Bauwerk

Altenwohn- und Pflegeheim Steinfeld
Dietger Wissounig Architekten - Steinfeld (A) - 2005

When I get older

Wer für alte Menschen bauen will, muss etwas über das Altern wissen. Dietger Wissounig zeigt, dass ein Seniorenheim keine triste Verwahrungsstätte sein muss.

27. März 2006 - Karin Tschavgova
Wir werden immer älter. 2050 wird ein Sechstel der Österrei cher über 75 sein - eine für den Einzelnen erfreuliche Perspektive, die für die Gesellschaft aus heutiger Sicht jedoch erschreckend sein muss. Wer wird all diese alten Menschen betreuen und ihnen altersadäquate Wohnformen bieten? Die Segregation der Alten wird auch im ländlichen Raum zur Norm. Wo früher mehrere Generationen, unter einem Dach vereint, gegenseitig Hilfe geleistet haben, leben heute Klein- und Kleinstfamilien separiert im Einfamilienhaus. Ist ein alter Mensch alleinstehend, so ist er häufig auf Hilfe gegen Bezahlung angewiesen. Altenhilfe wird zur öffentlichen Angelegenheit. Die Länder lagern diese in kirchliche Einrichtungen, Sozialhilfeverbände und Vereine aus, denen langfristige Darlehen zur Errichtung von Pflegeplätzen gewährt werden.

Schon in den 1990er-Jahren wurden in Vorarlberg Altenpflegekonzepte mit hohem Anspruch an die Architektur erarbeitet, um aus Verwahrungsstätten für alte Menschen Einrichtungen zu machen, die nicht als triste Endstation empfunden werden. Beispiele wie in Feldkirch, wo den Bewohnern der Heime von Rainer Kölberl und Noldin&Noldin durch die zentrale Situierung der Häuser die Teilhabe am kleinstädtischen Leben weiterhin ermöglicht werden sollte und Einrichtungen wie Postamt, Bibliothek oder ein Café integriert wurden, waren Vorgaben für Standards in anderen Bundesländern.

In Kärnten hat der in Graz ansässige Architekt Dietger Wissounig nun mit einem Altenwohn- und Pflegeheim auf sich aufmerksam gemacht. Dieses Erstlingswerk in Steinfeld im Oberen Drautal hat 2005 den Architekturpreis des Landes und den Kärntner Holzbaupreis zugesprochen bekommen. Der auf den ersten Blick monolithisch wirkende Bau steht abgerückt von der Straße am Ortsrand, umgeben von saftigen Wiesen und Wald, in seiner Nähe nur die Volksschule und eine als öffentlicher Park angelegte große Grünfläche mit Teich. Isolation soll verhindert werden, indem „hausfremde“ Funktionen angeboten werden.

Hortschüler kommen täglich zum Mittagessen, der Ortsgottesdienst wird fallweise in der hauseigenen Kapelle abgehalten, und die Einrichtung der örtlichen Bibliothek im Haus ist geplant. Das Bauwerk präsentiert sich als kompaktes Volumen mit Anmut und Leichtigkeit. Hermetisch und schwer wirkt nur die zur Straße gewandte Nordseite, die sparsam Einblicke gewährt, weil sich hinter ihren Lamellen Pflege- und Verwaltungseinrichtungen verbergen. Und doch entsteht der Eindruck eines schwebenden Baukörpers nicht nur, weil der dem betonierten Sockelgeschoß aufgesetzte Holzbau allseitig auskragt, sondern auch, weil der Architekt es verstand, drei der Fassaden mit einer spielerischen, dabei präzisen Setzung großzügig verglaster Öffnungen und mehrerer raumtiefer Einschnitte für Loggien durchlässig und leicht wirken zu lassen.

Die landschaftliche Schönheit des Drautalbodens bestimmt den Grad der Öffnung des Altenheims nach außen. Die Offenheit im Inneren versetzt den Besucher erst einmal in Erstaunen. Wissounig löst den außen wie aus einem Guss wirkenden, langgestreckten Baukörper auf, indem er ihn der Länge nach mit zwei Bewegungsachsen durchschneidet; das daraus entstehende innere Volumen - der Kern - wird zum mehrgeschoßigen Atrium. Bis auf Brücken, die die Ebenen im ersten und zweiten Obergeschoß von Ost nach West verbinden, und raumhohe Bepflanzung bleibt das Atrium frei von Einbauten. Es bringt alle Ebenen in Sichtbeziehung zueinander.

Ein offenes Raumkontinuum von Windfang, Gang, Foyer und großem Saal eröffnet den Rundgang auf der Eingangsebene. Die beiden darüberliegenden Pflegeeinheiten sind ringförmig um diese immergrüne Insel angelagert. Ihre Wegeführung ist eine großzügig dimensionierte Bewegungszone, die zum Wintergarten verglast ist. Bezug zum Außenraum stellen die offenen Tagesräume als Übergänge zu den geschützten Terrassen dar, mehr noch achsiale Durchstiche bis zur Fassade, die reizvolle Bildausschnitte der Landschaft ins Haus holen.

In die Architektur des Altenheims Steinfeld ist das Wissen um Bedürfnisse, Vorlieben und sich bis ins Alter erhaltende Fähigkeiten subtil eingeschrieben. Für einen Teil der 50 Bewohner wird „ihre“ Einheit mit Pflegestützpunkt und der Möglichkeit, in den mit Küchen ausgestatteten Aufenthaltsräumen selbst zu kochen, zur neuen Welt.

Rückzugsmöglichkeit bieten (wie in anderen Häusern auch) Ein- und wenige Zweibettzimmer mit Hotelstandard in einer Größe, die erlaubt, ein eigenes Möbelstück mitzubringen. Wissounig hat Atmosphäre mit der Farbigkeit des Holzes erreicht und die raumhohe Verglasung zum individuell zu gestaltenden Objekt mit Regalfächern und lichtdurchlässigen Schiebeläden aufgewertet. Der Kenntnis über den Wandertrieb demenzkranker Menschen entsprechen die beschriebenen Rundgänge, die mit vielen Durch- und Ausblicken jedem ermöglichen, das Geschehen im Haus zu überblicken. Üppiges Grün bietet das Atrium, das als Klimapuffer fungiert, aus dem vorgewärmte oder -gekühlte Luft, über Erdkollektoren eingebracht, in die Wohnräume geleitet wird. Für Niedrigenergiestandard des gekonnt detaillierten Holzbaus sorgt neben der kontrollierten Belüftung eine Reihe energiesparender Maßnahmen, deren Mehrkosten in zehn Jahren amortisiert sein werden. Kalkuliert wurde beim Pflegeheim Steinfeld sehr genau, obwohl man dies der hohen Ausführungs- und Ausstattungsqualität nicht ansieht. Die Baukosten Euro pro Bett sind, obzwar hoch, deutlich niedriger als bei den Vorarlberger Beispielen, die in einer Zeit gebaut wurden, als die Frage der Kosten einer überalterten Gesellschaft noch nicht omnipräsent war.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at