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Sicher und ausgeglichen
Seniorenwohnen »La Dunette« in Huningue (F)
Das direkt am Rhein gelegene Gebäude vermindert die Ängste vor der Aufgabe der eigenen Wohnung und vor dem drohenden Autonomieverlust beim Umzug in eine Einrichtung des Betreuten Wohnens. Die gesamte Anlage hat etwas Selbstverständliches und Unaufgeregtes und bietet damit den passenden Rahmen für ein im Prinzip doch ganz normales Leben inmitten der örtlichen Strukturen.
3. Dezember 2018 - Achim Geissinger
Wer Dominique Coulons kompromisslose Farb- und scharfkantige Geometriespiele kennt, wird in Huningue fast ein wenig enttäuscht sein. Die Seniorenresidenz fällt zwischen der in kubischer Formensprache gestalteten Kindertagesstätte »La Nef« und einer Reihe recht durchschnittlicher Doppelhäuser kaum ins Gewicht. Sie führt vor Augen, dass gute Architektur weniger von der ästhetischen Gestalt abhängt als vielmehr von den Angeboten, die sie macht.
Am Bedarf orientiert
Seit 1987 arbeitet die französische Ersatzkasse MSA am Wohnkonzept MARPA (Maisons d’Accueil et de Résidence Pour l’Autonomie), das älteren Menschen, die zu Hause nicht mehr gut zurechtkommen und vielleicht sogar zu vereinsamen drohen, in Wohngemeinschaften ein angenehmes Umfeld, Versorgung und Geselligkeit bietet. Vorrangig für kleine ländliche Gemeinden gedacht, gibt es in Frankreich – neben ganz ähnlich gearteten Angeboten – inzwischen mehr als 200 dieser überschaubar großen, personell gut zu betreuenden Wohngemeinschaften, sieben Stück davon im Elsass.
In Huningue war dazu ein besonders langer Atem nötig: Bereits 1996 hatte der damalige Bürgermeister die Frage nach geeigneten Wohnformen für Senioren aufgeworfen. Nach langwierigen Untersuchungen zu Bedarf, Genehmigungsfähigkeit und Umsetzbarkeit, sogar nach einer Erhebung unter der örtlichen Rentnerschaft holte die genehmigende Regionalverwaltung das für die Agglomeration Saint-Louis als zweitrangig priorisierte Projekt endlich aus der Schublade und die Realisierung dieses Wohnangebots konnte beginnen.
Meins und Unseres
Die meisten MARPAs sind mit Rücksicht auf die eingeschränkte Mobilität vieler Bewohner ebenerdig angelegt. Im Grunde fühlen sich die Bewohner im OG aber wohler, weil sicherer, der Grad an Privatheit wird dort als höher eingeschätzt. In Huningue liegen auch deshalb – v. a. aber wegen der begrenzten Grundstücksfläche – die meisten der 22 Apartments in der Beletage. Zwei Einheiten sind mit je etwa 50 m² für Ehepaare gedacht, eine steht mit 32 m² je nach Sachlage zum Probewohnen oder als kurzfristige Unterkunft in Notfällen bereit, die übrigen Single-Studios bieten auf rund 40 m² jeweils einen Wohnbereich samt Alkoven für das Bett, ein seniorengerechtes Bad und nahe der Küchenzeile einigen Stauraum in Einbauschränken.
Besonders angenehm wirkt ein Deckenversprung zwischen dem niedrigeren Eingang und dem höheren Wohnbereich, der beim Eintreten unterschwellig ein Gefühl von Großzügigkeit vermittelt. Die oft gehörte Kritik, man könne den Mietern doch keine kahlen Flächen und graue Böden zumuten, verblasst vor der Tatsache, dass eine ästhetische Vorgabe einen Eingriff in die persönliche Autonomie der Bewohner bedeuten würde. Schließlich handelt es sich um Mietwohnungen, wenn auch recht kleine, auf deren neutralem Hintergrund durch die mitgebrachten Möbel und Ausstattungsgegenstände ein individuelles Ambiente erst entstehen kann.
Die in den Fenstersturz eingelassenen Vorhangschienen werden dazu ebenso genutzt wie die Scheiben der kleinen Fensterchen, die von der Küchenzeile aus eine Sichtverbindung zu den Fluren ermöglichen. Dass deren Holzläden, wenn auch nach außen hin gut sichtbar dekoriert, zumeist verschlossen sind, zeugt von der Notwendigkeit einer klaren Trennung zwischen privatem Rückzugsraum und öffentlichen Bereichen.
Alle Wohneinheiten sind um einen zentralen Erschließungsbereich herum arrangiert, der über abwechslungsreiche Wege in intime Sackgassen und auf weite Plätze führt. Der allgegenwärtige rote Ton des pigmentierten Sichtbetons lehnt sich an den des in der Region häufig verwendeten Sandsteins an und wird als solcher erkannt und geschätzt. Angesichts der wolkigen Oberfläche und so mancher Ausbesserung wünscht man sich jedoch mehr schweizerisches Know-how im Umgang mit dem Material. Den spannungsreichen Perspektiven tut das jedoch keinen Abbruch, vielmehr sorgt die unsaubere Betonstruktur für zusätzliche Belebung des Spiels von Licht und Schatten, Geometrie und Material, ja, sie mildert sogar den Kontrast zu den stark geflammten Oberflächen der Sperrholzplatten, mit denen die Wohnungseingänge akzentuiert sind. Besonders angenehm ist der Tageslichteinfall durch Oberlichter – z. T. auch in den Studios –, durch Einschnitte in die Gebäudekubatur oder den im OG eingeklinkten, leider nicht als Aufenthaltsfläche konzipierten Lichthof. Natürlich gibt es einen geräumigen Aufzug, beliebter ist jedoch die offene Treppe, die Überblick über die Halle und eine Sitzgelegenheit auf dem Zwischenpodest bietet – beliebt selbst bei jenen, für die das Bewältigen der Stufen eine ordentliche Anstrengung bedeutet.
Hat die Eingangshalle mit ihren schallharten Oberflächen und der Achse, die von der Straße aus längs durch das Gebäude über die überdachte Terrasse hinaus bis zur gegenüberliegenden Rheinseite weist, einen klar öffentlichen Charakter, so verbreitet der angrenzende Ess- und Wohnbereich eine sehr angenehme Wohnzimmeratmosphäre. Eine zweiseitig belichtete Sequenz ineinander übergehender Raumsituationen lässt zwischen gemeinsamen Aktivitäten und teilnehmender Vereinzelung vieles zu. Hier wird bei der Zubereitung der Mahlzeiten geholfen, gegessen, debattiert, ferngesehen oder auch einfach nur im Sessel gelesen oder sich am Kachelofen aufgewärmt. Die Akustikdecke tut hier – andernorts selten genug zu erleben – ihren Dienst und sorgt für eine auffallend angenehme Hörsamkeit.
Stützend und sicher
Die Bewohner zahlen etwa 660 Euro im Monat für die Warmmiete und zusätzliche 450 Euro für die Pflege der üppigen Gemeinschaftsflächen, die Teleassistenz per Notrufarmband und für die sechs Alltagsbegleiterinnen, die Versorgung rund um die Uhr und auch einiges an unterhaltsamem Programm anbieten. Die Mahlzeiten werden nochmals gesondert abgerechnet. Schnell addieren sich die moderaten Preise zu Summen, die sich die Interessenten erst einmal leisten können müssen. Der bezugreiche Name des Hauses kommt nicht von ungefähr: »Dunette« bezeichnet auf Französisch die oberste Ebene des Achterdecks von Segelschiffen, auf der die ranghöchsten Passagiere untergebracht werden.
Man geht davon aus, dass sich die Bewohner im Grunde selbst versorgen können. Das tun sie z. T. auch, was die Anzahl der Stellplätze in der Tiefgarage erklärt: Einige erhalten sich ihre (Auto-)Mobilität und erledigen ihre Einkäufe motorisiert.
Alle profitieren von Computerkursen in einem eigens dafür eingerichteten Raum, von einer Frisierstube daneben, einem Bastelraum im UG, einem Gemüse-Garten und dem Pétanque-Feld am Eingang, das auch gerne von Senioren aus der Nachbarschaft genutzt wird. Der Standort könnte kaum besser gewählt sein: Hinten die Rheinpromenade, vorne eine der Hauptstraßen samt Bushaltestelle, keine drei Schritte entfernt von den parkartig angelegten Ufern eines Rhein-Kanals. Direkt nebenan bietet ein Seniorentreff diverse Freizeitbeschäftigungen an, und auch die frühkindliche Betreuungseinrichtung gegenüber findet immer wieder Anlass, mit den Kleinen auf einen Besuch herüberzukommen.
Auf konzeptioneller wie auf gestalterischer Ebene findet das Haus die Balance zwischen dem nötigen geschützten Rahmen, aber auch einer gewissen Durchlässigkeit, die Möglichkeiten eröffnet. Das Betreten des Grundstücks ist mit Rücksicht auf die Privatsphäre nicht unbedingt erwünscht, aber auch nicht explizit untersagt. Ein Bezug zum Außenraum ist von fast allen Stellen aus gewährleistet. Das äußere Erscheinungsbild hebt sich in seiner Klarheit zwar deutlich vom Umfeld ab, leitet aber mit der Ziegelfassade wie selbstverständlich von der Kindertagesstätte über zur Wohnbebauung. Das flirrende Bild der handgearbeiteten, stellenweise zu Mustern arrangierten Steine mildert die Schärfe der Kanten ab und gibt den Oberflächen eine erstaunliche Tiefe. Das Gefühl von Schwere und Festigkeit des Mauerwerks bleibt dabei erhalten.
Über die Verschwenkung der Felder neben den Fenstern kann man streiten; innerhalb der orthogonalen Fassadenstruktur wirken die Schrägen fremd und unnötig. In den Zimmern betonen sie jedoch die großzügige Festverglasung und geben dem Wohnraum Struktur. Beim Öffnen der Lüftungsflügel versperrt unerwartet ein Ziegelgitter den freien Blick; es bedient Sicherheitsaspekte von Einbrechen bis Hinausfallen. Der Querschnitt kann im Hochsommer kein Gefühl der Erfrischung mehr vermitteln, obwohl die mechanische Zwangslüftung übers Bad ausreichend dimensioniert ist. Auch ist die Brüstung zu niedrig, um auf ihr sitzen zu können – optisch hingegen ist das Maß richtig gewählt.
Als gute Wahl erscheint auch die Pelletheizung, die sowohl die Kita als auch das Wohngebäude versorgt. Die Fußbodenheizung in der Halle wird im OG und in den Wohneinheiten von Radiatoren ergänzt – ein gusseisernes Modell, das in angedeutetem Vintage-Design Bekanntes und Gewohntes anklingen lässt.
Die ersten Anzeichen fortschreitender Aneignung verträgt das Gebäude sehr gut. Einige Pflanzen haben den Weg in Flure und Hallen gefunden wie auch das eine oder andere Kunstwerk. Es gibt viel Solidarität unter den Bewohnern, man schaut nacheinander und unterstützt sich nach Kräften. So manchem hat der Einzug ins Achterdeck zu mehr Selbstständigkeit im Alltag verholfen, zu neuer Energie – Würde.
Am Bedarf orientiert
Seit 1987 arbeitet die französische Ersatzkasse MSA am Wohnkonzept MARPA (Maisons d’Accueil et de Résidence Pour l’Autonomie), das älteren Menschen, die zu Hause nicht mehr gut zurechtkommen und vielleicht sogar zu vereinsamen drohen, in Wohngemeinschaften ein angenehmes Umfeld, Versorgung und Geselligkeit bietet. Vorrangig für kleine ländliche Gemeinden gedacht, gibt es in Frankreich – neben ganz ähnlich gearteten Angeboten – inzwischen mehr als 200 dieser überschaubar großen, personell gut zu betreuenden Wohngemeinschaften, sieben Stück davon im Elsass.
In Huningue war dazu ein besonders langer Atem nötig: Bereits 1996 hatte der damalige Bürgermeister die Frage nach geeigneten Wohnformen für Senioren aufgeworfen. Nach langwierigen Untersuchungen zu Bedarf, Genehmigungsfähigkeit und Umsetzbarkeit, sogar nach einer Erhebung unter der örtlichen Rentnerschaft holte die genehmigende Regionalverwaltung das für die Agglomeration Saint-Louis als zweitrangig priorisierte Projekt endlich aus der Schublade und die Realisierung dieses Wohnangebots konnte beginnen.
Meins und Unseres
Die meisten MARPAs sind mit Rücksicht auf die eingeschränkte Mobilität vieler Bewohner ebenerdig angelegt. Im Grunde fühlen sich die Bewohner im OG aber wohler, weil sicherer, der Grad an Privatheit wird dort als höher eingeschätzt. In Huningue liegen auch deshalb – v. a. aber wegen der begrenzten Grundstücksfläche – die meisten der 22 Apartments in der Beletage. Zwei Einheiten sind mit je etwa 50 m² für Ehepaare gedacht, eine steht mit 32 m² je nach Sachlage zum Probewohnen oder als kurzfristige Unterkunft in Notfällen bereit, die übrigen Single-Studios bieten auf rund 40 m² jeweils einen Wohnbereich samt Alkoven für das Bett, ein seniorengerechtes Bad und nahe der Küchenzeile einigen Stauraum in Einbauschränken.
Besonders angenehm wirkt ein Deckenversprung zwischen dem niedrigeren Eingang und dem höheren Wohnbereich, der beim Eintreten unterschwellig ein Gefühl von Großzügigkeit vermittelt. Die oft gehörte Kritik, man könne den Mietern doch keine kahlen Flächen und graue Böden zumuten, verblasst vor der Tatsache, dass eine ästhetische Vorgabe einen Eingriff in die persönliche Autonomie der Bewohner bedeuten würde. Schließlich handelt es sich um Mietwohnungen, wenn auch recht kleine, auf deren neutralem Hintergrund durch die mitgebrachten Möbel und Ausstattungsgegenstände ein individuelles Ambiente erst entstehen kann.
Die in den Fenstersturz eingelassenen Vorhangschienen werden dazu ebenso genutzt wie die Scheiben der kleinen Fensterchen, die von der Küchenzeile aus eine Sichtverbindung zu den Fluren ermöglichen. Dass deren Holzläden, wenn auch nach außen hin gut sichtbar dekoriert, zumeist verschlossen sind, zeugt von der Notwendigkeit einer klaren Trennung zwischen privatem Rückzugsraum und öffentlichen Bereichen.
Alle Wohneinheiten sind um einen zentralen Erschließungsbereich herum arrangiert, der über abwechslungsreiche Wege in intime Sackgassen und auf weite Plätze führt. Der allgegenwärtige rote Ton des pigmentierten Sichtbetons lehnt sich an den des in der Region häufig verwendeten Sandsteins an und wird als solcher erkannt und geschätzt. Angesichts der wolkigen Oberfläche und so mancher Ausbesserung wünscht man sich jedoch mehr schweizerisches Know-how im Umgang mit dem Material. Den spannungsreichen Perspektiven tut das jedoch keinen Abbruch, vielmehr sorgt die unsaubere Betonstruktur für zusätzliche Belebung des Spiels von Licht und Schatten, Geometrie und Material, ja, sie mildert sogar den Kontrast zu den stark geflammten Oberflächen der Sperrholzplatten, mit denen die Wohnungseingänge akzentuiert sind. Besonders angenehm ist der Tageslichteinfall durch Oberlichter – z. T. auch in den Studios –, durch Einschnitte in die Gebäudekubatur oder den im OG eingeklinkten, leider nicht als Aufenthaltsfläche konzipierten Lichthof. Natürlich gibt es einen geräumigen Aufzug, beliebter ist jedoch die offene Treppe, die Überblick über die Halle und eine Sitzgelegenheit auf dem Zwischenpodest bietet – beliebt selbst bei jenen, für die das Bewältigen der Stufen eine ordentliche Anstrengung bedeutet.
Hat die Eingangshalle mit ihren schallharten Oberflächen und der Achse, die von der Straße aus längs durch das Gebäude über die überdachte Terrasse hinaus bis zur gegenüberliegenden Rheinseite weist, einen klar öffentlichen Charakter, so verbreitet der angrenzende Ess- und Wohnbereich eine sehr angenehme Wohnzimmeratmosphäre. Eine zweiseitig belichtete Sequenz ineinander übergehender Raumsituationen lässt zwischen gemeinsamen Aktivitäten und teilnehmender Vereinzelung vieles zu. Hier wird bei der Zubereitung der Mahlzeiten geholfen, gegessen, debattiert, ferngesehen oder auch einfach nur im Sessel gelesen oder sich am Kachelofen aufgewärmt. Die Akustikdecke tut hier – andernorts selten genug zu erleben – ihren Dienst und sorgt für eine auffallend angenehme Hörsamkeit.
Stützend und sicher
Die Bewohner zahlen etwa 660 Euro im Monat für die Warmmiete und zusätzliche 450 Euro für die Pflege der üppigen Gemeinschaftsflächen, die Teleassistenz per Notrufarmband und für die sechs Alltagsbegleiterinnen, die Versorgung rund um die Uhr und auch einiges an unterhaltsamem Programm anbieten. Die Mahlzeiten werden nochmals gesondert abgerechnet. Schnell addieren sich die moderaten Preise zu Summen, die sich die Interessenten erst einmal leisten können müssen. Der bezugreiche Name des Hauses kommt nicht von ungefähr: »Dunette« bezeichnet auf Französisch die oberste Ebene des Achterdecks von Segelschiffen, auf der die ranghöchsten Passagiere untergebracht werden.
Man geht davon aus, dass sich die Bewohner im Grunde selbst versorgen können. Das tun sie z. T. auch, was die Anzahl der Stellplätze in der Tiefgarage erklärt: Einige erhalten sich ihre (Auto-)Mobilität und erledigen ihre Einkäufe motorisiert.
Alle profitieren von Computerkursen in einem eigens dafür eingerichteten Raum, von einer Frisierstube daneben, einem Bastelraum im UG, einem Gemüse-Garten und dem Pétanque-Feld am Eingang, das auch gerne von Senioren aus der Nachbarschaft genutzt wird. Der Standort könnte kaum besser gewählt sein: Hinten die Rheinpromenade, vorne eine der Hauptstraßen samt Bushaltestelle, keine drei Schritte entfernt von den parkartig angelegten Ufern eines Rhein-Kanals. Direkt nebenan bietet ein Seniorentreff diverse Freizeitbeschäftigungen an, und auch die frühkindliche Betreuungseinrichtung gegenüber findet immer wieder Anlass, mit den Kleinen auf einen Besuch herüberzukommen.
Auf konzeptioneller wie auf gestalterischer Ebene findet das Haus die Balance zwischen dem nötigen geschützten Rahmen, aber auch einer gewissen Durchlässigkeit, die Möglichkeiten eröffnet. Das Betreten des Grundstücks ist mit Rücksicht auf die Privatsphäre nicht unbedingt erwünscht, aber auch nicht explizit untersagt. Ein Bezug zum Außenraum ist von fast allen Stellen aus gewährleistet. Das äußere Erscheinungsbild hebt sich in seiner Klarheit zwar deutlich vom Umfeld ab, leitet aber mit der Ziegelfassade wie selbstverständlich von der Kindertagesstätte über zur Wohnbebauung. Das flirrende Bild der handgearbeiteten, stellenweise zu Mustern arrangierten Steine mildert die Schärfe der Kanten ab und gibt den Oberflächen eine erstaunliche Tiefe. Das Gefühl von Schwere und Festigkeit des Mauerwerks bleibt dabei erhalten.
Über die Verschwenkung der Felder neben den Fenstern kann man streiten; innerhalb der orthogonalen Fassadenstruktur wirken die Schrägen fremd und unnötig. In den Zimmern betonen sie jedoch die großzügige Festverglasung und geben dem Wohnraum Struktur. Beim Öffnen der Lüftungsflügel versperrt unerwartet ein Ziegelgitter den freien Blick; es bedient Sicherheitsaspekte von Einbrechen bis Hinausfallen. Der Querschnitt kann im Hochsommer kein Gefühl der Erfrischung mehr vermitteln, obwohl die mechanische Zwangslüftung übers Bad ausreichend dimensioniert ist. Auch ist die Brüstung zu niedrig, um auf ihr sitzen zu können – optisch hingegen ist das Maß richtig gewählt.
Als gute Wahl erscheint auch die Pelletheizung, die sowohl die Kita als auch das Wohngebäude versorgt. Die Fußbodenheizung in der Halle wird im OG und in den Wohneinheiten von Radiatoren ergänzt – ein gusseisernes Modell, das in angedeutetem Vintage-Design Bekanntes und Gewohntes anklingen lässt.
Die ersten Anzeichen fortschreitender Aneignung verträgt das Gebäude sehr gut. Einige Pflanzen haben den Weg in Flure und Hallen gefunden wie auch das eine oder andere Kunstwerk. Es gibt viel Solidarität unter den Bewohnern, man schaut nacheinander und unterstützt sich nach Kräften. So manchem hat der Einzug ins Achterdeck zu mehr Selbstständigkeit im Alltag verholfen, zu neuer Energie – Würde.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel