Bauwerk

Musée du quai Branly
Jean Nouvel - Paris (F) - 2005
Musée du quai Branly, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES
Musée du quai Branly, Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES

Die Arche Noah an der Seine

Im Pariser Musée du Quai Branly fusionieren Architektur und Stammeskunst zu einem Gesamtkunstwerk. Der Neubau von Jean Nouvel ist ein schwebendes Brückengebäude aus Stahl, das im Innern einen einzigen grossen Ausstellungsraum formt.

26. April 2007 - Evelyn C. Frisch
Das Museums für aussereuropäische Kunst und Kultur in Paris, nach seiner Lage am Quai Branly kurz «Musée du Quai Branly» genannt, ist der erste Pariser Museumsneubau seit dem prominenten Centre Pompidou aus dem Jahre 1977. Und es ist das einzige «Grand projet», das unter dem Präsidenten Jacques Chirac realisiert wurde. Trumpf des Museums ist die Architektur von Jean Nouvel, dem eine beeindruckende Fusion von Form und Inhalt gelungen ist. Am Quai Branly, der an der Seine entlang von der Esplanade des Invalides zum Eiffelturm führt, empfängt den Besucher eine 12 Meter hohe geschwungene Glaspalisade mit Pflanzen-Serigraphien, hinter der kleine Pfade durch eine Hügellandschaft mäandern. Diese führen zur Museumsgalerie, einem 220 Meter langen, geknickten Kastenbau, der zum grössten Teil auf 26 aleatorisch verteilten Pfeilern steht. Markant stechen aus der Nordfassade dreissig «Schachteln» heraus, auf deren Glasrauten blaugrüne Landschaftsbilder gedruckt sind. Diese Schachteln sind mit Holzpaneelen in kräftigen Farben verkleidet und formen im Innern des Ausstellungsraumes intime Kammern, die der Inszenierung besonderer Stücke dienen. Die Fassadengestaltung soll Hütten vor einem Urwald evozieren. Gekrönt wird der ganze Bauteil von der flachen Glaskuppel des Museumsrestaurants.

Schwungvoller Aufstieg in den Dschungel

Unter der 10 Meter hohen Brücke hindurch gelangt der Besucher zu einem «Tal», das zum Haupteingang führt. Auf dieser Seite des von Gilles Clément gestalteten Parks wachsen Kirsch- und Magnolienbäume, und zwei Becken mit Wasserpflanzen bilden eine Art natürliche Grenze zur Rue de l'Université. Betreten wird das Museum durch eine blendend weisse und kreisrunde Galerie: Ihr Herzstück ist ein durch alle Stockwerke hindurchragender transparenter Zylinder, in dem die Sammlung von 9000 Musikinstrumenten Platz gefunden hat. Membranen an der Aussenhaut des Glaskörpers übertragen die Klänge Trommeln, Leiern oder Pfeifen als leises, akustisches Flüstern.

Von der Empfangshalle aus steigt eine 180 Meter lange sinusförmige Rampe um den Zylinder herum zur Galerie empor und schwingt sich über einen 2000 Quadratmeter grossen Raum für Wechselausstellungen. Dann verengt sich der Weg zu einem dunklen Tunnel und mündet endlich in die Weite des Ausstellungssaals. Dieser Aufgang ist eine Mischung aus Initiationsweg und Entdeckungsreise.

Die 4750 Quadratmeter grosse Galerie verzichtet völlig auf Wände, ist aber wegen der Dichte der Ausstellungsvitrinen nie ganz zu überblicken. Die 9 Meter hohe, bis zu 35 Meter breite und rund 200 Meter lange Halle durchzieht in der Länge ein zentraler Zirkulationsweg, der durch eine Art Wall eingefasst wird. In diesen mit Leder tapezierten Wall sind Sitzgelegenheiten und interaktive Bildschirme eingelassen. Den zentralen Weg umgeben die vier geographischen Abteilungen: Afrika, Amerika, Asien und Ozeanien. Die Farbe des Bodens zeigt jeweils an, in welcher Weltgegend man sich befindet. Von den rund 300 000 Objekten sind 3 500 dauerhaft in der Galerie zu sehen, die übrigen sollen innerhalb der kommenden 12 Jahre in Wechselausstellungen gezeigt werden.

Struktur und Fassade

Der 220 Meter lange Baukörper besteht aus zwei unabhängigen Teilen, die durch eine Dilatationsfuge voneinander getrennt sind. Die beiden Geschossdecken werden aus einem geschweissten Gitterwerk aus Stahlbalken gebildet und ruhen auf Rundrohrstützen aus Stahl, die oben und unten gelenkig gelagert sind. Die Aussteifung in Querrichtung wird durch drei Stahlbetonkerne im westlichen Teil sowie durch einen Stahlbetonkern und einem Stahlrahmen im östlichen Teil erreicht. Acht horizontale Verstrebungen, die einerseits an den Betonkernen, andererseits am Stahltragwerk der beiden Geschossebenen fixiert sind, gewährleisten die Abtragung der Horizontalkräfte.

Die Decken bestehen aus einer Verbundkonstruktion aus Betondeckenelementen auf Stahlkoffern. Die Galeriegeschosse mit einer Fläche von 2000 Quadratmetern sind von den Balken der obersten Terrassendecke abgehängt. Die Fassade zur Seite des Quai Branly ist am obersten Dachrand aufgehängt und besteht aus einem Rautengitter aus Rundrohrprofilen, von aussen mit Kastanienholzlatten beplankt.

Verwaltung, Medienzentrum und Universität

Neben dem Ausstellungsgebäude steht direkt am Seineufer der Verwaltungsbau des Museums in einer von Vegetation überzogenen Verkleidung: Es ist eine tropisch-grüne, tropfende Fassade, überwuchert von einem dichten Pelz aus 180 verschiedener Pflanzenarten – ein hängender Garten auf Polyamidfilz. Dahinter folgt, durch luftige Gangways mit dem Bürotrakt verbunden, das Medien-Zentrum: Vertikale Metall-Läden, die auf roten, Samurai-Schwertern ähnelnden Schienen laufen, begrenzen den Lichteinfall des Hinterhauses, in dem die Bibliothek (mit 180 000 Bänden), die Photo- und die Musik-Sammlung untergebracht sind. Zur Parallelstrasse abgeschlossen wird das Gelände durch das schlichte Universitätsgebäude. Seine Signaturen sind, durch die Glasfassade erkennbar, schwarz-weisse Ornamente und Deckengemälde, gestaltet von acht Künstlern: Ureinwohnern aus Australien (nicht abgebildet).

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

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