Bauwerk

Wiener Musikverein - Neue Säle
Holzbauer und Partner - Wien (A) - 2003
Wiener Musikverein - Neue Säle, Foto: Stefan Oláh

Unter der Erde obenauf

Glas, Sandstein, Holz, Aluminium und viel angenehme Atmosphäre: Wilhelm Holzbauer und Dieter Irresberger haben den Wiener Musikverein unterirdisch um vier Säle und zwei Foyers erweitert.

13. März 2004 - Liesbeth Waechter-Böhm
Kennt man die Pläne nicht, dann ist die - zu Recht mit Spannung erwartete - Erweiterung des Wiener Musikvereins zunächst eine ziemlich verwirrende Angelegenheit. Denn sie findet ausschließlich unter der Erde statt; der normalerweise bei jedem Gebäude geforderte Blick nach draußen, der die Orientierung ermöglicht, der war architektonisch nicht herbeizuführen. Man ist im Untergrund, in den Eingeweiden von Musikverein und dem Erdvolumen davor, unter der Abstandsfläche zum Wiener Künstlerhaus. Bergwerk für Musikliebhaber kann man die Erweiterung des Hansen-Baus trotzdem nicht nennen. Das erkennt man gleich, wenn man die herkömmlichen Wege der Konzertbesucher beschreitet. Alle vier neuen Säle sind durch Treppen und geräumige Lifte mit dem Eingangsniveau verbunden, das unterirdische Raumwerk ist so ausgeschildert, dass man sich problemlos zurechtfindet.

Und man hat nicht das Gefühl, in einen Keller zu steigen. Auch ganz ohne Tageslicht, ganz ohne Ausblick. Die heutige Beleuchtungstechnologie kann solche Situationen vollkommen entschärfen. Ganz davon abgesehen, dass die Architekten, Wilhelm Holzbauer und sein langjähriger Mitarbeiter und jetziger Partner Dieter Irresberger, mit der Sandfarbe, in die sie ihren Erweiterungsbau - mit gezielten Abweichungen - gehüllt haben, eine Erfolgsstrategie verfolgten. Der leicht gelbliche Sandton in Verbindung mit dem hellen, aber nicht kalten Licht erzeugt eine höchst angenehme Atmosphäre.

Der Musikverein hat mit dieser Erweiterung, so viel steht fest, seit 1870, seit seiner Fertigstellung, den größten baulichen Eingriff erfahren. Was zunächst gar nicht geplant war: Als die Wiener Linien eine Wendestation für die U2 unter dem Karlsplatz errichteten, kam die Idee auf, daran könnte man sich anhängen und einen - dringend benötigten - Probensaal bauen. Daraus ist nun deutlich mehr geworden.

Es sind vier Säle und zumindest zwei attraktive Foyers, die das Raumangebot des Musikvereins erweitern. Was die Foyers betrifft, wird eine schon lang virulente Lücke in der Infrastruktur des Hauses gefüllt. Aber wer weiß schon, dass es zur Zeit der Erbauung des Musikvereins keine Pausen in den Konzerten gab, dass Pausenräume deshalb auch nicht eingeplant wurden. Dieser Missstand ist mit der Erweiterung behoben. Die vier Säle sollen, abgesehen vom Probenraumangebot, auch einen Mehrwert bieten, der nicht nur der Pflege von jüngeren Musiksparten zugute kommt, die bisher allein wegen der Hausstruktur etwas vernachlässigt werden mussten. Sie sollen darüber hinaus vielfältig vermarktbar sein: Tatsächlich kann man sie auch für ein Dinner oder andere Veranstaltung mieten.

Holzbauer und Irresberger haben den vier unterschiedlich großen Sälen eine einfache Charakteristik verpasst: die ihrer Materialität. Und da war es natürlich zwingend, dem neuen Hauptsaal die formalen Eigenschaften des großen Saals, des „Goldenen Saals“, zuzuordnen. Es wurde wieder ein Art „goldener“ Saal, wenngleich er „Gläserner“ heißt, doch seine formale Attitüde wird wesentlich durch mit Blattgold hinterlegte Paneele an der Stirnwand bestimmt.

Dieser größte der vier Säle hat übrigens in seiner Breite exakt die Abmessungen des historischen „Goldenen Saals“ exklusive der Logen. Und er ist acht Meter hoch und verfügt über eine Galerie. Man kann das Sitzpodium aus dem Saal vollautomatisch wegfahren. Dann hat man einen ziemlich eindrucksvollen Raum, der eigentlich für alles geeignet ist. Noch wesentlicher scheint mir: Er hat große akustische Qualitäten - Holzbauer und Irresberger haben in dem Akustiker Karl Bernd Quiring einen kongenialen Partner gefunden. Ergebnis: Musiker, die im „Gläsernen Saal“ proben, sagen, er habe genau die Akustik wie der historische „Goldene“, wenn er voll besetzt ist.

Neben dem „Gläsernen Saal“ gibt es noch einen „Steinernen Saal“, einen „Metallenen“ und einen „Hölzernen“. Der „Steinerne Saal“, der kleinste von allen neuen, kann durch eine Schiebetür zur Erweiterung des Foyers genutzt werden. Der Sandstein an seinen Wänden macht eine Art Oberflächen-Metamorphose durch - von unten poliert bis oben grob und rau. Auch das nicht zuletzt im Dienst der Akustik.

Im „Hölzernen Saal“ hat sich auf akustischer Seite offenbar eine Unschärfe in der Berechnung eingeschlichen. Dort wurde mit einem hölzernen Flügel an der sonst gläsernen Decke nachgerüstet, weil es in der Mitte des Raumes zu einem Nachhall kam. Aber das weiß man ja: Akustik ist ein nicht ins letzte Detail berechenbares Thema.

Irgendwie besonders ist der „Metallene Saal“ ausgefallen. Schon von der Materialität her - schwarzer Noppenboden, beschichtetes Aluminium an Wänden und Decke - suggeriert er, wie er künftig genutzt werden wird: für sehr spezielle, etwa zeitgenössische Musik-Events. Äußerst angenehm sind die Foyers, vor allem das „Erste-Foyer“ - benannt nach seinem Bank-Sponsor -, das endlich auch in den Musikverein jenen Komfort bringt, den man heute erwarten darf.

Und noch etwas: Wenn es eine Fingerübung für das Kleine Festspielhaus in Salzburg gewesen sein sollte, was Holzbauer hier vorlegt, dann darf man gespannt sein. Schon weil die finanziellen Voraussetzungen dort ja dramatisch sein sollen. Dort hat sich irgendwann irgendwer irgendeine Bausumme ausgedacht. Vielleicht sollte einmal jemand mit dem Generalsekretär des Musikvereins, Thomas Angyan, konferieren. Der weiß inzwischen, wie so ein Vorhaben zu realisieren ist.

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