Bauwerk

Haus für Kinder und Dorfplatz Inzing
Architekten Scharfetter_Rier - Inzing (A) - 2014
Haus für Kinder und Dorfplatz Inzing, Foto: David Schreyer
Haus für Kinder und Dorfplatz Inzing, Foto: David Schreyer
Haus für Kinder und Dorfplatz Inzing, Foto: David Schreyer

Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen 2014

9. Oktober 2014 - aut. architektur und tirol
Neues Bauen könnte eine Praxis sein, bei der die Funktion von Architektur in gesellschaftlichen, räumlichen und sozialen Kontexten neu verhandelt wird. In der Tat geht es um einen Prozess und nicht um ein Objekt. Das „Neue Bauen“ ist kein Gebäude. Ein Gebäude, eine architektonische Intervention hingegen kann katalysierende Wirkung haben, kann richtungsgebend sein für das „Neue Bauen“ als transformativer Prozess, der nicht halt macht an Grundstücksgrenzen und Nachbargebäuden, an Luft- und Straßenräumen, Friedhofsmauern, Raumprogrammen.

Die Fotografien, Modellfotos und der Lageplan des „Hauses für Kinder“ von Martin Scharfetter und Robert Rier in Inzing lassen ein akribisch gestaltetes architektonisches Objekt erwarten: ein blütenweißer raum- und verkehrsteilender Solitär im platzartig erweiterten Straßenbereich. Kann und darf die Physiognomie des Gebäudes mit den leicht japanisch anmutenden Zügen schon als Hinweis auf ein über die eigentliche Bauaufgabe hinausgehendes Bezugssystem gedeutet werden?

Vor Ort wird das Versprechen eingelöst. Der vermeintliche Solitär entpuppt sich als geschickter Vermittler, als je nach Standpunkt intro- oder extrovertierter Raumverstärker, als wohlwollender Mediator in diesem Dorf- und Landschaftstheater. Die Protagonisten: Kirche, Friedhof, Berg und Widum, und – als Patron und Pate in der Verhandlung um eine neue Zugänglichkeit und Wirkung von Architektur im dorfräumlichen Kontext – das angrenzende Gemeindezentrum mit Kindergarten von Erich Gutmorgeth aus den späten Neunzigern. Wir vermuten: ohne die örtliche Erfahrung mit dem Gemeindeamt, durch dessen langgestreckte räumliche Anordnung hindurch ein tatsächlich funktionierender öffentlicher (Schul-)Weg führt, wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, den Kindern des Ortes ein eigenes Haus mitten auf den neuen Dorfplatz zu bauen.

Der sich eigenständig in das örtliche Erscheinungsbild einfügende Baukörper erzielt durch sorgfältig orientierte Gebäudeteile sowie präzis gesetzte Durch- und Ausblicke atmosphärische Durchdringungen von Innen- und Außenräumen, von Programmpunkten des Dorfes und des Hauses. Diese Offenheit spiegelt sich in einer subtilen Raumkonzeption wieder. Entscheidend aber ist, dass und wie Martin Scharfetter und Robert Rier das mit dem Gemeindezentrum von Erich Gutmorgeth etablierte neue Verhältnis zwischen eigentlicher Bauaufgabe und zusätzlichen öffentlichen Funktionen weiterdenken: in und mit ihrem Projekt und antizipierend darüber hinaus. Die Verwebung unterschiedlichster Programme und die gegenseitige räumliche Durchdringung verschiedener Raumtypologien in unterschiedlichen Maßstäben ist Voraussetzung, um neuen gesellschaftlichen Entwicklungen Raum zu bieten, um „Neues Bauen“ zu ermöglichen. In Inzing scheint gute „alte“ Architektur eine solche Folgearchitektur zu provozieren. Der Prozess kann weitergehen. (Jurytext: Hannes Stiefel, Auszeichnungen des Landes Tirol für Neues Bauen 2014)

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Für den Beitrag verantwortlich: aut. architektur und tirol

Ansprechpartner:in für diese Seite: Claudia Wedekindclaudia.wedekind[at]aut.cc