Veranstaltung

12. Architektur-Biennale Venedig 2010
Ausstellung
29. August 2010 bis 21. November 2010
Giardini della Biennale, Arsenale
I-30124 Venedig


Veranstalter:in: Biennale di Venezia

Venedig sehen und sterben für die Greißlerarchitektur?

Die Biennale 2010 - Motto: Baukunst als „Lebensmittel“ - feiert den Abschied vom Starkult, und der Österreich-Pavillon feiert nicht mit: eine „peinlich-retrospektive“ Themenverfehlung, wie Dietmar Steiner schrieb?

4. September 2010 - Wolf D. Prix
Der Österreichische Pavillon in Venedig erstickt im „Ego-Kitsch“: Das sagt zumindest der Leiter des Architekturzentrums Wien (der Standard, 30. 8.). Eric Owen Moss, der diesjährige Kommissär des Österreich-Pavillons, hat wohl einen Fehler gemacht: Er hat vergessen, Dietmar Steiner zu fragen, wo's lang geht in der internationalen Architektur.

Wenn man nicht wüsste, dass Medien in Wort und Tat immer übertreiben, müssten die 64 Architekten und Lehrer (aus Österreich, Deutschland, England, USA, Argentinien, Japan, Frankreich, Spanien, Niederlande), deren Werke im Österreich-Pavillon gezeigt werden, und denen von Steiner unterstellt wird, die Zukunft Österreichs mit gestriger Architektur zu verbauen, den Rücktritt Steiners als Leiter des Architekturzentrums Wien fordern. Sie werden es natürlich nicht tun, und das ist auch gut so, denn er ist als prononcierter Vertreter und Theoretiker österreichischer Architektur weit über unsere Landesgrenzen bekannt.

Zunächst muss einmal festgestellt werden, dass die Bedeutung der Architektur-Biennale in Venedig in der theoretischen Auseinandersetzung seit ihrem Beginn 1980 immer mehr abnimmt. Auch die persönliche Bedeutung für die Teilnehmer ist im Gegensatz zur Kunst-Biennale sehr gering. Eigentlich wird sie nur veranstaltet, um der In-Group der Architekten und ihren Kritikern die Gelegenheit zu geben, ihren Eitelkeiten, ihrem Neid, ihrer Schadenfreude und ihren Verdächtigungen Raum zu geben.

Mag sein, dass das Layout, also die Gestaltung der kuratierten Ausstellung im Arsenale und im italienischen Pavillon und die Vereinfachung der Thematik - sagen sie mir einen banaleren Titel als: „Menschen treffen sich in Architektur“ - den Gefallen von Ausstellungsmachern findet und zum Aufatmen überforderter Kritiker führt. Tatsächlich erleichtert im Vergleich zu früheren Biennalen - die immer mehr zu Produktmessen verkamen - die größere Übersichtlichkeit das schnelle Durchmessen des Inhalts. Aber scheinbar hat das Aufatmen die Brillen der kritischen Distanz beschlagen lassen. Vor lauter Häme, dass nun endlich einige Stars durch scheinbare Nicht-Stars ersetzt werden, wird leicht übersehen, dass es eigentlich um die Inhalte der Objekte und Installationen in den Pavillons gehen sollte.

Verkehrte Welt: Die Medien, die den Architektur-Starkult ja erfunden haben, erklären ihn nun für beendet. Kazuyo Sejima wird als Anti-Star gefeiert und die ausgestellte Architektur als Lebensmittel bezeichnet. Abgesehen davon, dass alles schon viel anregender und präziser in dem Buch Architektur ohne Architekten von Bernard Rudofsky zu finden ist, sind gerade die Bauten Sejimas ebenso spektakuläre Ikonen. Sie sehen nur anders aus. Ihr Museum in New York funktioniert weder besser noch schlechter als Zahas Museum in Rom. Die Raumprägung ist nur konservativer.

Und apropos Starkult: Ich habe schon lange keine peinlichere Präsentation eines Stars gesehen als den Film über Sejimas intelligentes Gebäude, das Rolex Learning Center in Lausanne. Der Film gleicht eher einem Hochamt, in dem Priesterinnen im Kimono schauerliche Banalitäten von sich geben. - Also keine spektakulären Bauten mehr. Auch gut.

Es werden aber weiterhin Bauaufgaben zu bewältigen sein, die nicht nur mit sozialer und ökologischer Lebensmittelarchitektur zu bewältigen sind. Wir werden neue Universitäten, Bahnhöfe, Bürobauten, Stadtteile zu bauen haben. Aber spektakulär und merkbar dürfen sie nicht mehr sein.

Gerne übersehen wir dabei, dass ganz andere Kräfte heute - nämlich Investoren, Politik, Bauunternehmen - ganz entscheidend für die, fälschlicherweise den Architekten vorgeworfenen, spektakulären Preise verantwortlich sind. Und anstatt nach neuen Planungsmethoden, Durchsetzungs- und Ausführungsstrategien zu fragen, bejubelt man den Rückzug des Architekten zum ökonomisch bescheidenen Funktionserfüller.

Was wäre das für eine Architektur-Biennale geworden, hätte man statt einer langweiligen Ausstellung Foren etabliert, Themen lanciert, die uns alle hinter die Kulissen der Entscheidungen blicken ließen. Zum Beispiel der Streit um den Bahnhof in Stuttgart. Die Hinter- und Vordergründe der Kostenexplosion der Elbphilharmonie. Der politische Streit um Moscheen und Minarette, die ja nichts anderes sind als die Verortung einer Idee. Warum der Einfamilienhausmarkt in Amerika zusammengebrochen ist und wie in Israel mit Siedlungsarchitektur Machtpolitik betrieben wird. Und so gäbe es noch 1000 brisante Probleme, die zu diskutieren lohnen würde, denn der Streit zwischen Star und Nicht-Star ist eigentlich ein verdeckter Ideologiestreit zwischen offenen und geschlossenen Systemen.

Wenn man so will, kann man auf dieser Biennale den Backlash der 1970er-Jahre wiedererkennen. Architektur bleibt Architektur. Kunst ist Kunst. Keine Experimente. Alles ist wieder brav. Gleichgewicht und Balance sind wichtiger als Dynamik. Auch wenn man dieses Gleichgewicht - wie bei einem Objekt zu sehen ist - mit hohlen statt mit vollen I-Trägern darstellt. Dynamik ist out.

Der Slogan am japanischen Pavillon treibt es auf die Spitze; übersetzt heißt er: „Der öffentliche Raum ist für autoritäre Systeme ein Mittel, um Menschen zu unterdrücken.“ Es war kein Wort der Kritik darüber zu hören oder zu lesen. So, als ob man vergessen hätte, dass die Demokratie in Griechenland im öffentlichen Raum (Agora) ihren Ursprung hatte. Und im Übrigen hat es die Aufklärung nie gegeben. - Der Österreichische Pavillon hat nur auf den ersten Blick das Thema verfehlt, denn immerhin machte er keine eindimensionale Achse, sondern ein dreidimensionales Netzwerk deutlich. Auch wenn man die Darstellung kritisieren mag, so sind doch 64 österreichische und internationale Architekten virtuell versammelt.

Den intelligentesten Beitrag hat allerdings Rem Koolhaas abgeliefert. Seine Auseinandersetzung mit dem Denkmalschutz kümmert sich nicht um das Thema, sondern dient allein der Argumentation für sein Projekt in Venedig: einen Palazzo in ein Shopping Center für Benetton umzubauen. Auch dafür hat er den goldenen Löwen bekommen. Und soviel ich weiß, war es immer noch ein Löwe und keine Löwin, wie mir viele Freunde, die die Architektur-Biennale weiblich gestaltet gesehen haben, weismachen wollten.
[ Wolf D. Prix (Jg. 1942) ist Mitbegründer von Coop Himmelb(l)au und Vizerektor der Universität für angewandte Kunst. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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