Bauwerk

Um- und Zubau eines Hauses in Wien 17
Peter Liaunig - Wien (A) - 2006
Um- und Zubau eines Hauses in Wien 17, Foto: Paul Ott
Um- und Zubau eines Hauses in Wien 17, Foto: Peter Liaunig

Abheben mit Flügelschlag

Auf dem Dach eines Wiener Fuhrwerkshauses zeigt Architekt Peter Liaunig vor, wie er sich Wohnen und Arbeiten in Alt und Neu vorstellt. Das neue Dachgeschoß ist ein expressives Spiel mit geometrischen Formen. Über einen Steg gelangt man auf einen Dachgarten.

27. Oktober 2007 - Isabella Marboe
Architektur ist durch und durch eine statische Angelegenheit. Umso mehr träumen Architekten davon, sie zum Fliegen zu bringen. Ein solcher Träumer ist Architekt Peter Liaunig. In Wien Hernals fand sich ein Fuhrwerkshaus aus der Gründerzeit, das sich als Sockel für Liaunigs kühne Visionen bestens eignete. Der neue Dachaufbau scheint im Begriff, jeden Augenblick mit einem kräftigen Flügelschlag abzuheben.

Zur Straße gibt sich der Dachaufbau dezent und streng diszipliniert. Die Kastenfenster blieben, die bestehende Fassade wurde in einheitliches Weiß getaucht. Vorwitzig lugt darüber die Bibliotheksgalerie über das minimalistische Gesims. Der hofseitige Formenausbruch lässt sich von dieser Seite bestenfalls erahnen. Expressiv bricht das Dachgeschoß in vollverglaster Freiform über dem Garten aus. Von der edelstahlgedeckten Kugelkalotte überm offenen Raum bis zur Regenrinne am Schrägprofil ist jedes Detail der neuen Dachskulptur akribisch durchdacht. „Sanierung und Dachausbau eines solchen Hauses sind eine dreidimensionale Werbung“, sagt Liaunig, „da kann man zeigen, wozu man imstande ist.“

Ausgetüftelte Form

Doch alles der Reihe nach: Im Erdgeschoß des Bestands befindet sich die Modellbauwerkstatt, darüber macht sich ein imposanter Wohnraum mitsamt offenem Kamin breit. Begrüßt, bekocht und gegessen wird auf weißem Marmor mit Blick in den Hof. Eine wilde Glasfassade saugt das romantische Kleinod regelrecht ins Wohnzimmer rein. Die schräg geneigten Gläser scheinen dem Garten entgegenzukippen. Doch auch Architekten sind nur Menschen: „Ich musste sehr viele Modelle bauen, bis die Geometrie der Fassade endgültig feststand“, blickt Peter Liaunig zurück.

Wie ein Vogel mit geknickten Beinen landet die organische Raumskulptur aus Stahl und Glas mit zwei schräg gekanteten Betonscheiben auf der neuen Verbunddecke, die aus statischen Gründen nötig geworden war. Von hier aus geht es hoch ins Obergeschoß. Schwungvoll führt die Treppe aus Stahl und Glas auf die Galerie. Flügelgleich hebt von dieser skelettartigen Mitte die Kugelkalotte an. Bergend neigt sie sich mit einem schattenspendenden Vordach über das Kinderzimmer und den großen, hohen Wohnraum.

Direkt vor dem Wohnzimmer liegt eine kleine Terrasse. Wie von Geisterhand schwingt sich ein Steg aus Gitterrosten auf das Dach der alten Fabrikationshalle. Von der alpinen Distel über den japanischen Zwergahorn bis zu Wein, Äpfeln, Ribiseln und Erdbeeren gibt es nichts, was in diesem Dachgarten nicht gedeihen würde. Auch für dieses niedrige Hofgebäude fand sich eine Verwendung: In die vier Meter hohen Räumlichkeiten zog das Büro des Architekten. Der Weg in die Arbeit ist somit nicht weit.

Zeitintensive Planung

Bis zu acht Stunden war Peter Liaunig täglich auf der Baustelle. Viele Entscheidungen wurden erst vor Ort gefällt. Weil es kaum Wände gibt, musste das schlagfeste Glas höchsten Schallanforderungen gerecht werden. Auch die Dichtigkeit der schrägen Flächen war eine Herausforderung für sich. „Um all die Details zu ermöglichen, mussten die Handwerker zum Teil skulptural arbeiten“, sagt Liaunig. Doch der Aufwand lohnte sich: „Ich finde immer wieder neue Durchblicke, von denen ich überrascht bin.“

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