Bauwerk

U-Bahnstation Kagran
Wilhelm Holzbauer - Wien (A)
U-Bahnstation Kagran, Foto: Georg Riha

Die Macht der Metrogewohnheit

Nach drei Jahrzehnten fragt wieder ein Wettbewerb nach Gestaltungsgrundsätzen für die Wiener U-Bahn. Aber die Gründer-Ära will nicht enden: Was die Trasse zwischen den neuen Stationen der U2 betrifft, bleibt alles beim alten.

14. Juli 2000 - Walter Chramosta
Die Entwicklung von Entwurfsgrundsätzen für U- Bahnen kennt als Referenz aus gutem Grund nach wie vor die Stadtbahn Otto Wagners. Deren Ansätze sind von bestechender Aktualität: die ganzheitliche Durchbildung der Trasse vom Brückentragwerk bis zur Haltestellenausstattung, die signifikanten Gestaltungsmittel und vor allem die wechselweise Befruchtung von Verkehrsstruktur und Stadtumfeld. Insbesondere die Hochtrassen der Stadtbahn sind heute wieder positiv besetzt, werden auch integrativ aufgefaßt und nicht als störende Zäsuren im Stadtgefüge.

Der Mehrfachnutzen dieses U-Bahn-Netzabschnitts ist zuletzt am Gürtel deutlich geworden. Auch nach einem Jahrhundert geht von diesem Bauwerk ein Entwicklungsimpuls für die Stadt aus, wenn dessen Rohkräfte entsprechend freigesetzt werden. Die kürzlich abgeschlossene Gürtelbelebung nutzt die Stadtbahnbögen als städtebaulichen Rohstoff,
um eine urbane Situation zurückzugewinnen.

Diese gelungene Wiederaneignung basiert auf der überzeugenden Fähigkeit Wagners, einerseits architektonisch präzise Festlegungen mittels der Stationen zu treffen, andererseits auf der Strecke durch eine formal starke, aber auch hinreichend neutrale Bogenstruktur Nachnutzungen offen zu lassen.

Somit leistet Wagners Bahn das, was guter Städtebau als Vorstufe zu guter Architektur immer vermögen sollte, aber monofunktionale Verkehrsbauten heutzutage kaum mehr anzubieten vermögen: die urbanistische Wohltat, die Verkehrsinfrastruktur der Stadt nicht nur als solche, sondern auch als Ort der Kommerzes, der Unterhaltung, der
Fortbildung et cetera anzudienen. Ein urbanes Verkehrsbauwerk sollte mehrere Angebote an alle Stadtbewohner machen, auch an die, die das Verkehrsmittel aktuell gar nicht benötigen. Für eine Bahntrasse ist nicht allein durch die Lösung der Transportnutzung Akzeptanz zu gewinnen, vielmehr ist die städtebauliche Wechselwirkung mit Wohn- und Geschäftsvierteln sicherzustellen.

Bei der Wiener U-Bahn-Planung entsteht nicht erst aus Anlaß der gerade laufenden zweistufigen Planungskonkurrenz zur Gestaltung der Stationsbauten auf der nach Stadlau zu verlängernden Linie 2 der Eindruck, daß die Entwicklungschancen, die in den neuen Trassen räumlich und funktional begründet sind, nicht langfristig und systematisch gesichert und genutzt werden. Erwartungsgemäß ist auch die Auslegung einer U-Bahn zeitbedingten Einschätzungen unterworfen; gerade die Geburtswehen beim Wiener Grundnetz beweisen, daß derartige Projekte eine Stadtverwaltung zu schwierigen strategischen
Festlegungen herausfordern, die auf Sicht von Jahrzehnten immer wieder Nachjustierungen erfordern.

Auf der taktischen Ebene, der auf bestehende oder in Planung befindliche Stadtviertel bezogenen räumlichen Feinadaptierung der Trassen, wurde hingegen viel versäumt. Die tradierten Regeln des Städtebaus, etwa die Frage der Barrierewirkungen oder der Ansiedlungskapazität für Dienstleistungen bei Hochtrassen, hätten längst Anhalt für eine Ausdifferenzierung der U- Bahn als partnerschaftliches Stadtelement mit Reservecharakter, nicht als hoheitliches
Dominanz- oder Restriktionsinstrument geboten. Die verlegen für Pkw-Stellplätze oder Lager untergenutzten Flächen unter der Hochtrasse der U1 in Kagran oder die wie westwallartige Befestigungen mitten durch sich gerade konstituierende Quartiere in Liesing geschütteten Dämme der U6 sind Hinweise auf solche verschenkten Optionen. Dem fachlich geschulten Beobachter erscheinen solche U- Bahn-Abschnitte wie Hochschaubahnen unterschiedlicher planerischer
und gestalterischer Haltungen: zum einen überschaubare Stationsbauwerke mit architektonischem Anspruch als „Hochpunkte“, zum anderen Stadtmaßstäbe sprengende oder mangels Vorgaben räumlich unbefriedigende Ingenieurlösungen für die Trassen als verbindende „Senken“. Eine innige Verschränkung der Stadt mit der neuen Infrastruktur wurde an solchen U-Bahn-Abschnitten gar nicht angestrebt: Die Trasse gewährleistet den Betrieb der U-Bahn, aber sie behindert den Betrieb der Stadt.

Für die verlängerte U2 scheint sich - abgeleitet aus der verengten Fragestellung des offenen Wettbewerbs, für den nun in der zweiten Stufe zwölf Architekten aufgefordert sind, Typenlösungen für vier Stationen und linienprägende Details zu liefern - ein ähnliches Szenario abzuzeichnen. Ausgehend von einer neuen Wendeanlage am Karlsplatz führt die U2 dann durch den adaptierten Bestand zum Schottenring, unter dem Donaukanal hindurch zum Praterstern, dann, am Rand des Messegeländes an der Stadtoberfläche auftauchend, zum Happel-Stadion, über die bestehende Schrägseilbrücke über die Donau und in Hochlage bis Aspern.

Der Verlauf der Trasse im Stadtgebiet ist als interdisziplinär erarbeitete, technisch komplexe, politisch akkordierte Vorgabe für die Ideenfindung selbst- verständlich, die beschränkte Einlassung der Architekten auf die Haltestellen ist es nicht.

Im November 1970 kritisierte Friedrich Achleitner in dieser Zeitung die erste und letzte U-Bahn-Konkurrenz als „durch die technischen Voraussetzungen und Festlegungen fast nur noch zu einem Alibiwettbewerb der Behübschung tiefbaulicher Maßnahmen“ degradiert. Wenn nun wieder nur nach dem „Erscheinungsbild der Stationen und deren Einbindung in das Stadtbild mit Oberflächengestaltung der unmittelbaren Stationsumgebung auf der Basis des generellen Ingenieurprojekts“ gefragt wird, dann wird der multifunktionale Charakter der U-Bahn im Stadtkörper schlicht negiert.

Oder zumindest wird der heute umso deutlichere ganzheitliche Anspruch an dieses Projekt geschwächt. Und auch wenn in weiteren Untersuchungen die Verschränkung von U2 und den Stadtteilen in Nutzungseinheiten thematisiert werden sollte, allein in der fast vollständigen Fixierung des von der U1 und U3 bekannten Brückenentwurfs der siebziger Jahre als gestalt- und funktionsbestimmendes Charakteristikum der Hochtrasse liegt eine bedauerliche Verkürzung der Aufgabe. Eine überzeugende Unterlegung der Hochtrassen mit wertigen Dauernutzungen ist damit bisher nicht gelungen.

Das „Gesamtdesign“ der U2 erfaßt nach dem Verständnis der Wiener Linien eben noch immer nur die Stationen und ihr direktes Vorfeld, nicht den städtebaulich ebenso wichtigen Rest der Strecke - also doch wieder eine Konzepthochschaubahn nach Wiener Gewohnheitsrecht.

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