Bauwerk

Helmut-List-Halle
Markus Pernthaler - Graz (A) - 2002
Helmut-List-Halle, Foto: Paul Ott
Helmut-List-Halle, Foto: Paul Ott

Fetter Sound!

Eine Industriebrache neu zu nutzen ist immer ein Wagnis. In Graz baute Markus Pernthaler eine Montagehalle zu einer Veranstaltungshalle mit Konzertsaal um. Die Helmut-List-Halle: Wagnis geglückt.

22. März 2003 - Karin Tschavgova
Erst die Historie wird verdeutlichen, wie stark der Wandel von der Produktions- zur Dienstleistungsgesellschaft Europa verändert. Ganze Landstriche wie etwa das Ruhr-gebiet erfuhren in den letzten Jahrzehnten schmerzliche strukturelle Einschnitte, die nach umfassenden Konzepten einer Neu-belebung verlangten, wollte man nicht regionale Identitäten der Abrissbirne zum Opfer fallen lassen. Aus dem Anspruch nach sinnvoller ökonomischer Verwertung entstehen kommerziell und kulturell genutzte Vergnügungsstätten oder Kulturbauten - Fiat Lingotto in Turin und jüngst die höchst erfolgreich in einem ehemaligen Kraftwerk installierte Tate Modern in London sind gelungene Beispiele dafür.

In Graz stand am Anfang nicht die Frage nach einer Umnutzung von Industriebau, sondern die Suche nach einer adäquaten Heimstätte für das bis dahin nomadisierende Festival des „steirischen herbst“. Auch die Styriarte und Graz 2003 meldeten Bedarf an einem Konzertsaal mittlerer Größe, und so beauftragte das Land eine Untersuchung dreier Standorte, von denen sich das Areal der ehemaligen Waagner-Biro-Produktionshallen in Eggenberg als bestgeeignet erwies. Ein Ort mit einer geeigneten Halle in Stahl war gefunden, allein die Aussicht auf Finanzierung angesichts der für die Kulturhauptstadt geleerten Taschen war gleich null. In glücklicher Fügung trat just zu dem Zeitpunkt jener Mann in Erscheinung, dem die Wunschhalle ihre Existenz und ihren Namen zu verdanken hat: Helmut List, Eigner der AVL, des weltweit größten privaten Unternehmens für die Entwicklung von Antriebssystemen und Messtechnik, war der neue Besitzer des brach liegenden Areals. Nach intensiven Gesprächen mit Peter Oswald, Eberhard Schrempf von Graz 2003 und Nikolaus Harnoncourt, der für seine szenische Arbeit im Rahmen der Styriarte eine temporäre hölzerne Box einforderte, und dem Architekten Markus Pernthaler signalisierte der Unternehmer Interesse an einer wissenschaftlich-kulturellen Kooperation bei einer Beteiligung von Stadt und Land - Akustikforschung für Markenfahrzeuge gehört zur Kernkompetenz des Konzerns.

Das Musikprotokoll des „steirischen herbst“ ist seit vielen Jahren Garant für hochkarätige Hörerlebnisse von zeitgenössischer experimenteller Musik. Es galt also, einen Veranstaltungsraum zu errichten, der zugleich höchsten akustischen Anforderungen für Alte Musik wie für zeitgenössische Produktionen genügt, der größtmögliche Flexibilität für die Postierung von Musikern und Zuhörern gewährleistet und für Tonaufnahmen in Spitzenqualität ausgestattet ist. Da die Halle ganzjährig vermarktet wird, sollte auch ein weites Spektrum anderer Veranstaltungen abgedeckt werden können.

Die Struktur der feingliedrigen Stahlfachwerkkonstruktion einer Industriehalle, die um 1950 errichtet wurde, bildet den Rahmen für eine Sequenz von linear gestaffelten, nach ihrer Nutzung differenzierten Funktionseinheiten. Während sich Foyer und Hinterbühne transparent, leicht und luftig geben, zeichnet sich der Konzertsaal in seiner Materialität und Geschlossenheit als kompakter Körper nach außen ab. Mit der Abfolge annähernd gleich hoher Volumina gelingt Pernthaler jedoch der optische Verbund zu einem harmonischen Ganzen.

Für Konzertsäle haben sich weltweit zwei Prinzipien durchgesetzt: das der sogenannten „Schuhschachtel“: ein Raum wie der Wiener Musikvereinssaal; und jenes vom Typ „Arena“ mit hufeisenförmiger Anordnung der Zuschauerränge wie in der Berliner Philharmonie. Am Grad der Flexibilität, der Möglichkeit, den Klangkörper Raum baulich variabel auszustatten und ihn für unterschiedliche Anforderungen zu adaptieren, scheinen sich die Geister zu scheiden. Während die einen in Jean Nouvels Konzertsaal in Luzern etwa das zur Zeit klangschönste Orchestergehäuse der Welt sehen, behaupten andere, dass die Echokammern des amerikanischen Akustikers Russell Johnson ihr Potenzial gar nicht optimal ausspielen können. Die Abstimmung des Klangs durch variables Öffnen der rund 50 Türen zu den gewaltigen Schachträumen der zweiten Wandschale erfordere langjährige Erfahrung, sei zu aufwendig und daher im schnelllebigen Konzerttourbetrieb nicht machbar.

Gemeinsam mit dem weltbekannten Akustiker Karl-Heinz Müller hat man bei der Helmut-List-Halle nicht den Raum als Maschine realisiert, sondern auf ein statisches Konzept gesetzt, das für eine klassische Frontstage-Produktion optimiert wurde. Die Raumhülle wird von einer Leimbindertragkonstruktion abgehängt, die ein günstigeres Eigenresonanzverhalten und höhere Belastbarkeit als die vorhandene Stahlkonstruktion aufwies. Mittels einer Decke aus geschuppt angeordneten Vollholzelementen und ebensolchen Wandpaneelen, die aus planaren, nicht parallel gegenüber liegenden Flächen gebildet sind, wurde die Halle im mittleren Frequenzbereich so schallhart wie möglich ausgelegt - im Wissen, dass eine kürzere Nachhallzeit durch Dämpfen mittels Subsystem aus Aluminiumträgern, das nicht nur für das Abhängen von Stoffen einfach und schnell handhabbar ist, leicht erreicht werden kann. Der eingefärbte Estrich für den Boden und die Sichtbetonwand, die den Abschluss zum Foyer bildet, unterstützen den Anspruch auf lange Nachhallzeit. An ihr lassen sich Synergieeffekte ab-lesen, die sich aus der äußerst geglückten Zusammenarbeit zwischen Architekt und Akustiker gefügt haben. Die Wand ist gefaltet, weil sie selbsttragend sein musste. Mit der Faltung vergrößert sich ihre Oberfläche und damit der Absorptionsanteil. Schleusen mit doppelten Türen als Voraussetzung für die Studioqualität waren in der gefalteten Wand bestens unterzubringen. Im Foyer gerät sie zur starken formalen Geste, die durch ein farbiges Lichtspiel noch verstärkt wird. Hier zeigt sich der Vorteil einer Bestands-sanierung: Es ist anzunehmen, dass ein Neubau weder so reibungslos noch mit jener Großzügigkeit in Raumhöhe und Volumen durchzusetzen gewesen wäre, die der Helmut-List-Halle nicht nur den sympathisch-unaufgeregten Ausdruck von guter Industriearchitektur erhält, sondern sie nebstbei zum Aushängeschild bester städtischer Baukultur werden lässt.

Ähnlich sensibles und großzügiges Vorgehen wäre der Grazer Thalia, einem Baudenkmal der fünfziger Jahre, zu wünschen, das, von der Stadt in Verkennung seines Wertes weggelegt und von einem privaten Investor als Spekulationsobjekt gekauft, nun durch hypertrophe Über- und Vorbauten zerstört werden soll. Gesagt sei: Auch ein Mäzen denkt ökonomisch, allerdings nach einem anderen Wertekanon und in längeren Zeiträumen.

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