Bauwerk

Entertainmentcenter Gasometer
RLP Rüdiger Lainer + Partner - Wien (A) - 2001
Entertainmentcenter Gasometer, Foto: Margherita Spiluttini

Bauen beginnt immer bei 0:0

Was beim Herumreden an Neubauten gern vergessen wird: Die Qualität der Architektur ist nicht abhängig vom Kubikmeterpreis. Das belegt eindrücklich Rüdiger Lainers „Pleasuredome“ neben den Simmeringer Gasometern.

29. September 2001 - Walter Zschokke
Die normative Kraft des Faktischen ist im langsam taktenden Prozeß städtebaulicher Entwicklung eine der stärksten Einflußgrößen. Nicht vordergründige Schönheit oder Häßlichkeit noch deklarierte Qualität, sondern primäre Strukturelemente und die Zeit, ausgedrückt in Gewöhnung, prägen das Stadtbild. Manches, was vor hundert Jahren die Gemüter erhitzte, ist heute lieb gewordenes Postkartenmotiv, anderes, bei seiner Eröffnung in den höchsten Tönen bejubelt, versank in Bedeutungslosigkeit oder ist längst verschwunden und vergessen.

Der Organismus Stadt ist nicht wählerisch und oft unberechenbar. In diesem Kontext spielt die architektonische Qualität bloß eine wichtige Nebenrolle. Ist sie gut besetzt und kommt sie zur optimalen Entfaltung, bietet dies Anlaß zum Genießen und Erfreuen, ist sie mittelmäßig besetzt, hat dies auf den langfristigen Prozeß wenig Einfluß. Tagesmoden sind der gebauten Stadt Wurscht. Sie nährt sich aus anderen Quellen.

Das städtebauliche Entwicklungsgebiet im Einzugsbereich der U3-Station Gasometer liegt an der wichtigsten Kette urbaner Knoten unter den Linien des Wiener U-Bahn-Netzes. Die U3 konnte dies werden, da sie mehrere Erwartungsgebiete verbindet, in denen der Grad der Urbanisierung massiv gesteigert werden konnte, weil er vorher drastisch abgesunken war. Vor allem lagen diese Gebiete nicht auf der grünen Wiese, sondern bildeten bloß Senken in der urbanen Topographie, eingebettet in die Großstadt Wien. Daß sich als Folge der neuen Subzentren andernorts der Urbanisierungsgrad zurückbildet, gehört zur komplexen Prozeßhaftigkeit in der gebauten und in der gelebten Stadt.
Man könnte es sich daher sparen, das profane Anfüllen der funktionslos gewordenen vier städtebaulichen Superzeichen in Simmering mit Wohnen und Dienstleistung propagandistisch hochzujubeln, wie wenn es gälte, eine Wahl zu gewinnen. Das Gebiet ist hochwertig erschlossen, es wird sich in den kommenden Jahrzehnten in Schüben und gewiß auch mit Durststrecken entwickeln, wie dies eben so ist. Gegen den langen Atem städtebaulicher Prozesse haben PR-Kampagnen den Charakter von Strohfeuern und dienen vor allem der Selbstversicherung der Involvierten. Alles andere läuft über den Preis. Die architektonische Qualität ist Nebensache, wie man an der SCS ersehen kann, sie gehört zur Sphäre des Kultivierens, die sich mit jener des Markts überschneiden kann, aber nicht muß.

Ebensowenig müssen sich die vielfältigen Wirklichkeiten und ihre Spiegelungen in den Medien überschneiden. So gehorchen die Welt der Comics und jene der Filme anderen, oft simpleren Regeln, die sich vom Alltagsleben und natürlich von dem der Eliten unterscheiden. Wenn daher von PR-Schreibern hochgejubelte „Stararchitekten“ dargestellt werden und sich selbst so sehen wie der immer siegreiche Prinz Eisenherz in den amerikanischen Comics der dreißiger und vierziger Jahre, ist das eine sehr papierene Wirklichkeit. Auch die besten Entwerfer beginnen beim Projektieren bei 0 : 0 und können an einer Aufgabe scheitern. Das Präfix „Star“ garantiert dabei für gar nichts.
Diese simple Erkenntnis läßt sich soeben in Simmering wieder nachvollziehen, nachdem neben den Gasometern das Kino-, Entertainment- und Garagengebäude „Plesuredome“ eröffnet worden ist, das trotz städtebaulich bescheidenerem Auftreten in Konzeption und innerer Gestaltung viel mehr an Raumlust und Lebensfreude einlöst als die griesgrämig befüllten vier Mauerwerkszylinder, in deren städtebaulichem und propagandistischem Schatten es sich entwickelt hat.

Das städtebauliche Konzept für das Umfeld der Gasometer, wie es von Rüdiger Lainer und seinem Team vorgeschlagen wurde, definierte eine „Traufkante“ für den Straßenraum der Guglgasse nördlich der Gasometer, auf den sich das Portal der Rockhalle öffnet. Die Straßenfront des Pleasuredome wird von einer hohen Glaswand bestimmt, deren langer gerader Charakter von Teilflächen verschiedenfarbiger Folien gegliedert und relativiert wird. Dahinter liegen, einsehbar, auf einer Basis von einem beziehungsweise vier Parkgeschoßen zwei ausgedehnte Raumkomplexe, die den Alltagsgenüssen Kino, Essen, Trinken, Flanieren, Spielen und Menschen-bei-diesen-Tätigkeiten-Zuschauen dienen.

Für jene, die nicht aus den Liften von den Garagen kommen, gibt es zwei Zugänge: Erstens eine lange, geschlängelte Rampe, die am Gehsteig beginnt, nach zwei Kehren ins Bauwerk eindringt und entlang der farbigen Glaswand ansteigt, tiefe Einblicke in die Foyers vor den Kinosälen bietet und in die Halle vor dem Entertainmentbereich mündet. Zweitens eine Brücke, die aus der - na ja - Gasometer-Mall herüberführt, deren Seitenflächen und Decke verglast sind und die ebenfalls in die oben genannte Vorhalle hineinzielt. Die Lagegunst nutzt eine langgezogene Café-und- Bar-Installation, ein zeitgemäßer Schanigarten auf der Brücke für das Sehen-und-Gesehenwerden.

G eschäfte, Gastronomieeinrichtungen und Spielmöglichkeiten säumen die eigentliche, dreigeschoßige Mall, in welche die Besucher nun hereingezogen werden. Rundherum führende, in der Höhe versetzte Galerien versprechen weitere Attraktionen und locken hinauf in die oberen Geschoße, zu denen Rolltreppen hochführen. Daß nicht alle Inneneinrichtungen das Qualitätsniveau einhalten, liegt in der Natur derartiger oft kurzlebiger Einrichtungen. Mit den durchgehenden Bändern vor den Deckenstirnen bringt Lainer ausreichend Ordnung in die flutenden Raumfolgen, deren Lufträume er mit Ste- gen und Stiegen durchstößt, auf denen sich sein Gespür für Raum, ja seine Raumlust und positive Haltung zu Lebensfreude nachvollziehen lassen.

E rst auf der zweiten Ebene der Mall öffnet sich der Zugang zu den 15 Kinosälen, vorbei an Kassen und Verkaufspulten für Kinoverpflegung in die Foyers, wo die großblockige Struktur der gestapelten Kinosäle mit ihren ansteigend kragenden Unterseiten, angefacht durch Farben von Oskar Putz, eine räumlich spannungsvolle Atmosphäre erzeugen, wo die Verbindungsstege der Projektionskabinen, der Toilettenturm im Hintergrund, Deckendurchbrüche und eine lustvoll ausgekostete Rolltreppenkombination zum unteren Foyer Backstage und Frontstage eins werden lassen und wo das Flanieren im Raum als Vorspiel zum Film Freude und Genuß bereitet. Damit ist es dem Architekten und seinem verschworenen Team gelungen, im Meer der Kommerzbauten ein architektonisch qualifiziertes Zeichen zu setzen, das wesentlich mehr bietet als schnelle Triebbefriedigung.

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