Bauwerk

Tourismushaus Bregenz
Rudolf Prohazka - Bregenz (A) - 1998
Tourismushaus Bregenz, Foto: Margherita Spiluttini
Tourismushaus Bregenz, Foto: Margherita Spiluttini

Ein Blickmagnet am Bodensee

Bregenz versteht sich als Seestadt - und beklagt ein prekäres Verhältnis zum Ufer: Bahngleise halten das Stadtleben von der Wasserkante fern. Rudolf Prohazka setzt mit seinem Tourismushaus endlich ein Signal zur Überwindung der Barriere.

31. Oktober 1998 - Walter Chramosta
Der Wunsch, das Seeufer zu kultivieren, prägt die Bregenzer Baugeschichte erst seit etwa 150 Jahren. Bregenz war nie eine typische Uferstadt mit einem um den Hafen konzentrierten Zentrum, vielmehr entwickelte sie sich auf Terrassen am Hang des Pfänders. Die Landnahme am See - teilweise durch Aufschüttung - ist eine merkantil-bürgerliche Konzeption des 19. Jahrhunderts.
Die Einschätzung des Uferstreifens zwischen Mehrerau und Lochau hat sich zeitbedingt stark geändert. Vom stadtparkähnlichen Ort des Lustwandelns bis zum kommerzialisierten Festspielbezirk, vom Seglerdorado bis zum hochrangigen Verkehrsband mit Hafenanschluß reichen die stadtplanerischen Zielvorstellungen, die sich nun im Zentralbereich widersprüchlich gegenüberstehen.

Kern des permanenten Nutzungskonflikts ist die Barrierewirkung der 1870 bis 1872 errichteten Vorarlberger Bahn. Der seinerzeit geleistete Widerstand gegen eine Führung des Bregenzer Abschnitts in Tunnels hat sich nach Fertigstellung der Strecke bald in Ernüchterung gewendet. Trotz der bis dahin nicht sehr hohen Wertschätzung der Seeseite bemüht man sich seitdem um die Aufwertung der vom See wahrnehmbaren Silhouette der Stadt.

In diesem Sinne erarbeitet der Wiener Architekt Kurt Klaudy bereits 1945/46 ein Projekt zur Untertunnelung von Bregenz, in dem er auch detaillierte Aussagen über eine neue Stadtkante zum See macht. Basierend auf dem Abbruch des Bahnhofs und einer fast zwei Kilometer langen, unterirdischen Strecke, will er die Stadt aus der Umklammerung befreien.

Bemerkenswert ist sein auch heute wieder angestrebter Versuch, ein „Seegesicht“ entlang einer „lebenden“ Kante aus mehreren Baublöcken zu formen. Klaudy gibt sich 1948 keiner Illusion hin: „Die Erfüllung dieser erstmalig gestellten Großaufgabe wird nicht leicht sein. Der Vorarlberger zeigt keine Vorliebe für große städtebauliche Wirkungen, geschweige denn für Monumentalität. Sein ganzes formales Denken ist vom Eigenhaus erfüllt.“

Ein halbes Jahrhundert später ist ein so radikaler Neubeginn wegen unkoordinierter Teillösungen nicht mehr realistisch. Die Stadt muß heute mit begrenzteren städtebaulichen Mitteln den wichtigen Kontakt zum See suchen. Der aktuelle Handlungsrahmen ist durch das Gelände des abgebrochenen Bahnhofs, das „Seestadtareal“, abgesteckt. Es spannt sich zwischen der verkehrsberuhigten Bahnhofsstraße und der an die Bahntrasse verlegten, stark frequentierten Bundesstraße auf. Der See ist etwa 100 Meter entfernt.

Seinen Ostrand bestimmt der neue, plump gestaltete Bahnhof mit seiner unglücklichen Seitenposition neben dem Gleiskörper. Er wird weder der Ufer- noch der Tunneloption wirklich gerecht, fixiert aber als gedanklicher Zwitter die alte Trasse erst recht und belastet alle weiteren Absichten.

Seeseitig der nur an wenigen Brücken und Unterführungen durchlässigen Bahnbarriere hat sich aus Festspielhaus, Casino, Hotel und Stadion ein unübersichtliches Kultur- und Erholungsensemble entwickelt, welches das vorzügliche naturräumliche und infrastrukturelle Potential des Ortes ungenützt läßt. Den westlichen Abschluß der Brache bildet ein Seegalerie benanntes Geschäftshaus, an das das nun fertiggestellte Tourismushaus schließt.

Mit diesem aus einem österreichweiten Wettbewerb mit internationalen Zuladungen hervorgegangenen Bau setzt Rudolf Prohazka erstmals einen Teil des auch von ihm entwickelten Seestadt-Projekts um. Er verwirft eine bereits fertige Bebauungsplanung, die eine willkürliche Megastruktur vorschlägt, neben der wertvoller Boden großflächig ungenutzt bliebe.

Rudolf Prohazka legt ein feingliedrigeres Bebauungsprinzip mit getrennt zu bearbeitenden Stadthäusern auf selbständigen Parzellen vor. Gemeinsam ist ihnen ein zusammenhängender Innenhof. Die Gebäude sollen einheitlich fünf Geschoße und Geschäfte, Büros und Wohnungen beinhalten. Damit wird im Osten der jetzt verloren wirkende Bahnhof zumindest strukturell eingebunden, im Westen an der Montfortstraße durch die Rücknahme der Bebauung ein städtebaulich wichtiger, da zum See offener Vorplatz für das vis-à-vis situierte Tourismushaus geschaffen. Noch dient der größte Teil des Seestadtareals nur als Parkplatz.

Das Tourismushaus bestätigt die Leistungsfähigkeit von Prohazkas urbanistischer Vision - was eigentlich die Fachwelt nicht überrascht. Rudolf Prohazka, 1947 in Ortmann geborener, in Wien ausgebildeter und praktizierender Architekt, realisierte in den letzten zehn Jahren mehrere durch Klarheit und Transparenz bestechende Privatbauten, bewies vor allem mit leider nicht verwirklichten städtebaulichen Entwürfen seine starke Affinität zum großen Maßstab und zu weitsichtig konzipierten Stadtstrukturen.

Insbesondere sein 1989 verfaßter Entwurf für das Regierungsviertel St. Pölten ist jenes Konzept, mit dem dieses Vorhaben von einer regional mächtig wirkenden zur international bedeutenden Architekturmanifestation hätte aufsteigen können. Das die Traisenlandschaft rechteckig weitgreifend einfassende Landhaus war in seiner politischen Symbolik, seiner städtebaulichen Gestik und in seiner architektonischen Konsequenz für die Jury überfordernd, weil dem damals gängigen Suchraster nach einem repräsentativen Objekt zu weit voraus. Prohazka schlägt in seinen Projekten eben immer optionsreiche Ausgangszustände vor, er zeigt raumanalytisch hilfreiche, ästhetisch und technisch ausgereifte Strukturen auf dem Weg zur Problemlösung, aber nicht die Lösung selbst.

Die kann der Nutzer durch qualifizierten Gebrauch verwirklichen, die kann erst die langfristige Nutzung verifizieren. Prohazkas Entwürfe sind daher vorweg an der Präzision zu messen, mit der sie die Aufgabenstellung sezieren. Derart eröffnen sie spezifische Potentiale: auf der Suche nach dem Tourismushaus begründet die Jury ihren einstimmigen Beschluß damit, daß „das Projekt durch seine Offenheit eine große Potenz für differenzierte Entwicklungen“ hat. Im Ansatz qualifiziert hat es sich durch sein klares Bekenntnis zur Verbindung von Öffentlichkeit und Privatheit, also durch eine intensive Beziehung von Innen- und Außenraum. Prohazka bietet eine Wahrnehmungshilfe für den Stadtgebrauch an: Er wirbt bei den Passanten um Aufmerksamkeit für das Einsteigen in die Vertikale, also für die Geschäfte und Büros in den Obergeschoßen, aber auch für das Eintauchen in das weit aufgeschnittene Untergeschoß, in die unterirdische Passage zum See.

Gewissermaßen soll der öffentliche Horizontalschub der Fußgängerzone in die Senkrechte umgelenkt werden. Das Tourismushaus ist ein optisch anziehend wirkender Magnet, der schon auf mittlere Distanz zum tätigen Gebrauch anregen will. Darin unterscheidet es sich grundsätzlich von der fast sakralen Hermetik des nahen, die Stadtsilhouette mitprägenden Kunsthauses, das staunen läßt, aber zumindest von der Seeseite niemanden direkt anzieht.

Das Tourismushaus gibt sich aufklärerisch und einschließend, das Kunsthaus mystifizierend und ausschließend. Beide sind auf ihre Art kaprizöse Architekturen - in der Auffassung von Öffentlichkeit sind sie diametral. Bei ersterer stellt sich Baukunst in den Dienst der Stadt, bei letzterer - trotz öffentlicher Zwecke - ist sie Dienstbarkeit eines privatisierten Kults.

Die Hauptschauseite des Tourismushauses mit der weiten Auskragung wendet sich nicht zum See, sie sucht Kontakt zur Stadt. Nur auf dem vorläufig zum Bahnhof weiträumig offenen Vorplatz kann sich der Aufforderungscharakter des präzis geschnittenen Glaskörpers entfalten. Die nahe Bundesstraße läßt fast kein Vorland für Fußgänger zu, sie erfordert sogar eine Abschrägung des Sockels. Der gestufte Baukörper mit den beiden aufgeständerten Hauptgeschoßen und dem zurücktretenden Dachgeschoß reflektiert durchaus die Bregenzer Fassadengrammatik, allein die Entmaterialisierung der Fassaden bricht mit dem Ortsüblichen und läßt die Dresscodes der Vorarlberger Szene vergessen.

Der kleine Anteil beweglicher Fassadenteile läßt schon das avancierte Haustechnikkonzept erahnen, das auf sichtbare Heizkörper und Klimatisierung verzichten kann. Die offenen Betondecken sind speicherwirksam, Heizungs- und Kühlungs-, aber auch Frischluftleitungen durchziehen sie und garantieren auch den Innenräumen asketische Anmut.

Daß sich das Haus schonend, aber wirkungsvoll Kälte wie Wärme aus der Ummantelung der Untergeschoße, also aus der Umwelt holt, ist Symptom für den katalytischen Charakter dieser Architektur, die sie intelligenten Apparaten verwandt zeigt: Sie reagiert auf feine systemgerechte Impulse mit deren Verstärkung, aber sie ist gleichzeitig fehlertolerant gegenüber groben Störgrößen. Zahllose Passanten lassen sich von diesen „Signalen“ über die latente Fehlstelle des Stadtkörpers hinweghelfen.

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