Bauwerk

Wien Museum
WINKLER+RUCK, Ferdinand Certov - Wien (A) - 2023

Viel Drama im engen Korsett

Dieses Haus muss nicht nur besser werden als das alte: Das Wien Museum Neu ist die kulturelle Visitenkarte der Stadt Wien im 21. Jahrhundert. Die aktuellen Pläne zeigen viel formale und konstruktive Akrobatik und wenig Dialog mit dem denkmalgeschützten Bestand.

24. November 2018 - Christian Kühn
Drei Jahre ist es her, dass der Wettbewerb für die Sanierung und Erweiterung des Wien Museums am Karlsplatz entschieden wurde. Seit einem halben Jahr steht auch die Finanzierung: 108 Millionen Euro gab der Wiener Gemeinderat im April für die Errichtung inklusive Nebenkosten frei. Das ist kein geringer Betrag für eine Sanierung von 6900 Quadratmeter Bestand und eine Aufstockung von 5100 Quadratmetern. Zieht man von den genannten 108 Millionen Euro Mehrwertsteuer und Nebenkosten ab, bleiben Baukosten von knapp 70 Millionen und damit ein Durchschnittspreis pro Quadratmeter Nutzfläche von rund 5800 Euro. Dafür darf sich der Steuerzahler ein Museum erwarten, das auch im internationalen Vergleich zur Spitzenklasse zählt.

Umso erstaunlicher war die Zurückhaltung, mit der das Projekt der Öffentlichkeit präsentiert wird. Eine Schautafel in der Halle des Museums zeigt seit dem Sommer großformatige Visualisierungen und schematische Axonometrien der Geschoße, aber keine exakten Grundrisse und kein Modell, das von allen Formen der Architekturdarstellung wohl jenes ist, das dem Laien ein Projekt am direktesten vermittelt. Auf Anfrage teilte das Museum mit, dass es im Herbst eine detaillierte Ausstellung über das Projekt geben werde. Das gab Grund zur Hoffnung, dass einiges an den damals gezeigten Darstellungen nicht ganz ernst zu nehmen sei, etwa die Idee, die schwebende Kiste auf dem Bestandsbau von Oswald Haerdtl als Sichtbetonbox in bester Tradition des Betonbrutalismus zu konzipieren, gegossen in einer rauen Bretterschalung.

Nun ist der Herbst da, aber die versprochene Ausstellung gibt es nur dem Titel nach: „Gemma, Gemma!“ suggeriert Aufbruch. Wohin, scheint aber noch nicht ganz klar zu sein: Statt einer vollständigen Präsentation des Projekts mit Plänen und Modellen wird dem Besucher eine weitere großformatige Visualisierung präsentiert, ergänzt um einen Animationsfilm zur Projektgeschichte. Eine kleine Sitzgruppe lädt zum Gespräch über das Projekt ein, für das Matti Bunzl, der Direktor, jeden Freitag von 15 bis 17 Uhr zur Verfügung zu stehen verspricht. Der Kritik bleibt also nichts anderes übrig, als sich an die bekannten Fakten zu halten und das Projekt so zu analysieren, wie es präsentiert wird. Die Idee einer Aufstockung um zwei Geschoße war bereits in einer Vorstudie zum Wettbewerb, die der Ausschreibung beilag, als Option angeführt. Unter dem Titel „Haerdtl hoch 2“ war dort zu lesen: „Ein echter Neubau über dem Haerdtl, keine Dachaufstockung. Eigenständig in Form und Ausdruck, zeichenhaft und zeitgenössisch. Durch seine Architektur kann der Neubau den Haerdtl stärken und vitalisieren – aus einem Exponat werden zwei.“ Die vom Berliner Büro Kuehn Malvezzi erstellte Studie nannte als Referenzbeispiele die Oper in Lyon von Jean Nouvel und die Elbphilharmonie in Hamburg von Herzog & de Meuron. Sie erwähnte aber auch, dass das Denkmalamt einer Aufstockung sehr reserviert gegenüberstehe.

Die Architekten Roland Winkler, Klaudia Ruck und Ferdinand Certov nahmen diesen Gedanken auf und übersetzten ihn in ihrem siegreichen Wettbewerbsprojekt in eine über einem „Fugengeschoß“ schwebende Box, einen schlichten schwarzen Quader mit zwei kleinen Lichtbrunnen nach unten in die bestehende Halle. Den Bedenken des Denkmalamts hielten sie entgegen, dass der vertikale Zubau den Bestand nicht berühre, sondern – über eigene Fundamente – nur seinen Fuß in die Halle setze und dann über den Bestand auskrage, ohne sich auf ihm aufzustützen.

In der Weiterplanung haben Winkler, Ruck und Certov diese akrobatische Übung zwar durchgehalten, unter Einsatz von sehr viel Stahlbeton in der Halle und sehr viel Stahl in der Box; aber je länger man das Projekt betrachtet, desto illusorischer erscheint der Ansatz, den Bestand nicht zu stören, indem man ihn nicht berührt. Wenn man den Haerdtl-Bau als Baudenkmal betrachtet, müsste man mit ihm in Dialog treten, so wie man einem alten Menschen die Hand reicht, um ihn zu stützen. Das Projekt scheitert in dieser Hinsicht schon beim Eingang: Dem Bestand wird ein Pavillon vorgestülpt, der keinerlei Bezug zu Haerdtls Fassade herstellt. Dass diese auch ihr Kranzgesims verliert, ist nur damit erklärbar, dass eine starke horizontale Schattenlinie unter dem „Fugengeschoß“ stören würde. Denkmalpflegerisch ist das indiskutabel.

Ähnliches gilt für die zentrale Halle, zu Haerdtls Zeit ein begrünter Hof, der 1996 von Dimitris Manikas und Wolfdietrich Ziesel überdacht wurde, mit einem Glasdach, das als Ingenieurleistung genauso denkmalwürdig wäre wie der Haerdtl-Bau selbst. Auch in diesem Raum wird viel Sichtbeton vergossen: Ein dreiecksförmiger Betonkörper schließt ihn nach oben ab, eine Treppe schiebt sich als Betonskulptur in den Raum, Licht fällt über seitliche Schlitze bewusst spärlich und dramatisch ins Innere. Was diese Inszenierung bringt, und wie sie zur Feingliedrigkeit der Haerdtl'schen Hoffassaden passt, bleibt ein Rätsel. Funktionell bringt das Projekt durch die sehr kompakte Anordnung der Nutzflächen einen effizienten Betrieb mit kurzen Wegen. Allerdings ist das auch ein Korsett: Reserven für Wachstum gibt es nicht, und bei den Fluchtwegen liegt man ebenfalls am Minimum. Wer das strenge Wiener Veranstaltungsstättengesetz kennt, ahnt, dass im großen Vortragsraum im „Fugengeschoß“ während der normalen Öffnungszeit des Museums, in der das ganze Haus bespielt ist, nur Veranstaltungen im kleinsten Kreis stattfinden können.

Absehbar ist auch ein Kulturkampf über die Materialität des schwebenden Quaders, der ja direkt mit der Kuppel der Karlskirche und indirekt mit der Kuppel der Secession im Dialog steht. Die bisherigen Visualisierungen zeigen viele unterschiedliche Varianten, zu denen sich im Kulturkampf Lager bilden werden: Auf die Schlacht zwischen den Betonbrutalisten, den Freunden des gelochten Cortenstahls, den Betonbedruckern und anderen Fraktionen darf man gespannt sein. Wahrscheinlich sollte das Museum diesen Kulturkampf abwarten, bevor es – wie für Februar 2019 angekündigt – bis zu fünf Jahre lang auszieht und mit seinen 200 Mitarbeitern auf Wanderschaft geht. Dieses neue Haus muss nicht nur besser sein als das alte Wien Museum. Es ist die kulturelle Visitenkarte der Stadt Wien im 21. Jahrhundert – wird es diesem Anspruch gerecht?

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