Bauwerk

Kunsthalle Wien
Adolf Krischanitz - Wien (A) - 1992
Kunsthalle Wien, Foto: Margherita Spiluttini
Kunsthalle Wien, Foto: Margherita Spiluttini

Fürchtet euch nicht

Die Kunsthalle Karlsplatz wird abgerissen, aber nur, um einer neuen Kunsthalle Platz zu machen.

24. März 2001 - Ute Woltron
Wenn ein Chinese einem anderen von ihm nicht liebgehabten Chinesen die Pest und den Teufel und überhaupt das Ärgste an den Hals wünscht, dann beflucht er ihn mit dem Spruch: „Mögest du im Zeitalter von Veränderungen leben!“

Was sagt uns das? Erstens: Die Chinesen haben ihre Ausdrucksformen ein paar Jahrtausende länger kultiviert als wir primitiv herumfäkalisierenden Neandertalerenkel. Zweitens: Auch der feinstraffinierte Mensch bedarf zu seinem Wohlbefinden einer gewissen Konstanz in seinem Leben. Drittens: Die Architektur als fix gestaltete, sich nur bedächtig verändernde Welt ist da durchaus ein Faktor.

Doch was wäre eine Stadt mit all ihren Häusern, wenn es keine Ausnahmen als Kontrast gäbe: ein Friedhof, eine Aufbahrungsstätte verstorbener Gebäude. An bestimmten, ganz besonderen Punkten darf dieses festgefügte Häuserkonglomerat also ruhig gelegentlich Risse bekommen und Zeitbeschleunigungen erfahren. Im Falle Wiens befindet sich am Karlsplatz, und zwar genau dort, wo noch für kurze Zeit die blau-gelbe Kunsthalle steht, ein ganz besonderes Architektur-Zeitraffereck, quasi ein Kristallisationspünktchen sich besonders schnell verändernder Architektur.

Die Karlsplatzgegend ist aufgrund generationenlangen stadtplanerischen Unvermögens ein stattlicher Archipel gestrüppbewachsener Verkehrsinseln und war lange Zeit vorwiegend von haxerlhebenden Hunden bevölkert. Die Kunsthalle veredelt seit zehn Jahren eine dieser ehemaligen Äußerlinseln. Dieser Tage wird sie - samt Café - abgerissen, doch das macht gar nichts. Es wird alsbald eine neue, kleinere und raffiniertere Box nachwachsen - samt Café - und auch deren Lebensjahre sind jetzt schon gezählt. Auch das ist ganz wunderbar, weil es in der Architektur mitunter so ist, dass etwas noch Besseres nachkommt. So gesehen funktioniert das Kunsthallenareal wie ein Architekturreagenzglas. Ein Experiment wird veranstaltet, von der Stadt betrachtet, für gut befunden, verworfen, ein neues Experiment wird angegangen.

Der erste experimentelle Container sollte der „Kunsthalle“ damals auf die kurze Zeit von vier Jahren einen preiswerten Unterschlupf bieten, so lange, bis die neuen Museumsquartier-Räumlichkeiten vollendet wären. Der zuständige Hallen-Architekt, Adolf Krischanitz, musste sich zwar sofort von Anrainern, denen der Karlskirchenblick verstellt wurde, und von Medienmächten, für die Architektur bei Fischer von Erlach aufhört, ordentlich herwatschen lassen, doch sehr bald wurde klar: Das viel gehöhnte, freche Kunstquartier-Provisorium war ein voller Publikumserfolg. Nicht nur die Ausstellungen waren reichlich frequentiert, auch das angeschlossene Kaffeehausrestl erfreute sich samt kiesstaubiger und stöckelschuhvernichtender Vorterrasse größter Beliebtheit und etablierte sich rasch zu einem der flottesten Treffpunkte der Donaumetropole.

Die Kunsthalle war schick und jung und in, sie pulsierte gerade deshalb, weil sie nicht in Marmor versteinert und in Stuck erstickt, sondern billig, ersetzbar, reparabel war. Der besondere Reiz der Architektur, dem auch internationale Künstler deklariertermaßen erlagen, ist schwer zu erklären. Das Nichtdauerhafte, das Provisorische und deshalb materiell Wertlose war ganz einfach klass zu bespielen, und die Rücksichtslosigkeit, mit der an Fassaden und Innenräumen lässig herumgefuhrwerkt werden konnte, veranlasste die Künstler sofort, begeistert die Sau rauszulassen.

Heimgehen soll man aber, wenn's am schönsten ist. Noch bevor sich die Kiste selbst überlebt hat, kommt sie also weg. Doch Kunsthallen- und Cafébesucher - fürchtet euch nicht. Die Hunde übernehmen das Areal nicht wieder, denn Kunsthallen-Chef Gerald Matt hat eine Erneuerung des Ausnahme-Bebauungsparagraphen 71 erwirkt, Architekt Adolf Krischanitz hat den Zeichenstift gezückt und eine neue Halle entworfen, und diverse Ressorts haben etwa zwölf Millionen Schilling für eine neue „Kunsthalle Karlsplatz“ locker gemacht, die für die nächsten zehn Jahre dort stehen wird.

Bleibt die Frage, was mit dem alten, bald in seine Bestandteile zerlegten Ding passieren soll. Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst, würde damit gerne vor seiner Schule den Wienfluss überspannen. Er würde damit dem Veränderlichen Kontinuität verleihen und sozusagen den Brückenschlag zur eingangs zitierten fernöstlichen Weisheit schlagen. Das Veränderliche bleibt bestehen und das Bestehende wird damit verändert. Wenn das nicht Architektur ist.

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