Bauwerk

Mustersiedlung 9=12
Adolf Krischanitz, Steidle Architekten, Marcel Meili, Markus Peter Architekten, Hermann Czech, Hans Kollhoff, Heinz Tesar, Diener & Diener Architekten, Peter Märkli, Max Dudler - Wien (A) - 2007

Hart wie Hadersdorf

Neun Architekten sollen eine Mustersiedlung bei Wien errichten. Die Vorgaben sind grausam einfach: Es darf nur Beton verwendet werden.

8. Januar 2003 - Jan Tabor
Adolf Krischanitz hat eine Obsession: das Mustergültige. Neuerdings arbeitet er am „Projekt Mustersiedlung Wien“. Darunter ist eine Gruppe von zwölf Häusern zu verstehen, die „weder Einfamilienhaus noch Geschoßwohnungsbau sind, ohne jedoch eine Reihenbebauung zu sein“ - also Häuser, die etwas dazwischen oder beides zusammen sind. Krischanitz nennt die kompakt aneinander gedrängte Doppelreihe von Häusern altmodisch „Villenkolonie“. Die „stille Sehnsucht nach dem Einzelhaus“ soll mit dem sparsamen Umgang mit der Baulandschaft vereint werden - und das auf höchstem architektonischem Niveau. Vorzeigbar und vorbildlich von allerbesten Architekten erdacht, entworfen und erbaut. Die neue Mustersiedlung in Hadersdorf bei Wien ist als temporäre Bauausstellung konzipiert: Nach deren Fertigstellung sollen die Häuser mehrere Monate lang zu besichtigen sein, erst nachher können sie gekauft werden. Hoffentlich geht es Krischanitz dabei nicht wie seinem Vorbild Josef Frank vor siebzig Jahren.

Adolf Krischanitz' Leidenschaft dürfte 1984/1985 entstanden sein. Damals renovierten er und Otto Kapfinger - mustergültig für den Umgang mit der klassischen Moderne - eine der bedeutendsten Vorzeigesiedlungen der Architekturgeschichte: die Werkbundsiedlung in Wien. Von Josef Frank initiiert und geplant, wurde sie zusammen mit weltberühmten Architekten wie Rietveld, Loos, Hoffmann, Schütte-Lihotzky, Neutra, Häring oder den Brüdern Luçart 1932 errichtet. Die siebzig eingerichteten Häuser konnten besichtigt und erworben werden. Verkauft wurde ein einziges Haus - das des damals noch kaum bekannten Wiener Architekten Oskar Haerdtl.

1988 hat Krischanitz die Architekten Jaqcues Herzog/Pierre de Meuron aus Basel und Otto Steidle aus München eingeladen, gemeinsam in Wien-Aspern die Siedlung Pilotengasse zu bauen. Sie zählt zu den anspruchsvollsten in Wien, in Österreich, in Europa. Bei dem neuen Experiment ist Steidle wieder dabei. Mit dem Haus Nummer 4 legt er einen ungemein ausgeklügelten Entwurf von Wohnungen vor, die von „unterschiedlicher Mentalität der Räume“ ausgehen und über drei Geschoße reichen. Im Video-Interview nennt Steidle den anderen Schwerpunkt bei diesem Krischanitz-Projekt: die allgemeine Sehnsucht nach Leben im Eigenheim und ihre Folgen - was in Deutschland rund zwei Millionen Einfamilienhäuser ergeben würde. Aneinander gereiht würden diese die Strecke von München nach Hamburg und zurück säumen.

Krischanitz' neue Mustersiedlung wird nun unter dem rätselhaften Titel „9=12. Neues Wohnen in Wien“ im Architektur Zentrum Wien vorgestellt. Die Ausstellung ist klein, spröde und wirkt grausam, weil das gänzlich aus Beton gegossene Architekturmodell, das im Mittelpunkt der Schau steht, wie die archäologische Rekonstruktion einer antiken Nekropolis wirkt. Nicht zuletzt wegen des Hauses Nummer 3 von Hans Kollhoff (Berlin), das wie ein antiker Kleintempel oder ein antikes, tempelartiges Grabmal aussieht. Der Modell-Hang ist aus Beton, ebenso wie die zwölf prototypischen Einzelhäuser, die demnächst in einem Zersiedlungsgebiet im Weichbild Wiens von neun ehrgeizigen Architekten - ebenfalls zur Gänze aus Beton - errichtet werden sollen. Daher die ehrgeizig von den Mathematikregeln abweichende Gleichung 9=12 im Titel. Sie ist dennoch falsch, weil die mitarbeitende Grüngestalterin Anna Detzlhofer zur erlesenen Männerrunde nicht hinzugezählt wird, obwohl sie ein überaus interessantes Konzept vorgelegt hat. Sie darf aber mitreden - in einem der zehn Interviewvideos. Für die Gestaltung der Freiräume auf dem 4100 Quadratmeter großen Baugrundstück am südexponierten Hang in der Nähe der Westbahn hat sie sich am Camouflage-Design orientiert: Auf dem Grünraum-Plan sieht das dann so aus, als wären aus einer Tarnplane zwölf viereckige Löcher ausgeschnitten.

Die Ausstellung im Architektur Zentrum besteht aus drei Teilen: aus dem grauenvollen Großmodell; aus Schautafeln mit Schnitten, Grundrissen und Kleinmodellen; und aus einer Doppelreihe von Monitoren. Die Videos, die da zu sehen sind, geben Auskunft darüber, wie die Architektenmänner die harte Nuss knacken wollen: Es gilt, das unbehagliche Baumaterial Beton bekömmlich zu machen für die Romantiker des gediegenen Wohnens im Grünen. Das harte Experiment wird von der Zementindustrie finanziert. „Das Projekt ist grausam“, gesteht der Zürcher Architekt Roger Diener in seinem Videoauftritt, meint damit aber nicht den vorgeschrieben Baustoff Beton, sondern die grausam einfachen Bedingungen, die so wenig komplex sind, dass man sich alles ausdenken kann, ohne auf irgendwelche technischen Hilfsmittel zurückgreifen zu müssen. Den Baustoff Beton lobt Diener über alles, er schätzt dessen „Eindeutigkeit, die Direktheit seiner Erscheinung“.

Das Projekt mag grausam einfach sein und seine Präsentation grausam erscheinen. Sobald man sich die Zeit nimmt - viel Zeit übrigens, um sich in die meist ungemein originellen Wohnungskonzepte einzudenken und sich die gescheiten Aussagen der teilnehmenden Architekten in den vortrefflichen Videoaufnahmen von Othmar Schmiderer anzuhören -, wird eines klar: „9=12“ ist die interessanteste Ausstellung, die bisher im Architektur Zentrum Wien zu sehen gewesen ist. Und die lehrreichste: Sie stellt Krischanitz' bisher härtestes Architekturexperiment vor. Daher sollte man die Werkvorträge der neun beteiligten Architekten nicht versäumen.

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