Bauwerk

Rathaus Waidhofen - Umbau
Ernst Beneder - Waidhofen an der Ybbs (A) - 1995
Rathaus Waidhofen - Umbau, Foto: Margherita Spiluttini
Rathaus Waidhofen - Umbau, Foto: Margherita Spiluttini
Rathaus Waidhofen - Umbau, Foto: Margherita Spiluttini

Alle Zeiten im Gespräch

Ein über Jahrhunderte gewachsenes Gebäudekonglomerat in Waidhofen an der Ybbs wird seit mehr als 70 Jahren als Rathaus genutzt. Architekt Ernst Beneder hat es für unsere Zeit neu interpretiert und adaptiert.

28. Oktober 1995 - Walter Zschokke
Waidhofen an der Ybbs: mittelalterliche Stadtstruktur, die von mehreren Erweiterungen zeugt. Zwei langgezogene Plätze – der Obere und der Untere Stadtplatz – liegen parallel, verbunden durch die breite Gasse des Fischmarkts, sodaß die öffentlichen Räume ein H bilden. Am oberen Abschluß des Fischmarkts steht der hohe Stadtturm, ehemals Teil des ältesten Befestigungsgürtels, der nun, mitten in der Altstadt, als Gelenk zwischen Fischmarkt und Oberem Stadtplatz wirkt.

Ein erstes, mit einer „Reiche“ an den Turm anschließendes Haus wirkte im 14. Jahrhundert wohl recht stattlich, mit den drei breiten Fensterachsen, im Erdgeschoß einer überwölbten Halle und darüber einem Saal mit geschnitzter Tramdecke. Dahinter ein Zwischentrakt, anfangs vielleicht einmal Hof oder „Stiegenhaus“, und anschließend ein Hinterhaus. Man findet diese Typologie in den meisten mittelalterlichen Stadtgrundrissen Mitteleuropas, wo auf schmalen gotischen Parzellen jeweils Vorder- und Hinterhaus stehen, mit einem Hof und dem Stiegenaufgang dazwischen.

An den beiden Häusern vorbei führte ein Durchgang in den dahinterliegenden Wirtschaftshof. Neben dem Durchgang, der mit kleinen Wagen und Pferden wohl auch durchfahren werden konnte, schloß ein zweites, etwas bescheideneres und daher schmäleres Haus von ähnlicher Struktur an: Vorder- und Hinterhaus, dazwischen ein enger Hof mit Treppe. Heute werden das breite und das schmale Haus von einem einzigen großen, giebelständigen Dach überdeckt. Sie bilden zusammen das nunmehrige Rathaus. Die Rückfassade zum Wirtschaftshof, nach Südwesten gerichtet, besaß seit gotischer Zeit eine Arkadenreihe mit Loggien.

Der Wirtschaftshof erhielt später einen Seitenflügel mit kappenüberwölbten Stallungen. Keine Frage, daß alle paar Jahrzehnte, bis in die neueste Zeit, immer wieder etwas um- und angebaut wurde. Gleichsam als Krönung wurde den beiden Hinterhäusern im frühen 19. Jahrhundert als zweites Obergeschoß ein querliegender Theatersaal mit lauschigen Seitenlogen aufgesattelt.

Die beiden gotischen Häuser dienten anfangs als bürgerliche Wohnhäuser und offenbar als Weinschank. Zuletzt war das kaum mehr zu entwirrende Konglomerat das Gasthaus „Zum roten Krebs“. Ab 1922 erfolgte die Umnutzung zum Rathaus. 1941/42 wurde der Wirtschaftshof in schwerfälligem Stil zu einem mehrgeschoßigen Arkadenhof ausgebaut. Natürlich wurden auch die Fassaden ohne Ansehen der dahinterliegenden Räume „gleichgeschaltet“, sodaß Fensterbrüstungen plötzlich sehr hoch oder sehr niedrig liegen, weil sich hinter der regulierten Fassade noch immer Hausteile aus verschiedenen Zeiten und mit wechselnden Bauhöhen befinden. In den fünfziger Jahren erfolgte dann eine weitere Aufstockung der westlichen Gebäudeflügel um den ehemaligen Wirtschaftshof.

Ernst Beneder, in Waidhofen aufgewachsen, in Fachkreisen bekannt durch seine klaren Neubauten und einen subtilen Turmaufbau, hatte bei dem Wettbewerb für ein Sanierungskonzept des Rathauskomplexes die Formulierung vom „offenen Rathaus“ gewählt, eine, wie er schreibt, „doppelte Herausforderung und mehr als eine sprachliche und architektonische Metapher. Einerseits im Sinne eines offenen, ,geöffneten', einladenden Hauses, andererseits erfordert gerade das ,offene' Gespräch mit dem Amt auch eine bauliche Zone der Vertrautheit und Diskretion.“

Nach dem ersten Preis im Wettbewerb fing die Arbeit erst richtig an. Der Schwierigkeiten waren viele: Da war die völlig verbaute und überalterte Bausubstanz; da war ein Gebäudekomplex, der nicht als Rathaus gebaut, sondern nur als solches genutzt wurde. Obwohl kein Repräsentationsgebäude, enthielt es mehrere große, attraktive und schützenswerte Räume, aber die Struktur war unklar geworden und da und dort von Engpässen und funktionalen Pfropfen durchsetzt. Zusammen mit seiner Mitarbeiterin Anja Fischer machte sich Ernst Beneder an die Arbeit; die letzten Monate, wie bei einer derart komplexen Aufgabe nicht verwunderlich, waren sie die meiste Zeit auf der Baustelle.

Von außen sieht man dem Gebäude nichts an. Im Inneren jedoch mußten unendlich viele kleinkrämerische Einbauten entfernt werden, um dem Konzept „offenes Rathaus“ Raum zu schaffen. Zu den strukturell wesentlichen neuen Elemente zählt ein Lift, der im ehemaligen Hof des schmäleren Hausteils steht und bis ins Dachgeschoß reicht. Er greift zwischen die beiden

Hauptträger eines räumlichen Fachwerks, das wie eine Brücke im dritten Obergeschoß, quer, wie der alte Theatersaal, von Feuermauer zu Feuermauer gespannt ist. &&gDieses trägt und enthält das neuerrichtete Dachgeschoß, mußte aber bis in die Fundamente auf neuen Betonscheiben abgestützt werden. Das Tragwerk selbst ist aus schichtverleimtem Fichtenholz, dimensioniert auf Abbrand, und kann daher sichtbar bleiben. Holz war aus Gründen der Materialkontinuität erwünscht.

Ein weiteres wesentliches neues Element ist ein gläsernes Pultdach über dem Arkadenhof im hinteren Gebäudebereich. Es liegt eingetieft und nach Norden geneigt, sodaß es weder von den nahen Höhen eingesehen werden kann, noch als unerwünschte Sonnenfalle wirkt.

Schier unlösbar schien das Problem der Treppen. Eine enge, abgewinkelte Mauerstiege führte vom Erdgeschoßdurchgang ins erste Obergeschoß; dort ging es im anderen Hausteil spiegelgleich weiter und wieder abgewinkelt zum aufgesattelten Theatersaal hinauf. Offenbar ist nie etwas passiert, und zu keiner Zeit mußten sich Menschen in Panik durch diesen engen Stiegenschlauch drängen.

Hier reagierte Beneder mit einem Befreiungsschlag. Er brach das Deckengewölbe über dem hinteren Teil des Durchganges weg und legte einen geraden Treppenlauf, leicht aus der Gangachse ausscherend, in den Raum. Wenn man vom Haupteingang am Oberen Stadtplatz kommt – in unserer Schnittperspektive von links –, laden die ersten Stufen freundlich zum Hinaufsteigen ein.

Oben führt ein schmaler Steg wieder zurück, dann dreht die Richtung um 90 Grad, damit man am Saal vorbeikommt. Neben dem Steg und den Stiegenläufen bleiben lange Lichtschlitze offen, und nach oben weitet sich der Raum bis zu dem oberseitig verglasten Raumfachwerk des Dachträgers. Damit gelingt es, Licht auch in diesen engen ehemaligen Hofbereich zu holen. In Schrägsicht ergeben sich gewagte Durchblicke, die zum Tageslicht greifen. Die konsequente Verwendung von Glas für die Geländer ermöglicht eine hohe Transparenz, sodaß die ehemals düster-gedrückte und bescheidene Stimmung im Hausgang einer luftigen Hallenatmosphäre gewichen ist.

Auch im hinteren Bereich war ein Treppenlauf aus dem Erdgeschoß hinauf neu anzulegen, denn die zweiläufige Stiege aus den fünfziger Jahren begann erst im ersten Stock. Nachdem die Erschließung geklärt war, ging es um die Optimierung der durchaus vorhandenen repräsentativen Räumlichkeiten, wobei die Nutzfläche nahezu verdoppelt werden konnte. Die gewölbte Halle im Erdgeschoß des größeren Vorderhausteils wurde zum Trauungssaal. Obwohl die Formensprache der Möbel zeitgemäß ist, bleibt durch die Anordnung der Bänke vor den Fenstern und in seitlichen Nischen ein Rest der Raumstimmung gewahrt, wie sie im Gasthaus früher einmal bestanden haben mag.

Darüber liegt der Saal mit der geschnitzten Tramdecke. Die Entfernung einer Zwischenwand erlaubt wieder den Blick auf den dreiteiligen Plafond, ein gediegener Sitzungssaal ist entstanden.

In einem anschließenden, tonnenüberwölbten kleinen Raum legten Restauratoren ein Fresko frei, auf dem für Kenner der örtlichen Verhältnisse Waidhofen im 16. Jahrhundert deutlich zu erkennen ist.

Der große Sitzungssaal fand im zweiten Obergeschoß, im ehemaligen Theatersaal, Platz, dessen biedermeierliche Stimmung gewahrt wurde. Der rückwärtige Teil um den arkadierten Lichthof weist zahlreiche schöne, helle Büroräumlichkeiten auf. Im Erdgeschoß findet man den Bürgerservice und die Information – dort sind daher die meisten Besucherbewegungen zu erwarten. Je höher man hinaufsteigt, desto heller und luftiger wird die Raumstimmung, und durch das Lichthofdach blickt der Helm des Stadtturms grüßend herein.

Über dem großen Sitzungssaal, unter dem hohen, querstehenden Walmdach, konnte noch ein Mehrzwecksaal eingerichtet werden. Aus dieser Höhe bieten sich durch die Gaupen in Schrägsicht schöne Ausblicke auf die Dächer der Bürgerhäuser, auf die nahen, grünen Talflanken und natürlich auf die Türme naher Kirchen; nicht weit entfernt erkennt man auch den vor ein paar Jahren durch Ernst Beneder ausgebauten Turmsockel.
Die Möblierung ist zeitgenössisch; viel helles Birkensperrholz wurde verwendet. Leichte Trennwände kamen von der Stange aus dem nahen bene -Werk. Andere sind als verschiebbare Gestelle ausgebildet und sichern Flexibilität.

Es war sehr viel an dienender, unspektakulärer, aber dennoch anspruchsvoller Architektenarbeit zu leisten. Auf allen Ebenen hat Ernst Beneder Augenmaß bewiesen und Angemessenheit bewahrt. Er hat sich nicht unnötig in Szene gesetzt. Trotzdem hat er sich nicht verleugnen müssen. Daß die Kosten im Rahmen geblieben sind, paßt gut dazu.

Insgesamt hat eine Transmutation stattgefunden: Die Stimmung ist rundum zeitgenössisch, bleibt aber mit jeder vertretenen Epoche der Vergangenheit im Gespräch.

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