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Hochhäuser für die europäische Stadt
Neue Zürcher Zeitung

Ein zukunftsweisendes Projekt am Münchner Olympiapark

19. November 1999 - Roman Hollenstein
In den ersten Nachkriegsjahrzehnten erlebte die aus den USA importierte Hochhausarchitektur auch in Europa eine kurze Blüte. Ihre geglückteste Ausformung fanden die schnell zum Fokus einer Neuorientierung der abendländischen Stadt avancierten Türme wohl im Pirelli-Hochhaus von Gio Ponti und in der Torre Velasca von BBPR, die beide in den späten fünfziger Jahren in Mailand entstanden sind. Als Zeichen wirtschaftlicher Dynamik schossen damals Bürotürme in allen Dienstleistungszentren aus dem Boden: in Frankfurt, in London, ja selbst in Zürich. Doch als die Visionen der Planer und Architekten allzu futuristisch wurden, zog man nicht nur an der Limmat die Notbremse; und so wurde aus der zukunftsorientierten Baugattung ein Synonym für die Unwirtlichkeit der Stadt: Frankfurt, dessen Skyline trotz rotgrüner Kritik fröhlich weiter in den Himmel wuchs, wurde fortan abschätzig «Mainhattan» genannt; und in London wetterte Prinz Charles gegen die Zerstörung des Stadtbilds rund um St. Paul's Cathedral. Da hatte es immerhin die Grande Nation besser, verlegte man doch in Paris nach dem Schock von Montparnasse die Hochhauscity kurzerhand in die Défense.


Türme mit Sex-Appeal

Seit Mitte der achtziger Jahre machte sich dann allerdings ganz leise ein Umdenken bemerkbar: Fosters Hongkonger Bankenturm, das Londoner Lloyd's Building von Rogers oder Johnsons New Yorker Lipstick bewiesen, dass Himmelsstürmer auch sexy sein konnten. Bald darauf wurde in dem von städtebaulichen Skrupeln kaum geplagten pazifischen Raum eine neue Runde im Wettstreit um das höchste Haus eingeläutet. Nachdem Fosters Pläne für einen 750 Meter hohen Millennium Tower in Tokio in den Turbulenzen der Wirtschaftskrise untergingen, war es das Boomland Malaysia, das mit Cesar Pellis Petronas Towers einen neuen Rekord aufstellte, den ihm nun Chinas in den Himmel wachsende Städte, aber auch Melbourne und das entthronte Chicago mit neuen Entwürfen streitig machen.

Da bleibt Europa weit abgeschlagen, auch wenn sich die Finanzmetropolen Frankfurt und London in einen Höhenkampf verstrickten, bei dem weder Rotterdam noch die Wiener Donaucity mithalten können. Dafür sind auf dem alten Kontinent architektonisch und urbanistisch interessante Lösungen entstanden: etwa die Doppeltürme am olympischen Hafen von Barcelona oder das RWE-Hochhaus in Essen, die beide keine Skyline nach amerikanischem Vorbild anstreben, sondern wie die Kirch- und Rathaustürme der mittelalterlichen Stadt einen vertikalen Akzent setzen: in Barcelona in einem neugeschaffenen Wohn- und Geschäftsviertel weitab von den historischen Ramblas, in Essen im bisher eher gesichtslosen Zentrum. Der vielleicht von Iwan Leonidows Wolkenkratzerentwurf von 1934 inspirierte, 162 Meter hohe Essener Zylinderbau wurde 1996 zu einer kleinen Sensation, stahl doch das junge Düsseldorfer Büro Ingenhoven, Overdiek und Partner mit ihm sogar Fosters Frankfurter Commerzbank (bei deren Wettbewerb die Düsseldorfer 1991 den zweiten Platz belegten) die Schau. Seither haben Ingenhoven, Overdiek und Partner mehrfach für Schlagzeilen gesorgt, etwa mit dem Entwurf für einen 250 Meter hohen, an Peis Hongkonger China Bank Tower angelehnten Wolkenkratzer für Schanghai.

Nun haben die Düsseldorfer Spezialisten für Geschäftsbauten mit architektonischem Anspruch sogar eine traditionell hochhausfeindliche Hochburg des architektonischen Konservativismus von ihrem Können überzeugen können: München. Die Stadt an der Isar, die mit der Ludwigstrasse die schönste Architekturperspektive und mit dem Königsplatz das klassischste Forum Deutschlands besitzt, hatte sich nach der Fertigstellung des Olympiastadions von der baukünstlerischen Bühne verabschiedet. Seither sind höchstens noch ein durchschnittliches Haus von Richard Meier am Oskar-von-Miller-Ring oder die banale Staatskanzlei am Hofgarten entstanden; und auch die der Vollendung entgegensehende «Pinakothek der Moderne» von Stephan Braunfels dürfte kaum mehr als Münchens Hang zur Repräsentation befriedigen. Einzig der Max-Planck-Neubau des Münchner Büros Graf Popp Streib hinter der Residenz hebt sich in seiner klaren Setzung vom architektonischen Einerlei ab. Er verheisst zusammen mit dem an der noblen Theatinerstrasse entstehenden Hypo-Zentrum von Herzog & de Meuron baukünstlerischen Aufschwung.


Ein leuchtendes Glashaus an der Isar

Es ist ebenfalls die Hypobank, die Ingenhoven den Auftrag für ein Hochhaus mit Randbebauung am Georg-Brauchle-Ring erteilte. Hundert Meter hoch sollte das Haus ursprünglich werden - einem ungeschriebenen Gesetz folgend, dass kein Neubau die Türme der Frauenkirche überragen sollte. Nun wird aber das unweit des längst zum Wahrzeichen des modernen München avancierten Olympiazelts geplante Hochhaus acht Kilometer vom historischen Zentrum entfernt zu stehen kommen. Deshalb gab die Stadt schliesslich einem 146 Meter hohen Gebäude ihr Plazet; und die Stadtgestaltungskommission plädierte gar für mehr als 150 Meter. Da nun die vertikale Schallmauer durchbrochen war, riskierten die Architekten auch noch die Alternativen eines 168, eines 205 und eines 263 Meter hohen Turms, wobei sich zeigte, dass bezüglich Rhythmus und Proportionierung die mittlere Variante von 205 Metern, die der doppelten Höhe des zwei Kilometer entfernten BMW-Vierzylinders von Steidle und Thut aus dem Jahre 1972 entspricht, die ideale wäre.

Das veranschaulicht nun eine attraktive kleine Ausstellung in der Münchner Architekturgalerie anhand von Plänen, Modellen und suggestiven Photomontagen. Die durch einen handlichen Katalog dokumentierte Schau gibt eine Vorstellung von den ästhetischen Qualitäten des Projekts, aber auch von dessen technischen Aspekten. Dabei gibt sich der ökologisch durchdachte Entwurf als ein Zwilling des GSW-Hochhauses von Sauerbruch & Hutton in Berlin (NZZ, 3. 9. 99) zu erkennen. Nur dass das bunte Berliner Hochhaus mit dem Retro-Charme der fünfziger Jahre kokettiert, während das «intelligente Hochhaus» von Ingenhoven, Overdiek und Partner, das durch zwei aus der aufgeständerten Druckkonstruktion resultierende Wespentaillen rhythmisiert wird, die Proportionen einer klassischen Säule wahrt und sich mit seiner silberglänzenden Transparenz einer zeitlosen Eleganz verpflichtet weiss.

Die Reaktionen der Ausstellungsbesucher zeugen von einer neuerwachten Liebe der Münchner zum Hochhaus. Diese ist durchaus vergleichbar mit der Entwicklung im einst ähnlich hochhausfeindlichen Zürich. Nur kann man die bereits mehrfach vorgeschlagene Idee eines Glasturms hinter dem Zürcher Hauptbahnhof weder formal noch urbanistisch mit Ingenhovens Entwurf vergleichen, nicht zuletzt weil der massige Zürcher Bau das Gleichgewicht des kleinteiligen Quartiers stören würde. Ganz anders sähe es allerdings auf dem Hardturm-Areal aus, für das kein Geringerer als Rem Koolhaas eine veritable Skyline entworfen hat. Mit deren Realisierung wäre dann die Limmatstadt nicht nur der Isarmetropole um eine Nasenlänge voraus.


[ Die Ausstellung in der Architekturgalerie an der Türkenstrasse 30 in München ist bis zum 11. Dezember täglich ausser sonntags zugänglich. Katalog: Hochhaus am Olympiapark. Hrsg. Ingenhoven, Overdiek und Partner. Eigenverlag, Düsseldorf 1999. 72 S., DM 28.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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