Bauwerk

Kunstmuseum Liechtenstein
Morger & Degelo, Christian Kerez - Vaduz (FL) - 2000
Kunstmuseum Liechtenstein, Foto: Angelo Kaunat
Kunstmuseum Liechtenstein, Foto: Angelo Kaunat

Eine „Kaaba“ für die Kunst

Liechtensteins neuer Musentempel in Vaduz

Das Museum der Arbeitsgemeinschaft Morger & Degelo und Kerez, das heute Samstag in Vaduz eröffnet wird, beherbergt nicht nur Kunstwerke aus fürstlichem Besitz, sondern auch die Staatliche Kunstsammlung Liechtenstein. Der rätselhafte schwarze Bau ist streng orthogonal organisiert, besticht aber trotzdem durch räumliche Vielfalt.

11. November 2000 - Hubertus Adam
Städtische Qualitäten mag man Vaduz kaum attestieren. Wäre da nicht der Boom der Finanzdienstleistungsbranche, müsste man angesichts der 5000 Einwohner eher von einem Dorf sprechen. Doch auf Grund der wirtschaftlichen Prosperität wurde der Ort durch eine Reihe gesichtsloser Büro- und Verwaltungsbauten entstellt. Kulturell internationale Geltung kann einzig die Kunstsammlung des Fürsten von Liechtenstein beanspruchen, bisher kaum adäquat im «Engländerbau» untergebracht, einem Geschäftshaus aus dem Jahr 1933. Zur Zeit Rudolf II. in Prag gegründet, hat die ständig erweiterte Kollektion ihren Schwerpunkt in Arbeiten der italienischen, holländischen und flämischen Malerei - das Inventar umfasst allein 30 Werke von Rubens. Um diese Meisterwerke mehr als nur ausschnitthaft präsentieren zu können, entstand vor gut zwanzig Jahren der Plan für den Neubau eines Kunstmuseums. Doch konnte das 48-Millionen-Franken-Projekt des Münchner Architekten Alexander von Branca die Hürden nicht nehmen.


Orthogonales Labyrinth

Dem zweiten Anlauf für ein Museum war nun mehr Glück beschieden: Eine Reihe von Mäzenen gründete die «Stiftung für die Errichtung eines Kunstmuseums», veranstaltete 1997 einen Wettbewerb und liess den Museumsbau schliesslich im straffen Zeitrahmen von zwei Jahren auf einer Parzelle im Ortskern realisieren. Wurden die Baukosten von 30 Millionen Franken fast ganz durch Spenden finanziert, so kommt nun der Staat für die Betriebskosten auf. Die Anforderungen an das neue Gebäude waren komplex: Neben der Kollektion des Fürsten (der jetzt leider auch nicht mehr Ausstellungsfläche zur Verfügung steht als im «Engländerbau») war Platz zu schaffen für die 1968 gegründete, seit 1996 unter ihrem Leiter Friedemann Malsch mit einem jährlichen Ankaufsetat von 500 000 Franken forciert ausgebaute Staatliche Kunstsammlung.

Der gemeinsame Entwurf von Meinrad Morger und Heinrich Degelo (Basel) sowie Christian Kerez (Zürich), im Wettbewerb 1997 mit dem 2. Platz bedacht, aber zur Ausführung bestimmt, da sich das erstrangierte Projekt des Zürcher Büros Stürm & Wolf nicht mit dem Baurecht vereinbaren liess, überzeugt sowohl durch städtebauliche als auch durch räumliche Qualitäten. Kern des kistenförmigen Volumens, das die west-östlich orientierte Parzelle zwischen Städtle- und Aeulestrasse nahezu vollständig ausfüllt, sind zwei gegenläufige Treppen, welche die beiden Ausstellungsebenen miteinander verbinden. Dadurch ergeben sich zwei Möglichkeiten, die Ebene mit den Oberlichtsälen zu erreichen: Entweder der Besucher nutzt die zentrale Treppe, die vom Foyer aus nach oben führt, oder er durchschreitet erst den an der Nordwestecke gelegenen Seitenlichtsaal und den anschliessenden Kunstlichtraum, um dann zur zweiten Treppe zu gelangen.

Die prinzipielle Struktur des Gebäudes zeigt sich im Obergeschoss besonders deutlich: Der rechteckige Grundriss teilt sich in vier ebenfalls rechteckige Oberlichtsäle, die zu einem Rundgang zusammengeschlossen sind und mit je 300 bis 350 Quadratmetern Fläche unterschiedliche Proportionen, aber ähnliche Raumgrössen aufweisen. Dabei alternieren zwei schmale, lange Räume mit zwei breiteren - eine Konzeption, die trotz der identischen Gestaltung (weisse Wände, Eichenparkett, Glasdecke) eine erstaunliche räumliche Vielfalt aufweist. Durch den für die Präsentation der Gemälde nötigen Einbau von Querwänden erscheint die klare Struktur fast labyrinthisch.


Altmeister und Arte Povera

Die durch Leihgaben aus Museen (Kunsthaus Zürich, Kirchner-Museum Davos) und aus Privatbesitz angereicherte Eröffnungsschau gibt einen Überblick über die bisherigen Erwerbungen der Staatlichen Kunstsammlung. Von den fünfziger Jahren (Giacometti, Bill, Tàpies, Cobra-Gruppe) bewegt man sich im Erdgeschoss zurück bis zu Corot und der Schule von Barbizon. Akzente setzen der italienische Futurismus, der Surrealismus und eine bemerkenswerte Kollektion lettristischer Arbeiten; mit Ferdinand Nigg ist schliesslich ein aus Vaduz stammender Künstler zu entdecken, der im Kontext des Deutschen Werkbunds reüssierte und später an den Kunstgewerbeschulen von Magdeburg und Köln lehrte.

Drei Säle des Obergeschosses gelten vornehmlich der Kunst der sechziger bis achtziger Jahre. Als herausragend erweist sich dabei der Bestand an Arte-Povera-Arbeiten - ein in jüngster Zeit ausgebauter Sammlungsschwerpunkt. Die raumgreifenden Objekte, so Mario Merz' «Spirale di Cera» (1970), sind in einem der langgestreckten Säle überzeugend präsentiert. Auf temporäre Querwände wurde verzichtet, so dass das Raumkonzept hier ohne Modifikationen erlebbar ist. Der vierte Saal ist der Fürstlichen Sammlung vorbehalten; grüngraue Wände grenzen den Bereich aus der gleissenden White-Cube-Ästhetik der übrigen Räume aus und schaffen den Hintergrund für die Präsentation der Altmeister. Anstatt zur Eröffnung des Museums eine neue Auswahl aus den Beständen zu präsentieren, entschied man sich dafür, die 1998 im «Engländerbau» eröffnete Schau «Götter wandelten einst . . .» mit wichtigen Werken unter anderem von Rubens, Jordaens, Rembrandt, Giovanni Francesco Susini und Pierre Courteys zu übernehmen. Rubens' grosse Leinwände «Mars und Rhea Silvia» sowie «Die Auffindung des Erichthoniusknaben» nehmen die Querachse des Saals ein, der durch zwei winkelförmige Wände in drei Bereiche unterteilt wird.


Kontextueller Solitär

Die leise Irritation, die der Parcours durch das Innere auslöst, wird durch die hermetische Gestalt des Äusseren noch potenziert: die räumliche Organisation des Inneren bleibt verborgen. Das Dogma der Moderne, die Nutzung eines Gebäudes müsse sich an der Fassade abzeichnen, suspendieren Morger & Degelo (wie schon bei ihrem Dreirosenschulhaus in Basel) souverän: Wer die schwarze «Kaaba» in Vaduz betritt, die sich lediglich durch die Beschriftung als ein Museum ausweist, wird angesichts der unvermutet lichten Innenräume erstaunt sein. Von wenigen Öffnungen, vor allem den Fensterbändern des Foyers und des Seitenlichtsaals durchbrochen, lassen die fugenlos am Ort gegossenen, schwarz-spiegelnden Betonwände von 40 cm Stärke einen monolithischen Eindruck entstehen. Beigegeben wurden dem schwarz eingefärbten Beton schwarze Basaltbrocken sowie bunter Flusskies. Durch Abschleifen ergab sich ein lebendiges Bild der Fassade, das durch leichte Unregelmässigkeiten verstärkt wird: die Oberfläche nimmt einen beinahe textilen Charakter an. Gerade diese Gestaltung reduziert die monumentale Wucht des Gebäudes und erlaubt ihm, sich in die Baustruktur zu integrieren. Den Architekten ist ein Gebäude geglückt, das man als «kontextuellen Solitär» bezeichnen könnte: Es sprengt den Rahmen, hält aber die Baulinien akkurat ein; es wahrt zu den banalen Nachbarbauten Distanz, erlaubt ihnen aber die Spiegelung in der Fassade.

Obwohl das Staatliche Hochbauamt rechtzeitig zur Museumseröffnung ein voluminöses Buch zum «Bauen für Liechtenstein» vorlegte, ist festzuhalten, dass seit Ernst Gisels Bauten aus den siebziger Jahren keine öffentlichen Gebäude von architektonischem Anspruch mehr realisiert worden sind - und das, obwohl sich Liechtenstein mit seiner Lage zwischen Vorarlberg und Graubünden an der Schnittstelle zweier bedeutender europäischer Architekturregionen befindet. Mit dem schillernd-numinosen Gebilde hat nun Vaduz eine Preziose erhalten, und die Hoffnungen sind nicht unbegründet, dass sich eine neue Besucherschicht erschliessen lässt, die nicht allein zum Shopping in Liechtenstein anhält. Denn mit den neuen Museen von Vaduz, Bregenz und Appenzell hat die österreichisch-schweizerische Grenzregion ein neues Profil erhalten.


[Tag der offenen Tür am Sonntag, 12. November, von 12 bis 18 Uhr. - Literatur: Stiftung zur Errichtung eines Kunsthauses Vaduz. Verlag Lars Müller, Baden 2000. 112 S., Fr. 88.-. - Götter wandelten einst. Benteli-Verlag, Bern 1998. 176 S., Fr. 48.-. - Bauen für Liechtenstein. Regierung des Fürstentums Liechtenstein, Vaduz 2000. 348 S., Fr. 70.-. - Zur Eröffnung soll zudem eine Broschüre vorliegen, die die Eröffnungsausstellung der Staatlichen Kunstsammlung dokumentiert.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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