Bauwerk

zuck Bürozubau
GERNER GERNER PLUS. - Oberpullendorf (A) - 2000
zuck Bürozubau, Foto: Manfred Seidl
zuck Bürozubau, Foto: Manfred Seidl
zuck Bürozubau, Foto: Manfred Seidl

Wie Oberpullendorf Weltstadt wird

„Baujuwel“ muß nicht unbedingt ein historisches Gebäude an einem prominenten Ort bezeichnen. Ein kürzlich errichteter Bürozubau von Gerner & Gerner in Oberpullendorf verdient dieses Prädikat genauso. Weil er eine maßgeschneiderte Lösung auf der Höhe der Zeit ist.

23. September 2000 - Liesbeth Waechter-Böhm
Man kann nicht behaupten, daß es tatsächlich ein Gefährdungsfaktor für den Straßenverkehr wäre; aber ungewöhnlich lang, und das immer wieder, schaut schon jeder hin, der die Straße am Rand von Oberpullendorf, Burgenland, entlangfährt und seinen Blick schweifen läßt. Es ist eine periphere Gegend. Randlage eben. Und insofern ist es auch ein peripheres Statement. Eine architektonische Kleinigkeit, angefügt an einen ganz beliebigen, auch nicht großen Industriebau. Aber die Kleinigkeit fällt aus der Rolle. Weil sie ins Bild solcher peripheren Billigkeiten einfach nicht passen will.

Dem Büro von Andreas und Gerda Gerner verdanken sich in Wien, aber auch im Burgenland schon einige bemerkenswerte Arbeiten. Sie sind immer eher klein, und sie sind immer sehr, sehr fein. Oft Stahlbau der minimierten Spielart, es hat aber auch schon Holz eine Rolle gespielt.

Bei diesem Bürozubau zum Bestand eines übrigens höchst ambitionierten burgenländischen Fassadenbauers - ARS arbeitet immerhin für Coop Himmelb(l)au, auch für das BKK 3 - geht es natürlich wieder um Stahlbau. Das liegt in der Natur der Aufgabe, und es hat mit ganz pragmatischen Anforderungen zu tun. Die Bauzeit sollte ungewöhnlich knapp sein - ursprünglich waren sechs Wochen geplant, daraus wurden dann zwar drei Monate, aber auch das ist letztlich äußerst kurz bemessen. Selbst für einen Bau mit nicht mehr als 250 Quadratmeter Nutzfläche, organisiert auf Erdgeschoß- und Obergeschoßniveau.

Das Ding ist signifikant. An schlichter, aber auf den Punkt gebrachter Aussagekraft läßt es nichts offen: ein industrieller Bau, geplant für einen, der selbst „industriell“ baut. Also: Aluminium, Stahl, Glas. Nun gibt es das heutzutage, gerade in den peripheren Gewerbegebieten, zuhauf. Und in seiner banalsten Ausprägung. So kamen die „trockenen“, die „leichten“ Bauweisen ja erst in Verruf. So kam zum Beispiel auch das Gerücht auf, daß die massive Ziegelbauweise im Wohnbau immer noch das Nonplusultra sei: ausgemachter Unsinn - der sich ganz leicht widerlegen ließe, wenn qualifizierte Architekten, denen eine andere, neue Bauweise wirklich ein Anliegen ist, zum Zug kämen. Und zwar ohne unzählige Fußangeln und Stolpersteine, sondern unter dem Vorzeichen der Optimierung auf Basis eines gemeinsamen Willens von Bauträger, übergeordneter regionaler Bauinstanz und - eben dem Planer.

Aber davon sind wir noch weit entfernt. Einlösen lassen sich solche Erwartungen einstweilen vorwiegend im „privaten“ Auftragsbereich. Und da in den seltensten Fällen im großen, weil hier einfach die Betonlobby dominiert. Wirklich schöner, ausgefeilter Stahlbau in Verbindung mit einer industriellen Gebäudehaut und einer räumlichen Lösung, die mehr leistet als bloß Durchschnitt, ist hierzulande immer noch den Kleininitiativen vorbehalten. Gerner und Gerner haben ihren silbrig und gläsern schimmernden Schnellzugwaggon an einen ganz gewöhnlichen Industriebau angedockt. Und nicht einmal was seine Positionierung angeht, hatten sie großen Spielraum: Irgendwo zwischen vorgegebenem Abstand zum Nachbarn und der Pragmatik des notwendigen Andockens an einen vorhandenen Bau waren die Grenzen des „städtebaulichen“ Spielraums gezogen. Trotzdem ist das Gebäude so hervorragend plaziert, daß sich der Chef des Unternehmens am Ende nicht dazu aufraffen konnte, den ungemein attraktiven Raum im Obergeschoß, der als Großraumbüro für die Techniker geplant war, zu opfern. Er richtet sich jetzt selbst dort ein.

Man versteht es. Über die vollverglaste Stirnseite des sieben Meter schmalen und 16 Meter langen Gebäudes sieht man unter einer vier Meter vorkragenden Schirmmütze (Sonnenschutz) hinweg auf das Panorama - der Weltstadt Pullendorf. Und das ist nicht einmal ironisch. Von hier aus betrachtet ist Pullendorf Weltstadt.

Die innenräumliche Organisation des Gebäudes ist geradezu simpel, aber mehr hat es eben auch nicht gebraucht. An der Stirnseite kommt man in einen Vorraum hinein und von dort zum Sekretariat beziehungsweise in einen Besprechungsbereich. Die Schleuse zum Bestand ist seitlich ganz unspektakulär realisiert, aber mit ihrem zweigeschoßigen Luftraum auch nicht zwanghaft oder beengt, sondern angenehm selbstverständlich und großzügig. Im Obergeschoß mit dem ursprünglich geplanten Großraumbüro einschließlich Naßbox sind überhaupt alle Möglichkeiten offen. Und genau das ist es, was man heute von einem Bürobau verlangt.

Wunderschön: die natürliche Belichtung durch die verglasten Schmalseiten (rückwärts mit direktem Ausgang ins Freie vom Obergeschoß) und die eingeschnittenen, in die Krümmung der Gebäudehaut eingefügten Oberlichten. Der atmosphärische Gewinn für das Haus ist enorm. Da arbeitet jeder gern.

Konstruktiv präsentiert sich dieser bauliche Tatbestand extrem einfach, das heißt - er ist intelligent. Wenn vier gebogene Stahlrahmen genügen, von denen nur einer als A-förmiger Bock für die notwendige Aussteifung sorgt, dann ist das wohl genug. Darin liegt ja der Wert dieser Bauweise, daß sie vorgefertigt und materialminimiert vonstatten gehen kann.
Auch die Treppe von der ebenen Erde hinauf ins Obergeschoß, frei in den Raum hineingestellt, ist angewandte Gegenwart: vergleichbar einer Flugzeug-Reling. Im übrigen: taubenblaues Linoleum auf dem Boden im Innenraum, eine Gebäudehaut aus wärmegedämmten Blechkassetten mit einem darüberliegenden Gleitbügelsystem und die Untersichten der auskragenden Gebäudeschale aus Alucobond. Letzteres ist als Material äußerst vielversprechend. Es besteht außen und innen jeweils aus einer Aluminiumschicht und dazwischen aus einer gummiartigen Einlage. Sie ist hart, aber auch elastisch. Und wenn man eine Aluminiumschicht einschneidet, dann läßt sich dieses Material knickfrei und beliebig biegen. Der Unterschied zum Biegeverfahren der Alu-Bleche, die Johannes Gesteu bei der U 6 eingesetzt hat: Dort entsteht eine starke Ornamentik, die einen eigenen Aussagewert darstellt, bei Gerner und Gerner werden die Möglichkeiten des Materials anders genutzt. Ohne Ornamentik, glatt, zweckorientiert.

Wenn von Baujuwelen die Rede ist, dann geht es immer um Geschichte. Was für eine kurze Sicht! Wo es sie doch an den überraschendsten, unattraktivsten Orten auch heute gibt, diese Juwele. Sie sind nicht in Baukosten gerechnet wertvoll - der kleine Bürozubau von Gerner und Gerner hat rund 2,2 Millionen Schilling (160.000 Euro) gekostet. Juwele sind sie, weil sich jemand eine ungemein kompakte, zielgerichtete Lösung überlegt hat und weil er diese Lösung mit unseren heutigen Möglichkeiten völlig unmanieriert materialisiert hat.

Ich frage mich dabei - fassungslos - immer wieder das gleiche: Warum schauen die peripheren Gegenden unserer Städte so aus, wie sie ausschauen? Hier ist doch ein Beispiel, wie Architekten unter ziemlich rigiden Vorgaben Architektur gezaubert haben. Wieso greifen nicht viel mehr Bauherren auf diese Möglichkeit zurück? Sie würden mehr bekommen, als sie sich erwarten, und das für annähernd dasselbe Geld. Woran kann es liegen, daß die Industrie, die Produzenten selbst, diejenigen, die all das umsetzen, was die besten unter unseren Architekten planen, so wenig Interesse daran haben, etwas davon für sich selbst anzuwenden? Bildungsdefizit? Gedankliche Trägheit?

Ich argwöhne letzteres. Als Ursache für die Tristesse unserer peripheren Gewerbegebiete ist das eine traurige Bilanz. Initiativen sind angesagt. Beispiele dafür - siehe Gerner und Gerner - gibt es, Gott sei Dank.

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