Bauwerk

James-Simon-Galerie
David Chipperfield - Berlin (D) - 2018

Der klassische Kompromiss

David Chipperfield entwirft ein Tempel-Portal für die Berliner Museumsinsel

Die Stiftung Preussischer Kulturbesitz hat David Chipperfields neuen Entwurf für das Eingangsgebäude der Berliner Museumsinsel vorgestellt. Die Architektur zeigt sich klassisch modern - und ohne Vision.

30. Juni 2007 - Claudia Schwartz
Berlin wird nie eine schöne Stadt sein wie Rom oder Paris. Aber aus Berliner Sicht ist die Museumsinsel der schönste Ort der Welt. Hier ruht die unübersichtliche und oft schroff anmutende Metropole in sich selbst. Im Namen von Schinkel und Stüler nahm im Laufe der Zeit eine Stadtlandschaft Gestalt an, die das Bildungsideal zum Mass aller Dinge machte. So strebt alles nach klassischer Schönheit, von den Wassern der Spree umspült. Selbst die Freizeitgesellschaft, die an heissen Sommertagen den Lustgarten vor dem Alten Museum bevölkert, erlegt sich hier - Magie des Ortes - eine gewisse Haltung auf.

Nun wurde diese Pflicht zur höheren Ordnung auch an einen englischen Stararchitekten herangetragen. «So nicht, Mr. Chipperfield», raunte es durch den deutschen Blätterwald, nachdem der als «Toilettenhäuschen» und «Gewerbekiste» kritisierte Entwurf des Architekten für einen Neubau auf der Museumsinsel nach Jahren unvermittelt wieder ins Rampenlicht gerückt war: Der Deutsche Bundestag hatte an einem Frühlingsmorgen überraschend 73 Millionen Euro freigegeben für den vorgezogenen Bau eines im Masterplan für die Museumsinsel (1999) vorgesehenen zentralen Eingangsgebäudes, das Toiletten und Shops aufnehmen soll für die jährlich erwarteten vier Millionen Besucher.

«Rettet die Museumsinsel»

Tatsächlich stellten die schlichten Glasboxen, die etwas einfallslos Chipperfields Figge Museum in Davenport zu kopieren schienen, keine angemessene Antwort dar auf das einzigartige architektonische Ensemble der Berliner Museumsinsel. Der renommierte Architekt, der in letzter Zeit Erfolge in Marbach (Literaturmuseum der Moderne) oder Essen (Projekt für den Neubau des Essener Folkwang-Museums) feierte, signalisierte zwar seinen Willen zur Überarbeitung. Doch mit dem Berliner Hang zur Übertreibung trat umgehend die Initiative «Rettet die Museumsinsel» auf den Plan. Prominente Unterstützung fand sie durch den deutschen Unterhaltungs- und Erinnerungsbetrieb von Günter Jauch bis Lea Rosh. Der darauffolgende Architekturstreit hinterliess den Eindruck, dass den selbsternannten Rettern der Baukunst mehr noch als Chipperfields Neubauprojekt dessen Sanierungskonzept für die Ruine des Neuen Museums ein Dorn im Auge war. Dieses hält das Prinzip des Bewahrens hoch und hat nichts am Hut mit jener Retro-Ideologie, die alles wieder so aufgebaut sehen möchte, wie es vor den Zeitläuften der Geschichte da stand. Nun hat allerdings Chipperfield mit dem neuen Entwurf seinen Kritikern erst einmal ein Schnippchen geschlagen - so schön klassizistisch sollen sich dereinst nach seinem Plan die Säulen entlang des Kupfergrabens erheben, so selbstverständlich soll eine Freitreppe hinaufführen in die nach dem Stifter der Nofretete benannte James-Simon-Galerie. Der Architekt hat die betonte Funktionalität des ersten Entwurfes in eine dezidiert zeichenhafte Erschliessung des «Berliner Louvre» übergeführt, wie es der Pariser Namensvetter mit Peis gläserner Pyramide vormacht, wobei in Berlin die einzelnen Museen weiterhin auch separate Eingänge behalten.

Chipperfields Entwurf baut nicht nach und rekonstruiert nicht. Er stellt aber - und das ist neu in der altehrwürdigen Ansammlung berühmter Solitäre - einen Dialog her zwischen den einzelnen Gebäuden. Der Riegel öffnet sich über eine Säulenhalle zum Flussufer hin, lädt die Besucher zum Flanieren und Verweilen ein und unterstreicht den Charakter der Museumsinsel als einer Architekturlandschaft. Aus der Perspektive des Kupfergrabens verdeckt das filigrane Stabwerk einem Vorhang gleich den alltäglichen Museumsbetrieb, der die klassische Ruhe des historischen Kulturerbes stört.

Spree-Athen

Diese Architektur will nichts anderes sein als eine Fortsetzung der sie umgebenden antikisierenden Baukunst mit modernen Mitteln. Ein schöner Kompromiss also, der beflissen die Leitmotive Spree-Athens, Säulen, Sockel, Ufermauern und Tempel-Assoziationen, aufzählt und jede eigenständige Aussage verweigert. Zwar fügt sich Chipperfields Lösung dienend ein in die Hierarchie des Bestehenden. Am Ende verliert sie aber mit einer kaum lesbaren Eingangssituation - unentschlossen zwischen Kollonadenriegel, Estrade und Freitreppe - die eigene Daseinsberechtigung als erschliessendes Element. Immerhin bildet die James-Simon-Galerie ja den Übergang ins Pergamonmuseum, ins Neue Museum sowie zur archäologischen Promenade.

Bei solcher Bescheidenheit kann man sich des Gedankens nicht erwehren, ob es nicht besser gewesen wäre, die ganze unvermeidliche Infrastruktur gleich im Berliner Sand zu versenken. Und mit Wehmut fragt man sich, welchen Weg in die heiligen Hallen Architekten wie Herzog & de Meuron den Museumsbesuchern an diesem weltbewegenden Ort gewiesen hätten? Zwar sind die Details im Innenausbau erst in Ausarbeitung. Aber der vom Denkmalschutz bereits abgesegneten Aussenhülle fehlt es an einer Vision, welche Aufgabe das Museum der Zukunft haben könnte. Insofern schreibt Chipperfields Architektur die Geschichte der Museumsinsel mitnichten fort. Denn Schinkel und Stüler agierten einst kompromisslos zeitgenössisch in ihrem Willen, dem Wesen des Museums eine neue Bedeutung einzuschreiben. Chipperfields Architektur mag ein schöner Kompromiss sein, von der Kraft des Authentischen, die der Genius Loci vorgibt, ist sie nicht beseelt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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