Bauwerk

Turmausbau Stummer
Ernst Beneder - Waidhofen an der Ybbs (A) - 1992
1. September 2006 - ORTE
Der zum ältesten Mauerring der Stadt gehörende, an einer Geländekante positionierte Turm diente in früheren Zeiten als Stadttor, wurde aber schon im Mittelalter ins Stadtgefüge inkorporiert; der Zugang erfolgt heute über einen Hinterhof. Von den Zeitläufen wurde der polygonale Sockel verschliffen wie ein Felsblock im Bett eines Gebirgsflusses. Das abgetragene und neu aufgebaute Obergeschoß – mit Zeltdach, wie von den Denkmalschutzbestimmungen gefordert – gibt dem Bauwerk inhaltliches Gewicht und läßt es in der Dachlandschaft der Stadt hervortreten. Ein in die Breite entwickelter Erker erzeugt für die knapp bemessenen Schlafkammern mehr Raum, verschafft aber zugleich dem neuen Aufbau in der Stadtansicht die notwendige Identität. Das Innere ist sehr kompakt organisiert. Obwohl nur von zwei Seiten mit Licht versorgt, enthält es einen interessanten, familientauglichen Grundriss mit einer großen Wohnhalle. Sie reicht bis ins offene Zeltdach hinauf, wo ausreichend Platz für eine zurückgezogene Arbeitsgalerie bleibt. Sie erhält von einem in die Dachfläche integrierten Fensterschlitz Tageslicht. In der Materialisierung wird nach außen der Stahlbeton thematisiert: Schalungsplatten dienen als Verkleidung des Erkers. An der neuerrichteten Außenmauer ist im Beton das Muster der Industrieschalung erkennbar. Ohne historisierende Anleihen entsteht ein Anflug fortifikatorischer Härte, der durch kleine Fensterformate unterstützt wird, die jedoch im Einzelfall geschickt erweiterbar sind. Während das Zeltdach außen eine Blechdeckung trägt, was die kristallin- geometrische Körperlichkeit betont, erscheint das in Sichtbeton gehaltene Innere statisch wie formal als Faltwerk und überspannt den gesamten Grundriss. Auf primäre Tragelemente wurde verzichtet, das sichtbare Tragwerk ist zugleich raumbildend: das Dach ist das Dach. Die starke Identität wurde durch die Gestaltung der raumbildenden Einbauten gestärkt, indem sie den Betonhimmel nicht berühren. Als plastische Installation von Körpern und Platten, teils dematerialisierend weiß gehalten, teils aus Sperrholz mit starkem Fladermuster zu expressiver Wirkung getrieben, entsteht zwischen den Kontinuitäten des Lärchenriemenbodens und dem milden Betongrau des Dachzeltes eine räumlich reiche, der individuellen Identität Rückhalt bietende Wohnlandschaft, die der vielschichtigen Erzählung von der historischen Tiefe des Ortes ein weiteres Kapitel hinzufügt. (Text: Walter Zschokke)

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: ORTE architekturnetzwerk niederösterreich

Ansprechpartner:in für diese Seite: Heidrun Schlöglbaudatenbank[at]orte-noe.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Evelyn Stummer

Tragwerksplanung

Fotografie