Bauwerk

Die Wiener Schnecke
Dolenc Scheiwiller Parli - Wien (A) - 1999
Die Wiener Schnecke, Foto: Margherita Spiluttini
Die Wiener Schnecke, Foto: Margherita Spiluttini

Kreideweiß & Spiegelschwarz

Wie den dritten Stock einer aufgelassenen Wollwarenfabrik in Wien-Margareten für eine Werbeagentur adaptieren? Edel, versteht sich. Dolenc und Scheiwiller schaffen das, indem sie demonstrative Moderne mit einem bodenständigen Grundton unterlegen.

25. März 2000 - Walter Zschokke
Die ehemalige Wollwarenfabrik Bernhard Altmann in Wien-Margareten, zwischen Siebenbrunnengasse und Stolberggasse gelegen, findet sich im „Achleitner“ verzeichnet. Vom Betriebsgebäude im südlichen Abschnitt der Gebäulichkeiten hat man einen schönen Ausblick auf den kleinen Park an der Zentagasse. Das halbrunde hofseitige Stiegenhaus mit den breiten Treppenläufen dürfte ebenso aus den zwanziger Jahren stammen wie die viergeschoßige Stahlbetonkonstruktion der Werksäle, in denen gevoutete Unterzüge den Raum zonieren.

Im dritten Stock mietete sich vor kurzem eine international tätige Werbeagentur ein. Ihr hoher Qualitätsanspruch schlug sich bereits in zahlreichen Preisen und Auszeichnungen nieder, und auch der Kundenkreis ist eindrücklich. Da wollte man sich bei der Einrichtung der Agentur nicht lumpen lassen. Die Firma Weber, Hodel, Schmid - heute mit einem Altersdurchschnitt der Mitarbeiter von 30 Jahren - startete 1991 von Zürich aus und betraute ein erfolgreiches Schweizer Architektenteam, Caroline Dolenc und Andreas Scheiwiller, mit der Umgestaltung.

Scheiwiller ist 1959 geboren, Dolenc Mitte der sechziger Jahre. Sie studierten beide an der ETH Zürich und arbeiteten danach in engagierten Architekturbüros. Die Gründung eigener Ateliers erfolgte 1988 beziehungsweise 1996. Seit 1998 besteht das gemeinsame Büro. Scheiwiller ist überdies Professor für Architektur an der Universität Genf.

Nun ist es Insidern nicht unbekannt, daß Schweizer und Wiener denselben deutschen Satz nicht selten verschieden interpretieren. Es kann auch einige Zeit dauern, bis alle Beteiligten dahinterkommen, daß sie einander nicht richtig verstehen. Ich möchte vorsichtig vermuten, daß die jeweilige Zwischenzeilensprache eben eine andere ist. Weil sie auf Nummer sicher gehen wollten, ihnen Erfahrungen mit hiesigen Handwerkern abgingen und weil sie seit längerem mit einem Betrieb gut zusammenarbeiten, ließen die Architekten die Einbaumöbel in Zürich fertigen. Ungewohnt daran ist nur, daß die Schweiz nicht EU-Mitglied ist, sonst sind derartige Lieferdistanzen mittlerweile üblich.

Es wurden die Fenster repariert - schöne Hebeschiebefenster, die einen Hauch Chicago in den fünften Wiener Gemeindebezirk wehen. Ein neuer Boden aus kaltgepreßten Asphaltplatten kam dazu. Aber vor allem wurde ein den Raum strukturierendes Element in den ungerichteten, unregelmäßigen Grundriß hineingestellt, das zonierend wirkt und die allgemeine Fläche von den verschiedenen Arbeitsbereichen trennt. Es besteht aus einer raumhältigen Wand von zwei Drittel Raumhöhe und beginnt schon im Stiegenhaus, umfaßt den Liftkern und stößt hinter dem Empfang in den weiten Raum vor, biegt ungefähr rechtwinklig ab und entwickelt sich, über fünf weitere Kantungen enger werdend, in Form einer eckigen Spirale bis zu einem geschlossenen Kern.

A n diesem ist außen die Kaffeeküche angeordnet, innen befindet sich sinnigerweise der Server für das interne Computernetzwerk. Abgesehen davon, daß die innere Zone als Erschließung für die außen liegenden Arbeitsbereiche dient - die allesamt durch „Schranktüren“ zugänglich sind -, befinden sich, von innen nach außen: nahe dem Kern die Kopieranlage, Zeitschriften und eine Handbibliothek, davor die Pausenzone und beim Eingang der Empfang.

Über der Schrankwand fließt der Raum kontinuierlich durch, von der befensterten Außenmauer zur ebenfalls stark aufgelösten Hofmauer. Hinter der Schrankwand und begrenzt durch die Außenmauer liegen kleine und große Arbeitsräume, durch Glaswände unterteilt. Mit Schiebepaneelen aus hellem Streckmetall lassen sich die lateralen Durchgänge schließen. Die von den Unterzügen abgehängten Gleitschienen tragen auch die Beleuchtung, die indirekt wirkt. Zur akustischen Dämpfung erhielt die Decke fein gelochte Oberflächen, und auch die Schiebepaneele wirken schallabsorbierend.

Nun ist das in Summe bereits ganz gescheit, es ist aber noch nicht alles. Farben kommen dazu. Das Betonskelett, die Unterzüge und Rippen sind glatt und scharfkantig gespachtelt und in blendendem Weiß gehalten. Die sich progressiv einwickelnde Schrankwand ist schwarz - ein perfekt hochglanzlackiertes Edelschwarz. Damit wird der Gegensatz ziemlich zugespitzt. Die Rolle des Moderators übernimmt daher der Fußboden.

E r ist überall unauffällig präsent, und das schwer definierbare Braungrau der Asphaltplatten in seiner alltäglichen Durchschnittlichkeit exponiert verbindlich das vornehme Schwarz und das dematerialisierende Weiß.
Das übrige Mobiliar ist ebenfalls schwarz, nur die Tischplatten aus matt anthrazit lasiertem MDF (mitteldichte Faserplatten) wirken schieferig grau. Doch sie sind an der Grundstimmung nur mehr marginal beteiligt. Diese lebt von dem akut polarisierten Gegensatz von Kreideweiß und Spiegelschwarz, die beide der klassischen Moderne entstammen.

Aber da kommt noch etwas dazu, das nicht der Moderne, der demonstrativen permanenten Innovation zugehört, sondern das als traditionales Element einen bodenständigen Grundton einbringt. Es erinnert an das Vorstadtgrau auf den Darstellungen der „Analogen“, wie die Strömung um den tschechisch-schweizerischen Architekten Miroslav Sik Ende der 1980er Jahre genannt wurde, deren Auswirkungen bis zu den neuesten Entwicklungen in Graubünden feststellbar sind. Andreas Scheiwiller charakterisiert den Plattenbelag als muffig. Das macht vorerst stutzen. Ein „muffiger“ Boden in einer Werbeagentur? Die Welt ist eben nicht nur schwarz und weiß, sondern besteht aus zahlreichen Zwischentönen. Und auf diesem Humus müssen auch Werbeagenturen arbeiten. Wir zitieren Miroslav Sik: „Ein Ja zum Realismus heißt ein Ja zu unzähligen, noblen und weniger noblen Architekturen unserer Umwelt, ein Ja zu unzähligen Stimmungen und Bildern, die man als radikaler Architekt hat stets übersehen und zertrümmern können.“

Die klassische Moderne neigte stets zum Idealisieren. Dolenc/Scheiwiller gehen darüber hinaus: In der Wiener Agentur von Weber, Hodel, Schmid finden wir radikale Zuspitzung und abgeschliffen wirkende Alltäglichkeit pfiffig kombiniert.

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Architektur

Bauherrschaft
Weber, Hodel, Schmid

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