Bauwerk

Wasserturm Hainburg
Coop Himmelb(l)au - Hainburg an der Donau (A) - 2001

Eine Bastelstube im Irrenhaus

Wann wird aus einem Geschmacksurteil ein Argument? Wo beginnt eine deutliche Mehrheit? Ist demokratische Entscheidungsfindung ab einer gewissen Medienkonzentration schlicht nicht mehr möglich? Grundsätzliche Fragen zum Anlaßfall Wasserturm Hainburg.

4. Mai 2002 - Christian Kühn
Über Geschmack läßt sich bekanntlich schlecht streiten. Ich halte das Wittgensteinhaus für ein Kunstwerk und das Hundertwasserhaus für Kitsch. Meine Nachbarin, mit der ich sonst oft einer Meinung bin, sieht das anders. Sie fühlt sich nicht wohl angesichts der schmucklosen Fassaden des Wittgensteinhauses; ich freue mich über die Klarheit des Baukörpers, die ruhige Wirkung der Oberfläche und die ausgewogenen Proportionen. Das Hundertwasserhaus löst in ihr Erinnerungen an das bunte Spielzeug ihrer Kindheit aus; ich sehe dort nichts anderes als einen mißglückten Abklatsch jener Häuser, die Gaudí vor 100 Jahren in Barcelona errichtet hat.

Um meine Nachbarin zu überzeugen, könnte ich mich auf meine Autorität berufen: Immerhin habe ich Architektur studiert und betreibe seit vielen Jahren Architekturkritik. Du kleiner Fachidiot, sagt meine Nachbarin mitleidig, Häuser werden nicht für die Kritiker gebaut, sondern für den Mann von der Straße, an der sie stehen. Im übrigen halte sie Helmut Zilk für eine größere Autorität in Fragen der Stadtgestaltung als mich: Der sei immerhin Bürgermeister gewesen und habe als solcher schon gewußt, warum ein Hundertwasserhaus für Wien wichtiger war als ein Ronacher-Theater von Coop Himmelb(l)au.

Also gut. Dann besser keine Autoritäten mehr. Aber wer soll entscheiden, wenn es nicht um ein Urteil im nachhinein, sondern um die Frage geht, ob etwas in einer bestimmten Form gebaut werden soll oder nicht? Dafür gibt es demokratische Regeln, sagt meine Nachbarin, die darauf hinauslaufen, eine Mehrheit für eine Sache zustande zu bringen: Statt einer Hierarchie von Autoritäten ein freies, öffentlich ausgetragenes Spiel der Meinungen. Wer schließlich die Entscheidung fällt, ist eine andere Frage. Das kann eine Behörde sein, ein politisches Gremium oder alle Betroffenen per Volksabstimmung. Immerhin hätten sich sogar die Bauten auf der Akropolis in Athen einem Plebiszit stellen müssen, und da könne man wirklich nicht behaupten, daß die Architektur darunter gelitten hätte.

Gut, sage ich. Aber um in der Öffentlichkeit über eine Sache zu streiten, müssen wir Geschmacksurteile in Argumente verwandeln. Unsere Urteile über das Wittgenstein- und das Hundertwasserhaus vorhin waren eine Mischung aus Gefühlen, Erinnerungen und Kenntnissen. Daß ich die Architektur von Gaudí kenne, hat nichts mit Autorität zu tun, sondern mit Wissen, das du vielleicht nicht hast. Und selbstverständlich hat jedes Urteil einen Bezugsrahmen, der flexibel ist. Das Wittgensteinhaus hat neben einem Gemeindebau aus den fünfziger Jahren eine andere Bedeutung als neben dem Palais Stoclet von Josef Hoffmann. Ein Geschmacksurteil in Argumente zu verwandeln, die einem demokratischen Entscheidungsprozeß förderlich sind, heißt anzuerkennen, daß unsere Urteile nicht absolut sind. Sie ändern sich durch Erfahrung, durch Verschiebung des Bezugsrahmens und durch den allgemeinen Zeitenwandel.

Richtig, sagt meine Nachbarin. Aber etwas hast du vergessen: Es geht nicht zuletzt um Macht. Demokratie ist kein Paradies. Denk an das AKW Zwentendorf, denk an die Hainburger Au. Nicht Argumente haben dort den Ausschlag gegeben, sondern eine Politik der Gefühle, die sich mit Hilfe der Medien gegen die Macht des Staats durchsetzen konnte. Es braucht heute mehr denn je starke Überzeugungen und Menschen, die mit allen Mitteln für ihre Überzeugungen eintreten. Sonst setzen sich doch erst wieder die Mächtigen gegen die Interessen der kleinen Leute durch.

Das ist doch reinster Fundamentalismus, kontere ich. Und erzähle ihr die Geschichte vom Wasserturm in Hainburg. Dort fand 1999 ein Wettbewerb für das Besucherzentrum des Nationalparks Donau-Auen statt, den Coop Himmelb(l)au für sich entscheiden konnten. Als geeigneter Standort hatte sich in einer Studie ein Turm der mittelalterlichen Befestigungsanlage gefunden, neben den die Architekten ein verglastes Stiegen- und Lifthaus projektierten, das über eine ebenfalls verglaste Brücke mit dem Turm verbunden ist. Finanziert wird das Projekt von der Nationalparkgesellschaft, an der Bund, Land Niederösterreich und Gemeinde Wien beteiligt sind. Die Gesamtkosten betragen 2,58 Millionen Euro, wobei in diesem Betrag nicht nur die Baukosten, sondern auch die Kosten für die Ausstellungsgestaltung enthalten sind. Funktionell bietet der Aufstieg auf den Turm einen Überblick über das Nationalparkgelände, im Inneren soll eine inszenierte Liftfahrt nach unten - gestaltet von den Mediendesignern Nofrontiere - die ökologischen und historischen Zusammenhänge des Nationalparkprojekts präsentieren. In einem niedrigen Gebäude neben dem Turm erhält die Verwaltung des Parks ihre Büros.

Von Anfang an gab es Stimmen, die sich gegen das Projekt wandten. Warum ist das Gebäude so expressiv und aus Materialien errichtet, die gefühlsmäßig nichts mit dem Thema Natur zu tun haben, nämlich Stahl, Glas und Beton? Und mit welchem Recht überragt es den alten Wehrturm? Auf beide Einwände gibt es plausible Antworten: Der Nationalpark in seiner Gesamtheit ist ein komplexes politisches, juristisches und wasserbautechnisches Projekt. Warum sollte man für das Besucherzentrum nicht eine entsprechend komplexe Architektursprache wählen? Das Projekt läßt den alten Turm zwar in seiner Substanz bestehen, verändert aber seine Symbolik in einer Weise, die durchaus bedeutsam ist: Aus einem Turm, der zur Abwehr von Fremden erbaut wurde, wird eine symbolische Einladung, ein „Tor in die Zukunft“, wie die Architekten etwas pathetisch, aber angesichts der Fernwirkung des Gebäudes durchaus schlüssig formulieren.

Dazu kommen wirtschaftliche Argumente: Im Tourismus spielt nicht mehr allein die Konservierung des Bestands eine Rolle, sondern auch die Attraktivität des Neuen. In dieser Kategorie könnte Hainburg mit der Realisierung eines „Star-Architekten-Projekts“ punkten, noch dazu, wenn einer der „Stars“, nämlich Wolf D. Prix, aus Hainburg stammt.

Der Gemeinderat von Hainburg gab dem Projekt seinen Segen, zuerst 1998 in einer Grundsatzentscheidung, dann 1999 durch den einstimmigen Beschluß, der Nationalparkgesellschaft das Baurecht auf dem Grundstück zu übertragen. Auch das Bundesdenkmalamt prüfte die Pläne und gab seine Zustimmung. Am 3. September 2001 erfolgte der Spatenstich durch Landeshauptmann Erwin Pröll. - Doch nun traten die Kritiker erneut auf den Plan, forderten eine Volksbefragung und begannen, unterstützt von der „Kronen Zeitung“, eine Kampagne gegen die Realisierung. Am 17. März 2002 fand diese Befragung statt, bei einer Beteiligung von 36 Prozent sprachen sich 60 Prozent gegen das Projekt aus. In der Sitzung vom 22. März beschloß der Gemeinderat, das Projekt dennoch weiter zu verfolgen: Die Beteiligung sei zu gering gewesen, und das Ergebnis besitze laut Gemeindeordnung keinerlei bindende Wirkung.

Auch in Hinblick auf die Geschichte des gesamten Nationalparkprojekts war diese Entscheidung konsequent: 1993 hatte eine Volksbefragung in den betroffenen Gemeinden bei doppelt so hoher Wahlbeteiligung eine Ablehnung des Nationalparks von 80 Prozent ergeben. Auch damals hatten sich die politisch Verantwortlichen entschieden, dieser Volksmeinung nicht zu folgen.

Nun zeigte die „Kronen Zeitung“, was mediale Macht bedeutet. In beinahe täglichen Brandartikeln wurde Stimmung gegen das Projekt gemacht: Bernd Lötsch - für den die Architektur von Coop Himmel- b(l)au einer „Bastelstube aus dem Irrenhaus“ entstammt - warnte vor einem „architektonischen Super-GAU“, einer „Todesfalle für geschützte Vogelarten“ (ein Punkt, den die Projektbetreiber längst durch den Einsatz von bedrucktem Glas zu lösen versprochen hatten), der Stadthistoriker Stefan Scholz vor einer „Verschleuderung von Steuergeld“. Eine „Mehrheit von 60 Prozent der Bevölkerung“ - so war wahrheitswidrig zu lesen - hätte sich gegen das „Wahnsinns-Projekt“ ausgesprochen.

Als die „Kronen Zeitung“ berichtete, die Gegner des „Beton-Monsters“ würden sich - wie damals in der Au - an die Baggerschaufeln ketten, gab Carl Manzano, Direktor des Nationalparks und selbst ehemaliger Hainburg-Aktivist, am 23. April auf und ließ die Bauarbeiten bis auf weiteres einstellen: Das Image des Nationalparks würde unter der Situation zu sehr leiden. Nach dem aktuellen Stand der Dinge werde man die bisher in das Projekt investierten 500.000 Euro abschreiben und das Besucherzentrum in einer anderen Gemeinde errichten.

Zugegeben, sagt meine Nachbarin, eine häßliche Geschichte. Aber ist es denn wirklich wichtig, ob dieses Projekt so oder anders realisiert wird? Ja, denke ich. Denn was hier verraten wird, sind nicht elitäre Architekturvorstellungen, sondern demo- kratische Prinzipien. Ein etwas von der Norm abweichendes Gebäude in Hainburg zu verhindern ist für die Populisten und ihre Partner aus dem Mediaprint-Konzern nur eine Fingerübung. Man sollte lernen, sich rechtzeitig zu wehren.

Ein Diskussionsforum zu diesem Thema ist auf der Homepage der Architekturstiftung Österreich (www.aneta.at) eingerichtet.

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