Bauwerk

Wohnbau Wagenredergründe
ARTEC Architekten - Bärnbach (A) - 1998
Wohnbau Wagenredergründe, Foto: Paul Ott
Wohnbau Wagenredergründe, Foto: Paul Ott

Zeile mit dem gefalteten Dach

Die Vorstellungen des Architekten, die Wünsche der Bewohner, die Bauordnung: Das alles sollte Architektur unter einen Hut bringen - wie sich am Wohnbau der Gruppe ARTEC im steirischen Bärnbach zeigen läßt.

24. August 1996 - Margit Ulama
Bärnbach, westlich von Graz, präsentiert sich liberal und architekturinteressiert. Obwohl der Ort nur 5000 Einwohner zählt, findet man zwei öffentliche Bauten mit besonderer Gestaltung. 1988 wurde das Glasmuseum von Klaus Kada fertiggestellt, ein im zentralen Bereich zerklüfteter Bau mit langer, gerader Seitenfront, der verschiedene Ausformungen von Glas demonstriert. Anfang der neunziger Jahre gestaltete dann Friedensreich Hundertwasser die Pfarrkirche.

Im Vergleich zum Glasmuseum ist dieser Bau leichter zugänglich: das blaue Mosaik an der Fassade, das Gras auf den Vordächern, die verschiedenen goldenen Kuppeln, die Wege mit unregelmäßiger Pflasterung und gewelltem Niveau. Dagegen der abstrakte Bau des Museums: Die Glassteine an der Seitenfront, die an kleine Eisblöcke erinnern, spielen auf ungewöhnliche Weise mit dem Material und stehen in unmittelbarem Gegensatz zu den hohen, durchsichtigen Scheiben des Eingangsbereiches. Die beiden Bauwerke zeigen die Pole auf, zwischen denen Architektur sich heute bewegt - unterhaltsame Ästhetik mit großer Publikumswirksamkeit auf der einen Seite, abstrakte Bauweise, die eines genauen Blicks bedarf, auf der anderen.

Es geht aber nicht um das Dilemma der Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten. Die Problematik liegt vielmehr in der mangelnden Schulung des Blicks; und ein ideeller Zugang zur Architektur und deren Geschichte wird in unserem System nicht geöffnet. Das Thema ist aus dem Unterricht in den meisten Fällen ausgeklammert, und doch betrifft es jeden - hinsichtlich der Wahrnehmung und der täglichen Lebenspraxis.

Dort bestimmt die Satteldachästhetik die Meinung der Mehrheit, alles andere stößt meist ohne Differenzierung auf Skepsis und Ablehnung. Doch das vielumstrittene Satteldach stellt natürlich eine Möglichkeit dar. In verschiedenen Wohnbauten entwickelte die Architektengruppe ARTEC eine eigene, prägnante Ästhetik, bei der diese Dachform in eine abstrakte Komposition eingegliedert wird. Heute arbeiten Bettina Götz und Richard Manahl unter dem Namen ARTEC, beim Projekt für Bärnbach gehörte der Gruppe noch Theo Lang an. Dieser Wohnbau ist ein weiteres Beispiel für die liberale Haltung der Gemeinde, die den aus einem Wettbewerb hervorgegangenen Entwurf ohne Einwände akzeptiert hat.

Zur Zeit wird die allgemeine Situation des Wohnbaus in der Steiermark jedoch von einer engen Sicht der Politik bestimmt, die wenig Interesse an architektonischen Neuerungen zeigt. Wie Wohnbau auszusehen habe, definiert eine vorgefaßte Meinung, eine pragmatische Sicht der Dinge. Auch in diesem Zusammenhang mangelt es an einer Differenzierung der Haltung. Architektur sollte jedoch über die Kriterien der bloßen Haltbarkeit und eindimensionalen Funktionserfüllung hinausgehen.

Es gibt verschiedene Perspektiven, um Architektur zu betrachten. So kann der ästhetisch- konzeptionelle Aspekt fokussiert werden, also die Sprachlichkeit, die ein Architekt zwischen allgemeinem Zeitgefühl und subjektivem Denken entwickelt. ARTEC haben - ein Zeichen von Qualität - zu einem in diesem Sinn spezifischen, unverwechselbaren Ausdruck in ihren Entwürfen gefunden. Ausgehend von einer breiten Palette von Materialien wie unlackiertem Holz, Sichtbeton, Ziegel, Blech oder Eternit und einem industriellen Produktionsgedanken passen sie das jeweilige klare Grundkonzept den Gegebenheiten an, ändern und überformen es. (ARTEC nennen Hermann Czech, neben Helmut Richter, als Vorbild.) So entstehen aus einfachen geometrischen Körpern teilweise plastische Gebilde, und dies trifft auch auf den Wohnbau in Bärnbach zu.

Die Grundstruktur bildet eine lange, durch tragende Querwände, sogenannte Schotten, unterteilte Zeile. In jedem Abschnitt, der auf diese Weise entsteht, liegt eine zweigeschoßige Wohnung. Erst am Ende der Zeile wird der Grundgedanke unter Beibehaltung der Querteilung variiert. Über diese Aneinanderreihung von Wohnungen legt sich ein weiteres Geschoß, ein plastisch geformter Bauteil, auf der einen Hausseite mit vorgelagerten Terrassen, auf der anderen mit einem Laubengang als Erschließung. Die Plastizität des Körpers entsteht aber durch das gefaltete Blechdach, das als geknicktes Betonelement zum Boden geführt wird und dabei einen eigenwilligen, offenen Raum für die Treppe zum Laubengang schafft.

Die Knicke des Daches sind nur aus der Vogelperspektive wirklich zu sehen, im Inneren erkennt man die Konstruktion. Ein dicker Leimbinder, der die Sparren für das Blechdach trägt, verläuft diagonal in jeder Wohnung und definiert diese als eigenständige Einheit.

So entstehen schräge Dachflächen und damit bewußt provozierte Unregelmäßigkeiten durch die Verschneidungen der geknickten Decke mit den Zimmerwänden, die die Orthogonalstruktur der Zeile beibehalten. Hier wird also ein traditioneller Dachboden mit seinen Unregelmäßigkeiten paraphrasiert. Probleme für die Bewohner ergeben sich insofern, als die Terrassentüren im oberen Abschluß der schrägen Dachkante folgen: Denn wie wird hier eine gerade Vorhangstange angebracht? - Dies führt zur anderen Betrachtungsebene der Architektur, die von den Ansprüchen der Bewohner ausgeht. Die Mehrzahl der Nutzer sieht nur die pragmatische Funktionserfüllung einer Wohnung, die Anzahl der Zimmer. Natürlich muß ein Grundriß in dieser Hinsicht den subjektiven Bedürfnissen entsprechen. Abänderungen wären bei dem Wohnbau in Bärnbach auch möglich gewesen, doch fehlte die Vermittlung der Genossenschaft zwischen Bewohnern und Architekten.

Alles, was über die Funktionserfüllung hinausgeht, wird jedoch von den Mietern kaum wahrgenommen. Der Grund dafür liegt eben darin, daß Architektur in unserem Bildungssystem kein Thema ist. Nur wenn es ein Unterrichtsfach Architektur gäbe, könnte eine gewisse Sensibilität für die Qualitäten einer Wohnung entstehen. Diese liegen beim Wohnbau in Bärnbach etwa in der durchgehenden Verwendung von bis zum Boden reichenden Fenstern. Dadurch werden besonders kleine Räume optisch erweitert. Die offene Verwendung der Treppe in den zweigeschoßigen Wohnungen erzeugt zusätzlich räumliche Weite. Doch eine solche Qualität muß man erst spüren, ebenso wie jene der Aus- und Durchblicke oder der Erschließung der oberen Wohnungen durch den Laubengang.

Neben den Vorstellungen der Architekten und den Wünschen der Bewohner sind die politisch-rechtlichen Voraussetzungen für den Wohnbau entscheidend. Steuernd wirken Bauordnung und Wohnbauförderung, die zusammen ein dichtes System von Vorschriften ergeben. Die enge Reglementierung, nicht nur in Österreich, wird immer wieder kritisiert. Oft drängt sich die Frage auf, wem diese eigentlich nütze. So wird im Wohnbau ein äußerst hoher Standard bezüglich Wärmedämmung und Schallschutz gefordert, der verteuernd wirkt. Die Kosten sind aber entscheidend für die Bewohner, auch beim geförderten Wohnbau und gerade in einer Region wie der um Bärnbach.

Andererseits ist es neuerdings Voraussetzung für die steirische Wohnbauförderung (und dies gilt für den zweiten Bauabschnitt in Bärnbach, der derzeit in Planung ist), alle Wohnungen behindertengerecht zu bauen. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob dies bei den über den Laubengang erschlossenen Wohnungen sinnvoll ist, da hier für Behinderte erst ein Lift gebaut werden müßte, führt dies zu aufgeblähten Gangflächen und Bädern, ein Problem gerade bei kleinen Wohnungen. Zusätzlich müssen auch bei diesen Bad und WC voneinander getrennt sein, wodurch weiterer Wohnraum verlorengeht. Insgesamt betrachtet, mündet also der prinzipiell richtige Ansatz, behinderte Menschen in Rollstühlen bei der Planung zu bedenken, in Forderungen, die problematisch sind, weil sie sich auf alle Wohnungen beziehen. Architektur wird von den unterschiedlichsten Faktoren bestimmt, und das macht auch den Reiz dieses Mediums aus.

Der avancierte Architekt braucht - vor dem eigentlichen Entwurf - den Blick des Künstlers auf neue, ungewöhnliche Dinge. So finden ARTEC ästhetische Qualitäten in so unterschiedlichen Gegenständen wie einem Eierkarton, den Schneezäunen in der Gebirgslandschaft oder auch den scheinbar klobigen Betonteilen, die als Hangbefestigung an der Südautobahn dienen. Mit diesen Beispielen illustrierten die Architekten einen programmatischen Text zu ihrer Methodik des Entwerfens. Wie in der Kunst geht es also auch im architektonischen Bereich umeine Verschiebung innerhalb der Wahrnehmung - zuerst bei der Wahrnehmung der Umgebung durch die Architekten, dann bei der allgemeinen Rezeption der von ihnen gebauten Häuser.

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