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Dämmstoffe und Ökobilanz. nextroom fragt Peter Giffinger
Dämmstoffe und Ökobilanz. nextroom fragt Peter Giffinger, Portraitfoto: Jana Madzigon

Baumaterialien spielen eine wesentliche Rolle beim Erreichen von Klimazielen. Sorgsame Rohstoffnutzung und moderne Technologien sind Voraussetzungen dafür. Welchen Beitrag leisten Dämmstoffe zur Ökobilanz? Eine Reportage von Martina Pfeifer Steiner

16. April 2019
Eine Besonderheit des Riesenkonzerns mit 180.000 MitarbeiterInnen in 67 Ländern weltweit ist die 350-jährige Firmengeschichte von Saint-Gobain: Ludwig XIV. wollte unbedingt Spiegelglas in seinem Schloss Versailles verbauen, der Transport von Venedig war jedoch zu riskant. Also gründeten der König und sein Finanzminister Jean-Baptiste Colbert kurzerhand die Königliche Spiegelglasmanufaktur. Eine weitere ist, dass ein Teil der Aktionäre von Saint-Gobain die eigenen MitarbeiterInnen sind. Geschäftsführer Peter Giffinger koordiniert die österreichischen Gruppen des Konzerns: RIGIPS, WEBER, ISOVER und GLASSOLUTIONS. Und all das gibt schon einen Eindruck von der Komplexität der Strukturen. „Nachdem wir ein Industrieunternehmen sind, braucht es technische Führerschaft, doch genauso wichtig ist die lokale Verankerung mit Produktion und der Nähe zum Markt sowie zur Kundschaft, also auf lokale Bauweisen einzugehen. Diese sind natürlich in den USA, in Indien und Europa ja grundverschieden.“

Die Entwicklung der Schlüsseltechnologien ist zentralisiert, es gibt Forschungsteams mit vielen Tausend MitarbeiterInnen. Für den CEO Austria bei Saint Gobain sind ein kooperativer Führungsstil und Eigenverantwortung der Beschäftigten wichtig. Für die hohe Identifikation mit dem Unternehmen wird auch viel getan: Es gibt den jährlichen Welcome-Day für alle, die neu beginnen, zum Kennenlernen des obersten Managements, der Produkte und Systeme. Die Personal-Fluktuation ist extrem niedrig und das oberste Prinzip ist Unfallprävention. Mit vielen Schulungen und speziellen Audits gelingt es, die Zahl der Unfälle auf null zu bringen. EHS – Environment, Health and Safety zählen ebenso wie Nachhaltigkeit zu den Themen, die regelmäßig besprochen werden.

„Wir behandeln Nachhaltigkeit jedoch nicht als Projektmanagement, sondern sehen unsere Verantwortung in der gesamten Wertschöpfungskette. Vor allem dort, wo wir eindeutig zuständig sind: Zum Beispiel wie wir Bergbau betreiben, die Rekultivierung danach, wie wir mit den Anrainern, mit unseren Mitarbeitern umgehen. Das betrifft auch unsere Industrieanlagen, die Energieeffizienz, den Transport“, ist sich Peter Giffinger bewusst. Mit den Baustoffen inklusive Glas sei Saint Gobain doch für einen relativ hohen Anteil der Gebäudehülle verantwortlich, und da gehe es um Wohlbefinden, Atmosphäre, Akustik, angenehmes Raumklima, umso mehr als sich die Menschen zunehmend in geschlossenen Räumen aufhalten.

Bei Dämmstoffen sind moderne Technologien besonders evident: Aus 1 m³ Rohstoff macht ISOVER 150 m³ Mineralwolle, dadurch ergeben sich Vorteile bezüglich Verpackung, Lager und Transport. Bei Glaswolle werden bis zu 80 % recyceltes Altglas verwendet. Apropos Recycling – ebenfalls ein Riesenthema, besonders, wenn man bedenkt, dass Bauen global 37% der gesamten Energie verbraucht! Bei einzelnen Baustoffen ist der Prozentsatz schon relativ hoch, doch in Zukunft müsse die Rückbaubarkeit eines gesamten Gebäudes nachvollziehbar werden. Und das beginnt beim Verbundmaterial, den Klebemitteln etc. Um genau zu wissen, wo, wie, welche Stoffe verbaut wurden, sind neue digitale Methoden notwendig.

Ein gutes Stichwort für die Bauwerksdatenmodellierung, kurz BIM. Das sind digitalisierte Anwendungen zur Optimierung von Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden. Der Saint Gobain-Konzern bietet mit seinem BIM-Plugin geprüfte Bauteil-Lösungen zur Planungsunterstützung an, die ständig aktualisiert werden und mit den CAD-Softwareprogrammen Autodesk Revit und Graphisoft ARCHICAD kompatibel sind.

Die BIM ist aber nur eine der Grundlagen für eine integrierte Planung. „Wir stehen vor einer Evolution im Hochbau! Was im Holzbau mit beispielsweise der Vorfertigung zunehmend gelingt, davon sind wir noch meilenweit entfernt. Es gibt jedoch auch im Hochbau enormes Potential zur Automatisierung und Effizienzsteigerung, wenn die verschiedenen Gewerke von Beginn an bis ins Detail durchgeplant und koordiniert werden. Baustoffe stehen da an der Schnittstelle, wir müssen dafür einfach die Daten und BIM-Modelle liefern“, ist Peter Giffinger überzeugt. Heutzutage sind im Planungs- und Bauprozess Generalunternehmer, Subunternehmer, Baustoffhandel zwischengeschaltet. Näher an die PlanerInnen und Bauherrschaft heranzukommen, sei eine dringliche Herausforderung für die Baustoffindustrie.

Peter Giffinger, geb. 1965, kam 1987 zu Rigips Austria. Der Weg innerhalb der Unternehmensgruppe führte ihn 1998 zunächst nach London, danach in die Region Zentraleuropa (CEE) und Paris. 2008 wurde er zum Managing Director von Rigips Austria, 2016 übernahm er die Leitung von Saint-Gobain ISOVER, im Jahr darauf auch die von WEBER Terranova Österreich und ist seit 2019 CEO Austria bei Saint-Gobain. Saint-Gobain beschäftigt in Österreich rund 800 Mitarbeiter.
Reportagen ergänzen die Serie »nextroom fragt:« um Portraits von Unternehmen. Zu Wort kommen „Köpfe“ von Firmen, die interessante Produkte bzw. Entwicklungen hervorbringen. Der Geschichte über Motivation, Haltung und Visionen dieser Menschen wird vor Ort nachgespürt.

Die Reportagen entstehen in Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner DOCUmedia. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei nextroom.

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