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hochparterre 08|2009
Zeitschrift für Architektur und Design
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Fünfzig Jahre Verkehrsmuseum

Zum Jubiläum schenkt sich das Museum in Luzern einen Umbau. Das Architekturbüro Gigon / Guyer verhilft zu neuem Glanz.

11. August 2009 - Werner Huber
Wann waren Sie zum letzten Mal im Verkehrshaus in Luzern? Als Kind vor Jahrzehnten mit Ihren Eltern oder auf der Schulreise? Erinnern Sie sich an das starre Rössli vor dem Tram, an die aufgeschnittenen SBB-Waggons und die Coronado im Hof? Vielleicht waren Sie auch erst vor wenigen Jahren dort, mit Ihren Kindern oder gar Enkeln. Dann ist bestimmt das wohlige «Weisch-no»-Gefühl heraufgekrochen und hat die alten Erinnerungen an frühere Ausflüge geweckt. Als Architektin oder Architekt haben Sie dann auch die Gebäude betrachtet, den Fünfziger- oder Siebzigerjahre-Charme begutachtet und gedacht: Hier müsste man wieder mal etwas machen!
Jetzt, pünktlich zu seinem fünfzigsten Geburtstag, hat das Verkehrshaus etwas gemacht: Zwei neue Häuser — FutureCom und Halle Strassenverkehr — und in der Mitte eine grosse Leere: die Arena. Die Neubauten gehen auf den Wettbewerb zurück, mit dem das Verkehrshaus vor zehn Jahren ein Entwicklungskonzept bis 2020 und einen Entwurf für eine neue Strassenverkehrshalle suchte. Das Zürcher Architekturbüro Gigon / Guyer schuf eine grosse, vielfältig nutzbare Freifläche im Zentrum des Museumskomplexes und gewann damit den Wettbewerb. Über Jahre, während denen das Museum seine strukturellen Probleme löste, passierte nichts; erst 2005 erhielten Gigon / Guyer den Auftrag — nicht nur für die Halle Strassenverkehr, wie in der ersten Etappe beabsichtigt, sondern auch für den neuen Eingang.

5000 glänzende Räder

Das Eingangsgebäude empfängt schon seit vergangenem November die Besucherinnen und Besucher des Verkehrshauses. Blickfang ist die Profilglas-Fassade, hinter der über 5000 Räder aller Art die Mobilität symbolisieren. Hauptsächlich prangt hier Altmetall in Form von Autofelgen, dazwischen eingestreut sind aber auch Holzräder, Schiffsschrauben, Steuer- und Transmissionsräder, die hinter der Glasmembran im Sonnenlicht glänzen. Einzelne Fensteröffnungen durchbrechen die Fassade und gewähren einen Blick ins Haus. Im Erdgeschoss öffnet eine Glasfront das Haus fast auf der ganzen Breite und gewährt den Blick quer durch die Halle. Auf einer grossen Fläche sind hier alle Funktionen angeordnet, die ein Museum braucht: Foyer, Kasse, Informationsstand und natürlich der grosse Shop. Direkt an die Eingangshalle angeschlossen sind auch die Halle Schienenverkehr, das IMAX-Kino und die beiden Restaurants, das bediente «Piccard» und das «Mercato» mit Selbstbedienung, das seine beiden gläsernen Finger weit in den Hof hinausstreckt.

In der Eingangshalle lenkt eine grosse Deckenöffnung den Blick nach oben, und eine Rolltreppe animiert zur Fahrt in den 1. Stock. Hier ist die Media-Factory untergebracht, einer der neuen ausstellerischen Höhepunkte des Verkehrshauses, der dem ganzen Eingangsgebäude auch den unglücklichen Namen «FutureCom» verliehen hat. Die Ausstellung thematisiert an elf Stationen die Welt der modernen Kommunikation. Insbesondere die Kinder sind fasziniert vom Fernsehstudio, in dem sie in originaler Umgebung mit echter Technik Beiträge und Sendeabläufe gestalten können. Die Architektur spielt hier kaum mehr eine Rolle; verlangt war eine beliebig bespielbare schwarze Kiste. Immerhin konnten die Architekten zwei Fenster in die Fassade schneiden. Davon ist eines zwar abgedeckt, kann jedoch problemlos geöffnet werden, wenn sich die Museumslandschaft dereinst von der Blackbox verabschiedet. Viel Platz nimmt in diesem Geschoss die Haustechnik ein, eine Folge des Budgets und des Hochwassers von 2005. Im zweiten Obergeschoss des FutureCom-Gebäudes ist das Konferenzzentrum mit einem fünfhundertplätzigen Saal und drei Sitzungszimmern untergebracht. Hier gewähren grosse Glasflächen den Blick aus dem Foyer ins Museumsgelände und auf den See. So konnten die Architekten die Verkehrshausatmosphäre ins Haus holen, ohne den Raum mit Versatzstücken von Autos, Eisenbahnen oder Flugzeugen dekorieren zu müssen.

344 bunte Tafeln

Bereits aus der neuen Eingangshalle ist der zweite Neubau auf dem Museumsgelände zu sehen: die Halle für Strassenverkehr. Blaue Verkehrsschilder, die schon bei wenig Licht hell leuchten, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Unweigerlich beginnt man zu lesen: «Grenchen, Arch, Büren a. A.», «Bellinzona Sud, Locarno, Polizia», «Tuggen 1000 m»; Ortsnamen aus der ganzen Schweiz geben sich hier ein Stelldichein. An der rechten Fassade sind die Tafeln grün wie auf der Autobahn, und die weissen Schilder der Nebenstrassen bekleiden die linke Fassade. Die Schilder an der Rückseite des Hauses sind verkehrt herum aufgehängt, die Nachbarn schauen also von hinten auf die Tafeln. Mit diesen Fassaden reagierten Gigon / Guyer auf den Wunsch der Ausstellungsmacher nach einer Blackbox.

Das Wettbewerbsprojekt von 1999 war nämlich noch ein grosszügig verglastes Gebäude aus Wandscheiben und aussen liegenden Rampen, bei dem innen und aussen eng ineinander verzahnt waren.
Der Schilder-Schild ist eine originelle Lösung für die «dekorierte Kiste», ohne dem Sauglattismus zu verfallen. Bei Venturis «Learning von Las Vegas» haben wir gelernt, wie der Autoverkehr — oder vielmehr die auf das schnelle Auto ausgerichtete Beschilderung — die Architektur beeinflusst. Noch stimmiger wäre das Bild, wenn man (wie ursprünglich beabsichtigt) hier auch Altmetall, nämlich gebrauchte Tafeln montiert hätte, die dann nicht nur Fassade, sondern auch Ausstellungsgut wären. Jetzt sind es jedoch Duplikate von bestehenden Schildern. «Falsch» sind einzelne Schilder wie jenes für die Route 66 oder der Wegweiser nach Moskau, Kiew und Murmansk oder das Beton-Schild, das auf die Konstruktion verweist.

Im Innern ist die Strassenverkehrshalle zweigeschossig und flexibel nutzbar. Fix eingebaut als starker Rücken des Hauses ist die Hauptattraktion: ein Hochregallager, das die ganze Längsseite einnimmt und auf 42 Paletten über 80 Zeitzeugen zeigt — von der Kutsche übers Velo bis zum Auto. Im Autotheater gleich nebenan wählen die Besucher ihr Lieblingsgefährt aus, das der Parkierroboter dann aus dem Regal holt und auf der Drehscheibe des Theaters zur genauen Betrachtung abstellt. Mehrere Themeninseln sind weiteren Aspekten des Strassenverkehrs gewidmet und in einem Schauatelier können die Besucher verfolgen, wie das Verkehrshaus seine Fahrzeuge konserviert und restauriert.

Auch in dieser Halle zieht sich die Architektur gegenüber der Ausstellung in den dunklen Hintergrund zurück. Sie ist die neutrale Hülle, die jeden be-liebigen Inhalt zulässt — «architektonische Instrumente», auf denen irgendwelche «Melodien» gespielt werden können, wie es Annette Gigon ausdrückt. Jeglicher Bezug nach aussen fehlt, denn auch sind die beiden Fenster weitgehend zugeklebt und werden es wohl auch bleiben. Wer in der Halle ist, blendet das übrige Verkehrshaus zwangsläufig aus.

Ein grosser Platz

So eindrücklich die beiden Neubauten auch sind — die Halle Strassenverkehr gar mit Ikonenpotenzial —, die grösste Überraschung im neuen Verkehrshaus bereitet die grosse Leere in dessen Mitte. Woher kam plötzlich dieser Platz? Ganz einfach: Die Gebäude von 1959 mussten weichen. Nun erinnert einzig der alte Teil der Abteilung Schienenverkehr an die heiteren Bauten und den idyllischen Gartenhof des ersten Verkehrshaus-Architekten Otto Dreyer. Man mag diesen Verlust bedauern, sollte dabei aber die Gewinnseite beachten.

Mit der Öffnung der Anlage gehören jetzt auch Gebäude, die bislang etwas peripher lagen, zum Ensemble, etwa die Hallen Luftverkehr und Schifffahrt aus den Siebzigerjahren von Hans Ulrich Gübelin. Stolz weisen der frisch lackierte Coronado-Jet und das Dampfschiff Rigi auf ihre Abteilungen. Im grossen Hof bildet ein flaches Wasserbecken die Zäsur zwischen dem öffentlichen Bereich und dem Museum; das Eintrittsbillett ist der Brückenzoll. Etwas im Abseits scheint einzig die Halle Schienenverkehr von Uli Huber zu stehen, obschon sie eine ganze Platzseite besetzt. Doch die davor im Freien ausgestellten Waggons sind nicht gerade die Prachtstücke der Sammlung, ausserdem besetzen der Verkehrsgarten und die Strassenbauarena den Vorplatz des Schienenverkehrs. Die beiden bei den Kindern beliebten Einrichtungen und auch die Steuerpulte der Modellschiffe und die Lastwagenfahranlage erscheinen wie zufällige Ablagerungen auf der leeren Bühne der Arena. Es hätte der Arena an dieser Flanke gut getan, wenn diese wohl dauerhaften Spielgeräte in einen gestalterischen Rahmen eingebunden wären, dies umso mehr, als nun die spielenden Kinder der Sonne ausgesetzt sind. Die Idee, Baumtröge wie an der Expo.02 mit Rädern auszustatten, war eine reizvolle Idee, die sich jedoch nicht verwirklichen liess — mehr als eine Saison hätten die Gehölze kaum überlebt. Nun muss man sich in den Schatten der Flugzeuge und temporären Installationen zurückziehen.

Nutzen wird das Verkehrshaus die Arena als Ort für Sonderausstellungen und Veranstaltungen, ohne die ein Museum heute kaum mehr funktionieren kann. Die grosse Betonplatte in der Mitte bietet dazu alle Möglichkeiten. Über einen Fahrweg durch die Eingangshalle gelangt auch der beliebte Oldtimercorso in die Arena. Zu seinem fünfzigsten Geburtstag hat das Verkehrshaus die Voraussetzungen dafür geschaffen, auch weiterhin das meistbesuchte Museum der Schweiz zu bleiben. Es ist jetzt nicht nur eine Verkehrs-, sondern auch eine Architekturdestination.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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