Bauwerk

Sanierung und Ausbau Wohnhaus Mariahilfer Straße
Trimmel Wall Architekten - Wien (A) - 2017
Sanierung und Ausbau Wohnhaus Mariahilfer Straße © BMNT / Trimmel Wall Architekten

Staatspreis Architektur & Nachhaltigkeit 2019

31. Juli 2019 - newroom
Seit weit über hundert Jahren erweist sich die gründerzeitliche Struktur, die das Gesicht und den Stadtkörper der Bundeshauptstadt prägt, anpassungsfähig und robust im Wandel der Zeiten. Sie ist aber auch ein beliebtes Investitionsfeld, auf dem die Logik des Marktes regiert. Beim Anblick der Bilder, die nach der verheerenden Gasexplosion im April 2014 durch die Medien gingen, sind wohl viele davon ausgegangen, dass hier ein Stück des historischen Stadtbildes verloren zu gehen droht. Doch es kam anders, und vier Jahre später erstrahlte das Haus in neuem Glanz.

Der Wille der Eigentümerinnen, das um 1872 errichtete Zinshaus wiederaufzubauen, wurde von der Stadt Wien moralisch und monetär unterstützt. Eingebettet in eine laufende Blocksanierungsoffensive im Rudolfsheim-Fünfhauser Bezirksteil Rustendorf, war der Wiederaufbau auch Gegenstand eines Forschungsprojekts zur wärmetechnischen Optimierung reich gegliederter Gründerzeithausfassaden. Diesem ist es zu verdanken, dass sich trotz einer umfassenden Altbaumodernisierung mit Passivhauskomponenten (EnerPHit-Standard) die bei der Explosion zum großen Teil zerstörten, reich ornamentierten Fassaden des Eckhauses wieder in alter Pracht präsentieren.

Pilotprojekt Fassade

Entlang der Denglergasse entstand die größte Aerogel-Fassade Österreichs. Bisher nur an Innenwänden und glatten Mauern erprobt, bot sich hier die Chance, den über außerordentlich gute Wärmedämmeigenschaften verfügenden Zuschlagstoff an einer gegliederten Fassade einzusetzen. Mit nur fünf Zentimeter Aerogelputz kann die Wirkung einer 15 Zentimeter starken, herkömmlichen Dämmplatte erreicht werden – eine in ökologischer und ästhetischer Hinsicht hervorragende Option.

An der Mariahilfer Straße war die Fassade viel stärker in Mitleidenschaft gezogen. Daher rückte man dort mit der neuaufgebauten Außenwand ein Stück nach innen, um eine Hanfdämmung anbringen zu können.

Zerstörte Fassadendekorelemente wurden in Zusammenarbeit mit einem Restaurator aus Schaumglas nachgegossen, da eine Wiederherstellung aus dem originalen Material wirtschaftlich nicht vertretbar gewesen wäre. Alte Stadtansichten, die belegen, dass die heute eher aus südlichen Städten vertrauten ausgestellten Fenster-Markisen einst auch an Wiener Obergeschoßen üblich waren, ermutigten zu einer neuen Zutat: Die auberginefarbenen Textilbahnen des ausrollbaren Sonnenschutzes bringen Akzente der Bewegung in das Stadtbild und erhöhen den Wohnkomfort an heißen Tagen deutlich.

Umfassend verbessert

Neben der wiederhergestellten Fassade fällt äußerlich zunächst der neue Dachgeschoßaufbau auf. Außen dämmen, schön herrichten und oben Neues draufsetzen allein genügte nicht. Mit der Sanierung ging in mehrfacher Hinsicht eine weitaus umfangreichere Verbesserung einher als auf den ersten Blick ersichtlich. Das bestehende Stiegenhaus war einsturzgefährdet, ein Umstand, den sich das Architekturteam zunutze machte, die Erschließungssituation und einen Großteil des Erdgeschoßes neu zu organisieren und dadurch unter anderem Platz für einen Fahrradabstellraum und eine Garage zu gewinnen. Ein einladend gestalteter Hauseingang lenkt den Blick zunächst auf ein begrüntes Atrium und kündigt schon beim Eintreten auf wohltuende Art und Weise an, dass hier sehr viel Gespür und gute Einfälle dazu geführt haben, das Potenzial der Substanz zu nutzen, um ganz wesentliche Verbesserungen herbeizuführen. Ein Aufzug und ein lichtdurchflutetes Stiegenhaus wurden neu im Innenhof errichtet. Der teilweise Abbruch der Seitentrakte und das Anheben des Hofniveaus verbesserten die gesamte hofseitige Belichtungssituation und strahlen positiv auf die unmittelbare Nachbarschaft aus.

Die 20 sanierten Altbauwohnungen wurden im Grundriss neu organisiert, mit einer kontrollierten Wohnraumlüftung ausgestattet und ein Drittel davon um hochwertige Freiräume wie Dachgärten, Loggien und Balkone bereichert. Sechs Wohnungen konnten dank der mit dem Wohnfonds Wien erarbeiteten Fördermodalitäten der Stadt zur Vermietung übergeben werden. Fünf Altmieterinnen und Altmieter zogen nach der Sanierung wieder in das Haus zurück. Sieben zusätzliche Maisonetten fanden im neuen Dachgeschoß, das Passivhausstandard erfüllt, Platz.

Von einer dezentralen Gasheizung mit Thermen erfolgte eine Umstellung auf ein zentrales System, in das eine Solarthermieanlage eingegliedert ist. Dass der Anschluss an das Fernwärmenetz nicht möglich war, bleibt ein Wermutstropfen; es ist aber alles vorbereitet, um den Energieträger zu wechseln, sobald die Fernwärmeleitung in absehbarer Zukunft am Haus vorbeiführt.

Rund 35.000 vor 1919 errichtete Gebäude gibt es in der Stadt. Die Hälfte davon verfügt über erhaltenswürdige Fassaden. Mit diesem Demonstrativbauvorhaben, bei dem viele Kräfte unter der Regie von Trimmel Wall Architekten ambitioniert zusammenarbeiteten, steht ein Vorbild zur Verfügung, das sowohl im Hinblick auf die Bewahrung des Stadtbildes als auch die nationale Klima- und Energiestrategie Schule machen kann. (Text: Staatspreis Architektur & Nachhaltigkeit 2019)

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