Bauwerk

Zubau zum Rathaus
Fellerer / Vendl - Eisenstadt (A) - 2001
Zubau zum Rathaus, Foto: Rupert Steiner
Zubau zum Rathaus, Foto: Rupert Steiner
Zubau zum Rathaus, Foto: Rupert Steiner

Im Dialog der Jahrhunderte

Wo Stilepochen aufeinanderprallen, da kommt es darauf an, wie die Kombination der Elemente erfolgt, wie die Konfrontation architektonisch bewältigt wird. Ein bemerkenswertes Beispiel: der Zubau zum Eisenstädter Rathaus von Andreas Fellerer und Jiri Vendl.

7. Juli 2001 - Walter Zschokke
Das Eisenstädter Rathaus datiert aus der Mitte des 17. Jahrhunderts und verfügt über eine äußerst interessante Fassade zur Hauptstraße, an der Elemente der Spätrenaissance und des Frühbarocks, ja selbst gewisse spätgotische Spuren zusammenspielen. Mit den beiden Rund-Erkern und einem eckigen in der Mitte, dem Bilder- und Fensterband und den geschwungenen Giebeln bildet es einen der architektonischen Höhepunkte an der platzartig verbreiterten Hauptstraße. Für eine zeitgemäße Verwaltung und ein entsprechendes Bürgerservice ist es jedoch zu klein, weshalb nur mehr der Hochzeitssaal, Empfangsräume und das Büro des Bürgermeisters mit Nebenflächen hier Platz finden.
Für die Gemeindeverwaltung und den Gemeinderatssaal wurde daher auf dem tiefen Grundstück, das bis zur Haydngasse reicht, ein Verwaltungstrakt vorgesehen. Zusammen mit dem östlich benachbarten Gebäude des Rathauses und der parallel liegenden Parzelle wurde für das insgesamt mehr als 2600 Quadratmeter messende Areal ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben, den die Wiener Andreas Fellerer und Jirí Vendl für sich entscheiden konnten.

Ihr Konzept folgte dem siedlungstypologischen Prinzip und sah einen tiefen, bis zur Haydngasse reichenden Hof vor, der von zwei langen, vier Geschoße hohen Seitenflügeln gefaßt wird. Der östliche enthält in den ersten beiden Geschoßen Geschäftsräumlichkeiten und darüber eine Zeile von fünf Maisonnetten. Der westliche Seitenflügel ist auf drei Geschoßen als Bürohaus organisiert; das vierte enthält die Räumlichkeiten für die politischen Parteien sowie den Gemeinderatssaal, der volumetrisch, seiner Bedeutung gemäß, einen kräftigen Eckakzent setzt und an der Haydngasse in spannungsvoller Weise über die Jahrhunderte hinweg mit den gotischen Pfeilerrippen am Chor der Franziskanerkirche dialogisiert.

Den Anschluß an den alten Straßentrakt bilden jeweils die Stiegenhäuser, die funktional und in puncto Gliederung der Bauvolumen als Gelenk wirken. Das klare städtebauliche Konzept zeugt von großer Selbstverständlichkeit. Die Architekten wählten das Naheliegende und fraglos Richtige und verblieben im Muster der vorhandenen Baustruktur. In der architektonischen Durchbildung strebten sie jedoch gemeinsam mit ihrer Projektleiterin, Ingeborg Heim, einen unaufgeregten, kühl-trocken-modernen Ausdruck an, der konsequent und mit feinem Gespür für Proportionen und Raumbildungen durchgehalten wird.

Weiß geputzte Mauern und Brüstungsbänder, Fensterprofile in Aluminium und als Brüstung vor dem oberen Geschäftsgeschoß graugrünes Glas: Mit der disziplinierten Materialwahl und dem muralen Charakter der Stirnseiten gelingt es, den verhältnismäßig großen Eingriff in den Kontext einzufügen. Denn das Instrumentarium der benachbarten älteren Bauten ist - insbesondere an den Gebäuderückseiten - nicht gar soviel anders: Mauern sowie Fenster als Löcher in den Mauern, Leichtbau in Holz und Glas bei Pawlatschen. Stukkaturen, Verdachungen und so weiter weisen nur die Vorderseiten auf. Damit bleibt, auch wenn die Formate der Öffnungen andere sind, einiges an Strukturverwandtschaft gewahrt, sodaß selbst das Nebeneinander des neuen Bauwerks mit einer gründerzeitlichen Fassade an der Haydngasse nicht unverträglich wirkt.

Natürlich spielt die zwischenzeitliche Gewöhnung an die Architektur der Moderne eine Rolle. Nicht anders verhält es sich aber mit den barockisierten Fensteröffnungen am Chor der Franziskanerkirche. Zwischen den Stilformen und ihren Baudaten liegen Jahrhunderte. Doch es kommt darauf an, wie die Kombination der Elemente erfolgte, wie die Konfrontation architektonisch bewältigt wurde. Ob sie proportional im Verhältnis von Öffnung und Mauer aufeinander abgestimmt sind, ob man merkt, daß die Maßnahme nicht gleichgültig, sondern sorgsam gesetzt wurde. Das hieße, daß sogar allein die planerische Achtsamkeit als Moment der Integration zu wirken vermöchte. Für eine in Stilmustern verhaftete Vorgangsweise natürlich undenkbar, sehr wohl aber aus architektonischer Sicht. Die langen Hoffassaden weisen einen höheren Anteil an Metall-Glas-Konstruktionen auf. Sie wirken damit offener, andererseits halten sich die Gestalter an nutzungsspezifisch klare Aussagen: vor den Geschäftsräumen großflächige Verglasungen, vor den Büros Bandfenster und vor den Wohnungen eine Mauerfläche mit versetzten Öffnungen, was auf ihren konstruktiven Charakter hinweist.

Den Gemeinderatssaal, dessen zweiseitige Auskragungen in Stahlkonstruktion bewältigt wurden, hüllt eine Leichtbaukonstruktion mit Blechverkleidung. An diesem wichtigen Gebäudeteil hätte man sich vielleicht etwas weniger Zurückhaltung erwartet. Denn die disziplinierte Sprossen- und Fugenteilung nimmt den funktional begründeten Regelverstoß der Auskragungen fast zu sehr wieder zurück. Das Innere des Verwaltungsflügels birgt hinter den Büros entlang der Fassade außer den Erschließungsflächen vor allem eine dreigeschoßige Halle mit umlaufenden Galerien und großzügigen Stiegenläufen. Das Licht gelangt zenital durch ein Fensterband an der Feuermauer, wo die Schatten der Sprossen die Sichtbetonwand beleben.

Hier wird der Rücksprung des obersten Geschoßes sichtbar. Die größeren Spannweiten gaben dem Tragwerksplaner Richard Woschitz einige Nüsse zu knacken. Die konstruktiven Anstrengungen sind jedoch nicht zu sehen, sie ziehen sich zurück in das räumliche Gebilde aus Scheiben und Platten, das den hohen Raum definiert. Sie sind Tragwerk und Architektur zugleich. Die Brüstungen aus rotem Schalungssperrholz verleihen dem Raum seitlichen Halt, sodaß er sich nicht in den Galerien verliert.

Auch beim Geschäfts- und Wohnflügel findet das Prinzip mit dem Fensterband in der Dachfläche Anwendung. Die von der Feuermauer abgerückte Zeile der Maisonnetten wird über einen Laubengang erschlossen, west- und damit hofseitig sind im Obergeschoß bei jeder Wohnung zimmergroße Terrassen eingeschnitten, die als geschützte, private Außenräume einen hohen Wohnwert aufweisen. Ihr Rhythmus von Hohl und Voll belebt den Gesamtbaukörper, signalisiert Individualität in der Reihe und überlagert damit die verbindende Wirkung des unteren Wohngeschoßes, das als langes Prisma über der Metall-Glas-Fassade der Geschäfte zu schweben scheint. Das Vokabular der Moderne ist mit abgestimmten Details perfekt artikuliert und wirkt nicht mehr als elitäre, sondern als verbreitete Architektursprache, die mittlerweile von interessierten Laien nachempfunden, genossen und in ihrer Qualität beurteilt werden kann.

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