Bauwerk

Wohnhaus Esterhazygasse
Margarethe Cufer - Wien (A) - 1993
Wohnhaus Esterhazygasse, Foto: Manfred Seidl
Wohnhaus Esterhazygasse, Foto: Manfred Seidl

Feine Würze fürs Entree

Es geht auch ohne Humus auf dem Dach: der Neubau von Oswald Oberhuber und Margarethe Cufer an der Wienzeile - ein „Künstlerhaus“ der anderen Art.

27. Januar 1996 - Liesbeth Waechter-Böhm
Wien und seine „Künstler-“ beziehungsweise „Malerhäuser“ - dieses Kapitel sollte eigentlich abgehandelt sein. Die Fassaden schreien es laut heraus: Hier geht es um Kitsch, nicht um Kunst, um Kommerz, nicht um Konzepte. Man nehme eine Wasserpfütze, lege einen Gitterrost darüber, sage Teich dazu - schon ist die Simulation architektonischer Alternativen perfekt.

Neuerdings gibt es ein „Künstlerhaus“ mehr in Wien. Es steht im Wiental und markiert die Ecke Esterh´ azygasse/ Linke Wienzeile; wie die anderen seiner Art verdankt es die Existenz der Zusammenarbeit zwischen einem Architekten - in diesem Fall Margarethe Cufer - und einem Künstler - hier Oswald Oberhuber.

Wer nicht weiß, daß dieses Haus ein „Künstlerhaus“ ist, dem wird es der Anblick der Eckverbauung nicht auf Anhieb suggerieren. Überdies verfügt es weder über einen Kleintierstall noch über einen Teich im Hinterhof, es hat keine Humusschicht auf dem Dach und keine buckligen Fußböden, auch schillert es nicht in allen Farben, und es kommt ganz ohne keramischen Zierat aus. Es ist ein städtisches Haus, mehr will es anscheinend nicht sein.

Die Frage, die man sich im Zusammenhang mit unseren „Künstlerhäusern“ - unabhängig von ihrer künstlerischen Qualität - stellen müßte, läßt sich angesichts all der Bauten von Hundertwasser, Brauer und Kumpf nur schwer unpolemisch formulieren. Wenn wir es trotzdem versuchen, lautet die Frage ungefähr so: Was bringen diese in der Regel überfinanzierten Statements für die Architektur einer Stadt? Anders ausgedrückt: Sieht man von den Autobusladungen von Touristen einmal ab - was läßt sich inhaltlich aus solchen Bauten herausdestillieren, das man verallgemeinern könnte? Ein Kuriosum in die Stadtwelt zu setzen war noch nie ein Problem. Aber etwas zu planen, was nachhaltig wirksame Bewegungen und Veränderungen zur Folge hat, ist nicht so einfach.

Cufer und Oberhuber haben ihr Projekt von vornherein unter grundsätzlich anderen Vorzeichen, aber auch mit einer ganz anderen Strategie realisiert. Beides wurde in diesem Fall in den Medien anerkennend vermerkt: Denn erstens wurde das Projekt zu den ganz normalen finanziellen Konditionen der Wiener Wohnbauförderung errichtet; zweitens ist es keine aufdringliche visuelle Peinlichkeit geworden. Überhaupt zeigt es nach außen nicht überdeutlich vor, welchen Anteil der Künstler an der Planung hatte und welchen der Architekt.

Tatsächlich ist es eine sehr signifikante „Ecklösung“, von der wir hier reden: Allein die verschiedenen Fenster erwecken den Eindruck, als hätte jemand einfach eine Handvoll Fenstergrößen gegen die Fassade geworfen - und dort picken sie jetzt.

Außerdem ist die Ecke besonders formuliert, denn mit ihren Erkern, die in Wirklichkeit ja bloß „Zierglieder“ sind - Cufer/Oberhuber hatten nämlich Erkerverbot (das gibt es wirklich!) -, ist diese Fassade an der richtigen, der einzig möglichen Stelle, und zwar an der abgeschrägten Ecke zum Wiental hin, plastisch durchformuliert. Dabei wurde hoch oben auf dem Dach das Motiv des gründerzeitlichen Eckaufbaus variiert, aber nicht irgendwie und schon gar nicht rückwärtsgewandt oder historisierend, sondern in einer gerade noch erkennbaren, zeitgenössisch transzendierten Interpretation als filigrane - immerhin fünf Meter hohe - Pergola aus Stahl.

An der Seite Esterházygasse sind durch eine großflächige Verglasung die Dreifachparker zu sehen: Das Haus wurde auf einem nur 318 Quadratmeter großen Grundstück errichtet, es umfaßt 16 Wohnungen und 1405 Quadratmeter Nutzfläche, was bedeutet, daß für eine Tiefgarage mit Abfahrtsrampe nicht genügend Platz da war. Die kleine Geste drückt diesen Sachverhalt nach außen nachvollziehbar aus, sie wird so aber auch zu einer Art spielerischen Lektion in Sachen Autofetischismus.

Das Haus ist ganz in „Nichtfarben“ gehalten, zurück bleibt der Eindruck von Weiß und Grau. Damit hebt es sich zwar von seiner abgasgeschwärzten Umgebung ab - immerhin handelt es sich ja um einen Neubau -, aber nicht prinzipiell: Denn Grau war früher einmal die dominierende Farbe der zur Wienzeile hin geschlossenen gründerzeitlichen Umgebung (in die der Zahn der Zeit manche Lücke gebrochen hat). Wenn man nun durchs Eingangstor vorne an der abgeschrägten Ecke eintritt, ist man tatsächlich mit Kunst konfrontiert. Und zwar mit ganz „herkömmlicher“, wie man sie auch in Galerien antrifft: Oberhuber hat eine figurative Drahtplastik gestiftet, eine Art feierliche Würze für ein eigentlich traditionelles Wiener Entree. Vor 100 Jahren hätte man zur Erzielung eines ähnlichen Effekts wahrscheinlich das Kunstmittel des bunten Glasfensters gewählt. Außerdem hängen, fein gerahmt, ein paar Reminiszenzen des ursprünglichen Bestands dieser städtischen Baulücke an der Wand - hier war früher ein Bad - und verweisen darauf, daß der Ort geschichtsträchtig ist.Dieser ein wenig banale Verweis erfährt in der Architektur eine weniger banale Auflösung: Das Thema des kreisrunden Treppenhausturms, das sich aus den aufgehängten Plänen des früheren Baubestands herauslesen läßt, findet sich im Neubau wieder.

Das hat zwar nicht viel zu besagen, es könnte eine mehr zufällige Wahlverwandtschaft sein; wichtig ist, daß hier auch in Zeiten des Lifts das Stiegenhaus als halböffentlicher Bereich und hausinterner Kommunikationsraum ernst genommen wurde.

Das Stiegenhaus endet bei einer Gemeinschaftsterrasse von sehr angenehmem Zuschnitt. Dort gibt es zwar weder Bäume noch Gras, aber Sonnenbädern und Grillfesten dürfte das keinen Abbruch tun. Die Wohnungen sind von der Größe her recht unterschiedlich: Die schönste ist zweigeschoßig und natürlich ganz oben, wo die „Zierglieder“ sind und die Aussicht über die Stadt ein stimmungsvolles Plus darstellt. Aber auch in den Regelgeschoßen sind die Grundrisse wohlüberlegt und erlauben eine von Fall zu Fall unterschiedliche Nutzung der Räume. Es ist also vom Wohnungszuschnitt her nicht zwingend vorgeschrieben, wo jemand sein Wohnzimmer hat.

Voilà, das ist es auch schon, viel mehr hat dieses Haus nicht zu bieten. Kleinigkeiten wären noch erwähnenswert, etwa die kreisrunde Verblechung im Stiegenhaus rund um den Lift oder die Art, wie Glasbausteine das Tageslicht gleichmäßig streuen.

„Am Anfang dieses Projekts stand die Idee einer neuen Form des Zusammenwirkens von Kunst und Architektur“, heißt es in einem gemeinsamen Statement von Cufer und Oberhuber. „Nicht die Dekoration der Fassade eines ansonsten langweiligen Hauses war das Ziel, sondern eine Durchdringung von Kunst und Architektur. Kunst verstanden als eine besondere Sicht der Gesamtproblematik, die in einen Dialog tritt mit der professionellen Kenntnis der Architektur des sozialen Wohnbaus und seiner restriktiven Bedingungen.“

Tatsächlich muß die Konfrontation mit der Wiener Bauordnung für Oberhuber eine Schlüsselerfahrung gewesen sein. Ich erinnere mich, wie er in der Anfangsphase des Projekts - 1993 - immer wieder kopfschüttelnd, manchmal auch wütend darauf zu sprechen kam, wie wenig Spielraum dem Architekten im Dickicht der Vorschriften für seine kreative Arbeit bleibt. Dieser Spielraum ist tatsächlich knapp; durch die finanziellen Vorgaben der Wiener Wohnbauförderung wird die Situation nicht gerade entschärft. Ob Kooperation Künstler-Architekt oder nicht - es ist ein anständiges und sehr städtisches Haus geworden. Es ist nicht unscheinbar, fällt aber nicht über Gebühr auf. Dafür bietet ein Wohnhaus auch gar keinen Anlaß.

Die Oberhubersche Handschrift läßt sich zwar an der Fassade - bei den unterschiedlichen Fenstern und der plastischen Lösung an der Ecke - und oben - beim turmartigen Aufbau - unzweifelhaft erkennen; und es mag durchaus sein, daß in Gesprächen zwischen Künstler und Architekt inhaltliche Schwerpunkte gesetzt wurden, die man in der Planung auch berücksichtigt hat. Insofern ist diese Kooperation offenbar sehr gut verlaufen.

Trotzdem läßt sich auch bei diesem gelungenen Beispiel eines „Künstlerhauses“ kein Hinweis darauf aufspüren, daß die „andere Sichtweise“ des Künstlers zwangsläufig eine „andere“ Wohnhausarchitektur zur Folge hätte. Die Architektur unserer „Künstlerhäuser“ ist und bleibt ganz normal, sie ist einmal besser, wie an der Wienzeile, öfter schlechter. Der Beitrag der Künstler zum Wiener Wohnbau geht über die Aufprägung ihrer Handschrift nicht hinaus. Die kann man mögen oder ablehnen. Sie kann reizvoll sein oder lästig. Mehr steckt nicht dahinter.

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