Veranstaltung

PostCity – Lebensräume im 21. Jahrhundert
Ausstellung
PostCity – Lebensräume im 21. Jahrhundert © Florian Voggeneder
3. September 2015 bis 7. September 2015
Ehemaliges Post- und Paketverteilzentrum
Bahnhofplatz 11a
A-4020 Linz


Veranstalter:in: Ars Electronica Center

Zu­kunft oh­ne Mas­ter­plan

Un­ter dem Ti­tel „Post Ci­ty“ zeigt die Ars Elec­tro­ni­ca Linz Ide­en für die Zu­kunft der Städ­te zwi­schen Hight­ech und Low­tech. Die Er­kennt­nis: Die Zeit der von oben dik­tier­ten ein­fa­chen Lö­sun­gen ist vor­bei. Gut so!

5. September 2015 - Maik Novotny
Ei­ne ge­räu­mi­ge sil­ber­ne Bla­se auf Rä­dern, da­rin vier be­que­me Sit­ze zum Durch-die-Stadt-Glei­ten und Touch­screens an der In­nen­sei­te. Der F015 von Mer­ce­des, ein Pro­to­typ des fahr­er­lo­sen Au­tos, ist ei­ner der Hin­gu­cker bei der dies­jäh­ri­gen Ars Elec­tro­ni­ca in Linz. Dort steht das Ge­fährt recht sach­lich in der Aus­stel­lung Fu­tu­re Mo­bi­li­ty he­rum, ganz oh­ne al­ber­nen Au­to­mo­bil­mes­sen-La­sers­how­bom-bast. Im Ge­gen­eil: Rup­pi­ger Be­ton und ge­press­tes Alt­pa­pier bil­den den at­mo­sphä­ri­schen Rah­men für das Leitt­he­ma „Post Ci­ty“, denn heu­er fin­det die Ars Elec­tro­ni­ca in den weit­läu­fi­gen Hal­len des ehe­ma­li­gen Post­ver­la­de­zen­trums am Bahn­hof Linz statt, das 2014 nach kaum mehr als 20 Jah­ren aus Platz­grün­den auf­ge­ge­ben wur­de. Die Mehr­deu­tig­keit des Be­griffs – Post­stadt, Stadt nach der Stadt, Stadt der Zu­kunft – liegt mehr als auf der Hand.

Ei­ne zwei­te, un­vor­her­ge­se­he­ne Mehr­deu­tig­keit tat sich pünkt­lich zur Er­öff­nungs­wo­che auf, als nur we­ni­ge Me­ter hin­ter dem Mer­ce­des die Zü­ge mit Flücht­lin­gen in Rich­tung Deutsch­land roll­ten, von Lin­zer Hel­fern spon­tan auf dem Bahns­teig mit Was­ser ver­sorgt. Ei­ne ganz an­de­re Art von „Fu­tu­re Mo­bi­li­ty“, die die Städ­te un­se­rer Zu­kunft eben­so prä­gen wird wie Hoch­tech­no­lo­gie.

Als hät­te man dies ge­ahnt, zeigt die Ars Elec­tro­ni­ca mit den The­men Fu­tu­re Mo­bi­li­ty und Ha­bi­tat 21 ganz be­wusst die Spann­wei­te von Hight­ech und Low­tech-Stra­te­gien für die Stadt der Zu­kunft. Ei­ner­seits die vom Bü­ro form­qua­drat ent­wi­ckel­te schnit­ti­ge Zwei-Per­so­nen-Flug­droh­ne D-Da­lus und das Fahr­rad „my.esel“, das ei­ne SMS an die Stadt­ver­wal­tung schickt, wenn es über ein Schlag­loch fährt: Big Da­ta als Schmier­mit­tel für die rei­bungs­lo­se Me­trop­ole.

Im­pro­vi­sier­te Stadt

An­de­rer­seits die Breit­wand­bil­der des Pro­jekts „Be­yond Sur­vi­val“: Lu­kas Ma­xi­mi­li­an Hül­ler und Han­nes See­ba­cher ha­ben im jor­da­ni­schen Flücht­lings­camp Zaa­ta­ri, mit 100.000 Be­wohn­ern ei­nes der größ­ten der Welt, mit den dor­ti­gen Kin­dern spie­le­ri­sche Bil­der in­sze­niert, die de­ren An­eig­nung des Rau­mes zei­gen. Ko­ope­ra­ti­ons­part­ner Ki­li­an Klein­schmidt lud im Auf­trag der Uno Stadt­pla­ner ein, um das als Pro­vi­so­ri­um er­rich­te­te Camp als Stadt zu or­ga­ni­sie­ren. Da­zu braucht man erst mal kei­nen Be­ton und kei­ne Krä­ne, son­dern ei­ne Idee für ein Ge­mein­we­sen.

Mit welch ein­fa­chen Mit­teln ei­ne Stadt am Funk­tio­nie­ren ge­hal­ten wer­den kann und muss, zei­gen Kat­ja Schecht­ner und Diet­mar Of­fen­hu­ber mit „Ma­ni­la Im­pro­struc­tu­re“. Sie ha­ben ana­ly­siert, wie in der phi­lip­pi­ni­schen Haupt­stadt die dem ra­pi­den Stadt­wachs­tum hin­ter­her­hin­ken­de In­fras­truk­tur mit Ein­falls­reich­tum er­gänzt wird. Da lehnt ein So­lar­pa­neel an ei­nem Plas­tik­stuhl. Mit der da­raus ge­won­ne­nen En­er­gie wird die be­nach­bar­te Gar­kü­che be­trie­ben. Wo die Stra­ßen­be­leuch­tung fehlt – oder ein Ma­ri­en­schrein drin­gend il­lu­mi­niert ge­hört –, wer­den die Lam­pen eben aus we­ni­ger wich­ti­gen Stra­ßen­lam­pen an der Schnell­stra­ße ge­schraubt. Die dort fah­ren­den Au­tos ha­ben ja schließ­lich eh Licht.

„Die­se Im­pro­vi­sa­tio­nen sind ei­gent­lich Hight­ech, aber eben im Le­bens­kon­text ei­ner asia­ti­schen Me­ga­ci­ty“, sagt Kat­ja Schecht­ner. „Es geht da­bei nicht ein­fach nur um in­di­vi­du­el­le Bas­te­lei, son­dern um die Ver­bin­dung zwi­schen klei­ner Nach­bar­schaft mit gro­ßem Sys­tem. Zum Bei­spiel, wenn sich ei­ne Com­mu­ni­ty der Was­ser­trä­ger oder Müll­samm­ler for­miert, die die Nach­bar­schaft mit der städ­ti­schen In­fras­truk­tur ver­bin­det.“

Die Wahl des The­mas sei auch als kri­ti­scher Kom­men­tar zu den per­fek­ten Tech­no­lo­gie­vi­sio­nen der Smart Ci­ties und als Plä­doy­er für die nicht min­der in­tel­li­gen­te Ei­gen­ini­tia­ti­ve der Bür­ger zu ver­ste­hen, de­ren Über­le­bens­küns­te ge­ra­de in den Me­ga­ci­ties Asiens ge­braucht wür­den, da­mit die­se funk­tio­nie­ren, so Kat­ja Schecht­ner. „Die­ses Wis­sen kann auch in den Städ­ten des Wes­tens schnell wich­tig wer­den, wenn ei­ne Ver­sor­gungs­in­fras­truk­tur zu­sam­men­bricht.“

In­for­ma­ti­ons­quel­le Mensch

Die Lek­ti­on da­raus: Das städ­ti­sche Le­ben lässt sich nicht so or­dent­lich vor­aus­pla­nen wie ein Häuslb­au­er­haus. Wa­ren die Ar­chi­tek­ten und Stadt­pla­ner zu Zei­ten gro­ßer Neu­pla­nun­gen wie der mit ei­nem Hand­strich ent­wor­fe­nen Haupt­stadt Bra­sí­lia noch im Glau­ben, ei­ne Stadt aus ei­nem Guss in die Welt stel­len zu kön­nen, ist man sich heu­te nur zu deut­lich be­wusst, dass das al­les schon recht kom­pli­ziert ist.

Der Ur­ba­nist Ro­land Krebs, Do­zent an der TU Wien und als Pla­ner und Be­ra­ter seit lan­gem in La­tei­na­me­ri­ka tä­tig, ist mit sei­nem Ur­ban De­sign Lab auf der Ars Elec­tro­ni­ca ver­tre­ten. Er hat reich­lich Er­fah­run­gen mit der ur­ba­nen Rea­li­tät jen­seits ver­meint­lich ein­fa­cher Lö­sun­gen ge­macht. „In La­tei­na­me­ri­ka wis­sen die Städ­te nicht, wie sie Pro­ble­me lö­sen kön­nen, weil die Pro­ble­me zu kom­plex sind und die Be­am­ten nur Pla­nungs­in­stru­men­te aus dem letz­ten Jahr­hun­dert ha­ben. Die Pla­nung kommt den schnell wach­sen­den Städ­ten nicht hin­ter­her, al­so lässt man al­les schlei­fen.“

Mit dem Ur­ban De­sign Lab ent­wi­ckel­te Ro­land Krebs mit der TU und der In­ter-Ame­ri­can De­ve­lop­ment Bank ei­ne Me­tho­de, wie man die Stadt in den Griff be­kom­men kann. Das sim­ple Ge­heim­nis: die Be­völ­ke­rung mit ein­be­zie­hen. In zehn Städ­ten von Ni­ca­ra­gua bis Ko­lum­bien wur­de die Stra­te­gie an­ge­wen­det. „Der Stadt­pla­ner tritt hier nicht als All­wis­sen­der auf, son­dern als Mo­de­ra­tor, der den In­put der Be­völ­ke­rung sam­melt und erst am Schluss ent­wirft“, er­klärt Ro­land Krebs. „In Ös­ter­reich be­stellt die Po­li­tik ei­nen Plan, die Be­völ­ke­rung ist glü­cklich oder nicht – und die Ar­chi­tek­ten wis­sen ge­nau, was rich­tig ist. In La­tei­na­me­ri­ka gibt es kei­ne Mas­ter­plä­ne, aber vie­le jun­ge, dy­na­mi­sche, gut aus­ge­bil­de­te Pla­ner. Da­von kön­nen wir ler­nen.“ Da­zu be­nö­ti­ge man kein Hight­ech-Ar­se­nal, man müs­se nur den Leu­ten die rich­ti­gen Fra­gen stel­len. „Es geht um den Men­schen als wich­tigs­te In­for­ma­ti­ons­quel­le, egal ob ana­log oder di­gi­tal.“

Ganz ähn­li­che Zie­le ver­folgt An­dre­as Hen­ter. Mit sei­nem Lin­zer Bü­ro TP3 Ar­chi­tek­ten und dem be­freun­de­ten spa­ni­schen Bü­ro ed­dea ar­qui­tec­tu­ra hat er das Open-Sour­ce-Werk­zeug „ci­ty-thin­king“ ent­wi­ckelt. Auch hier wer­den den Bürg­ern Fra­gen ge­stellt, die auch mal ins Poe­tisch-Über­ra­schen­de kip­pen kön­nen. „Die­se Art des Den­kens, das auch Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten in­fra­ge stellt, schafft ein Com­pu­ter­pro­gramm nie“, sagt Hen­ter.

Ein Bei­spiel für die­ses An­ders­den­ken: Als ei­ne Ze­ment­fa­brik bei Gra­na­da mit 100 Ar­beits­plät­zen ih­re To­re schloss, plan­ten die Be­hör­den auf dem Are­al Woh­nun­gen. Die Ar­chi­tek­ten tp3 und ed­dea je­doch schau­ten sich um und ana­ly­sier­ten. „Die Ge­gend ist vol­ler Oli­ven­bäu­me, die oft ge­schnit­ten wer­den müs­sen, wo­durch reich­lich Bio­mas­se an­fällt.“ Der An­fang ei­nes Um­den­kens oder, wie An­dre­as Hen­ter es nennt, „ei­nes Wun­ders“: Statt Woh­nun­gen ent­steht auf dem Are­al nun ei­ne Fa­brik für Holz­pel­lets – mit 150 Ar­beits­plät­zen.

Mit ei­nem Pla­ner, der von An­fang an auf ei­ner Idee be­harrt, wä­re das nicht ge­glückt, sagt Hen­ter ent­schie­den: „Das Wort Mas­ter­plan ist für mich ein Un­wort!“ Ob Gra­na­da, Ma­ni­la, Jor­da­nien oder der Bahn­hof Linz: Die gänz­lich un­dik­ta­to­ri­schen Pla­ner von heu­te set­zen auf Fle­xi­bi­li­tät und Ent­schei­dungs­stär­ke – und Low­tech steht Hight­ech an In­tel­li­genz um nichts nach.

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