Bauwerk

Gynäkologische Abteilung, AKH Wien
Franziska Ullmann - Wien (A)
Gynäkologische Abteilung, AKH Wien, Foto: Margherita Spiluttini

Vom Kuckucksei zum Kreißsaal

Ahornholz, Lichtkuppeln, Glasbausteine: Mit der neuen Gynäkologischen Abteilung des Wiener Allgemeinen Krankenhauses ist Franziska Ullmann aus den Zwängen der Spitalsnorm ausgebrochen.

24. Februar 1996 - Vera Purtscher
Gebären, Geburtswehen, Blut, Schmerz, Kreißsaal - Grenzsituation und auch: Wunder, Menschwerdung. Wieviel bleibt in modernen Spitälern von Natur und vom Wunder übrig? Steril und desinfiziert, kalt und glatt die Oberflächen, scharf die Kanten, glänzend die Materialien, High-Tech, Apparaturen zur Überwachung, Wehenschreiber, Gestänge, Instrumente: So technisch „umfangen“, wird die Geburt zur „Fruchtausstoßung“. Wie anders muß es noch gewesen sein in Zeiten, als die Hebamme durch das Dorf eilte, um im elterlichen Schlafzimmer einem Erdenbürger auf die Welt zu helfen. Wer sagt, man müßte sich das wieder herbeiwünschen? Die Mortalitätsrate der Mütter ist seither drastisch gesunken, die der Säuglinge erst recht - dank dem medizinischen Fortschritt. Nur, wie wohl tut es dem Gefühl und dem Seelenfrieden, wenn der Mensch zwischen Apparaturen sich eher als schwer kontrollierbares Störelement fühlt? Schon seit längerem versucht man deswegen, eine freundlichere, wärmere Atmosphäre in Krankenhäusern zu schaffen.

Als das behäbigste und ungeheuerlichste Spitalsmonster gilt das AKH - und das weit über Österreichs Grenzen hinweg! Es handelt sich im Grunde um eine rationelle Addition von funktionellen Boxen, deren Raumzusammenhänge einzig durch Beschriftung nachvollziehbar sind. Der Koloß aus den sechziger und siebziger Jahren erfährt, ob seiner hervorragenden technischen Ausrüstung und der ärztlichen Kapazitäten, doch - zu Recht - viel Lob. Was das Gebäude angeht, kann man aber nur entsetzt verstummen. Jeder, der jemals seinen Fuß in diese Riesenmaschinerie gesetzt hat, kennt deren vielfältige Mängel: Unübersichtlichkeit, endlose Wege, „kalte Zimmer“.

Hier nun wurde 1992 die Entscheidung getroffen, eine neue gynäkologische Abteilung zu bauen. Vor allem mußte die intensive Säuglingsbetreuung, die Neonatologie, räumlich an die Geburtsstation angebunden werden: Die Entfernung zwischen den beiden Stationen war unhaltbar geworden, außerdem gab es den Wunsch nach natürlicher Entbindung. So wurde die Architektin Franziska Ullmann zur Ausarbeitung einer Studie geladen. Sie hatte bereits einen guten Ruf in diesem Metier: Das Geburtshaus Nußdorf, in dem ambulante, natürliche Entbindungen erstmals in dieser Art in Wien angeboten worden waren, diente zum Teil auch als Vorbild für das AKH.

Der AKH-Raster beträgt 1,35 Meter, alle acht Meter trägt eine Stütze Lasten ab. Die Wände sind generell höchst leitfähige Stahlwände von der Voest. Die „AKH-Norm“ regelt von den Garderobeschränken bis zur Bettbeleuchtung alles. Franziska Ullmann unterwarf sich dieser Norm und plante zuerst innerhalb dieses engen Systems. Bald stellte sich jedoch heraus, daß viele AKH-Standardteile nicht mehr erhältlich und die in Reserve gelagerten aufgebraucht waren.

Die Stahlwände nachbauen zu lassen wäre erheblich teurer gewesen, als auf übliche Halbprodukte zurückzugreifen: eine Revolution in der Ausstattung des AKH! Auch der rot- schwarz-flammige Semperit-Boden von damals war glücklicherweise nicht mehr am Markt erhältlich.

Mit Gipskarton beplankte Ständerwände, Holzoberflächen und Linoleumböden: ein Kukkucksei im großen AKH? Gott sei Dank ist die Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe keine übliche Krankenstation - Kinderkriegen ist ja keine Krankheit! Und so durfte diese Station einen Sonderstatus bekommen. Nach und nach entwickelte sich innerhalb der vorgegebenen Struktur auf 2500 Quadratmetern eine funktionell gut durchorganisierte, technisch einwandfreie Station, die dennoch warm und sympathisch wirkt.

Franziska Ullmann kam noch eine räumliche Gegebenheit entgegen: Die gynäkologische Geburtshilfeklinik ist im neunten Obergeschoß des Flachtraktes des AKHs untergebracht, somit im obersten Stock. Die Architektin konnte demzufolge mehrere Lichtkuppeln ins Dach schneiden und in ehemals finstere Ecken Tageslicht holen. Der Deckenhohlraum beträgt 1,50 Meter. Der „Schacht“ bis zum Licht ist nicht banal rechtwinklig, sondern allseitig leicht konvex gebogen. Man sieht also den Glaskuppelanschluß nicht, hat ein dynamisches Raumdetail und bei allen Sonneneinstrahlungswinkeln eine interessante Lichtverteilung imInneren.

Zusätzlich wurden die gekrümmten vier Seitenteile mit kleinen, quadratischen Einbaulichtern versehen, sodaß auch bei Nacht diese poetischen Nischen des Lichts Helligkeit spenden, ohne Tageslicht vorzutäuschen. Kaum zu glauben, was sich im Hohlraum oberhalb der abgehängten Decke alles an Installationen verbirgt: tausendfache Leitungsführung, Klimatisierung, Elektrifizierung, Sprinklerversorgung, Alarm, Belüftung. In diesem Gewirr zusätzlich etwas unterzubringen ist höchst schwierig.

Mit den Lichtkuppeln ist es an sechs Punkten gelungen: Es sind vor allem „Schwesternstützpunkte“ - zentrale Krankenüberwachungsstellen - und rezeptionsähnliche Bereiche, die auf diese Weise aufgewertet wurden. - Intensivem Gedankenaustausch ist es zu verdanken, daß medizinisch-technische Notwendigkeiten mit Augenmaß gewählt wurden. Die Ergebnisse der Rücksprache mit Schwestern und Hebammen - unter Leitung von Professor Husslein - beflügelten auch die anfangs skeptischen Spartenplaner und Haustechniker. Einzig die Medizintechnikplaner wehrten sich bis zum Schluß gegen neue Denkansätze und sparsame Lösungen.

Die AKH-Normdecke ist natürlich auch aus Stahlblechkassetten mit metallischem Bandraster, allerdings nicht niveaugleich. Da die Raumhöhe von 2,70 Metern ohnehin nicht großzügig zu nennen ist und eine ruhige Raumsituation geschaffen werden sollte, blieb nicht mehr genügend „Luft“ für die AKH-Norm-Deckenrasterleuchten. Welch ein Glück! Plötzlich erfüllt eine spielerische Verteilung der kreisrunden Einbau-DownLights nicht nur gestalterische und raumpsychologische Wünsche, sondern freut auch noch die Haustechniker, weil eben an manchen Stellen Platz für eine Einbauleuchte ist, an anderen hingegen nicht.

Oft konnten die Architektin und ihre Mitarbeiterin, Barbara Aull, diese Erfahrung machen: Das zuerst mit Vehemenz abgelehnte Ausbrechen aus der Norm erwies sich sonders hilfreich für alle Beteiligten.

Ein Operationssaal, drei Intensivgebärzimmer, drei alternative Gebärzimmer, Zwei Entspannungs-, und eine Entbindungsbadewanne, die präpartale Station, die Neonatologie sowie die diversen Arzt-, Warte- und Nebenräume mußten funktionell und räumlich klug verknüpft werden. Der Hygieniker und die Feuererpolizei verlangen von im Spital verwendeten Materialien besondere Eigenschaften. Ausserdem gilt bei dieser Gebäudehöhe bereits die - verschärfte - Hochhausnorm.

Und es war doch möglich, in der Neonatologie und der Präpartalstation Ahornholz zu verwenden. Helles Blau und zartes Gelb mit Lila werden bei jenen Möbeloberflächen, die aus Laminatplatten gefertigt wurden, dazukombiniert. Für die Entbindungsstation sind Buchenholzmöbel gewählt worden. Natürlich muß jedes Risiko vermieden werden, und dazu sind auch Apparaturen nötig. Solange diese aber nicht gebraucht werden, verstecken sie sich in einer Wandnische, durch einen hellen Vorhang verhängt.

Möglichst schalldicht sind diese Räume gegen die Gangzonen. Zum „Flanieren“ vor dem Gebären sind diese Zonen freundlich, hell und - wegen der besseren Orientierung und Belichtung - mit Außenbezug gestaltet worden. Wieder sind die spielerisch verstreuten, dimmbaren Deckenlichtpunkte zu erwähnen.

Die Nischen für medizinisch-technische Geräte sind blau gestrichen; das Wartezimmer an der Südwestecke des Gebäudes ist, in Anlehnung an türkische Wohnzimmer, mit an den Wänden entlanglaufenden, gepolsterten Bänken ausgestattet.

Zwei viertelkreisförmige Räume, deren begrenzende Wände ganz in Glasbausteinen ausgeführt wurden, runden, im wahrsten Sinne des Wortes, die Gehzonen ab. Diese gebogenen Wände verstecken hinter ihren mattierten weißen Glasbausteinen Entspannungsbadewannen.

Bei Tag eine angenehme Irritation im rechtwinkligen Raster, die bei Nacht noch verstärkt wird durch den sanften Schimmer, der von der Innenbeleuchtung in die Korridorzone dringt: Räume wie Lampions.

Ein poetischer Vergleich angesichts einer Station, die auch einen „Fruchtausstoßraum“ beherbergt? Das Leben ist eben mehr als nur das eine oder nur das andere! Die Augenblicke der Geburt sind absolut. Jede Faser des Seins ist auf dieses Ereignis konzentriert. So bleibt in den wichtigsten Minuten der Raum bedeutungslos.

Ob Taxi, Parkbank oder High-Tech-Kreißzimmer: Was die Natur abverlangt, geschieht. Ein Wunder ist es überall. Aber die Stunden davor und danach werden durch liebevolle räumliche Gestaltungen, wie zum Beispiel die von Franziska Ullmann, angenehmer erlebt.

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