Bauwerk

Kultur- und Werkzentrum „Schiffbau“
O&O Baukunst - Zürich (CH) - 2000
Kultur- und Werkzentrum „Schiffbau“, Foto: ghp gmeiner haferl&partner zt gmbh
Kultur- und Werkzentrum „Schiffbau“, Foto: Herbert Schwingenschlögl

Köcheln, Brodeln, Sieden

Probebühnen, Wohnungen, Restaurants, Büros: der Nutzungsmix in der riesigen Kubatur der von Ortner & Ortner adaptierten Zürcher Schiffbau-Halle könnte bunter nicht sein. Wie man einer heruntergekommenen Bausubstanz durch Umnutzung und zeitgenössische Implantationen neues Leben einhaucht.

4. November 2000 - Liesbeth Waechter-Böhm
„Schiffbau“ heißt das neue Kultur- und Werkzentrum des Schauspielhauses Zürich, das Ende September eröffnet wurde und einer von drei großen Kulturbauten ist, mit denen das Büro Ortner & Ortner in den letzten Jahren beschäftigt war. Die beiden anderen: die Sächsische Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden und - das Museumsquartier in Wien.
Mit letzterem hat - aber dann doch nur bei oberflächlicher Sicht der Dinge - das „Schiffbau“ insofern etwas zu tun, als es einer heruntergekommenen historischen Bausubstanz durch Umnutzung und zeitgenössische Implantate neues Leben einhaucht. Das ist wirklich vergleichbar, auch wenn der Schwerpunkt in Zürich auf den darstellenden Künsten liegt und der in Wien auf den bildenden; und auch wenn zum Nutzungsmix in Zürich neben den kulturellen und gastronomischen Einrichtungen noch Büroflächen und sogar Wohnungen hinzukommen.

Was die Einschränkung in bezug auf die Vergleichbarkeit der beiden Unternehmungen in Wien und Zürich betrifft, so beruht sie in erster Linie auf der konkreten Situation im gesamtstädtischen Kontext: Das Museumsquartier ist eine zentrale, eine innerstädtische Angelegenheit; das „Schiffbau“ in Zürich hingegen liegt in einem abgewirtschafteten Industrieareal, zwischen großen Werkhallen und alten Schornsteinen, gleich neben einer aufgestelzten Stadtautobahn.
Aus Wien kommend, denkt man daher unweigerlich an die Gasometer, wenn man die 120 Meter lange, denkmalgeschützte Schiffbau-Halle betritt. Denn von der Bahnstation bis zum „Schiffbau“ hat man schon einen Weg hinter sich, der einem deutlich vermittelt, was hier Sache ist: eine Art „Brodeln“ oder „Köcheln“, noch auf kleiner Flamme, aber schon knapp davor, sich zu einem flächendeckenden Siedeprozeß zu steigern, der aus einem ausgedehnten und ausgelaugten Stadtquartier ein anderes, frisches, lebendiges macht.

Früher wurden in der Schiffbau-Halle wirklich Schiffe gebaut. Für die Binnenschiffahrt, zum Beispiel auch für den Bodensee und den Attersee. Das bedeutet, daß die Halle mit einer Wandstärke von etwa 25 Zentimetern und ihren riesigen, natürlich nur einfach verglasten Fenstern als Innenraum so nicht zu gebrauchen war. Was es für die historische Bausubstanz bedeutet, ein solches Gebäude wärmezudämmen und tatsächlich als Innenraum nutzbar zu machen, das sieht man - ein extrem abschreckendes Beispiel - am Getreidespeicher in Wien.

Ortner & Ortner näherten sich dieser Problematik daher von vornherein anders: subtiler, aufrichtiger. Die große Halle, an der seitlich noch eine kleinere, kürzere dransteht, wurde so wenig wie möglich angetastet. Man könnte sogar sagen, sie ist nach wie vor schäbig, alt, das Gegenteil von repräsentativ.

Und sie übernimmt zunächst einmal jene Funktion, die Ortner & Ortner auch der Reitschule zugedacht haben: Sie ist Foyer und Verteiler. Sie ist aber auch Hülle: Hülle für architektonisch simple Einbauten. Da gibt es den großen Kubus eines - übrigens qualitativ durchaus bemerkenswerten - Restaurants; es gibt einen Jazz-Club; von hier geht es zum Studiotheater in der sogenannten „Box“; und weiter hinten in der großen Halle findet das „Hallentheater“ des Zürcher Schauspielhaus-Intendanten Christoph Marthaler statt. Eröffnungspremiere: „Hotel Angst“, eine ständig ausverkaufte Produktion, auch eine Art „Nestbeschmutzung“ im Hinblick auf das Verhältnis der Schweiz zur EU.

Neben diesen Funktionen im historischen Bestand ging es vor allem darum, Raum für Werkstätten und die Verwaltung des Zürcher Schauspielhauses zu schaffen, drei Probebühnen zu bauen und vermarktbaren Raum in Form von Büros und Wohnungen einzugliedern. Das heißt, was jetzt dasteht, das ist in Wahrheit ein komplexes und bei aller räumlichen Großzügigkeit doch dichtes Geflecht aus historischen und zeitgenössischen Bauteilen. Wobei der wichtigste dieser neuen Bauteile zweifellos das „Hofgebäude“ ist, ein gewaltiger Block mit 84 Metern Länge, 40 Metern Breite und einer Höhe von 23 Metern. Ein zweiter neuer Bauteil - er hat die Form eines schwarzen Betonkubus - beherbergt Fremdbüros. - Am „Hofgebäude“ werden sich möglicherweise die Geister scheiden. Es hat eine Fassade - nicht untypisch Laurids Ortner und daher auch typisch für eine ästhetische Haltung, die sich unseren Erwartungshaltungen nicht so ganz (oder gar nicht) anpaßt.

Die Außenfassade: schmale weiße Betonlisenen und genauso schmale, goldgefaßte Fenster; besonderer Clou: der vergrößerte Betonabguß eines Reliefs der Koren des Erechtheion, mehrfach und unregelmäßig auf dieser Fassade plaziert. Das muß man sich trauen.

Und wenn man - wie ich - unvorbereitet davor steht, dann fährt einem diese Fassade schon irgendwie in die Glieder. Sechziger-Jahre-Assoziationen stellen sich ein, Erinnerungen an einen Architekturdekor - Faltenwurf in Beton, güldene Einfassung für die Fenster -, dem man nach wie vor keine Qualität zutraut. Man stelle sich vor: Helmut Richter vor dieser Fassade - den streift vermutlich der Schlag.

Der Autorin ging es, ehrlich gestanden, nicht wirklich anders. Sie war verblüfft. Wenn die Außenjalousien geschlossen sind, heißt es in einem Text des Büros Ortner & Ortner, dann ist das Gebäude weiß und golden gestreift, immer in gleicher Breite. So habe ich es nicht gesehen, ich kann es mir nur vorstellen. Aber es ist eine typische Architektenidee, wie sie in der Realität nie materialisiert werden wird.

Soll trotzdem sein. Soll durchaus sein. Mir kommt irgendwie aber auch vor, daß die Ortners mit diesem Bau - oder richtiger: mit diesen Bauten - eine provokante Frage aufwerfen. Es ist die Frage nach der Form. Die Ortners haben in Zürich vom schwarzen Betonwürfel des Bürogebäudes bis zur süffisanten, weiß-goldenen Fassade des Hofgebäudes ein ganzes Register an formalem Ausdruck umgesetzt. Es zeigt etwas, was wir gern verdrängen: Praktisch ist alles möglich, der formale Ausdruck erlaubt keinen Rückschluß auf die substantielle Qualität eines Baus.

Über die substantielle Qualität des Baus von Ortner & Ortner muß man aber reden. Denn die ist toll. Wie die einzelnen Teile miteinander verknüpft sind - da ragt zum Beispiel ein Neubauteil in die alte Halle hinein, die Verzahnung der Bauten ist nicht auseinanderzudividieren - und welche unterschiedlichen atmosphärischen Welten sich auftun, das ist bemerkenswert. Im Hofgebäude sind unten die Werkstätten des Schauspielhauses. Darüber sind die Verwaltungsbereiche. Und ganz oben gibt es Wohnungen, die Reihenhäusern gleichkommen.

Die Ortners waren im Wohnbau bisher ein unbeschriebenes Blatt. Aber was sie hier realisiert haben, das ist wirklich großartig. Von der räumlichen Qualität her: Luxus pur. Terrassen zum Innenhof - wo sich ein ganz und gar nicht verlangtes, im Zuge der Planung entstandenes Freilufttheater etabliert hat - und nach draußen, also insgesamt eine Art bewohnbares Schiffsdeck.

Es ist schon komisch. Aber man muß sich heutzutage doch fragen, welchen Stellenwert die formale Handschrift eines Architekturbüros noch hat. Man muß sich fragen, welchen schmalen Grat der ästhetische Ausdruck eines Bauwerks beanspruchen darf, im Gegensatz zum viel breiter gefächerten inhaltlichen Programm, um das es geht und das letztlich womöglich doch nur behübscht wird.

In Zürich ist etwas gelungen, was aber nicht nur den Ortners und nicht nur dem Intendanten Christoph Marthaler gutzuschreiben ist: Ein ganzes Stadtviertel ist im Umbruch. Und das „Schiffbau“ ist sichtbarer Ausdruck davon. Es gibt flankierende Maßnahmen: ein Multiplex-Kino und einen Technologiepark etwa. Aber das Herzstück ist das „Schiffbau“. Es hatte den bestmöglichen Start. Obwohl abseits vom Stadtzentrum gelegen, ist Marthalers „Hotel Angst“, wie gesagt, andauernd ausverkauft. Und im Restaurant „La Salle“ muß man unbedingt reservieren, sonst hat man keine Chance auf einen Platz.

Und noch etwas: Die Eigentümer der (keineswegs billigen) „Reihenhäuser“ oben im Hofgebäude mußten alle unterschreiben, daß sie einverstanden damit sind, daß im Hof, gewissermaßen vor und unter ihrer Haustür, Theater gespielt wird. Und das haben sie.

Tja, Ortner & Ortner ist ein sehr spezielles Büro, fast ist man versucht, ihm den handschriftlichen Ausdruck abzusprechen. Wenn man sich das aber genauer überlegt, dann kommt man nicht umhin, sich gleich wieder zu korrigieren: Natürlich ist auch die Architektur der Ortners spezifisch, aber sie ist es nicht in der herkömmlichen, formalen Manier.
Die Unterschiede, von denen wir heute reden, wenn es um ambitionierte Architekturbüros geht, bestehen ja überhaupt nicht in der Bewältigung des Programms, der inhaltlichen Anforderungen; das ist allen gleich wichtig. Meistens geht es in der Architekturdiskussion um die Unterschiede der Form - und da zählt auch die durch technische Lösungen bedingte Form dazu.

Ich kann mich noch nicht vorbehaltlos damit anfreunden, aber irgendwie habe ich das Gefühl, die Ortners agieren konsequenter als andere, sie verkörpern eher den Typ zeitgenössischer Architekt als jene, die in „Richtungen“ integrierbar sind.

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