Bauwerk

Deutsches Historisches Museum - Ausstellungshalle
Ieoh Ming Pei - Berlin (D) - 2003
Deutsches Historisches Museum - Ausstellungshalle, Foto: Jürgen Henkelmann / ARTUR IMAGES
Deutsches Historisches Museum - Ausstellungshalle, Foto: Werner Huthmacher / ARTUR IMAGES

Am schnellsten war die Schnecke

Deutsches Historisches Museum eröffnet Schauhaus von Pei

24. Mai 2003 - Claudia Schwartz
In Berlin bot am Freitag die feierliche Eröffnung des neuen Ausstellungsgebäudes von Ieoh Ming Pei für das Deutsche Historische Museum (DHM) eine verhaltene Szenerie. Den Festreden lauschte man nicht im lichtdurchfluteten, erst danach zu besichtigenden Neubau, sondern im Eingangsbereich des in Sanierung befindlichen historischen Zeughauses. Hier wird voraussichtlich im Herbst 2004 mit der Dauerausstellung das Herzstück des Museums eröffnen.

Dass sich der Auftakt nicht zu einer dem Ereignis angemessenen Geste aufschwang, mag auch dem Start in Raten geschuldet sein. Aber die Diskrepanz zwischen der Abwesenheit von Bundeskanzler wie Bundespräsident und den Worten des DHM-Generaldirektors Hans Ottomeyer, der vom «entscheidenden Schritt für die Zukunft» des deutschen Nationalmuseums spricht, war kaum zu übersehen. Als Festredner für die Eröffnungsschau mit dem Titel «Idee Europa. Entwürfe zum ‹ewigen Frieden›» wäre auch Joschka Fischer mit Ambitionen auf den Posten des EU-Aussenministers denkbar gewesen. Schröder entsandte indes die Kulturstaatssekretärin und unterstrich damit den Eindruck, dass er das von seinem Vorgänger, dem Historiker Kohl, mit Enthusiasmus auf den Weg gebrachte Haus lieber aus einer gewissen politischen Distanz betrachtet.

Dabei liesse sich in schwierigen Zeiten schon Staat machen mit der am berühmten Boulevard Unter den Linden gelegenen, dem Regierungsviertel nahen Einrichtung, deren Geburtsstunde 1987 in eine Zeit fiel, als man noch gut und gerne Geld für Kultur ausgab. Die von Kohl im Schatten der Mauer konzipierte Westberliner Museumsidee, gedacht als Antipode zum offiziellen DDR-Geschichtsbild im Zeughaus, wurde von der deutschen Wende überholt. Mit der Erweiterung durch einen Neubau des an den Bund übergegangenen Zeughauses beauftragte der Kanzler in der Folge jenen Architekten, der schon Mitterrands Paris mit dem Ruhmesprojekt einer Glaspyramide für den Louvre verschönert hatte.

Das DHM etablierte sich als erste gesamtdeutsche Kultureinrichtung trotz politischem Widerstand, der sich aus der damaligen Abneigung gegen nationale Gesten erklärt. Die gegenwärtig von verantwortlicher Seite demonstrierte Ignoranz gegenüber dem - neben dem Jüdischen Museum in Berlin - wichtigsten Bundesmuseum erscheint im sechzehnten Jahr seines Bestehens hingegen etwas kleingeistig. Zumal die im Gründungsakt festgeschriebene Verpflichtung auf «Verständigung über die gemeinsame Geschichte von Deutschen und Europäern» aktueller ist denn je. Von der Dynamik der ersten Jahre nach der Wiedervereinigung unter der Leitung von Christoph Stölzl, als die Institution eine vernehmbare Stimme in der Aufarbeitung deutscher Geschichte war, ist kaum noch etwas zu spüren. Die für die Neukonzeption der Dauerausstellung wichtige Zwischenphase prägen Desorientierung und internes Hickhack, befördert durch eine einschneidende Kürzung der jährlichen Bundesmittel, die gegenwärtig 1,2 Millionen Euro betragen.

So erzählt Peis Gebäude vom Schwung der Gründerjahre nach der Wende. Das neue Ausstellungshaus war bereits im Vorfeld der Eröffnung einer der in letzter Zeit in Berlin am heftigsten gelobten Neubauten, weil es eine klassisch anmutende Moderne in die historische Mitte der Stadt bringt. Souverän belehrt der amerikanische Architekt chinesischer Abstammung all jene eines Besseren, die gerne behaupten, dass die Baukunst der Gegenwart nichts zuwege bringe. Peis Schauhaus zählt zwar nicht zu den grossen Innovationen des Architekten. Es erscheint vielmehr als unbeschwertes Alterswerk, das sich in verspielter Formensprache über die Hinterhoflage des zerschnittenen und eingezwängten Grundstücks hinwegsetzt und, den einen oder anderen Vorgänger zitierend, Peis Würfen in Washington und Paris Nachdruck verleiht.

Durch die gläserne, bogenförmige Fassade gen Süden wird das riesige Foyer von Licht durchflutet; den in strenger Klarheit eingesetzten Materialien Kalkstein, Granit und eingefärbter Beton verleiht dies eine haptische, sinnliche Ausstrahlung. Pei vermeidet jede Historisierung, erweist aber mit Ausblicken seinem architektonischen Ahnen Schinkel die Reverenz - und vor allem dem Zeughaus. Die Nordseite des DHM-Stammhauses mit den Plastiken von Schlüter darf, von Peis gläsernem Foyer aus betrachtet, einer Schaufassade gleich auftrumpfen. Allerdings hat Pei Schinkels Maxime, wonach ein Museum «erst erfreuen und dann belehren» soll, derart hochgehalten, dass seine effektvolle Inszenierung in Gestalt des zweckfreien Foyers rund die Hälfte der Gesamtfläche in Anspruch nimmt. Die Enge der vier Ausstellungsetagen, die 2500 Quadratmeter umfassen, dürften in Zukunft sowohl die Kuratoren der Wechselausstellungen wie die Besucher noch zu spüren bekommen.

Weniger Altersmilde hätte man sich bei Peis gläserner Treppenspindel gewünscht, die sich in einem ersten Entwurf geschlossener zeigte. Nun kragt - weniger nüchtern und auf den ersten Blick wohl gefälliger - eine Treppenwindung als fette Wulst aus dem Zylinder, weshalb der Berliner Volksmund in seiner liebenswürdigen Art die Glaswindung bereits zur «Schnecke» gemacht hat. Würde allerdings manch anderes bedächtig und ruhig wie sie seiner Vollendung entgegengleiten, wäre aus der deutschen Hauptstadt wieder so etwas wie Bewegung zu vermelden.

[ Das DHM präsentiert bis zum 22. September eine Pei-Werkschau. Publikation: I. M. Pei - Der Ausstellungsbau für das Deutsche Historische Museum, hrsg. von Ulrike Kretzschmar. Prestel-Verlag, München 2003. 96 S., Fr. 26.-. Eine Besprechung der Ausstellung «Idee Europa. Entwürfe zum ‹ewigen Frieden›» (25. Mai bis 25. August) folgt. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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