Details
- Adresse
- Guglgasse, 1110 Wien, Österreich
- Architektur
- Coop Himmelb(l)au (Helmut Swiczinsky, Wolf D. Prix), Manfred Wehdorn, Wilhelm Holzbauer, Jean Nouvel
- Fotografie
- Gerald Zugmann
- Maßnahme
- Neubau
- Funktion
- Gemischte Nutzung
- Planung
- 1995
- Ausführung
- 1999 - 2001
Publikationen
Archfoto
Presseschau
Bilbao-Effekt in Wien
Angefangen hat alles 1997 in Bilbao. Dort stellte der amerikanische Stararchitekt Frank O. Gehry im Auftrag der baskischen Regierung für die Guggenheim-Stiftung eine phantastische Bauskulptur ans Nervión-Ufer.
Angefangen hat alles 1997 in Bilbao. Dort stellte der amerikanische Stararchitekt Frank O. Gehry im Auftrag der baskischen Regierung für die Guggenheim-Stiftung eine phantastische Bauskulptur ans Nervión-Ufer. Der schon fast unheimliche Besucherrekord im heute weltberühmten Museum (3,5 Millionen in den ersten drei Jahren) und der wirtschaftliche Erfolg (bis 2000 flossen Zusatzerträge von 500 Millionen Dollar in die rezessionsgebeutelte baskische Hauptstadt) führten dazu, dass man bald weltweit vom «Bilbao-Effekt» sprach. Der Begriff steht für die wirtschaftlich-kulturelle Initialzündung in einem heruntergekommenen Stadtquartier, bei der die Architektur eine führende Rolle spielt.
Nun hat die Sage von Bilbao Wien erreicht. Nicht weit von der Donau entfernt, wurde eines der wuchtigsten Architekturmonumente der österreichischen Hauptstadt - die vier prunkvollen Gas-Silos aus dem Jahre 1899 - im unwirtlichen Niemandsland des 11. Bezirks wiederbelebt. Doch im Gegensatz zu Bilbao sollte nicht Kultur diese Initialzündung auslösen, sondern Kommerz und Wohnen. Die vier im Volksmund Gasometer genannten Backsteinhüllen sind diesen Sommer als schriller Wohn-, Freizeit- und Shoppingpark wiedereröffnet worden.
Die Stadtväter hatten 1996 einen Investorenwettbewerb durchgeführt mit dem Ziel, die denkmalgeschützten Bauten einer wirtschaftlich selbsttragenden Nutzung zuzuführen. Unter anderem mit der Bereitschaft, insgesamt 2,3 Milliarden Schilling zu investieren, entschieden drei grosse Wiener Wohnbaugesellschaften - SEG, Gesiba und GPA - die Konkurrenz für sich. Gleichzeitig suchte man in einem zweiten Wettbewerb international bekannte Architekten, die dem ausserordentlichen Bauvorhaben ihren gestalterischen Stempel, gewissermassen die Marke, aufdrücken sollten. Den Standortfaktor Architektur garantierten Architectures Jean Nouvel aus Paris und Coop Himmelb(l)au aus Wien sowie die vor allem in Österreich bekannten Baumeister Wilhelm Holzbauer und Manfred Wehdorn. Jeder Architekt gestaltete einen Gasometer.
Obwohl vier Gestalter am Werk waren, gab es bei den Gasometern mit heute 615 Wohnungen, 11 000 Quadratmetern Büros, 15 000 Quadratmetern Archivfläche und einer 22 000 Quadratmeter grossen Shoppingmall, mit Studentenheim, Kindergarten und Veranstaltungshalle nur zwei Bebauungsstrategien: die Ring- und die Mittenhinein-Variante. Denn die Knacknuss eines kreisrunden Baukörpers ist die Führung des Lichts: Wie bringt man möglichst viel Tageslicht in eine 65 Meter hohe Backsteintonne mit einem Durchmesser von 72 Metern? Jean Nouvel, Coop Himmelb(l)au und Manfred Wehdorn entschlossen sich zur Ringbebauung. Sie passten einen bis zu elfgeschossigen Wohn- und Büroring in die Tonne und formten so ein grosses kreisförmiges Atrium. Bei Nouvel hat der neue Innenraum einen Durchmesser von 34 Metern.
Nur Wilhelm Holzbauer entschied sich für die Mittenhinein-Bebauung und setzte einen sternförmigen Baukörper mitten in die Tonne, der den Innenraum in drei grosszügige Gärten unterteilt und die Gasometerwand nicht berührt. Eine spektakuläre Abweichung von der Ringbebauung erlaubten sich Coop Himmelb(l)au: sie bauten zusätzlich ein von weitem sichtbares, 18-geschossiges Schild an die Nordseite ihres Gasometers. In den oberen Stockwerken finden sich Wohnungen und Büros, die über eine grosszügige, jedoch nach Norden orientierte Glasfassade mit Loggien belichtet werden.
Eine grundsätzliche Antwort auf die Lichtfrage geben alle, indem sie den unteren Geschossen der Gasometer Funktionen zuordneten, die fast oder ganz ohne Tageslicht auskommen: 856 Parkplätze, die Veranstaltungshalle für rund 3000 Besucher und vier kreisrunde Shoppingmalls, die mit Fussgängerbrücken verbunden sind. Erst darüber befinden sich die drei Bürogeschosse bzw. - im Gasometer von Coop Himmelb(l)au - das Studentenheim. Die sechs bis acht Wohngeschosse pro Gasometer beginnen erst auf einer Höhe von 30 Metern.
Am interessantesten hat Jean Nouvel die Lichtfrage gelöst. Er zerschnitt seine Ringbebauung in neun Segmente. Durch die Schlitze fällt viel Sonne in den Hof und in die Wohnungen und der Blick der Bewohner nach aussen. Die Seitenwände sind mit spiegelndem Chromstahl verkleidet, was zusätzlich Licht nach innen lenkt.
Schwieriger gestaltete sich bei der Ringbebauung die Erschliessung: Ungemütliche, dunkle Laubengänge zwischen der bestehenden Aussenhaut und der neuen Innenhaut führen alle zwei Stockwerke zu den Wohnungen. Von dort aus geht es entweder direkt in die kreissegmentförmigen oder über eine schmale Treppe in die darüberliegenden Wohnungen. Wenig Licht und neugierige Blicke machen jedoch alle direkt hinter dem Laubengang liegenden Wohnräume fast unbrauchbar. Trost spenden der Blick auf den spektakulären Innenhof und - von den grösseren, teilweise zweigeschossigen Wohnungen in den oberen Geschossen - die Sicht über die Simmeringer Peripherie.
Dass alle 615 Wohnungen zwei Monate nach Fertigstellung verkauft oder vermietet waren, kann nicht an der Wohnqualität liegen. Eher am Bilbao-Effekt, der sich an der Donau eingestellt und das Shoppingcenter zum quirligen samstäglichen Ausflugsziel der Wiener gemacht hat. Erzeugt haben diesen Effekt das Charisma der reaktivierten hundertjährigen Architekturikone, der gelungene Mix der Nutzungen, die hervorragenden Verkehrsverbindungen (die verlängerte U-Bahn-Linie bringt einen in acht Minuten zum Stephansdom, die Schnellbahn in wenigen Minuten zum Flughafen und die neue Nord-Ost-Tangente ohne Stau ins Umland) und die tiefen Preise der Wohnungen: Eine 3-Zimmer-Wohnung von Jean Nouvel mit 73 Quadratmetern Wohnfläche etwa kostete freifinanziert umgerechnet 170 000 Franken.
Wie in Bilbao haben sich auch bereits Folgeinvestitionen eingestellt: Der Architekt Rüdiger Lainer konnte gleich neben den vier Gasometern ein riesiges Multiplexkino mit 15 Sälen verwirklichen, und in unmittelbarer Nachbarschaft entstand ein grosses Bürohaus. Wenn die Kettenreaktion in dieser Geschwindigkeit weitergeht, wird das Hoffnungsgebiet der Wiener Stadtplanung innert weniger Jahre zur autark funktionierenden Gasometercity.
Wohnungen aus vier Zylindern
Der Umbau der Gasometer in Wien-Simmering
«Wenn der Architekt nichts weiss, dann macht er einen Kreis.» Diese Binsenweisheit hat sich bei der Sanierung der Gasometer in Wien-Simmering ins Gegenteil umgekehrt. Hier waren es nicht die Architekten, die ihre Kreise zogen, sondern die vier ehemaligen Gasbehälter aus dem späten 19. Jahrhundert haben die zylindrische Form vorgegeben. Nach einem Bauträgerwettbewerb im Jahr 1995, bei dem die Errichtergesellschaften auch den Architekten beistellen, erhielten Jean Nouvel, Coop Himmelblau, Manfred Wehdorn und Wilhelm Holzbauer die Planungsaufträge. Rund 620 Wohnungen, Büroflächen, eine Rockhalle sowie eine durchgehende Einkaufsstrasse waren gefordert, um mit den vier brachial ausgehöhlten Denkmälern der Industriebaukunst ein lebensfähiges Stadtviertel zu konstituieren.
Hinter den Fassaden ist nicht viel übrig geblieben von den rund 75 Meter hohen Gasometern. Immerhin bilden sie eine kreisrunde, weithin sichtbare Kulisse am Südostrand von Wien, die von den Architekten zu füllen war. Doch damit nicht genug der urbanen Lebenszeichen: Coop Himmelblau haben zusätzlich noch an der Nordseite eines Gasometers ihre geknickte und gewölbte Wohn- und Bürowand angedockt, die reichlich pathetisch verkündet, dass sich die Architektur nicht nur den Zwängen eines der europaweit grössten Sanierungsfälle unterwirft. Diese Zwänge sind beachtlich, wenn man sich den Umgang der Architekten mit der Kreisform anschaut. Insgesamt darf man den Bewohnern, vor allem in den unteren Etagen, möglichst viele Sonnentage wünschen, denn die Belichtung reicht bei trübem Wetter schlichtweg nicht aus.
Jean Nouvel hat in seinem Gasometer das zentrale Belichtungsproblem zu lösen versucht, indem er den betonierten Wohnungskranz ganz stringent in Segmente aufteilt. Ihre mit Blech verkleideten Trennwände lassen Raum frei und verstärken den Lichteinfall ein wenig. Coop Himmelblau führt einen trompetenförmigen Trichter in den Innenhof des Gasometers ein, damit die Wohnungen nicht ganz im Dunkeln bleiben. Manfred Wehdorn versucht mit Terrassen den Anschein mediterraner Grosszügigkeit zu erzeugen. Wilhelm Holzbauer schliesslich ordnet die Wohnungen windmühlenartig um einen Erschliessungskern an, so dass die Bewohner Aussicht auf die denkmalgeschützte Gasometerfassade haben. Die Architekten hatten eigentlich wenig Chancen, Wohnwerte aus den Zylindern zu zaubern. Die Ergebnisse sind unbefriedigend, die Wohnungsgrundrisse streckenweise skurril, und vom Raumerlebnis der Innenhöfe kann im besten Fall noch bei Jean Nouvel gesprochen werden. Eine Kongruenz zwischen der Gliederung der Gasometerfassaden und den Wohnungen wurde nicht hergestellt. Zusammen gesehen stellen die alten Gasometer und die neue Architektur allerdings ein bildwirksames Ensemble dar. Ein «Wahrzeichen» für den desolaten Bezirk Simmering also, das - besonders von der Stadtautobahn aus betrachtet - wieder an die autistischen Avantgarde-Skizzen der sechziger Jahre erinnert.
Nun ja, Wien ist eben anders, und die Überlagerung verschiedener Schichten von Vergangenheit lässt sich hier besonders gut vermarkten. Auch wenn die alten Ziegelsteinkreise mit ihren Betonfüllungen nur bescheidenen Wohnwert bieten, sind sie bereits nahezu vollständig verkauft oder vermietet. Die Ausblicke der Wohnungen auf die Innenhöfe können wohl kaum der Grund für die Nachfrage sein. Viel eher ist es der immaterielle Mehrwert, den sich die Bewohner erkauft haben. Prestige, Chic, Label und Individualität werden mit den «City-Klassikern» (so der Werbeprospekt) am Stadtrand assoziiert. Und damit können die Gasometer punkten, während gewöhnliche Wohnungen an der Peripherie zum Teil leer stehen. Die Gasometer sind aber mehr als nur aufgemotzte Stadtrandbehausungen. Erstmals haben private Bauträger und die öffentliche Hand annähernd zeitgleich die Infrastrukturen für ein neues Stadtviertel bereitgestellt. Bei dieser Leistung darf man nach vergeblichen zehn Jahren «Wohnbauoffensive» allerdings nicht ausser acht lassen, dass die Gasometer schon bald von einer dichten Packung Bürobauten umgeben sein werden und dass die Investoren mit ihrem Verwertungsdenken Überhand gewonnen haben. Es werden also wieder Stadtspiele an der Peripherie aufgeführt, nur diesmal ergänzt durch einen hohen Anteil an Entertainment.
Karte
Pläne
Presseschau
Bilbao-Effekt in Wien
Angefangen hat alles 1997 in Bilbao. Dort stellte der amerikanische Stararchitekt Frank O. Gehry im Auftrag der baskischen Regierung für die Guggenheim-Stiftung eine phantastische Bauskulptur ans Nervión-Ufer.
Angefangen hat alles 1997 in Bilbao. Dort stellte der amerikanische Stararchitekt Frank O. Gehry im Auftrag der baskischen Regierung für die Guggenheim-Stiftung eine phantastische Bauskulptur ans Nervión-Ufer. Der schon fast unheimliche Besucherrekord im heute weltberühmten Museum (3,5 Millionen in den ersten drei Jahren) und der wirtschaftliche Erfolg (bis 2000 flossen Zusatzerträge von 500 Millionen Dollar in die rezessionsgebeutelte baskische Hauptstadt) führten dazu, dass man bald weltweit vom «Bilbao-Effekt» sprach. Der Begriff steht für die wirtschaftlich-kulturelle Initialzündung in einem heruntergekommenen Stadtquartier, bei der die Architektur eine führende Rolle spielt.
Nun hat die Sage von Bilbao Wien erreicht. Nicht weit von der Donau entfernt, wurde eines der wuchtigsten Architekturmonumente der österreichischen Hauptstadt - die vier prunkvollen Gas-Silos aus dem Jahre 1899 - im unwirtlichen Niemandsland des 11. Bezirks wiederbelebt. Doch im Gegensatz zu Bilbao sollte nicht Kultur diese Initialzündung auslösen, sondern Kommerz und Wohnen. Die vier im Volksmund Gasometer genannten Backsteinhüllen sind diesen Sommer als schriller Wohn-, Freizeit- und Shoppingpark wiedereröffnet worden.
Die Stadtväter hatten 1996 einen Investorenwettbewerb durchgeführt mit dem Ziel, die denkmalgeschützten Bauten einer wirtschaftlich selbsttragenden Nutzung zuzuführen. Unter anderem mit der Bereitschaft, insgesamt 2,3 Milliarden Schilling zu investieren, entschieden drei grosse Wiener Wohnbaugesellschaften - SEG, Gesiba und GPA - die Konkurrenz für sich. Gleichzeitig suchte man in einem zweiten Wettbewerb international bekannte Architekten, die dem ausserordentlichen Bauvorhaben ihren gestalterischen Stempel, gewissermassen die Marke, aufdrücken sollten. Den Standortfaktor Architektur garantierten Architectures Jean Nouvel aus Paris und Coop Himmelb(l)au aus Wien sowie die vor allem in Österreich bekannten Baumeister Wilhelm Holzbauer und Manfred Wehdorn. Jeder Architekt gestaltete einen Gasometer.
Obwohl vier Gestalter am Werk waren, gab es bei den Gasometern mit heute 615 Wohnungen, 11 000 Quadratmetern Büros, 15 000 Quadratmetern Archivfläche und einer 22 000 Quadratmeter grossen Shoppingmall, mit Studentenheim, Kindergarten und Veranstaltungshalle nur zwei Bebauungsstrategien: die Ring- und die Mittenhinein-Variante. Denn die Knacknuss eines kreisrunden Baukörpers ist die Führung des Lichts: Wie bringt man möglichst viel Tageslicht in eine 65 Meter hohe Backsteintonne mit einem Durchmesser von 72 Metern? Jean Nouvel, Coop Himmelb(l)au und Manfred Wehdorn entschlossen sich zur Ringbebauung. Sie passten einen bis zu elfgeschossigen Wohn- und Büroring in die Tonne und formten so ein grosses kreisförmiges Atrium. Bei Nouvel hat der neue Innenraum einen Durchmesser von 34 Metern.
Nur Wilhelm Holzbauer entschied sich für die Mittenhinein-Bebauung und setzte einen sternförmigen Baukörper mitten in die Tonne, der den Innenraum in drei grosszügige Gärten unterteilt und die Gasometerwand nicht berührt. Eine spektakuläre Abweichung von der Ringbebauung erlaubten sich Coop Himmelb(l)au: sie bauten zusätzlich ein von weitem sichtbares, 18-geschossiges Schild an die Nordseite ihres Gasometers. In den oberen Stockwerken finden sich Wohnungen und Büros, die über eine grosszügige, jedoch nach Norden orientierte Glasfassade mit Loggien belichtet werden.
Eine grundsätzliche Antwort auf die Lichtfrage geben alle, indem sie den unteren Geschossen der Gasometer Funktionen zuordneten, die fast oder ganz ohne Tageslicht auskommen: 856 Parkplätze, die Veranstaltungshalle für rund 3000 Besucher und vier kreisrunde Shoppingmalls, die mit Fussgängerbrücken verbunden sind. Erst darüber befinden sich die drei Bürogeschosse bzw. - im Gasometer von Coop Himmelb(l)au - das Studentenheim. Die sechs bis acht Wohngeschosse pro Gasometer beginnen erst auf einer Höhe von 30 Metern.
Am interessantesten hat Jean Nouvel die Lichtfrage gelöst. Er zerschnitt seine Ringbebauung in neun Segmente. Durch die Schlitze fällt viel Sonne in den Hof und in die Wohnungen und der Blick der Bewohner nach aussen. Die Seitenwände sind mit spiegelndem Chromstahl verkleidet, was zusätzlich Licht nach innen lenkt.
Schwieriger gestaltete sich bei der Ringbebauung die Erschliessung: Ungemütliche, dunkle Laubengänge zwischen der bestehenden Aussenhaut und der neuen Innenhaut führen alle zwei Stockwerke zu den Wohnungen. Von dort aus geht es entweder direkt in die kreissegmentförmigen oder über eine schmale Treppe in die darüberliegenden Wohnungen. Wenig Licht und neugierige Blicke machen jedoch alle direkt hinter dem Laubengang liegenden Wohnräume fast unbrauchbar. Trost spenden der Blick auf den spektakulären Innenhof und - von den grösseren, teilweise zweigeschossigen Wohnungen in den oberen Geschossen - die Sicht über die Simmeringer Peripherie.
Dass alle 615 Wohnungen zwei Monate nach Fertigstellung verkauft oder vermietet waren, kann nicht an der Wohnqualität liegen. Eher am Bilbao-Effekt, der sich an der Donau eingestellt und das Shoppingcenter zum quirligen samstäglichen Ausflugsziel der Wiener gemacht hat. Erzeugt haben diesen Effekt das Charisma der reaktivierten hundertjährigen Architekturikone, der gelungene Mix der Nutzungen, die hervorragenden Verkehrsverbindungen (die verlängerte U-Bahn-Linie bringt einen in acht Minuten zum Stephansdom, die Schnellbahn in wenigen Minuten zum Flughafen und die neue Nord-Ost-Tangente ohne Stau ins Umland) und die tiefen Preise der Wohnungen: Eine 3-Zimmer-Wohnung von Jean Nouvel mit 73 Quadratmetern Wohnfläche etwa kostete freifinanziert umgerechnet 170 000 Franken.
Wie in Bilbao haben sich auch bereits Folgeinvestitionen eingestellt: Der Architekt Rüdiger Lainer konnte gleich neben den vier Gasometern ein riesiges Multiplexkino mit 15 Sälen verwirklichen, und in unmittelbarer Nachbarschaft entstand ein grosses Bürohaus. Wenn die Kettenreaktion in dieser Geschwindigkeit weitergeht, wird das Hoffnungsgebiet der Wiener Stadtplanung innert weniger Jahre zur autark funktionierenden Gasometercity.
Wohnungen aus vier Zylindern
Der Umbau der Gasometer in Wien-Simmering
«Wenn der Architekt nichts weiss, dann macht er einen Kreis.» Diese Binsenweisheit hat sich bei der Sanierung der Gasometer in Wien-Simmering ins Gegenteil umgekehrt. Hier waren es nicht die Architekten, die ihre Kreise zogen, sondern die vier ehemaligen Gasbehälter aus dem späten 19. Jahrhundert haben die zylindrische Form vorgegeben. Nach einem Bauträgerwettbewerb im Jahr 1995, bei dem die Errichtergesellschaften auch den Architekten beistellen, erhielten Jean Nouvel, Coop Himmelblau, Manfred Wehdorn und Wilhelm Holzbauer die Planungsaufträge. Rund 620 Wohnungen, Büroflächen, eine Rockhalle sowie eine durchgehende Einkaufsstrasse waren gefordert, um mit den vier brachial ausgehöhlten Denkmälern der Industriebaukunst ein lebensfähiges Stadtviertel zu konstituieren.
Hinter den Fassaden ist nicht viel übrig geblieben von den rund 75 Meter hohen Gasometern. Immerhin bilden sie eine kreisrunde, weithin sichtbare Kulisse am Südostrand von Wien, die von den Architekten zu füllen war. Doch damit nicht genug der urbanen Lebenszeichen: Coop Himmelblau haben zusätzlich noch an der Nordseite eines Gasometers ihre geknickte und gewölbte Wohn- und Bürowand angedockt, die reichlich pathetisch verkündet, dass sich die Architektur nicht nur den Zwängen eines der europaweit grössten Sanierungsfälle unterwirft. Diese Zwänge sind beachtlich, wenn man sich den Umgang der Architekten mit der Kreisform anschaut. Insgesamt darf man den Bewohnern, vor allem in den unteren Etagen, möglichst viele Sonnentage wünschen, denn die Belichtung reicht bei trübem Wetter schlichtweg nicht aus.
Jean Nouvel hat in seinem Gasometer das zentrale Belichtungsproblem zu lösen versucht, indem er den betonierten Wohnungskranz ganz stringent in Segmente aufteilt. Ihre mit Blech verkleideten Trennwände lassen Raum frei und verstärken den Lichteinfall ein wenig. Coop Himmelblau führt einen trompetenförmigen Trichter in den Innenhof des Gasometers ein, damit die Wohnungen nicht ganz im Dunkeln bleiben. Manfred Wehdorn versucht mit Terrassen den Anschein mediterraner Grosszügigkeit zu erzeugen. Wilhelm Holzbauer schliesslich ordnet die Wohnungen windmühlenartig um einen Erschliessungskern an, so dass die Bewohner Aussicht auf die denkmalgeschützte Gasometerfassade haben. Die Architekten hatten eigentlich wenig Chancen, Wohnwerte aus den Zylindern zu zaubern. Die Ergebnisse sind unbefriedigend, die Wohnungsgrundrisse streckenweise skurril, und vom Raumerlebnis der Innenhöfe kann im besten Fall noch bei Jean Nouvel gesprochen werden. Eine Kongruenz zwischen der Gliederung der Gasometerfassaden und den Wohnungen wurde nicht hergestellt. Zusammen gesehen stellen die alten Gasometer und die neue Architektur allerdings ein bildwirksames Ensemble dar. Ein «Wahrzeichen» für den desolaten Bezirk Simmering also, das - besonders von der Stadtautobahn aus betrachtet - wieder an die autistischen Avantgarde-Skizzen der sechziger Jahre erinnert.
Nun ja, Wien ist eben anders, und die Überlagerung verschiedener Schichten von Vergangenheit lässt sich hier besonders gut vermarkten. Auch wenn die alten Ziegelsteinkreise mit ihren Betonfüllungen nur bescheidenen Wohnwert bieten, sind sie bereits nahezu vollständig verkauft oder vermietet. Die Ausblicke der Wohnungen auf die Innenhöfe können wohl kaum der Grund für die Nachfrage sein. Viel eher ist es der immaterielle Mehrwert, den sich die Bewohner erkauft haben. Prestige, Chic, Label und Individualität werden mit den «City-Klassikern» (so der Werbeprospekt) am Stadtrand assoziiert. Und damit können die Gasometer punkten, während gewöhnliche Wohnungen an der Peripherie zum Teil leer stehen. Die Gasometer sind aber mehr als nur aufgemotzte Stadtrandbehausungen. Erstmals haben private Bauträger und die öffentliche Hand annähernd zeitgleich die Infrastrukturen für ein neues Stadtviertel bereitgestellt. Bei dieser Leistung darf man nach vergeblichen zehn Jahren «Wohnbauoffensive» allerdings nicht ausser acht lassen, dass die Gasometer schon bald von einer dichten Packung Bürobauten umgeben sein werden und dass die Investoren mit ihrem Verwertungsdenken Überhand gewonnen haben. Es werden also wieder Stadtspiele an der Peripherie aufgeführt, nur diesmal ergänzt durch einen hohen Anteil an Entertainment.