Bauwerk

m.a.x.Museo
Durisch + Nolli Architetti Sagl - Chiasso (CH) - 2005
m.a.x.Museo, Foto: Gian Paolo Minelli
m.a.x.Museo, Foto: Gian Paolo Minelli

Chiasso erwacht

Chiasso wird neu erfunden. Der übel beleumdete Grenzort ist zur exklusiven Adresse für die oberitalienischen Kulturmenschen geworden. Denn in Chiasso entstand eine kleine Kulturinsel mit Kino / Theater, Kunsthalle, Stadtsaal und Platz. Das m.a.x. Museo ist der Kern des neuen Kraftorts. Man staunt beim Besuch in der Agglomeration Mailand.

22. Januar 2006 - Benedikt Loderer
Was reimt sich auf Chiasso? Grenzbahnhof, Schwarzgeld, il posto piu brutto del Ticino? Wer nach Chias-so fährt, bringt stabile Vorurteile mit. Die geraten aber ins Wanken, wenn man auf dem Corso San Gottardo steht, dem Rückgrat der Stadt. Der einst unerträgliche Durchgangsverkehr hat einer Fussgängerzone Platz gemacht. Chiasso schöpft Atem. Der Taumel des zwielichtigen Finanzplatzes ist vorüber, Ernüchterung trat ein, Chiasso erwachte und begann mit der ‹Neugründung der Stadt›, wie dem ihr Sindaco Claudio Moro sagte. Man spürt einen Willen, hier wieder leben zu wollen.

Die Kulturinsel

Ein wichtiger Bestandteil dieser Erneuerung ist Chiassos neu geschaffene Kulturinsel. Etwas abseits der Hauptachse steht seit 1936 das Cinema Teatro, ein wohl erhaltener Art-déco-Bau aus dem Jahr 1936 des Architekten Americo Marazzi. (Mit Dachaufbauten allerdings vor kurzem lieblos erweitert.) Seine dem Corso San Gottardo zugewandte Rückwand ziert ein riesiges Wandbild des Malers Carlo Basilico, ein Bilddenkmal. Dem Teatro gegenüber stand eine verwahrloste, verlassene Garage in einem Stück Niemandsland. Mit diesem Grundstück beginnt die Geschichte der Kulturinsel und des m.a.x. Museo, genauer, mit seiner Entdeckung durch die Architekten Durisch + Nolli.

Die Witwe des 1992 verstorbenen Grafikers Max Huber, Aoi Huber Kono, gründete eine Stiftung, die das Werk ihres Mannes und ihres Vaters, dem japanischen Grafiker Takashi Kono, zugänglich machen sollte. Sie entschloss sich, einen kulturellen Kraftort zu bauen, das m.a.x. Museo. ‹m› steht für Museum, Max Huber und Multimedia; ‹a› für Art, Avantgarde und Architektur; ‹x› ist die Unbekannte, die darauf hinweist, dass das Museum allen Kunstgattungen offen stehen soll und dies besonders für junge Künstler. Pia Durisch und Giancarlo Nolli wurden mit dem Projekt beauftragt. Sie mussten sich nicht bloss überlegen wie, sondern auch wo. Da fanden sie das Niemandsland der Garage, sie brachten die Stadt dazu, es zur Verfügung zu stellen. Doch sahen sie sich den Ort genauer an. Hinter der Garage stand ein leerer Hangar in einem dreieckigen Grundstück, der verdächtig nach Abbruch roch. Doch sahen Durisch + Nolli die Chance: der Museumsbau ist nicht ein Einzelobjekt, sondern der Kern einer Kulturinsel. Das Museum stellten sie als schmalen Riegel an die Strasse, den Hangar bauten sie zu einem ‹Spazio Officina›, einem Stadtsaal um, setzten gegen die anschliessende Schule einen Portikus als Abschluss, gestalteten die Umgebung als städtischen Platz mit einem Brunnen und gewannen damit die Kulturinsel. Sie hat heute vier Bestandteile: Kunsthalle, Kino / Theater, Stadtsaal und Platz. Geplant ist noch eine Tanzschule, die die Kalifornierin Carolyn Carlson in einer am Platz liegenden Fabrik einrichten will. Das kulturelle Programm Chiassos lockt unterdessen auch Besucher aus dem nahen Mailand an.

Schrein und Laterne

Das Museum ist eine karges Schatzhaus, eine weiss leuch-tende Laterne nachts, ein geheimnisvoller Schrein tags-über. Das Bauprogramm ist einfach: Im Obergeschoss drei Ausstellungssäle, im hochliegenden Erdgeschoss Vorplatz, Eingangszone mit Kasse, Caffetteria und Shop, im Unterge-schoss Lager, und zwei Ausstellungsräume. Erst im Längs-schnitt wird die statische Raffinesse klar: Die Auskragung über dem Vorplatz wiederholt sich am gegenüberliegenden Gebäudeende, was dort einen zweigeschossigen Saal im Untergeschoss ermöglicht. Zur Raffinesse gehört auch die seitliche Versetzung der Treppenläufe und der Lichthof im Obergeschoss. Die volle Höhe des an sich kleinen Gebäudes wird dem Besucher beim Treppensteigen deutlich gemacht. Ebenso gehören die präzis gesetzten Höhensprünge des Vorplatzes dazu.

Die Ausstellungsräume sind überall durch Bandfenster mit hohem Seitenlicht belichtet. Oben nur an den Längswänden, im doppelhohen Saal des Untergeschosses dreiseitig. Alle diese Glasbänder sind geätzt, das Licht wirkt, wie wenn man in ein Luftbecken eingetaucht wäre, man schwimmt durch die Räume. Es gibt nur an zwei Orten gewählt inszenierte Klarsicht: beim Innenhof des Oberge-schosses und die Aussicht aus dem Foyer auf das Cinema Teatro. Das Museum hüllt sich in einen Mantel aus Pro-filglas, der im Obergeschoss sechzig Zentimeter vor der tragenden Wand steht. Der Zwischenraum ist eine Vitrine in Gebäudegrösse. Sie ist zugänglich und kann als verfremdetes Schaufenster für die Ausstellungen benützt werden.Das knappe Gebäude ist, was es ist, Details sind selten. Es regiert die heilige Nüchternheit der sparsamen Verwendung der Mittel, der architektonischen und der finan-ziellen. Die Tragstruktur entspricht der Raumstruktur, Ver-kleidungen und ‹Innenausbau› gibt es keinen. Das Museum lebt vom Licht, dem innern und dem äussern. Innen das introvertierte milde Licht, das zur Kontemplation einlädt, aussen die Ausstrahlung der Laterne und des weissen Schreins. Wir müssen Chiasso neu zur Kenntnis nehmen, hier ist ein neuer Kraftort entstanden.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

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