Bauwerk

Stadtprojekt Waidhofen / Ybbs
Ernst Beneder - Waidhofen an der Ybbs (A) - 2001
Stadtprojekt Waidhofen / Ybbs, Foto: Margherita Spiluttini
Stadtprojekt Waidhofen / Ybbs, Foto: Margherita Spiluttini

Und das ohne Blumenkübel!

Technisch: die kreative Verbindung von Esembleschutz und Innovation. Politisch: die projektbegleitende Einbeziehung von Bürger- und Anrainerinteressen. In Summe: ein preisgekröntes Projekt mit hoher Akzeptanz. Ernst Beneders „Stadtprojekt Waidhofen“.

26. Januar 2002 - Christian Kühn
Provinz und Zentrum zu unterscheiden ist manchmal schwieriger, als man glaubt. Wien versteht sich als kulturelles Zentrum Österreichs, aber die Kärntner Straße ist einer der am provinziellsten eingerichteten Stadträume des Landes: ein Shopping-Center ohne Dach, garniert mit skurrilen Trinkbrunnen und sternförmigen, berühmte Musiker abbildenden Einlegearbeiten im Straßenbelag, in denen die Ästhetik des ehemaligen Ostblocks wieder auflebt. Waidhofen an der Ybbs liegt dagegen geographisch in der Provinz, kann sich aber seit kurzem offiziell rühmen, einen der am besten gestalteten Stadträume des Landes zu besitzen: Ernst Beneder hat für das seit 1991 von ihm architektonisch betreute „Stadtprojekt Waidhofen“ einen der wichtigsten österreichischen Architekturpreise erhalten, den Otto-Wagner-Städtebaupreis.

Dieser vom „Architektur Zentrum Wien“ und der Österreichischen Postsparkasse ausgelobte Preis ist benannt nach jenem Architekten, der das Wien der Jahrhundertwende als Metropole geprägt und ihm die Entwicklung zur „unbegrenzten Großstadt“ vorhergesagt hat. Den heutigen Tiefstand der Stadtmöblierung im Zentrum Wiens konnte Wagner nicht ahnen, ebensowenig, daß dieselbe Wiener Innenstadt vor kurzem zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Seine Warnung vor „Phrasen wie Heimatkunst, Einfügen in das Stadtbild und Erhaltung desselben“, mit der er sich gegen all jene wandte, die „den Begriff der Kunst mit jenem der Archäologie verwechseln“, hat damit jedoch an Aktualität gewonnen.

Welche Auswirkungen der neu erworbene Status als Weltkulturerbe haben wird - die Forderung nach musealen Kulissen oder jene nach höchstem Niveau bei allen zeitgenössischen Projekten -, werden die nächsten Jahre zeigen.
Die Stadt Waidhofen und Ernst Beneder haben den Otto- Wagner- Preis nicht zuletzt für den kreativen Umgang mit der historischen Substanz erhalten. Eine wesentliche Qualität des Projekts besteht in der Verbindung von Denkmalpflege, Ensembleschutz und Innovation zu einem über Jahre laufenden Gesamtprojekt, das in vielen Etappen umgesetzt werden kann. Im ersten Entwicklungskonzept, mit dem Beneder 1991 einen städtebaulichen Wettbewerb für sich entscheiden konnte, ist ein urbanistisches Gesamtziel beschrieben, das die allgemein anerkannten Gestaltqualitäten einer historischen Kleinstadt aus ihrer Bildhaftigkeit befreit und als lebendiges städtebauliches Kraftfeld in Szene setzt.

Zum Gesamtkonzept gehörten neben der Gestaltung der Platz- und Straßenräume auch eine Lösung der Verkehrsfrage mit einer - noch nicht ausgeführten - Garage im Stadtgraben in unmittelbarer Nähe des historischen Zentrums, die Erschließung stadtnaher Naturräume und die radikale Neugestaltung des Rathauses, die Beneder bereits in den Jahren 1993 bis 1995 umsetzen konnte.

Der im Kern aus dem 13. Jahrhundert stammende Bau stellte höchste denkmalpflegerische und konstruktive Herausforderungen. Um die älteste Bausubstanz mit ihren Tram- und Gewölbedecken erhalten zu können, konzipierte Beneder ein brückenartiges Fachwerk, das den Baukörper von Außenwand zu Außenwand überspannt und die Lasten über einem im Biedermeier errichteten Theatersaal abträgt. Mit der Kombination von alter Substanz mit zeitgenössischen Konstruktionen und Materialien - die in der vorherrschen-den Routine-Denkmalpflege oft nicht mehr darstellt als eine ungekonnte Pflichtübung - gelingen Beneder in diesem Gebäude außergewöhnlich riskante und spannungsvolle Momente. Daß sein „Offenes Rathaus“ durch innere Erweiterungen und die Verwendung leichter Tragkonstruktionen über den massiven Bauteilen über 32 Prozent mehr Nutzfläche aufweist als vor dem Umbau, ist ein erfreulicher Nebeneffekt.

Auch in der Gestaltung des öffentlichen Raums kann man von einem glücklichen Zusammentreffen von innovativer Gestaltung und Pragmatismus sprechen. Auf den ursprünglichen Plan, die Altstadt als Fußgängerzone zu musealisieren, hat die Gemeinde auf Drängen der Geschäftsleute nach kurzer Diskussion verzichtet. Die Forderung, den Straßenraum mit jenem Mobiliar zu verstellen, das in den meisten Fußgängerzonen unverzichtbar erscheint, also Blumenkübel, Sitzbänke und Kandelaber, trat damit von Anfang an in den Hintergrund. Die Plätze sind weiterhin befahrbar, allerdings mit einer raffinierten Markierung der Parkflächen, die anstelle von Farbmarkierungen mit kleinen Metallhülsen arbeitet, die in den Boden eingelassen sind und bei Bedarf als Halterungen für temporäre Stadtmöblierungen dienen können. Die Stadträume sind ansonsten frei von der üblichen Stadtmöblierung und von ornamentalen Bodenbemusterungen.

Das heißt nicht, daß die Verlegung nicht bis ins Detail durchgeplant wäre: Pflastersteine unterschiedlicher Größe und Feinheit sind nach einem genauen, aus der jeweiligen Situation entwickelten Plan verlegt. Ein zurückhaltendes Beleuchtungskonzept, das auf die üblichen Laternen verzichtet, unterstützt die stadträumliche Wirkung durch eine gezielte Steigerung der Lichtintensität an bestimmten räumlichen Knotenpunkten.

Der wesentlichste Eingriff in den Stadtraum ist überhaupt nur nachvollziehbar, wenn man alte Photographien zur Hand nimmt: Die Platzräume, die ursprünglich pombiert - also in der Mitte erhöht - waren, wurden im Zuge der Neugestaltung und der gleichzeitigen Erneuerung der technischen Infrastruktur wannenförmig ausgebildet, sodaß nun die Platz- und Straßenflächen zur Mitte hin abfallen.

So kam die Mariensäule auf dem Oberen Stadtplatz knapp einen Meter über dem neuen Niveau zu liegen und erhielt ein paar neue Stufen. Diese scheinbar unspektakuläre Maßnahme der Umkehrung des früheren Straßenquerschnitts ist der eigentliche Erfolgsfaktor des Projekts: Die Straße wird vom Verkehrsträger wieder zum öffentlichen, gemeinsamen Raum.

Die Neugestaltung ist auch ein exemplarisches Beispiel dafür, wie ein durchaus kontroversielles Projekt nach demokratischen Spielregeln umgesetzt werden kann. Das Gesamtprojekt und die einzelnen Bauphasen wurden mehrfach öffentlich präsentiert, in Bürgerforen, Aus- stellungen an den jeweiligen Bauplätzen und in einem eigenen Leitprojekt, in dem die einzelnen Planungselemente konkretisiert wurden. Das Gesamtprojekt hat mehreren Wellen der Herausforderung durch andere Sichtweisen (von seiten der NÖ Stadterneuerung, des City Marketing et cetera) standgehalten. Das „Offene Rathaus“ und die Gestaltung des „Ybbsufers I“ konnten noch ohne besondere Diskussionen realisiert werden.

Die Platzgestaltungen sollten dagegen noch zu Beginn des Jahres 2000 durch eine von einer privaten Gruppe initiierten Bürgerbefragung verhindert werden. Nach einem beispiellosen Wahlkampf, in dem sich alle Parteien - ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und Bürgerliste - hinter das Projekt stellten, wurde im März 2000 bei einer Beteiligung von 38 Prozent ein Votum von 78 Prozent für das Projekt durchgesetzt, das danach in verkürzter Bauzeit innerhalb weniger Monate umgesetzt werden konnte.

Die durch die Bürgerbefragung gedrängte Logistik des Umbaus und die projektbegleitende Einbeziehung von Anrainerinteressen wurde von Ernst Beneder wöchentlich in öffentlichen Versammlungen dargelegt. Auf dieser ständigen und mitunter heftigen Auseinandersetzung baut jedoch auch die hohe Akzeptanz des Projekts auf. Architektur und Städtebau sind inzwischen ein Thema des kulturellen Lebens. Das ist nicht nur gut für die Qualität der Architektur.

Die Debatte über den öffentlichen Raum ist zugleich als demokratische Praxis ein Wert für sich: Der gemeinsam erstrittene Stadtraum in Waidhofen ist eben kein Kompromiß, der niemandem weh tut, weil er alle Kontroversen im Kitsch erstickt, sondern eine Leistung, auf die man noch in Jahrzehnten genauso stolz sein wird wie auf das, was schon heute als „kulturelles Erbe“ außer Streit steht.

Der vorläufig letzte Akt in der Gestaltung der Plätze ist die heftige Debatte um die beiden Brunnen, die Ernst Beneder für den Oberen und den Unteren Stadtplatz entworfen hat. Die Leistung eines guten Brunnens besteht seit der Barockzeit in nichts anderem, als Wasser in Bewegung zu bringen: Je aufwendiger die Wasserführung, je charakteristischer der Klang, desto besser. Auf dem Unteren Stadtplatz läßt Beneder das Wasser kontemplativ auf eine kreisrunde Glasscheibe fließen und durch Bohrungen in ein quadratisches Becken plätschern. Auf dem Oberen Stadtplatz ist der Brunnen ein schmaler Waschtisch aus Glas und Stahl, ein räumlicher Auftakt für die Zeile von Ständen, die an Markttagen auf dem langgestreckten Platz aufgebaut wird.

Daß Stahl und Glas im historischen Kontext anfangs zu Protesten führen, ist nicht wirklich überraschend. Den Brunnen auf dem Oberen Stadtplatz zu verschieben, wie das nun als Kompromiß im Raum steht, um einer neuerlichen Bürgerbefragung zur Entfernung der Brunnen auszuweichen, wäre dagegen ein Schildbürgerstreich, der nicht nur die Architektur, sondern auch die Demokratie beschädigt.

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