Bauwerk

Kultur- und Kongresszentrum
Jean Nouvel - Luzern (CH) - 1999
Kultur- und Kongresszentrum, Foto: Paul Raftery / ARTUR IMAGES
Kultur- und Kongresszentrum, Foto: Paul Raftery / ARTUR IMAGES

Architektur als Mutter aller Künste

Gesamteröffnung des Kunst- und Kongresszentrums Luzern

An diesem Wochenende findet die Gesamteröffnung des Kunst- und Kongresszentrums Luzern mit einem «Kongress der Stimmen» statt. Nachdem im August 1998 bereits der vielgepriesene Konzertsaal eingeweiht werden konnte, ist nun der spektakuläre Bau des Pariser Architekten Jean Nouvel vollendet. Das Kunstmuseum wird allerdings erst ab Mitte Juni zugänglich sein.

25. März 2000 - Roman Hollenstein
Das Luzerner Kunst- und Kongresszentrum (KKL) ist wohl der seit langem aufregendste Neubau in unserem Land. Die widersprüchliche Entstehungsgeschichte, der vielgerühmte Konzertsaal, vor allem aber die starke architektonische Präsenz des Musentempels am Vierwaldstättersee (NZZ 18. 8. 98) führten dazu, dass Jean Nouvels Meisterwerk seit Jahren in aller Munde ist. Dabei hatte nach dem Wettbewerb von 1990 Nouvels wenig überzeugendes Siegerprojekt - eine flügellahme Ente in einem Glaskäfig - zu einem Scherbenhaufen geführt, den erst Thomas Held als deus ex machina beseitigen konnte. Dem obersten Bauherrn der Trägerstiftung gelang es 1993, den schmollenden Nouvel auf den Plan zurückzuholen und so den Weg für den Jahrhundertbau zu ebnen. Entstanden ist schliesslich eine futuristisch wirkende Megastruktur, die alle gewünschten Funktionen vom Konzertsaal über die Mehrzweckhalle und das Kunstmuseum bis hin zu den Kongressräumen, Bars und Restaurants unter einem riesigen Dach vereint.


Dunkel glühende Architekturlandschaft

Wie eine messerscharfe Klinge schwebt das rund 100 mal 100 Meter grosse Dach über den drei auf den See ausgerichteten Kulturbauten und dem quer dazu gestellten Betriebsgebäude. Die durch das weit auskragende Dach verschattete Hauptfassade erscheint vom Schweizerhofquai aus wie ein schwarzes Loch im Uferpanorama - oder wie ein monolithischer, aus den Weiten des Alls auf die Erde gefallener Fremdkörper, den man in seiner enigmatischen Abgehobenheit eher im Grossstadtdschungel von L. A. erwarten würde als im pittoresken Weichbild von Luzern. Dabei hat sich der Meister aus Paris in diesem Werk, das zweifellos die Quintessenz seines bisherigen Schaffens darstellt, ganz gezielt mit der Stadt, dem See und den Bergen auseinandergesetzt und zu einer Lösung gefunden, die je nach Licht und Witterung industrielle, nautische, kosmische oder gar sakrale Assoziationen weckt.

Aus der Nähe betrachtet, kommen dann aber auch die architektonischen Reize dieser Kulturmaschine zum Zug: Dunkel in Rot, Grün und Blau glühende Oberflächen wechseln ab mit Höhlungen und Vorsprüngen, mit Terrassen, Gangways und Treppentürmen. Zu diesem plastischen Gefüge gesellt sich nun als neuster Bauteil die transparente, von einem Aluminiumgitter umhüllte Glasbox des Westflügels. Unter seinem Dach wurde - gleichsam als Etagengeschäft - soeben das Kunstmuseum fertiggestellt. Wenn man vom Bahnhof kommt, betritt man diesen Bauteil nun als ersten. Hinter dem etwas geduckten Eingang explodiert die Eingangshalle förmlich nach oben, während man die räumliche Tiefe erst nach und nach erahnt. Durch Glastüren und über eine Holzbrücke, die einen der beiden ins Gebäude hineingezogenen (und dessen Dreiteilung in Kongresshaus, Luzernersaal und Konzertgebäude nachzeichnenden) Kanäle quert, gelangt man in die architektonische Staffage des eigentlichen Foyers. Durchblicke, Spiegelungen und die Vexierspiele von Licht und Material bewirken hier dramatische Effekte, verschleiern dabei aber ganz bewusst den konstruktiven Kraftakt.


Kultur in weissen Räumen

Mit seinen Wassergräben, Aussichtskanzeln, Steinschluchten und Raumgittern stellt diese an Science-fiction-Filme erinnernde Innenwelt eine künstliche Landschaft dar, die nur in der expressiven Eingangshalle von Frank Gehrys Museum in Bilbao ein Gegenstück findet. Nach solch baukünstlerischem Höhenflug wirkt die knochenbleiche «Salle blanche», die Nouvels ursprünglicher Idee eines dunkelblauen Konzertsaals diametral entgegensteht, ernüchternd. Dank seinen akustischen Qualitäten vermochte dieser Saal dennoch das Publikum zu überzeugen. Ob dies dem neuen Kunstmuseum, das weit klinischer ausgefallen ist, ebenfalls gelingen wird, ist fraglich. Unter dem Dach des Mittel- und des Westtrakts hat Nouvel nämlich zusammen mit Rémy Zaugg 20 abstrakte Museumsräume mit 2100 Quadratmetern Ausstellungsfläche kreiert, die noch ganz der puritanisch- minimalistischen Idee eines hermetisch von der Aussenwelt abgeschirmten «White Cube» entsprechen. Dass Ulrich Loock, der Museumsleiter, das Haus wie eine Kunsthalle bespielen will, in der Sammlungsbestände nur im Kontext der «rollenden Programmierung» zum Zuge kommen sollen, passt durchaus ins Bild dieser rigiden Säle.

Die Abschottung der Museumsräume geht so weit, dass selbst das durch die Decke einfallende Tageslicht mittels Prismen und Metallblenden extrem gedämpft wird. Dadurch entsteht eine bleierne Atmosphäre, die beim Besucher leicht klaustrophobe Gefühle auslösen kann. Mag sein, dass alles besser wird, wenn erst einmal Kunst die weissen Kuben belebt. Jetzt aber atmet man noch auf, wenn man im hintersten Raum plötzlich durch ein riesiges Fenster Calatravas Bahnhofsfassade und kurz danach von der «Seufzerbrücke», die in den östlichen Museumsbereich führt, den tief unten zwischen West- und Mitteltrakt stahlblau glitzernden Kanal sieht. Schade, dass Nouvel, der im Foyerbereich die Ausblicke wie Ansichtskarten zu inszenieren wusste, sich hier so verschlossen gibt. Dabei betonte er doch stets, dass im Zentrum seiner Recherche die Kommunikation mittels Bildsequenzen, Assoziationen und Stimmungen stehe. Hier aber setzt er zugunsten der Kunst ganz offensichtlich auf die Absenz von Architektur und Kommunikation.


Schwierige Bespielung

Obwohl Luzern dieses Wochenende die «Gesamteröffnung» des KKL feiert, ist noch nicht das gesamte Haus zugänglich. Wohl ganz nach dem Geschmack der festfreudigen Luzerner findet diese Eröffnung in Raten noch eine Fortsetzung, wenn am 19. Juni das neue Kunstmuseum eingeweiht wird. Dann kann Loock der zur «Art» nach Basel pilgernden Kunstgemeinde den internationalen Anspruch seines Hauses mit der Eröffnungsausstellung «Mixing Memory and Desire» demonstrieren. Auch danach will das Kunstmuseum mit einem ambitiösen Programm auf die Herausforderung von Nouvels Architektur antworten. Wie schwierig das ist, veranschaulicht die seit seiner Eröffnung nicht unumstrittene Bespielung des Konzertsaals. Dabei verweisen Kritiker immer wieder auf die eigenwilligen Praktiken der Betriebsgesellschaft, die sich nicht scheut, in der «Salle blanche» neben Festwochenkonzerten etwa auch Guggenmusiktreffen durchzuführen, obwohl dafür doch der Luzernersaal zur Verfügung stünde. Die Leuchtenstadt hat sich mit dem KKL einen grossartigen Traum erfüllt. Nun sollte es ihr oberstes Ziel sein, dieses so zu bespielen, dass es nicht nur durch seine chamäleonartige Erscheinung und die stupenden Raumsequenzen, sondern auch durch seinen Inhalt immer wieder neu zu faszinieren vermag.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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