Bauwerk

Krematorium Wien Simmering
projektCC - Wien (A) - 2022
Krematorium Wien Simmering, Foto: Paul Ott
Krematorium Wien Simmering, Foto: Paul Ott

Krematorium Simmering: Ein kühler Abschied ins Feuer

Vor 100 Jahren wurde das Krematorium Simmering eröffnet. Nun hat es einen Zubau mit allem Komfort erhalten. Aber sollte Architektur im Umfeld des Todes nicht doch einen Gedanken ausdrücken?

4. April 2023 - Christian Kühn
Auch in einer aufgeklärten, entzauberten Welt bleibt die Gestaltung des letzten Wegs eine heikle Frage. Heute gilt die Entscheidung zwischen Erd- oder Feuerbestattung als Privatsache, vor 100 Jahren war sie noch massiv ideologisch belastet. In Wien wurde 1904 der Arbeiterverein „Die Flamme“ gegründet, der sich für die Feuerbestattung einsetzte. Erfüllt wurde diese Forderung erst, als das „Rote Wien“ unter Bürgermeister Jakob Reumann 1922 ein Krematorium errichten ließ. Bis zuletzt blieb es Spielball im Konflikt der Ideologien: Der christlich-soziale Innenminister Richard Schmitz untersagte die Inbetriebnahme per Weisung; Reumann eröffnete trotzdem und bekam vom Verfassungsgerichtshof, wo der Fall schließlich landete, Recht.

Das Gebäude, das für diesen Zweck errichtet wurde, stammt von Clemens Holzmeister und gilt als der „bedeutendste expressionistische Bau Österreichs“. Als solchen bezeichnete ihn Friedrich Achleitner, der profundeste Chronist der österreichischen Architektur des 20. Jahrhunderts. Dem 1886 geborenen Holzmeister brachte das Projekt internationale Aufmerksamkeit für das, was seine Zeitgenossen als „gewaltigen inneren Drang zur Monumentalität“ würdigten. Achleitner spricht von „Theatralik und Pathos, dem man sich auch heute nicht entziehen kann“. Dass mit Holzmeister ausgerechnet der zukünftige Chefarchitekt des Ständestaats und Planer zahlreicher Kirchen für dieses Renommierprojekt des roten Antiklerikalismus zum Zug kam, ist bemerkenswert. Bei genauerer Betrachtung erweist sich Holzmeisters Expressionismus denn auch als ziemlich erdig, nicht zuletzt im Vergleich zu dem nach Meinung der Zeitgenossen fortschrittlichsten Projekts aus dem Wettbewerb, der 1921 für das Krematorium ausgeschrieben wurde: Arthur Grünberger und Adolf Jelletz, auf deren Pläne die 1938 zerstörte Neue-Welt-Synagoge in Hietzing zurückgeht, entwarfen einen kronenartigen, filigranen Rundbau, der sich am deutschen Expressionismus der Zeit orientiert, etwa Bruno Tauts Visionen zur „Alpinen Architektur“. Holzmeisters markante Spitzbögen verströmen dagegen einen Hauch von Burgenromantik.

Diese Romantik dürfte der Grund sein, dass Holzmeister als Drittplatzierter des Wettbewerbs den Auftrag zur Realisierung erhielt. Ursprünglich war für das Projekt ein Standort in St. Marx vorgesehen gewesen; man entschied sich aber schließlich für ein Areal gegenüber dem Zentralfriedhof – den Park des Schlosses Neugebäude, das Maximilian II. Mitte des 16. Jahrhunderts hatte errichten lassen. Die Begrenzungsmauern des Schlossparks mit ihren Wehrtürmen waren ein ideales Umfeld für Holzmeisters Projekt. Auf der Hauptachse des Schlosses, etwas ins Innere des Parks gerückt und durch gedeckte Kolumbarien-Gänge mit der Schlossmauer verbunden, bildet die Feuerhalle das Zentrum eines gefassten Freiraums, der sich in das Ensemble des Neugebäudes einfügt. Der kompakte Zentralbau bestand im Wesentlichen aus dem Verabschiedungsraum direkt unter der steilen Kuppel, an dessen Stirnwand der Sarg aufgebahrt und über einen „Tumbenaufzug“ nach unten zu den Verbrennungsöfen abgesenkt wurde. Ein Aufbahrungsraum und eine Leichenkammer lagen an der Rückseite, wo auch die Anlieferung erfolgte. Diese Anlage wurde bereits 1931 um zusätzliche Aufbahrungsräume erweitert und Ende der 1960er-Jahre von Holzmeister radikal umgebaut. Der Raum unter der Kuppel verwandelte sich dabei in einen Verteiler, von dem aus zwei seitliche und ein auf der Hauptachse liegender Verabschiedungsraum erschlossen werden. Die beeindruckende, von Giselbert Hoke gestaltete Glaswand, die den Raum abschließt, ändert nichts daran, dass der Um- und Zubau insgesamt eher plump ausgefallen ist. Vom spannungsvollen Zentraltyp ist im Inneren nicht mehr viel zu spüren.

Der jüngste Zubau eines weiteren Verabschiedungsraums, der voriges Jahr zum 100-Jahr-Jubiläum der Feuerhalle fertiggestellt wurde, setzt die Erweiterung axial nach hinten fort, mit dem Problem, dass Holzmeisters Erweiterung seitlich überholt werden muss. Im Wettbewerb war dafür vonseiten der Friedhöfe Wien ein Gang vorgegeben, der zwangsläufig ungeschickt an den Bestand andocken muss. Nur ein einziges der eingereichten 38 Projekte schlug eine überzeugende Alternative vor: Juri Troy wiederholt Holzmeisters Erweiterungsstrategie, indem er dessen zentrale Verabschiedungshalle zu einem Verteiler umfunktioniert, der beiderseits je eine neue Halle erschließt. Die Jury konnte sich nur zu einem zweiten Platz für das Projekt durchringen.

Das Siegerprojekt stammt von Christian Tabernig und Harald Kloiber, die als Projekt CC firmieren. Sie setzen dem Bestand eine große Betonskulptur gegenüber und verbinden Alt und Neu durch seitliche Spangen, die einen Innenhof umschließen. Der Verabschiedungsraum wirkt im Gegensatz zum rauen Äußeren skandinavisch komfortabel. Er bietet Licht von beiden Seiten, auch Ausblick in den Park, der allerdings durch eine quadratische Betonscheibe ohne statische Notwendigkeit störend unterbrochen ist. Die vergoldete schwebende Ellipse über dem Tumbenaufzug ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Christof Cremer.

Ursprünglich war geplant, in der neuen Halle eine „Verabschiedung ins Feuer“ zu ermöglichen, bei der die Angehörigen den Weg des Sarges in den Verbrennungsofen verfolgen können, aus logistischen Gründen nahm man davon wieder Abstand. Nun gibt es auf dem unteren Niveau einen Raum, in dem das für bis zu zehn Personen möglich ist. In der oberen Halle ist dafür ein hochauflösender Bildschirm an der Stirnwand montiert, um die Verstorbenen in Bild und Ton zu würdigen. Die Friedhöfe Wien bieten bereits ein „Digitales Grab“ zum Totengedenken im virtuellen Raum an.

Was kann Architektur in diesem Umfeld noch leisten? Sie müsste kompromisslosere, außergewöhnliche Ort schaffen. Unter den Beiträgen im Wettbewerb gab es dazu nur wenige Ansätze (architekturwettbewerb.at): einen Luftschiffhangar für die aufsteigenden Seelen von Wolfgang Tschapeller; eine präzise um einen Seerosenteich geneigte Rampe von Gerhard Vana. Sollte Architektur zumindest im Umfeld des Todes nicht doch einen Gedanken ausdrücken?

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