalkschichten, die an der Fassade als horizontale Fugen sichtbar sind, beugen überdies der Erosion vor.

Die »Trägheit« der Lehmblöcke sorgt im Innern für eine konstante Luftfeuchtigkeit von 50 % – im Bereich der Lagerhalle, die die hintere Hälfte des Gebäudes beansprucht, blieb die Lehmhülle innen unbekleidet. Vorne hingegen, wo eine Beheizung – für diese wird die Abwärme der benachbarten Produktionshalle genutzt – nötig war, wurden Backsteinwände eingezogen. Hier befinden sich die Bereiche der Anlieferung und Trocknung, dahinter die Anlagen für das Schneiden und Mixen der Kräuter. Ein Versammlungsraum im OG, der mit ebenfalls von Herzog & de Meuron entworfenen Holzmöbeln und Hängeleuchten ausgestattet ist (eine Vitrine zeigt römische Tonfunde aus der nahen Umgebung), ermöglicht über einige Fenster Einblicke in die Produktionsbereiche.

Abstraktion in Lehm

Wie auch das Lagerhaus in Laufen und das Vertriebszentrum in Mulhouse bleibt das Kräuterzentrum von außen betrachtet rätselhaft – und überdies maßstablos. Die vier Rundfenster, je eines pro Fassade, stärken mit ihrem Durchmesser von 5,5 m die Abstraktheit der Fassade. Natürlich dienen sie der Belichtung des Innern, doch ist ihre Platzierung eigentlich kompositorisch innerhalb des Gesamtbilds der Fassaden begründet. Die zweigeteilten Fenster sind ohne Stützkonstruktion mit Dornen in den Stampflehmblöcken verankert und aus Gründen der Erdbebensicherheit mittig mit einem Pfeiler im Innern hinterfangen. Zu den Rundfenster treten als zusätzliche Durchbrüche der Außenwände die vereinzelten, aus Lärchenholz bestehenden Tore und Fluchttüren an den Längsseiten.

Mit der Geometrie der einfachen Box knüpfen Herzog & de Meuron an Themen an, die sie schon in ihrem Frühwerk beschäftigt haben, während die Materialisierung in Stampflehm eine seit Längerem verfolgte, nun aber erstmals umgesetzte Idee darstellt. Eine intelligente Verknüpfung von Kontinuität und Innovation zeichnet seit jeher die besten Bauten des Basler Architekturbüros aus.

2. November 2014 Klaus Meyer
deutsche bauzeitung

Lichtung im Untergrund

U-Bahn-Zwischengeschoss am Hauptbahnhof in München

Saniert, restrukturiert, optimiert: Mit viel Glas und gutem Licht verwandelten Auer Weber die U-Bahn-Verteilerebene am Münchner Hauptbahnhof vom unterirdischen Schmuddeleck in ein übersichtliches Schmuckstück.

Eine Natursteinbekleidung kann schön, aber auch hässlich sein. Auf die in den U-Bahn-Stationen des Münchner Hauptbahnhofs trifft jedoch weder das eine noch das andere zu: Sie ist schlicht und ergreifend das Grauen. In den finstersten Winkeln am Ende der Bahnsteige machen selbst saubere Oberflächen den Eindruck, als seien sie mit einer Tinktur aus altem Frittierfett lackiert worden. Allerdings hat das Grauen, das zur Entstehungszeit der Anlage Anfang der 80er Jahre als Gebot der praktischen Vernunft hoch im Kurs stand (Unempfindlichkeit!), wohl bald ein Ende. Schon jetzt kann man aufatmen, denn seit kurzem präsentiert sich zumindest das weitläufige Entree zur U-Bahn in neuem, gläsernen Design.

Die Sanierungsarbeiten an dem 6 000 m² großen, täglich von rund 200 000 Menschen frequentierten Zwischengeschoss unter dem Bahnhofsplatz dauerten drei Jahre. Da der Raum mit seinen Auf- und Abgängen zur Straßenbahn, zum Bahnhof und zu den U-Bahn-Stationen als zentrale Verteilerebene fungiert, mussten die Arbeiten unter laufendem Betrieb erfolgen. Den Anlass zur Modernisierung gab freilich nicht etwa die Unansehnlichkeit des Ambientes, es waren Schäden an der Bausubstanz, die eine grundlegende Sanierung des 1980 eröffneten Bauwerks erforderten. Da im Laufe der Jahre salzhaltiges Regenwasser zwischen Wand und Decke eingesickert war und an der Stahlbetonhülle des Objekts zu nagen begonnen hatte, mussten v. a. die Gebäudefugen – und zwar auf rund 440 m Länge – instand gesetzt werden. Die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) als Betreiber und die Münchner Stadtwerke (SWM) als Eigner ergriffen die Gelegenheit beim Schopf und initiierten neben der Renovierung auch die Restrukturierung der Anlage. Innovationsbereitschaft mit Sinn für gute Gestaltung kann man den Unternehmen ohnehin nicht absprechen: Manche Münchner U-Bahnstationen wie »Westfriedhof« oder »Georg-Brauchle-Ring« gelten fast als touristische Sehenswürdigkeit. Die von Allmann Sattler Wappner entworfenen »Stachus Passagen« unter dem Karlsplatz gehören ebenfalls zu den Highlights im Münchner Untergrund.

Von der Budengasse zum Boulevard

Beim Hauptbahnhof-Projekt kam indes ein anderes renommiertes Münchner Architekturbüro zum Zuge: Auer Weber, die 2006 den Wettbewerb zum Neubau des Bahnhofsgebäudes gewonnen hatten und inzwischen mit Vorplanungen zu diesem Mammutvorhaben befasst sind, wurden direkt mit der Neugestaltung des Zwischengeschosses beauftragt. »Der Raum wirkte nicht nur abgenutzt und düster«, erinnert sich Projektleiter Dominik Fahr an seine Eindrücke vor Baubeginn, »durch die konzeptlose Platzierung von Läden im Mittelbereich war er auch verschachtelt und unübersichtlich geworden. Diese mittlere Zone von unnötigen Ein- und Anbauten zu befreien, war unser vordringlichstes Ziel.« Aus diesem naheliegenden Gedanken entwickelte sich schnell die Entwurfsidee der urbanen Straße, eines lebendigen Boulevards mit flankierenden Geschäften und öffentlichen Einrichtungen.

Um den Passanten die Orientierung zu erleichtern, entschieden sich die Planer für eine klare räumliche Trennung von Ladenflächen und sonstigen bahnhofstypischen Angeboten: An der stadtseitigen Ostwand wurden Fahrkartenautomaten, Infovitrinen und Geldautomaten in eine Lichtwand integriert; gegenüber auf der Bahnhofsseite 18 Shops und Gastronomie sowie das neue MVG-Kundencenter platziert. Mit 950 m² wuchs die kommerziell genutzte Fläche im Vergleich zu früher um mehr als das Doppelte. Weil diese Ausweitung mit räumlicher Konzentration, übersichtlicher Gliederung und modernisierter Gestaltung einhergeht, dürften die allermeisten Passanten sie als echten Zugewinn erleben.

Glas in allen Variationen

Gestalterische Qualität ist das Ergebnis einer Vielzahl von Entscheidungen, zu deren wichtigsten die Wahl der Werkstoffe zählt. Auer Weber arbeiteten mit verschiedenen: Die Abgänge zur U-Bahn sind mit silberfarbig emaillierten Stahlblechpaneelen bekleidet, den Boden bedecken großformatige, hellgraue Granitplatten, die bestehenden, von ihrer Natursteinummantelung befreiten Stützen werden in Sichtbeton gehüllt; die Fußleisten sind aus eloxiertem Aluminium, die Handläufe aus Stahl, die abgehängte Rasterdecke ebenfalls aus Metall. Der dominierende Werkstoff jedoch, das Material, das wirkt, ist Glas. Es wirkt als Schaufensterfront und Mosaiksteinchen, als transparente Einfassung und transluzente Wand, als glatte Fläche und gefugtes Feld – und darüber hinaus natürlich als robuste, preiswerte, wartungsfreundliche und ästhetisch langlebige, kurz: vernünftige Lösung.

In der Mittelzone, wo die beiden U-Bahn-Abgänge je eine raumhohe gläserne Einfassung erhielten, kann der Werkstoff seine Vorzüge besonders gut ausspielen. »Auf diese Weise entstehen neue Sichtachsen quer durch das Gebäude, was nicht zuletzt die Sicherheit erhöht«, sagt Fahr. Weniger um Sicherheit als um Attraktivität ging es bei dem gläsernen Band, das die Fassade der Ladenzeile bildet. Die geschosshohe, durchgängig transparente Fläche, ermöglicht durch eine pfostenlose Konstruktion, verhilft den Geschäften zu einem edlen Look. Durch die Gestaltungsvorgabe, die Ladenschilder hinter der Glasfassade zu positionieren, wird das einheitliche Erscheinungsbild zusätzlich gestärkt.

Die Ladenfront und die Lichtwand gegenüber stehen in einem spannungsreichen Kontrast zueinander. »Den ursprünglichen Plan, die Ostwand mit Fliesen zu verkleiden, haben wir nach einigen Versuchen aufgegeben«, so Fahr. Die Fläche sei im Vergleich zu der Schaufensterfront zu dunkel und fad gewesen. Man habe nach einer gleichwertigen Lösung gesucht. Und mit der hinterleuchteten Glaswand, in der die Automaten und Vitrinen wie zu schweben scheinen, fand man schließlich einen höchst attraktiven Kontrapunkt. Die Wand verleiht dem Raum auch insofern einen einzigartigen Charakter, als sie im Tagesverlauf ihren Farbton verändert und sogar mit den Passanten interagiert: Bei Aktivität an den Fahrkartenautomaten wechselt der Farbton zur Komplementärfarbe.

Ein Spot auf das exzellente Licht

Überhaupt kommt der von den Lichtplanungsbüros Bartenbach und Vogt & Partner konzipierten Beleuchtung eine besondere Bedeutung zu. Erstmals wurde ein U-Bahn-Zwischengeschoss komplett mit LED-Leuchten ausgestattet: Rund 4 900 in der Rasterdecke integrierte Spots sorgen für eine überaus angenehme, blendfreie Grundbeleuchtung bei deutlich weniger Energiebedarf im Vergleich zu den früher eingesetzten Leuchtstoffröhren. Hinzu kommen Lichtstreifen an den Rolltreppen, LED-Spots an den Handläufen der Treppen sowie aus jeweils 16 LED-Leuchten zusammengesetzte »künstliche Sonnen«, die an den Zugängen zum Zwischengeschoss den Kontrast zwischen dem hellen Tageslicht und dem Kunstlicht im unterirdischen Gebäude mildern sollen. Zusätzlich beleuchtet werden sämtliche Schilder des Leit- und Informationssystems, was eine optimale Lesbarkeit schon von ferne gewährleistet.

Die ingeniöse Beleuchtung und die in weiten Teilen geradezu immateriell wirkende Materialität schaffen einen in Form und Farbe ruhigen Rahmen, in dem sich die Passanten sicher bewegen können, notwendige Informationen schnell erfassen und Service-Angebote problemlos finden. Mehr wäre in dem relativ niedrigen Raum zu viel gewesen. Doch trotz der optimierten Aufenthaltsqualität bleibt der Bereich natürlich ein Durchgangsraum, aus dem es einen nach einer Weile wieder zurück ins Freie zieht. Auf der Rolltreppe gibt es Gelegenheit, die Arbeit der Architekten ein letztes Mal zu würdigen: Die Wände sind mit weißen Glasmosaiksteinchen bekleidet – das Grauen von früher hat sich in ein kleines Alltagsglück verwandelt.

2. November 2014 Manuel Pestalozzi
deutsche bauzeitung

Weltbühne

WIPO-Konferenzsaal in Genf (CH)

Schauplatz großer Politik und heftiger Stildebatten: Seit bald 100 Jahren dokumentieren die Bauwerke des Genfer UNO-Quartiers die Suche nach einer weltoffenen Architektur. Der WIPO-Konferenzsaal setzt neue Akzente – mit dem uralten Baustoff Holz.

Mit der Genfer Konvention, dem Roten Kreuz und dem Völkerbund fing alles an: Ab 1864 fanden sich in der Calvinstadt im äußersten Westen der Schweiz Delegierte aus allen Weltteilen zusammen, um die Grundsätze für ein humanitäres Völkerrecht zu formulieren. Die Abgesandten debattierten zuerst im umgenutzten Hôtel National am Nordostrand der Stadt, dem heutigen Palais Wilson. Zwischen den Weltkriegen entstand dann gut einen Kilometer weiter nördlich, in einer Parkanlage, der Völkerbundpalast. Vorangegangen war ein Architekturwettbewerb, der eine große Stildebatte auslöste und 1928 zur Gründung des Internationalen Kongresses Moderner Architektur (CIAM) führte. Seither haben sich im Quartier »des Nations« zwischen dem Stadtzentrum und dem Völkerbundpalast zahlreiche internationale Organisationen niedergelassen – in Gebäuden, die mit ihrer häufig etwas kraftlosen Interpretation globaler Büroarchitektur und einem oft steril wirkenden Nebeneinander daran erinnern, dass die Stildebatte seit der CIAM-Gründung nichts an Aktualität verloren hat.

Ins Ensemble eingebundener Solist

Neuen Diskussionsstoff bietet der jüngst fertiggestellte Konferenzsaal der Weltorganisation für Geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organisation, kurz: WIPO). Das Gebäude steht mitten im UNO-Quartier an der sanft ansteigenden Route de Ferney. Gleich unterhalb schließt sich die Place des Nations an, die auf der Längsachse des Völkerbundpalasts liegt und mit ihrem repräsentativen Gepräge das Wahrzeichen des internationalen Genf ist.

Der Saalbau, im Grundriss ein stumpfer, sich nach Süden öffnender Winkel, schiebt sich zwischen zwei Bürohäuser des WIPO-Ensembles. Südlich erhebt sich auf einem Sockeltrakt das Hauptgebäude der Organisation: ein mit Glas bekleidetes Hochhaus aus den 70er Jahren, dessen scheibenförmiges Volumen zur Place des Nations hin konkav gekrümmt ist. Im Norden erstreckt sich entlang der Route de Ferney ein sechsgeschossiger Riegel mit drei Atrien, der Platz für rund 500 Mitarbeiter bietet. Der mit Lärchenschindeln und bräunlich eingefärbten Aluminiumblechen bekleidete Konferenzsaal vermittelt zwischen den beiden in Blau- und Grautönen gehaltenen, großzügig verglasten Bürohäusern. Zugleich nimmt er als eine Art Pavillon Bezug zu der WIPO-Parkanlage, die einst als Geschenk der Föderativen Republik Brasilien nach Plänen des berühmten Landschaftsgestalters Roberto Burle Marx angelegt wurde.

Für die Planung des Saalbaus zeichnet das Stuttgarter Büro Behnisch Architekten verantwortlich, das auch den 2011 fertiggestellten WIPO-Büroblock an der Route de Ferney entworfen hat. Ursprünglich hätte der Saal in jenes Gebäude integriert werden sollen, doch neue räumliche Anforderungen führten zur nun realisierten »Zwischenraumlösung« nahe den Hauptzugängen der beiden Bürohäuser. Zu deren regelmäßig gegliederten Volumina bildet der Neubau mit seiner eigenwillig bewegten, expressionistisch anmutenden Silhouette einen prägnanten Kontrast. Nach drei Himmelsrichtungen greift er mit großen Fenster-Fühlern in den Raum aus. Im Bereich der Route de Ferney schwebt er über einem Sockel, der direkt in die WIPO-Parkanlage überleitet. Die Place des Nations erreichen die Bewohner des westlich vom WIPO-Komplex gelegenen Stadtquartiers jetzt über einen kleinen Platz zwischen Büro- und Saalbau. Zwar trägt der Neubau auf diese Weise zu einer Belebung des öffentlichen Raums bei, doch wird diese Wirkung aufgrund der rigiden Sicherheitsvorschriften bei internationalen Organisationen etwas beeinträchtigt: Eine Schutzmauer entlang der Route de Ferney steht im Widerspruch zum befreiten Schweben im Stadt- und Parkraum. Immerhin soll eine Begrünung der Mauer die Gegensätze versöhnen.

Virtuos inszenierte Übergänge und Ausblicke

Der Erscheinung nach ein Solitär, fungiert der Konferenzsaal als Erweiterung des WIPO-Hauptgebäudes. Dessen repräsentatives Foyer geht über in eine neu geschaffene Zwischenzone mit Oberlichtern und einer organisch geschwungenen Galerie, die Zugang zu den hinteren Rängen des Konferenzsaals bietet. Der Marmorboden des bestehenden Foyers erstreckt sich bis in die Zwischenzone hinein und endet erst an der Kante, hinter der sich das neue Foyer nach Norden unter das Saalvolumen hinabsenkt. In diesem etwas tageslichtarmen Bereich führen zwei Treppen zum Podium des Saals, außerdem gibt es hier Zugänge zum Parkraum.

In den Saal gelangt man auch über einen kleinen, offenen Hof auf der Nordwestseite des Neubaus. Der Muschelkalk des Hofs setzt sich bei diesem zweiten Zugang als Bodenbelag im Foyer fort und führt als breite Rampe, vorbei an den Glasfronten von Diensträumen, direkt in die erwähnte Zone unter den Saal.

Der Konferenzsaal bietet bis zu 900 Delegierten gleichwertige Sitzplätze. Die Anordnung der Sitzgruppen erinnert an die Berliner Philharmonie von Hans Scharoun, allerdings wölbt sich die Decke in Genf nicht, sondern folgt – ziemlich knapp über den Köpfen – dem Verlauf der sanft ansteigenden Ränge. Außerdem befindet sich das Podium am Scheitelpunkt des offenen Winkels, unter dem in den Himmel ragenden, nach Norden orientierten großen Dachfenster. Die beiden anderen Fenster öffnen sich nach Südwesten zu besagtem Hof und nach Südosten zur Place des Nations. Zusammen mit kreisförmigen Oberlichtern bringen sie viel Tageslicht in den Saal. Von der Caféteria, eingerichtet am Fenster zum Platz, genießt man eine schöne Aussicht, an der auch die in der darüber liegenden »Kommandobrücke« untergebrachten Übersetzer Anteil haben.

Expression in Holz

Baukörper, Fassade und Auskleidung des Konferenzsaals bestehen aus Holz. So wurde nicht nur in Form und Farbgebung, sondern auch in der Materialisierung ein Kontrapunkt zu den benachbarten Bürobauten gesetzt. Freilich erscheint die Materialwahl keineswegs beliebig, weil die Hülle des Neubaus sehr gut mit den Bäumen und Büschen der nahen Parks korrespondiert. Zudem wollte man die Qualitäten des Baustoffs optimal nutzen und ein »gesundes« Bauwerk realisieren. Die Konstruktion übernahm schlaich bergermann und partner mit T-ingénierie und Lygdopoulos, die Ausführung wurde dem Consortium Bois OMPI (Charpente Concept, SJB Kempter + Fitze AG, J.-M. Ducret) anvertraut.

Die außengedämmte, nahezu geschlossene Schale des Saalkörpers ruht nur auf wenigen, mit sehr viel Bedacht platzierten linearen und punktförmigen Auflagern. Bei den Wänden handelt es sich um beidseitig beplankte Fachwerke. Boden und Dach bestehen aus bis zu 30 m langen Hohlkastenträgern, deren Hohlräume sich als Installationsebenen nutzen ließen. Zum Einsatz kam das in der Westschweiz entwickelte und von der Firma Ducret angewendete System Ferwood: BSH-Träger wurden beidseitig beplankt und als parallele Streifen von 1,25 m Breite auf der Baustelle angeliefert. Metalllaschen bilden die Verbindungen, welche die Streifen in statisch wirksame Flächen verwandeln. Durch die kreuzweise verklebten Brettlagen der Beplankung entstanden aus dem ansonsten aufgrund seiner Fasern gerichteten Werkstoff Holz biaxial lastabtragende Platten.

Bei der Bekleidung dominiert Lärche, die sowohl die Fassade als auch Innenwände und Decken prägt. Hinzu kommen Weißtanne und das geölte, durch Pigmente aufgehellte Eichenparkett. Auf diese Weise präsentiert sich der Saal als ein lichtdurchflutetes Futteral, das Geborgenheit vermittelt – und ausnehmend gut riecht! Neben der ausgefallenen Bauform sind es die allgegenwärtigen, weitgehend unbehandelten Holzoberflächen, die aus dem Konferenzsaal einen besonderen Ort machen, der sich von der Alltagsarchitektur des Quartiers abhebt, Konventionen sprengt und für einen willkommenen Kontrast sorgt. Die Wirkung des natürlichen Baustoffs lässt sich innen und außen von den Delegierten und Mitarbeitern der WIPO sowie der Bevölkerung unmittelbar erleben. Gespannt wartet man auf die ersten Spuren des Gebrauchs und der Alterung.

2. November 2014 Dagmar Ruhnau
deutsche bauzeitung

Oberfläche mit Tiefe

26 Seniorenwohnungen Sonnenhof in Wil (CH)

»Kachelofen!« Diesen Spitznamen hatte der Neubau im Seniorenzentrum Sonnenhof bereits kurz nach seiner Fertigstellung bekommen. Auf den ersten Blick erinnert er zwar durchaus an einen gemütlichen Ofen, doch entwickeln Fassade und Baukörper bei genauem Hinsehen eine feine, fast schon flirrende Materialität – die sich auch ins Innere zieht.

Zunächst ist das Gebäude ganz unauffällig: Das Grün der Keramikfassade entspricht vollkommen dem Farbton des Laubs der umgebenden Bäume. Der Eindruck ändert sich jedoch, wenn man direkt vor dem Bau steht. Durch den Blick vom Fuß des Hangs nach oben wirkt er recht wuchtig, und das dunkle Grün kontrastiert stark mit den hellen Fassaden des Umfelds, Sichtbeton, Putz und Schindeln. Zu diesem Effekt trägt auch bei, dass für die Baustelle mehr Bäume gefällt wurden als vorgesehen, sodass das Konzept der Architekten, den dreifingrigen Bau in die Lichtungen ragen und mit den Bäumen verschmelzen zu lassen, kaum noch zu erkennen ist. Eine solche Einfügung hätte die Vorstellung der Planer von dem Neubau als »Dépendance« oder »Stöckli« des bestehenden Altenheims unterstützt: verbunden durch Übergänge in EG und UG sowie die Möglichkeit, die Infrastruktur mit zu nutzen; unterschieden jedoch durch die Funktion als Seniorenresidenz mit hochwertigen Wohnungen. Zwar nimmt die Kubatur die bewegte Gliederung der benachbarten Sichtbetonbauten mit ihren Übereck-Balkonen in abgewandelter Form auf, doch macht der Neubau durchaus einen eigenständigen Eindruck: Er steht nicht in der Flucht der Bestandsriegel, sondern vorgerückt am Eingang zum Gelände, und die dunkelgrüne Keramikfassade setzt sich deutlich vom Bestand ab.

Satte Töne, murale Wirkung

Bereits im Wettbewerb waren die glasierten Keramikelemente samt ihrer Farbe Teil des Konzepts. Geplant war der Einsatz von günstiger Stangenware eines italienischen Herstellers, der allerdings schon vor der Ausschreibung in Konkurs ging. In der »Deutschen Steinzeug Schweiz« fanden die Architekten schließlich einen Hersteller, der bereit war, gemeinsam mit ihnen zu experimentieren. Angestrebt war eine Qualität, die ältere Fliesen auszeichnet: Tiefe der Farbe und lebendige Struktur. Tatsächlich konnte der Hersteller diese Vorstellungen mit seinen modernen Brennöfen umsetzen.

Die Mühe hat sich gelohnt: In der Sonne zeigt sich die Tiefe mit mehreren Schichten satter Grüntöne, die eine abwechslungsreiche Fläche bilden – und an den nahe gelegenen Stadtweiher erinnern. Damit vermittelt die Fassade zugleich Wertigkeit, Robustheit und Eleganz. Zur edlen Ausstrahlung trägt auch das Streifenmuster bei, das durch die vertikale Reihung der konkav geformten Fliesen entsteht und eine diskret ordnende Funktion übernimmt. Ein weiteres wichtiges Entscheidungskriterium für die Fliesen war deren »murale Wirkung« und ein plausibler Umgang mit dem auch in der Schweiz allgegenwärtigen WDVS. In der Tat vermitteln das massive Erscheinungsbild, die Beständigkeit gegen Stöße und ein guter Klang beim Dagegenklopfen die Anmutung einer Wand. Für diese Wirkung spielen die Laibungen eine wichtige Rolle, deshalb sind dort ebenfalls Fliesen verlegt. »Ein Blech wäre zu dünnhäutig gewesen«, kommentiert Marius Hug, einer der Büroinhaber. Überlegungen dazu gab es, schließlich bestehen die Fensterprofile außen ebenso wie Sonnenblenden und Brüstungselemente (an manchen Küchen) aus messingfarben anodisiertem Aluminium und bilden durchgehende Bänder zur vertikalen Gliederung der Fassade. Die Entscheidung für die Fliesen erwies sich aber als richtig: Das Thema »massive Wand« in die Innenräume zu transportieren, bewirkt mehr als eine von außen ohnehin kaum sichtbare Ergänzung der Metallbänder. Im Gegensatz zur bewegten Klinkerfassade wirken die Bänder eher flach, passen sich aber farblich sehr gut ein. Die Farbe changiert je nach Lichteinfall und entfaltet ihre Wirkung von Nahem sehr schön – aus der Ferne sehen gerade die größeren Flächen leider eher nach Faserzementplatten aus.

Bestimmendes Konstruktionselement

Die Architekten entwickelten die Form der Fliese selbst. Um Balkonbrüstungen, -stürze und Außenecken sauber zu umschließen, entstanden ca. fünf Varianten der 126 x 300 mm großen Elemente. Im Planungsablauf bedeutete dies eine besondere Herausforderung: Da sich sämtliche Abmessungen nach der Fliesengröße richten, musste der Wandaufbau samt Rohbaumaßen bereits frühzeitig feststehen.

Um die Keramikteile exakt verlegen zu können, war es wichtig, den Unterbau sauber und stabil auszuführen – immerhin wiegt die Fassade rund 30 kg/m². Die Dämmung wurde auf der Ortbetonwand verklebt und verankert, anschließend mit Armierungsmörtel mit eingelegtem Glasfasergewebe verbunden. Diese Schicht musste extrem plan werden, denn die Fliesen wurden nur mit einem hauchdünnen Kleber befestigt. Marius Hug lobt die Leistung der portugiesischen Fliesenlegertruppe wegen ihres Verständnisses für die Anforderungen der Fassade. Für die Verlegung wurden mehrere Varianten durchgespielt; letztlich entschied man sich für einen regelmäßigen Verband in halber Fliesenlänge, was ein angenehm ruhiges Fugenbild ergibt, in das sich der mittelgraue Fugenmörtel unauffällig einfügt.

Wohnen mit Ausblick

Die Innenräume sind ebenso hochwertig gestaltet wie die Fassade; durch die Verwendung heller Materialien und durch eine kluge Lichtführung wirken sie jedoch leichter. Der reduzierte, erdige Farbkanon aus Messing und Grün zieht sich durch, ergänzt um die Farbe Rot. Den Hintergrund bilden Sichtbetonwände und -decken in den öffentlichen Bereichen bzw. weiß gestrichene Glasfasertapeten und lasierte Sichtbetondecken in den Wohnungen. »Wir wollen das Farbliche eher über das Material tragen«, sagt Marius Hug dazu. Und so enthält der auffällige, grobkörnige Kunstterrazzo der Treppen einen Hauch von Dunkelrot, das bei den auf die Sichtbetonwände gemalten Etagenbezeichnungen aufgegriffen wird und mit den Wohnungstüren aus Eiche harmoniert. Das Material Eiche setzt sich in den Wohnungen im Parkett der Privaträume fort, während in den halbprivaten Bereichen (ebenfalls rötlicher) Travertin verlegt wurde.

Das Gebäude ist als Split-Level organisiert, einerseits natürlich, um den Geländeverlauf aufzunehmen, andererseits aber auch – und das ist sehr gut gelungen –, um durch Blickbeziehungen zwischen den Wohnungen den Bewohnerinnen und Bewohnern das Gefühl von Gemeinschaft zu geben. Diese Haltung manifestiert sich auch anderenorts: Vor der Waschküche bietet ein Freisitz mit Wäschespinne Platz zum Plaudern, vor dem Haus und auf der Dachterrasse stehen Bänke zur Verfügung.

Pro Etage verfügt der Bau über zwei Zweieinhalb- und vier Dreieinhalb-Zimmer-Wohnungen, je drei teilen sich ein großzügiges Podest. Mit der Erschließung durch ein zentrales Treppenhaus reizten die Architekten die zulässige angebundene Gesamtfläche von 700 m² aus. Der Preis dafür sind die eher dunklen Eingangsbereiche der Wohnungen, deren Einbauschränke und Abstell- räume dafür viel Stauraum bieten. Vollends aufgewogen wird der Nachteil durch den breiten Korridor, der an den Privaträumen vorbei zum hellen Wohnbereich mit integrierter Küche und Balkon führt. Die Küchenfronten aus Eiche und der grünliche Ton der Naturstein-Arbeitsplatte sowie die von den Architekten selbst entworfenen brünierten Messinggriffe rufen den Farbkanon des Hauses dezent in Erinnerung.

Die Balkone sind jeweils nach zwei Seiten orientiert, um möglichst viele Bezüge herzustellen. Nach Südosten bietet in der Ferne der Säntis den zumeist aus Wil stammenden Bewohnern einen vertrauten Anblick, nach Norden liegen der Park und die Altstadt. Einen grandiosen Bergblick gewährt v. a. die Dachterrasse, die mit ihren grünen Tischen und Sitzgelegenheiten sowie den mit Wiesenblumen bepflanzten Hochbeeten eine beliebte Freifläche darstellt.

Bergidylle in spe

Eine Wiese mit hohem Gras und Blumen schwebt den Architekten auch für das Gelände um das Haus herum vor, doch es braucht wohl noch einen oder zwei Sommer, bis man auf den Bänken das Bergwiesenflair genießen kann. Einige Sitzgelegenheiten sind in die terrassierenden Betonmauern integriert, die mit grober, herausgekratzter Oberfläche und unregelmäßiger Verteilung über den Hang ebenfalls Anklänge an eine Berglandschaft herstellen werden, sobald sie ordentlich bewittert sind. Sogar eine Art Wasserfall ist vorgesehen. Ob es an dieser differenzierten Ausgestaltung liegt oder an der Lage direkt im Stadtzentrum – die Mieter schätzen sich jedenfalls glücklich, hier zu wohnen.

Bauwerk