Bauwerk

Doppelwohnhaus Schatzl
Ernst Linsberger - Krems an der Donau (A) - 1995
Doppelwohnhaus Schatzl, Foto: Herbert Schwingenschlögl
Doppelwohnhaus Schatzl, Foto: Herbert Schwingenschlögl
25. Juni 2002 - ORTE
Hoch über der Stadt Krems werden neue Einfamilienhäuser zwischen teilweise noch genutzten Weinbauparzellen hineingebaut. Oft halten gewaltige Stützmauern das Erdreich zurück. Und die auf diesen Sockeln errichteten Villen geben mit ihrer Gestaltung deutlich zu verstehen, daß auch für den Oberbau ausreichend Mittel vorhanden waren.

Einen völlig anderen Weg hat Architekt Ernst Linsberger beschritten, der für ein Gartengrundstück an demselben Südhang ein Doppelhaus entworfen und mit knappem Aufwand errichtet hat. Im oberen Grundstücksteil, nahe der Zufahrtsstraße baute er ein alltägliches Haus unter steilem Satteldach; klare einfache Fassaden zeichnen es aus. Nach Süden, von der Ankunftsseite abgewandt, ist ein Gartenhof vorgelagert, der gegen kühle Ostwinde durch einen kurzen Gebäudeflügel abgeschirmt wird.

Unter demselben Flachdach schließt ein ähnlich großes Volumen an, das bereits zum zweiten Haus gehört und den Eingangsbereich sowie ein Schlafzimmer enthält. Der größere Teil des Hauses liegt ein Geschoß tiefer und schließt mit der Rückseite an einen Feldrain an. Eine Zeile von Räumen: Kinderzimmer, Wohnraum und Eßplatz bis zur Küche, liegt vor einem hohen, glasüberdeckten Gang. Sie spannt sich von der einen seitlichen Grundgrenze zur anderen.

Vor der durchgehenden Glaswand an der Südfront, die in jedem zweiten Feld mit Schiebetüren zu öffnen ist, liegen eine Holzplattform und ein Baumgarten mit alten Marillenbäumen. Als Ertrag dieser Konzeption ist trotz der zwei zusammenhängenden Einfamilienhäuser je ein ungestörter privater Außenraum entstanden. Der niedrige vordere Baukörper läßt dem dahinterliegenden die Aussicht frei, sodaß beide Bewohnerschaften von der herrlichen Lage profitieren.

Aber die intensivste Wirkung geht von der innigen Beziehung zwischen dem Wohnbereich im vordenen Haus und dem Marillenhain aus. Die architektonische Zuspitzung auf eine reine Südorientierung, die durchgehende Glaswand, eine Raumaufteilung nur mit Schiebeelementen und die ungestörte Erhaltung des Marillengartens ergeben eine Dualität von elementarer Kraft: holzgeborgenes Wohnen und Gartenraum unter Marillenbäumen. Selten trifft man beim Einfamilienhausbau auf vergleichbar eindeutige Anordnungen, meist ist der Grundriß aufgrund praktischer Forderungen etwas verwinkelter und der äußere Ausdruck verspielter. Umso paradoxer daher, daß das Bauwerk nach außen hin kaum in Erscheinung tritt. Es entfaltet seine Wirkung von innen heraus, vom längsquadrischen Innenraum zum spezifischen Außenraum unter dem Geflecht aus Ästen und Zweigen.

Nicht immer entsteht aus einer einfachen Raumkonfiguration und einer polaren Gegenüberstellung automatisch eine architektonische Spannung von vergleichbarer poetischer Kraft. In diesem Fall erfolgte die Reduktion auf das Wesentliche einfühlsam und mit Augenmaß. Daß der Marillenhain völlig ungestört gelassen wurde, in seiner Mischung aus seit Generationen ausgeübter menschlicher Pflege und jährlicher Erneuerung durch die Natur, gehört zu den Geheimnissen des Bauens: zu spüren, wo hart neben der baulichen Intervention jeder größere Eingriff zu unterlassen ist und nurmehr ein regelmäßiges Pflegen erfolgen soll, um die Aura des Ortes zu erhalten. (Auszüge aus: Wohnen am Marillenhain: Ein Einfamilienhaus von polarer Kraft, geplant von Ernst Linsberger, ein Beitrag von ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich, in: NÖ schön erhalten - schöner gestalten, Ortsbild-Broschüre der Baudirektion-Ortsbildpflege im Amt der NÖ Landesregierung, Heft 64/Juni 1996, Seite 22-23 von Walter Zschokke)

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Für den Beitrag verantwortlich: ORTE architekturnetzwerk niederösterreich

Ansprechpartner:in für diese Seite: Heidrun Schlöglbaudatenbank[at]orte-noe.at

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