Bauwerk

Solarhaus Schantl
Heinz Wondra - Graz (A) - 1998

5 - 7 - 5 Ein Haus wie ein Haiku

1. Mai 1999 - newroom
Im Wintermondlicht
Dort zwischen kahlen Bäumen
Drei Schäfte Bambus.
Buson (1715 - 83)

An einer engen, steil abfallenden Sackgasse in einem beliebten Wohnviertel über Graz liegt ein Einfamilienhaus, dessen straßenseitige Einfriedung durch die dem Vorbeigehenden zugewandte Fassade fortgeführt wird. Das rauhe Sichtbetonrechteck mit zwei sparsamen Öffnungen - sperriger Eintritt durch eine schwer wirkende Eisentüre die Eine und ein schmaler Glasschlitz, der die Tiefe des 28 Meter langen Gebäudes erahnen läßt - spricht eine klare Sprache: Privatheit erwünscht.

Heinz Wondra hat das Haus entworfen und schlüsselfertig umgesetzt. Wer den Architekten heute noch ausschließlich mit der Bewegung der Postmoderne in den 80er-Jahren und mit der von Lampugnani initiierten Wohnbebauung am Salzburger Forellenweg (mit Aldo Rossi, Ungers und Rob Krier) in Verbindung bringt, muß diese Einordnung spätestens mit der nun vorliegenden Arbeit revidieren. Vor rund zehn Jahren hat Wondra den Umbau und die Erweiterung einer Gründerzeitvilla in der Entwurfsmethodik der Collage gelöst, hat unterschiedliche geometrische Körper wie Bausteine geschichtet und arrangiert (Haus Fuchs) und üppig in den Farbtopf gegriffen. Diesmal hat er den Wunsch der Auftraggeber nach einem modernen, offenen und transparenten Haus ohne unnötigen Aufwand in der Programmatik eines „Anspruchs auf hohe architektonische Qualität, dem Bekenntnis zur Einschränkung des formalen Aufwands und zu konstruktiver Angemessenheit in der Auswahl der Materialien“ beantwortet.

Der langgestreckte, schmale Baukörper in der Falllinie des Hangs spiegelt aber auch die geradlinige, lakonische Art seiner Bewohner, die dem Architekten ein eher unübliches Maß an Vertrauen entgegenbrachten. Nach der grundsätzlichen Zustimmung zum Entwurf, der als Modell im Handgepäck des Flugzeugs in ihren damaligen Wohnort Frankfurt gebracht wurde, hatten sie die Baustelle nur einmal besucht, um sich vom zugesagten Übersiedlungstermin zu überzeugen. Auf Wunsch der Bauherrn liegen alle Wohnräume und Gästezimmer auf einer Ebene, mit Ausnahme des Kinderzimmers. Vom Eingang im Osten aus überblickt man das Geschoß in seiner ganzen Längsausdehnung und glaubt, in einem Ein-Raum-Haus zu sein, weil die Abtrennung der Schlafräume durch Möbelwände erfolgt, die nicht raumhoch sind. Die Grenze zwischen innen und außen ist kaum auszumachen; erst das dichte Geäst der Bäume - grafischer Hintergrund - deutet den Abschluß des im Westen vorgelagerten Balkons an. Die nördliche Längswand ist hermetisch geschlossen und gibt doch ein sehr bewegtes Bild - ein Spiel von Sonnenlicht und Schatten auf der verleimten Mehrschichtplatte, die über dem Sichtbetonsockel die fertige Oberfläche bildet. Licht kommt von Oben durch ein Glasband im Dach, das den Abgang ins untere Geschoß begleitet und von Süden über raumhohe Türelemente im Rasterabstand. Sie führen auf einen Umgang, der allen Räumen an der Südseite vorgelagert ist. Er ist in mehrfacher Weise schüt-zende Schicht. Die simple Stahlkonstruktion mit Lärchenbohlen kann durch abwechselnd feststehende und verschiebbare Einfachscheiben, die bis unter die Kante des Dachvorsprungs reichen, geschlossen werden. Sie wird zum Klimapuffer, zum Energielieferer und Schutz vor Wärmeverlust (die Steuerung der Wärmezufuhr durch gezieltes öffnen und schließen übernehmen die Bewohner). Zudem wirkt der Klimapuffer als psychologische Trennschicht zum Nachbarn und zur Straße. Vorhänge gibt es nicht.

In der Materialwahl beschränkt sich Wondra im Wesentlichen auf Beton, Holz und Glas. Beton für die Fundamentplatte, die als dichte Wanne in einer ab-getreppten Sichtbetonwand über Terrain gezogen wird, für die Massivdecke über dem Untergeschoß und die sie tragenden Säulen. Holz wird als konstruktiver Bauteil verwendet in Form eines Dreigelenksrahmens für Dach und Nordwand im Verbund mit vorgefertigten Großtafeln, die auf der Baustelle nur mehr montiert wurden. Für den Boden hat der Architekt durchgehend Industrieparkett vorgeschlagen. Unverkleidet, nicht versiegelt und ohne Zierfunktion tritt Holz als moderner Werkstoff in industrieller Fertigung auf. Daß ein äußerst „warmes“ Ambiente entsteht, die Materialien hell, lebendig und gar nicht „arm“ wirken und ein angenehmes Raumklima erzeugen, liegt einerseits an ihrer sorgfältigen Auswahl und Kombination, auch an der Beschränkung auf wenige, andererseits auch an Wondras Fähigkeit, Materialien ins rechte Licht zu stellen und die ihnen innewohnenden Eigenschaften hervorzuheben.

Entstanden ist ein Haus ohne aufwändige Details, bei dem dennoch nichts dem Zufall überlassen wurde. Wondra bezeichnet es als seine bisher reifste Arbeit. Es ist der vorläufige Endpunkt einer linearen Entwicklung hin zu mehr Stringenz und Reduktion, die bei ihm weder Attitude noch radikales Konzept zur Minimierung der Kosten ist. Es scheint, als sei sie ihm programmatische Herausforderung, herauszufinden, wieweit er bei Aufrechterhaltung seines hohen ästhetischen Anspruchs gehen kann. Wondra ist ein Ästhet, aber kein Formalist. Hätte er sonst in der Straßenfassade, die in ihrer strengen Orthogonalität und sparsamen Gliederung an eine minimalistische Komposition von John Cage erinnert, den vertikalen Schlitz am oberen Ende schräg abgeschnitten?

[Erschienen in: Architektur & Bauforum 5/1999]

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